Sankt Joachimsthal/Jáchymov

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Sankt Joachimsthal

Amtliche Bezeichnung

tschech. Jáchymov

Lateinische Bezeichnung

Sancti Joachimi

Bild


Radiumbad St. Joachimsthal im Erzgebirge
(Postkarte: vor 1945) [Herder-Institut, Marburg,
Bildarchiv. Inv. Nr. 182427].

Etymologie

Die Stadt ist benannt nach dem hl. Joachim, der Legende nach Gatte der hl. Anna und Vater der Jungfrau Maria. Schutzpatrone der nahe gelegenen Bergstädte Annaberg und Marienberg waren die beiden weiblichen Mitglieder dieser Familie.

2. Geographie

Lage

Sankt Joachimsthal liegt auf 50° 21′ nördlicher Breite und 12° 55′ östlicher Länge, 146 km nordwestlich von Prag/Praha und 20 km nördlich von Karlsbad/Karlovy Vary, auf 672 m über NHN.

Topographie

Die Stadt liegt im Tal der Weseritz (Jáchymovský potok), eines Zuflusses der Weißeritz, in den südlichen Ausläufern des Erzgebirges.

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Tschechische Republik. Sankt Joachimsthal liegt in der Region Karlsbad (Karlovarský kraj) und gehört zum Bezirk Karlsbad (Okres Karlovy Vary).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das der freien Bergstadt zu Regensburg am 15. Juli 1546 durch König Ferdinand verliehene Stadtwappen besteht aus einem in vier gleich große Teile geteilten Schild. Das obere linke und das untere rechte Feld zeigen ein Wappen mit rotem und goldenem Schild, auf welchem ein Löwe mit doppeltem Schwanz und Krone dargestellt ist. In den beiden anderen Feldern sind Berge, im Kreuz des Wappens zwei Berghammer dargestellt. Das Wappen wird vom hl. Joachim und der hl. Anna gehalten.

Gebräuchliche oder historische Namen

Bevor die Stadt 1519 ihren jetzigen Namen erhielt, war sie als "Konradsgrün" bekannt. Für das 16. Jahrhundert ist die gebräuchliche Kurzform "Thal", von der sich auch die Bezeichnung einer Münzsorte ("Thaler") ableitet, in Aufzeichnungen von Bergknappen belegt.

Mittelalter

1454 kam die von den bis dahin herrschenden Vohburgern gegründete Ortschaft Konradsgrün in den Besitz der Familie Schlick. Aus den Aufzeichnungen eines Pfarrers von Sankt Joachimsthal, Mathesius († 1565), geht hervor, dass die Gegend von Deutschen bewohnt war und sich zudem Überreste älterer Siedlungen finden ließen. Die Quellen des Zeitraums sind jedoch spärlich.[1]

Neuzeit

In einem 1512 angelegten Stollen wurden große Mengen an Erzen gefunden, was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt führte. Da benachbarte Bergwerke in Böhmen und Sachsen wegen der dort herrschenden Aufstände nicht in Betrieb waren, kam es zu einem regen Zuzug nach Konradsgrün. Angesichts der Entwicklung des Bergbaus setzten die Grafen von Schlick 1517 einen Berghauptmann, einen Bürgermeister und einen Richter ein und begannen mit dem Bau des Schlosses Freudenstein. Nach einer kurzen Rebellion im selben Jahr wurden erste Verordnungen erlassen und die Annaberger Bergordnung für gültig erklärt. Bald waren 914 Zechen in Betrieb, in denen rund 8.000 Bergknappen beschäftigt waren. Das gewonnene Silber wurde auf direktem Wege an die großen Handelshäuser der Fugger in Augsburg und der Welser in Nürnberg verkauft. Damit trat die Stadt in direkte Konkurrenz zum Silberbergbau in Schwaz in Tirol.[2]

Auf dem Landtag 1519 erhob König Ludwig II. die Siedlung zur königlichen freien Bergstadt und gab ihr den Namen Joachimsthal. Gleichzeitig verlieh er den Grafen von Schlick das Münzrecht, woraufhin in St. Joachimsthal eine Münzstube errichtet wurde.1534 verlieh die Familie Schlick der Gemeinde eine Reihe von Privilegien, u. a. das Recht auf die Wahl des Stadtpfarrers. Erster Seelsorger der Stadt wurde M. Johannes Sylvius Egranus.

