Deutscher Orden

1. Offizieller Name

Orden der Brüder und Schwestern vom Deutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem (Ordo fratrum domus Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum). Kurzform: Deutscher Orden (1839–1929 Deutscher Ritterorden).

2. Kurzbeschreibung

Gegründet 1190. Der Sitz hat häufig gewechselt, seit 1809 ist es Wien. Aufgaben: Anfangs war es ein Feldspital, wenig später umgewandelt in einen Ritterorden unter Beibehaltung des Hospitaldienstes. Heute seelsorglich-karitative und wissenschaftliche Aufgaben. Organisation: Immer Leitung durch Generalkapitel und Hochmeister, hinzugetreten sind ein Gebietigergremium (heute Generalrat) sowie Provinzobere und -oberinnen.

3. Geschichte

Gründung und Entwicklung im Heiligen Land

Der Deutsche Orden ist im Kontext der Kreuzzüge entstanden. Kennzeichnend für die Zeit sind so gegensätzliche Erscheinungen wie die Neugründung von Ritterorden, die bis zu eigenem Territorialbesitz gelangten, und von Bettelorden, die sowohl Privat- als auch Ordenseigentum ablehnten. Die größten Ritterorden waren Templer und Johanniter; letztere wurden nach 1080 als Hospitalbruderschaft gegründet, übernahmen aber sechs Jahrzehnte später zusätzlich den Heidenkampf der 1120 gegründeten Templer. Beider Zentrum hieß Jerusalem. Dort gab es etwa gleichzeitig mit der Gründung der Templer auch ein deutsches Hospital, das sich vor allem um die Pilger und Krieger kümmerte, die der romanischen Umgangssprache nicht mächtig waren; es ging mit dem Verlust Jerusalems für die Christen 1187 unter.

Das war ein Signal für ganz Europa. Am folgenden dritten Kreuzzug nahmen erstmals in großer Zahl auch Deutsche teil. Niederdeutsche und Flamen wählten den Seeweg, die übrigen den Landweg. Die Seefahrer trafen 1189 vor der Hafenstadt Akkon ein, die nach langer Belagerung fiel. Gegen die Lagerseuchen im ungewohnten Klima gründeten Bremer und Lübecker Bürger 1190 aus den Segeln ihrer Koggen ein Zeltspital. Eine bürgerliche Hospitalbruderschaft entstand, wie gut ein Jahrhundert zuvor die Johanniter. Auch sie sah ihr ideelles Ziel in Jerusalem, das es noch zu erobern galt und welches sie in ihren Namen aufnahm: Dies war die Geburtsstunde des Deutschen Ordens.

Der Hintergrund des dritten Kreuzzuges hat den Orden nie ganz verlassen: Jerusalemideologie, Hospitalität und Verbindung mit der staufischen Reichsvorstellung blieben mehr oder weniger für Jahrhunderte prägend. Nach der Eroberung Akkons 1191 erhielt die Bruderschaft in der Stadt ein Haus, baute ein Hospital, eine Kapelle und Wohnungen. Vor allem die Deutschsprachigen fühlten sich dorthin gezogen. Herzog Friedrich von Schwaben, Sohn des auf dem Kreuzzug verstorbenen Kaisers Friedrich I. (1122–1190), ließ der Neugründung seine Gunst zukommen. Die enge Verbindung zum staufischen Kaiserhaus wurde für die nächsten Jahrzehnte richtungweisend. Im Zuge der Mittelmeerpolitik Heinrichs VI. (1165–1197) wurde das Deutsche Hospital 1198 in einen Ritterorden umgewandelt: Templer und Johanniter stellten das Vorbild, Rittertum und Krankenpflege bildeten die gleichberechtigten Grundpfeiler dieses neuen Ordens. Die päpstliche Anerkennung war den Entwicklungsstufen stets gefolgt und drei Jahrzehnte nach der Gründung des Zeltspitals erlangte der Deutsche Orden die völlige Gleichberechtigung mit jenen beiden großen Ritterorden – er war zu einem politischen Machtfaktor im Heiligen Land geworden.

