Umsiedler (SBZ/DDR)

1. Definition

Der Begriff "Umsiedler" bezeichnete in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und iin der DDR Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemals deutschen und (auch) deutsch besiedelten Territorien im östlichen Europa. Gemäß einer zeitgenössischen Definition waren Umsiedler "diejenigen Personen, die auf Grund internationaler Beschlüsse [der Potsdamer Konferenz] als Deutsche ihren Heimatort verlassen mußten, sofern sich dieser außerhalb der jetzigen deutschen Grenzen befindet und sie als Umsiedler in das Gebiet der jetzigen deutschen Besatzungszonen aufgenommen wurden."[1] Insgesamt gelangten etwa 4,3 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in die SBZ sie stellten durchschnittlich knapp 25 Prozent der Bevölkerung.[2] Der politisch instrumentalisierte Terminus "Umsiedler" reduzierte die erzwungene Migration infolge des Zweiten Weltkriegs auf eine "Umsiedlung".[3]

2. Historischer Abriss

Zur Lösung der dringlichsten (Versorgungs-)Probleme der Flüchtlinge und Vertriebenen wurde im September 1945 die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler (ZVU) auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) gegründet. Zu ihren Aufgaben gehörten die Einrichtung von Aufnahme- und Quarantänelagern, die medizinische Versorgung und Erfassung der Ankommenden, die Beschaffung von Wohnraum, Nahrung, Dingen des täglichen Bedarfs sowie die Organisation von Arbeitsmöglichkeiten. Ab Oktober 1945 entstanden sogenannte Umsiedlerausschüsse in den Kommunen und Kreisen, die auf lokaler Ebene die Unterbringung und Versorgung, vor allem aber die Eingliederung der Umsiedler unterstützen sollten.[4]

Staatliche wie private Hilfsmaßnahmen sollten in der Folgezeit die Integration fördern.

Den Umsiedlern im ländlichen Raum bot die Bodenreform ab 1945 eine Möglichkeit zur 'Neuverwurzelung'. Vielfach markierte die Übernahme einer Neubauernstelle für sie einen Neubeginn.

Zwischen Herbst 1947 und Anfang 1948 rückten die von den Umsiedlerausschüssen organisierten Umsiedlerwochen die Flüchtlinge und Vertriebenen ein letztes Mal als Sondergruppe in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung.[5] 1948 ordnete die SMAD die Eingliederung der ZVU als "Hauptabteilung für deutsche Umsiedler" in die Deutsche Verwaltung des Innern an. Eine allmähliche Auflösung dieser Behörde wie auch der nachgeordneten Institutionen begann.[6]

Schließlich fand die vermeintliche Integration aus politischer Sicht mit dem im September 1950 erlassenen "Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik" ihren Höhepunkt und Abschluss. Damit endete eine spezifische Umsiedlerpolitik. Konsequenterweise wurden die Flüchtlinge und Vertriebenen ab Anfang der 1950er Jahre in der offiziellen Statistik nicht mehr erfasst.

Begriffssetzung

Bereits im Herbst 1945 legte die ZVU die euphemistische Bezeichnung "Umsiedler" für alle Flüchtlinge und Vertriebenen in der SBZ fest. Ihr erstes Rundschreiben vom 2. Oktober 1945 enthielt – den Vorgaben der SMAD entsprechend – folgende Bestimmung: "Hierbei sei bemerkt, daß fortan in unserem Sprachgebrauch nur die Rede von Umsiedlern ist. Die Bezeichnung Flüchtlinge oder Ausgewiesene ist nicht mehr zu gebrauchen."[7] Schon 1945 erhielten die Flüchtlinge und Vertriebenen sogenannte Umsiedlerpässe, die ihren Status und die neue Gruppenzuordnung dokumentierten. Der Begriff "Umsiedler" lehnte sich an sowjetische Politik- und Sprachregelungen an und fand rasch Eingang in die offizielle Kommunikation.[8] Besonders in der Presse war parallel zur Verwendung des Umsiedler-Begriffs jedoch immer wieder von "Flüchtlingen" die Rede. Auch innerhalb der Familien blieb diese Wortwahl lange Zeit üblich, die Selbstbezeichnung als "Umsiedler" setzte sich hier nur teilweise durch.[9]