Streitigkeiten mit der Stadt führten vier Jahre später zu einem zweiten Aufstand der Bergleute, der bald beigelegt werden konnte. Schwerwiegenden Charakter hatte der dritte Aufstand 1525, bei dem der Bürgermeister gefangen genommen, das Rathaus und das gräfliche Schloss gestürmt und die Urkunden mit Privilegien sowie die Gerichtsbücher vernichtet wurden. 1534–1537 wurde eine neue Münzstätte errichtet, die nun im Besitz des böhmischen Königs war. 1583 fielen die Münze, das Rathaus und 15 Häuser einem Brand zum Opfer.[3]

Sankt Joachimsthal befand sich seit seiner Gründung im Besitz der Grafen von Schlick, bis der protestantische Graf Hieronymus Schlick sich in der Schlacht bei Mühlberg (1547), bei der es zur Vernichtung des Schmalkaldischen Bundes kam, gegen den Kaiser stellte und seine Rechte und Besitzungen an Habsburg verlor.

Seit Beginn des 17. Jahrhunderts nahmen die Einnahmen aus dem Bergbau stetig ab, was zu einer Verarmung der Stadt führte. 1624 waren noch zwei kaiserliche Schmelzhütten in Betrieb. Nach dem Schmalkaldischen Krieg und dem Rückgang des Bergbaus beeinträchtigte der Dreißigjährige Krieg die Stadtentwicklung mit Einquartierungen, schweren Kontributionen und Kriegssteuern. Ab 1635 kam es wiederholt zu Plünderungen und Brandschatzungen, denen auch Schloss Freudenstein zum Opfer fiel. 1645 erlebte die Stadt eine Pestepidemie.

1651 wurde die kaiserliche Münze von Sankt Joachimsthal nach Prag verlegt, 1665 und 1666 kein Silber mehr geschmolzen.

Während des Siebenjährigen Krieges wurde die Stadt erneut gebrandschatzt (1758, 1759 und 1763). 1853 begann der österreichische Hüttenchemiker Adolf Patera in Sankt Joachimsthal mit der Herstellung von Urangelb und legte damit den Grundstein der k. k. Uranfarbenfabrik. Diese verhalf der Stadt zu einem erneuten Aufschwung, bevor sie 1873 durch eine Brandkatastrophe fast vollständig vernichtet wurde.

Zeitgeschichte

Mit dem Ende der Habsburgermonarchie fiel die Stadt 1918 an die Tschechoslowakei und wurde infolge des Münchner Abkommens am 29. September 1938 zusammen mit dem sog. Sudetenland dem Deutschen Reich angeschlossen. Damit begann die Vertreibung der in Böhmen lebenden jüdischen Bevölkerung. Im Zuge der Umsetzung des 1941 erarbeiteten "Göring-Programms" wurden zuerst französische, später sowjetische Kriegsgefangene in den Minen von Sankt Joachimsthal eingesetzt.

Unter sowjetischer Herrschaft wurden zwischen 1945 und 1948 Tschechen, Slowaken und Deutsche durch "Volksgerichte" in Straflager verbannt. Die Zahl der Internierten wird auf ca. 200.000 Personen geschätzt. Es kam zur gewaltsamen Vertreibung der deutschen Bevölkerung, von der aufgrund des Arbeitskräftemangels u. a. deutsche Bergleute verschont blieben.[4] In Sankt Joachimsthal wurden mehrere Straf- und Internierungslager errichtet, in denen die in den Bergwerken eingesetzten Zwangsarbeiter untergebracht waren, u. a. die nach ihrem Standort in der Nähe der Bergwerksschächte benannten Lager Svornost, Eliás I und II sowie das kleinere Vykmanov II.[5] Dort internierte Personen wurden beim Abbau von Uran für das sowjetische Atomwaffenprogramm eingesetzt, bis der Uranabbau 1964 eingestellt wurde.