In besonderem Maße erkennen wir dies für die Regierungszeit des Hochmeisters Hermann von Salza (1209–1239), eines der bedeutendsten Diplomaten des 13. Jahrhunderts. Eine Vielzahl von Privilegien und Güterschenkungen gehören in diese Zeit. Adel und Bürgertum traten dem Orden bei, sie schenkten ihm auch seine Besitzungen – sei es als Dank für die Pflege im Heiligen Land, zur Unterstützung der dortigen Tätigkeiten, als Hilfe für die Hospitäler des Ordens im Reich oder im Hinblick auf das künftige Seelenheil.

Ausbreitung in Europa

Um 1200 erhielt der Orden Besitzungen in der Südsteiermark (im heutigen Slowenien), in Thüringen, in Südtirol; wenig später folgten Prag/Praha und Wien, Häuser in Hessen, Franken, Bayern sowie Gebiete in Griechenland und im heute rumänischen Burzenland. Um 1220 kamen erste Niederlassungen im heutigen Belgien und den Niederlanden hinzu, wenige Jahre später in der heutigen Schweiz und in Frankreich. 1230 hielt der Orden seinen Einzug in Preußen wie in Spanien, 1237 in Livland. Besonders aus den deutschsprachigen Gebieten des Reiches wuchsen dem Orden neue Ritter- und Priesterbrüder zu. Sah es in den ersten Jahrzehnten so aus, als entwickele er sich zu einem staufisch-thüringischen Hausorden mit dem ideellen Zentrum im Heiligen Land und einem weiteren in Marburg am Grabe der hl. Elisabeth, deren Schwager Konrad von Thüringen, später sogar Hochmeister (1239–1240), ihre Heiligsprechung 1235 und enge Verbindung mit dem Orden erreichte, so wuchs die junge Korporation in der Zeit der schweren Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Reich nach dem Tod Hermanns von Salza 1239 darüber hinaus.

Dazu trug die eigenständige Politik mit dem Ziel der Ausbildung eines souveränen Territoriums bei. Der Ansatz im ungarischen Burzenland (1211–1225) scheiterte, doch im Heiligen Land um die Burg Montfort wie an der Ostsee boten sich neue Möglichkeiten. Zwischen diesen beiden Polen schwankte der Orden. Jerusalem bildete das ideelle Zentrum der christlichen Welt, auch wenn es seit 1244 der Christenheit endgültig verloren gegangen war. Selbst nach dem Verlust aller Niederlassungen im Heiligen Land 1291 beharrte eine starke Partei des Ordens auf dem Verbleib im Mittelmeerraum wie die Johanniter und Templer. Doch gerade die finanziell-politisch motivierte gewaltsame Vernichtung der Templer verhalf der preußischen Partei im Deutschen Orden zum Sieg: 1309 verlegte Siegfried von Feuchtwangen (1303–1311) den Hochmeistersitz von Venedig auf die Marienburg.

Territorienaufbau in Preußen und Livland (heute Estland und Lettland)

An der Ostsee hatte innerhalb von acht Jahrzehnten der Orden sein zentrales Territorium aufbauen können. Gerufen als Hilfstruppe für die um die Vorherrschaft im zerrissenen Polen ringenden Teilfürsten von Masowien und Schlesien gegen die baltischen Prußen, gelang es dem Orden, in einem fünf Jahrzehnte dauernden Kampf diese zu besiegen und zu unterwerfen. Fast gleichzeitig, 1237, übernahm er die Reste des livländischen Schwertbrüderordens und damit auch die Stoßrichtung gegen das russische Nowgorod. Die verlorene Schlacht auf dem Eis des Peipussees 1242 gegen Alexander Newski (um 1220–1263) gebot dem Vordringen Einhalt und schuf eine für über 300 Jahre bleibende Grenze.

In Preußen folgte die Mission durch Dominikaner und Franziskaner, die Aufsiedelung mit deutschen Bauern und die Gründung vieler Städte. Die Einnahmen von den Untertanen und eine ausgedehnte Eigenwirtschaft ermöglichten dem Deutschen Orden große Produktionsüberschüsse v. a. bei Getreide, Bernstein und Waldprodukten, mit denen er einen umfangreichen Eigenhandel betrieb. Dabei profitierte er vom Handelssystem der Hanse, deren Privilegien er mit genoss. So besaß er z. B. in Brügge eigene Handelsvertreter, über die er an die westeuropäischen Märkte angeschlossen war.