Verschwinden des Begriffs

Schon 1946 wurde im öffentlichen Sprachgebrauch, etwa in Medien und Verwaltung, die Bezeichnung "Neubürger" eingeführt, womit ein weiterer Schritt der vermeintlichen Integration verbalisiert werden sollte. Die im Februar 1947 erlassenen "Richtlinien für die Betreuung der Umsiedler und Neubürger im Lande Thüringen" beispielsweise differenzierten die Begriffe nach Aufenthaltsstatus: "Umsiedler" sollten demzufolge "nach ihrer Einweisung in eine Wohngemeinde" als "Neubürger" bezeichnet werden.[10] Der Umsiedler-Begriff und seine Synonyme verschwanden jedoch nicht völlig aus der Öffentlichkeit, vielmehr blieben sie Bestandteil ideologisch aufgeladener Erfolgsgeschichten, die z. B. zu den Jahrestagen der Bodenreform in den Medien verbreitet wurden.

3. Kontroversen

Die Bezeichnung spiegelt die forcierte Integration wider, die – im Sinne einer Assimilation – überwiegend einseitig auf die Anpassung der Neuangekommenen ausgerichtet war.[11] Im öffentlichen Sprachgebrauch wurden "Umsiedler" schnellstmöglich zu "Neubürgern" und später zu "ehemaligen Umsiedlern" erklärt, doch die damit suggerierte Integration war nur fünf Jahre nach Kriegsende bei weitem nicht abgeschlossen. Zahlreiche Konflikte prägten das Zusammenleben der ersten Jahre: Die Flüchtlinge und Vertriebenen stellten für die Einheimischen Konkurrenten um knappe Güter dar, zudem kam es, etwa im Zuge von Zwangseinquartierungen, immer wieder zu Spannungen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen.

Der offizielle Begriff "Umsiedler" sollte das Moment der Unfreiwilligkeit sowie das erlittene Leid und Unrecht ausblenden und damit auch etwaige Fehler und Vergehen der "sozialistischen Bruderstaaten" negieren. Zugleich verleugnete er die Verbindung zur "alten Heimat". Der Terminus "Umsiedler" war damit Teil einer Umdeutung der Realität und der Tabuisierung von Flucht und Vertreibung in der SBZ/DDR.

Nicht zuletzt diente die sprachpolitische Regelung der Distanzierung von der westdeutschen Begrifflichkeit: In der Bundesrepublik war v. a. die Bezeichnung "(Heimat-)Vertriebene" gebräuchlich, der auf die Umstände des Verlassens der Heimat verwies. Landsmannschaftliche Zusammenschlüsse und Vertriebenenverbände stellten Interessenvertretungen der Betroffenen dar, die in der DDR verboten und als revanchistisch verpönt waren. Hier sollte vielmehr die öffentliche Auseinandersetzung mit Flucht und Vertreibung vermieden werden.

Tatsächlich fiel vor allem den älteren Umsiedlern das Einleben schwer. Erst die Generation der Kinder wuchs in die Gesellschaft der DDR hinein und nutzte vielfach die sich bietenden Partizipationsmöglichkeiten.

Nach den Umbrüchen der Jahre 1989/90 bestanden für die Flüchtlinge und Vertriebenen in den nunmehr "neuen Bundesländern" vielfältige Gelegenheiten der privaten wie öffentlichen Erinnerungsarbeit und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, z. B. in Form von Heimatreisen oder der Mitgliedschaft in landsmannschaftlichen Vereinigungen bzw. Verbänden. Damit veränderte sich bei vielen Betroffenen die Selbstbenennung von "Umsiedlern" zu "Vertriebenen". Dennoch ist die Bewertung der Bezeichnung äußerst ambivalent: Sie reicht von einer Ablehnung der Verharmlosung und Tabuisierung bis zu einem – noch heute – selbstverständlichen Gebrauch.