Bevölkerung

Für 1516 lassen sich 1.050 Einwohner nachweisen. Durch die rasante Entwicklung des Bergbaus wuchs die Bevölkerung bis 1534 auf 18.200 an.[6] Für die nachfolgenden Jahrhunderte kann zur Schätzung der Bevölkerungszahl nur auf Häuserzählungen zurückgegriffen werden, wonach die Stadt 1601 über 2.000 Einwohner hatte. Bis 1830 stieg die Bevölkerungszahl auf 4.337 an. Ein Jahrhundert später lebten 5.957 Menschen in St. Joachimsthal, davon knapp 91 % Deutsche.[7] Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie lebten überwiegende Deutsche in der Stadt (1931: 7.400 Einwohner, davon 96 % Deutsche[8]), bis ab den 1930er Jahren vermehrt tschechische Zuwanderer in die Stadt kamen. 1939 wurden 6.388, 1947 6.806 Menschen gezählt, heute beträgt die Einwohnerzahl 2.999 (Stand 2011).[9]

Wirtschaft

Im 15. Jahrhundert dominierte die Waldwirtschaft. Mit dem beginnenden 16. Jahrhundert gewann die Montanwirtschaft sprunghaft an Bedeutung: Zwischen 1516 und 1545 wurde Silber im Wert von 10.431.091 fl. und bis 1617 im Wert von 4.757.165 Talern abgebaut. Der Bergbau erlebte Ende des 18. Jahrhunderts einen erneuten Aufschwung, als Blei, Wismut und Farbkobalt geschürft wurden, zwischen 1755 und 1805 betrug die Ausbeute 62.381 Zentner Farbkobalt.

Im 19. Jahrhundert siedelten sich Industriebetriebe der Handschuh-, Puppen-, Papiermaché-, Korkwaren- und Tabakfabrikation rund um die Stadt an. Die 1561 gegründete Spitzen-Produktion der Barbara Uthmann erlebte einen erneuten Aufschwung.

Anziehungspunkt für Touristen heute ist die im Sommer 1911 fertiggestellte k.k. Kuranstalt für Radiumtherapie.[10] Neben dem Fremdenverkehr sind für den Bezirk Karlsbad besonders die Porzellan- und Glaserzeugung von Bedeutung.

Religions- und Kirchengeschichte

Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts erlebte die Stadt eine religiöse Spaltung im Zuge der Verbreitung des Protestantismus, zu dem sich die meisten Stadtbewohner bekannten. Als die Ortschaft während des Dreißigjährigen Krieges rekatholisiert wurde, wanderten viele Bürger und Bergleute ins protestantische Sachsen ab.

Bildung und Wissenschaft

Die bedeutendste Schule der Stadt war die im 16. Jahrhundert gegründete Lateinschule, deren Bibliothek über die Landesgrenzen hinweg Bedeutung besaß. Schule und Bibliothek sind in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr erhalten, das Bezirksmuseum Karlsbad beherbergt jedoch wertvolle Exemplare der ehemaligen Büchersammlung.[11]

Kunstgeschichte

Der Bau der Stadtkirche begann 1534 unter der Leitung der Baumeister Hans Kopp und Wolf Müller und wurde 1540 fertiggestellt. 1545 stifteten die Grafen von Schlick einen dreiteiligen Flügelaltar, der Lucas Cranach zugeschrieben wird. Ein großer Stadtbrand vernichtete die Stadtkirche 1873 bis auf ihre Umfassungsmauern. 1874–1876 wurde sie nach Entwürfen des Prager Dombaumeisters Josef Mocker und des Baumeisters Karl Friedrich Richter aus Johanngeorgenstadt im neugotischen Stil wiedererrichtet.

Eine aus Sandstein gefertigte Dreifaltigkeitssäule südlich der Stadtkirche wurde 1703 errichtet. An der Südspitze des Kirchenplatzes befindet sich eine Sandsteinstatute des hl. Johannes.