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Marienburg (Foto: 1999) [Herder-Institut, Marburg,
Bildarchiv, Inv. Nr. 132341].

Diese Entwicklung wurde durch die Lage Preußens außerhalb des Reiches ermöglicht, der Orden war voll souverän. Als Staat wie seine Nachbarn auch dachte er in ebensolchen Kategorien und nutzte beim Aussterben des Herzogshauses von Pommerellen und den anschließenden Nachfolgekämpfen die Gelegenheiten, 1308/09 das Territorium mit Danzig als zentraler Stadt zu erobern. Dies trug ihm einen Dauergegensatz zu Polen ein, das Pommerellen ebenfalls beanspruchte. Diese Eroberung und die Verlegung des Hochmeistersitzes auf die Marienburg machten in ganz Europa klar, dass hier ein zu respektierender Staat entstanden war; er entwickelte sich im 14. Jahrhundert immer kräftiger. Seine Führung hatte ein sich stets mehr vom Bürgertum abwendender, das Rittertum betonender Orden, bei dem die Hospitalität hinter dem Heidenkampf zurücktrat.

Damit entwickelte sich auch ein immer stärker vom adelig-ritterlichen Ansatz geprägter Ordens- und Staatsgedanke, ganz ähnlich wie in Burgund. Beide Länder galten im 14. Jahrhundert als Hort des europäischen Rittertums, sicherlich ein gedanklicher, aber auch ein der sozialen Herkunft der führenden Schichten in beiden Staaten entsprechender Vorgang. Hinzu trat die Tatsache, dass – neben dem Geschehen in Spanien – von Preußen aus die nach Erlöschen des ursprünglichen Kreuzzugsgedankens für Europa wichtigsten Kreuzzüge des 14. Jahrhunderts geführt wurden. Das Bemühen, Preußen und die Ordensgebiete in Livland territorial miteinander zu verbinden, und das Heidentum der dazwischen lebenden Litauer machten Preußen zum Zentrum von Kreuzfahrten aus ganz Westeuropa. Das 14. Jahrhundert bildete die Glanzzeit des preußischen Ordensstaates im Innern wie nach außen.

Die preußische Entwicklung ließ sich in Livland nicht nachvollziehen. Der Deutsche Orden versuchte zwar, als er das Erbe des Schwertbrüderordens übernahm, die Unterstellung unter den (Erz)Bischof von Riga/Rīga abzuschütteln, doch zum außenpolitisch dominanten Landesherrn sich aufzuschwingen gelang ihm nie. Livland blieb ein in vier Bistumsterritorien und das Ordensgebiet gespaltenes Land mit einer sehr starken Stadt (Riga) als zusätzlichem Machtfaktor, auch wenn der Orden der militärisch Mächtigste im Land war. Zwar konnte er von Dänemark 1346 den nördlichen Landesteil, Estland, kaufen, doch erlangte er auch dadurch nicht die Vorherrschaft im Lande. Es gelang ebenfalls nicht, eine bedeutende Südverbindung zu Preußen aufzubauen, da sich das litauische Samaiten nie dauerhaft unterwerfen ließ.

Entwicklung im Römisch-deutschen Reich

Durch die Verlegung des Hochmeistersitzes war der Mittelmeerraum vom Zentrum der Ordensexistenz an die Peripherie gerückt. Entfernung birgt die Gefahr der Entfremdung in sich, sodass bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts bis auf wenige mittelitalienische Besitzungen der Orden alle mediterranen Niederlassungen eingebüßt hatte – von den Türken bis zur Kurie gab es viele, die sich allzu gerne am Ordensbesitz bereicherten, und teilweise tat schlechte Verwaltung ein übriges. Schon früher waren die französischen Besitzungen verloren gegangen. Ergebnis jener Verluste im Mittelmeerraum war ein steter Machtzuwachs nördlich der Alpen. Dort lag das Kerngebiet des Römisch-deutschen Kaiserreiches, in welchem der Orden seit Beginn des 13. Jahrhunderts großen Besitz hatte erwerben können. Häuser, Wiesen, Äcker, Weinberge, Wald, aber auch bereits bestehende Hospitäler und Kirchen waren ihm übertragen worden. Krankenpflege, Seelsorge, Landwirtschaft waren seine Aufgaben; der Immobilienbesitz ergab Renten und Pachten. Es war einerseits eine typische Etappensituation, dort wurden die Hilfsmittel für die Heidenkampffronten erwirtschaftet; Seelsorge und Hospitalität hatten jedoch schon unmittelbare Wirkung am Ort.