4. Bibliographische Hinweise

  • Arnd Bauerkämper: Assimilationspolitik und Integrationsdynamik. Vertriebene in der SBZ/DDR in vergleichender Perspektive. In: Marita Krauss (Hg.): Integrationen. Vertriebene in den deutschen Ländern nach 1945. Göttingen 2008, S. 22–47.
  • Dierk Hoffmann, Michael Schwartz (Hg.): Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Integration in der SBZ/DDR. München 1999.
  • Michael Schwartz: Tabu und Erinnerung. Zur Vertriebenen-Problematik in Politik und literarischer Öffentlichkeit der DDR. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003) 1, S. 85–101.
  • Michael Schwartz: Staatsfeind "Umsiedler". In: Stefan Aust, Stephan Burgdorff (Hg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Bonn 2003, S. 224–234.
  • Michael Schwartz: "Vom Umsiedler zum Staatsbürger". Totalitäres und Subversives in der Sprachpolitik der SBZ/DDR. In: Dierk Hoffmann, Michael Schwartz, Marita Krauss (Hg.): Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven. München 2000, S. 135–166.
  • Manfred Wille: Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler - Möglichkeiten und Grenzen ihres Wirkens (1945–1948). In: Manfred Wille, Johannes Hoffmann, Wolfgang Meinicke (Hg.): Sie hatten alles verloren. Flüchtlinge und Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Wiesbaden 1993, S. 27–54.

Anmerkungen

[1] Paul Merker: Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems. Berlin 1947, S. 24.

[2] Stand 1. Mai 1948. Manfred Wille: Heimatvertriebene in den ersten Nachkriegsjahren in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands - Anmerkungen zur Statistik. In: Manfred Wille, Karlheinz Lau, Jörg Bernhard Bilke: Die Vertriebenen in Mitteldeutschland. Bonn 1991 (Deutschlandpolitische Schriftenreihe 10), S. 1–8, hier S. 6.

[3] Als "Umsiedler" wurde im Nationalsozialismus jene etwa eine Million Personen bezeichnet, die im Zuge der nationalsozialistischen Siedlungspolitik in annektierte Teile Polens oder das sog. 'Altreich' gelangt waren. In der SBZ/DDR bestand die Benennung dieser Personengruppe bruchlos fort. Auch wenn die Kontinuität in Bezug auf die Flüchtlinge und Vertriebenen um 1945 kaum intendiert war, so verband doch beide Formen des Begriffsgebrauchs die euphemistische Tendenz. Vgl. Schwartz: "Vom Umsiedler zum Staatsbürger", S. 138ff.

[4] Michael Schwartz: Kontrollierte Partizipation. Die "Umsiedler-Ausschüsse" der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Spannungsfeld von Sonderverwaltung, Parteipolitik und sozialen Interessen 1945–1949. In: Sylvia Schraut, Thomas Grosser (Hg.): Die Flüchtlingsfrage in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Mannheim 1996 (Mannheimer historische Forschungen 11), S. 161–191.

[5] Wille: Die Zentralverwaltung, S. 51.

[6] Arnd Bauerkämper: Die vorgetäuschte Integration. Die Auswirkungen der Bodenreform und Flüchtlingssiedlung auf die berufliche Eingliederung von Vertriebenen in die Landwirtschaft in Deutschland 1945–1960. In: Dierk Hoffmann, Michael Schwartz (Hg.): Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Integration in der SBZ/DDR. München 1999, S. 193–214, hier S. 193.

[7] Rundschreiben Nr. 1 der Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler an die Umsiedlerämter der Landes- und Provinzialverwaltungen, an die Landräte und Bürgermeister der kreisfreien Städte, Berlin, 2. Oktober 1945, zitiert nach: Manfred Wille (Hg.): Die Vertriebenen in der SBZ/DDR. Dokumente, Bd. 1: Ankunft und Aufnahme 1945. Wiesbaden 1996 (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund 19/1), S. 264–269, hier S. 264.

[8] Schwartz: "Vom Umsiedler zum Staatsbürger" (Anm. 3), hier S. 137.

[9] Vgl. Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989. München 2011 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte: Sondernummer), S. 25.

[10] Ministerium des Innern, Amt für Neubürger, Richtlinien für die Betreuung der Umsiedler und Neubürger im Lande Thüringen. Weimar 1947, S. 3.

[11] Zur Integration siehe auch Bauerkämper: Assimilationspolitik.

Zitation

Uta Bretschneider: Umsiedler (SBZ/DDR). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32669 (Stand 09.08.2021).

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OME-Redaktion (Stand: 30.07.2024)  | 
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