Das 1531 eingerichtete Rathaus wurde nach mehreren Brandkatastrophen 1901 nach Plänen des Baumeisters Anton Hammerschmidt renoviert.[12]

Musik

Die Musik spielte im Leben der Bergleute und der anderen Stadtbewohner bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Neben flotten Bergreihen entstanden fromme christliche Gesänge. Das bekannte Lied Lob auf St. Joachimsthal (Was wollen wir aber singen) war an die Grafen von Schlick gerichtet.

Literatur

Einer der wichtigsten Autoren Sankt Joachimsthals ist der Stadtarzt und Apotheker Georgius Agricola (1494–1555), der aufgrund seiner Werke (u. a. De re metallica libri XII) auch als "Vater der Mineralogie" gilt. In der Stadt lebte der deutsche Theologe und Reformator Johannes Mathesius (1504–1565).

4. Diskurse/Kontroversen

In der Stadtgeschichtsschreibung nehmen das 20. Jahrhundert, die Herrschaft des kommunistischen Regimes und die Grausamkeiten um den Betrieb des Arbeitslagers oft einen breiten Raum ein, während die Bedeutung der einst blühenden Bergstadt für Zentraleuropa im Mittelalter und in der Neuzeit in den Hintergrund rückt.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Hana Güntherová: Ein kleiner Spaziergang durch die Geschichte des ersten Radonbades der Welt: Jáchymov – St. Joachimsthal. O. O. (Karlovy Vary) 1991.
  • Peter Hilsch: Sankt Joachimsthal. In: Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard, Miloslav Polívka (Hg.): Handbuch der historischen Stätten. Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998 (Kröners Taschenausgabe 329), S. 540–542 (mit älterer Literatur).
  • Landesstelle für Erzgebirgische und Vogtländische Volkskultur Schneeberg und Karlovarské Muzeum (Hg.): St. Joachimsthal in der Zeit Georgius Agricola. Zur Geschichte einer Bergstadt im 16. Jahrhundert. Bearb. von Götz Altmann. Schneeberg 1994.
  • Otfrid Pustejovsky: Stalins Bombe und die "Hölle von Joachimsthal". Münster 2009.

Weblinks

Anmerkungen

[1] K.K. Ministerium für Öffentliche Arbeiten (Hg.): St. Joachimsthal. Wien 1911, S.7–8.

[2] Joseph Braunbeck: Der strahlende Doppeladler. Nukleares aus Österreich-Ungarn. Graz 1996, S. 10–11.

[3] K.K. Ministerium für Öffentliche Arbeiten (Hg.): St. Joachimsthal. Wien 1911, S. 8–10.

[4] Rainer Karlsch, Zbynek Zeman: Urangeheimnisse. Berlin 2002, S. 61–69.

[5] Pustejovsky: Stalins Bombe, S. 289.

[6] K.K. Ministerium für Öffentliche Arbeiten (Hg.): St. Joachimsthal. Wien 1911, S. 7–26.

[7] Pustejovsky: Stalins Bombe, S. 36.

[8] Hilsch: Sankt Joachimsthal, S. 542.

[9] Czech Statistical Office (Hg.): Demographic Yearbook of Towns of the Czech Republic (2002–2011), Tab. 174. URL: www.czso.cz/csu/2012edicniplan.nsf/engt/780032188B/$File/401812174.pdf (Abruf 26.01.2013).

[10] Der Radiumkurort St. Joachimsthal. In: Österreichische Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen 10 (1912), S. 135–136.

[11] Vgl. de.kvmuz.cz/o-nas-muzeum-karlovy-vary (Abruf 26.01.2013)

[12] Richard Schmidt: Topographie der Historischen und Kunst-Denkmale. Der politische Bezirk Skt. Joachimsthal. Prag 1913, S. 42–124.

Zitation

Christian Gepp: Sankt Joachimsthal/Jáchymov. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32279 (Stand 30.07.2021).

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