Andererseits darf der Ordenszweig im Reich auch nicht nur aus der Heidenkampfsituation gesehen, sondern muss als eigenständige Größe gewertet werden. Die Besitzungen stammten zum großen Teil von staufischen Parteigängern. Dabei können wir unterschiedliche Schenkergruppen feststellen. Zum einen ist es der höhere Adel, der umfangreiche Besitzkomplexe schenkte. Zum andern waren es niedere Adelige und Ministerialen, die dem Orden in ihrer Heimatregion Güter zuwandten. Oft geschah dies anlässlich ihres Eintrittes, sodass die Schenkungen gleichzeitig zur Versorgung der neuen Brüder dienten. Somit blieb eine enge Verbindung der Stifterfamilie mit dem Orden bestehen, sie saß im engen Umkreis um die Ordenskommende und nutzte sie teilweise auch weiterhin: Der Orden wurde zur Heimstatt des (vor allem niederen) Adels. Wenn es seit dem 15. Jahrhundert in der Argumentation des in Preußen residierenden Hochmeisters heißt, der Deutsche Orden sei das Spital des Deutschen Adels und müsse als solches, zur Versorgung einer ganzen Bevölkerungsschicht, erhalten bleiben, so ist die Basis dafür bereits bei seiner Ausbreitung im Reich im 13. Jahrhundert gelegt worden. Der Ordenszweig im Reich lebte von der Region und für die Region, er war Bestandteil der ihn umgebenden Gesellschaft ebenso wie ein Glied der Reichskirche, ähnlich den Stiften und Domkapiteln.

Diese Situation bedingt auch das weitgehende Fehlen nichtdeutscher Ordensbrüder, die wir nur an den Rändern des Einflussgebietes nachweisen können, beispielsweise in der Lombardei. Daraus erwuchs der falsche Eindruck, der Orden habe nur Deutsche aufgenommen – ein sich hartnäckig haltendes Klischee; die nationale Verengung erfolgte erst im 15. Jahrhundert, als die wirtschaftliche Krisensituation gerade den niederen Adel hart traf, der auf jenem Wege die eigene Versorgung besser zu sichern suchte.

Der Besitz im Reich wuchs seit Beginn des 13. Jahrhunderts rasch an, Überschüsse ermöglichten Ankäufe, Tauschgeschäfte rundeten den Besitz ab. Natürlich blieb dieser in einer erschlossenen Altsiedellandschaft Streubesitz, anders als es im Heiligen Land, in Preußen oder in Livland möglich war. Trotzdem ergaben sich größere Komplexe, die als Einheit unter Leitung eines Komturs verwaltet wurden, sogenannte Komtureien. Mehrere solcher Komtureien oder Kommenden wurden zu Balleien unter Leitung eines Landkomturs zusammengefasst. Im Reich gab es zwölf solcher Balleien: Österreich, Bozen, Elsass-Burgund, Lothringen, Franken, Marburg, Thüringen, Sachsen, Westfalen, Koblenz, Utrecht und Biesen. Über ihnen stand der Landmeister; in Preußen fiel nach der Übersiedlung des Hochmeisters dessen Amt mit dem des Landmeisters zusammen, im Reich trug er den Namen Deutschmeister. Die Ballei Böhmen unterstand unmittelbar dem obersten Gebietiger in Preußen.

Die Balleien unterschieden sich in Größe und Funktion. Das Herzstück bildete Franken. Wichtige Straßenfunktionen in Richtung auf den Mittelmeerraum nahmen Österreich und Bozen wahr, doch ging ihre Bedeutung mit der Verlegung der Ordenszentrale zurück. Dagegen besaßen ihren Rang vor allem wegen des Nachwuchses für Preußen neben Böhmen zuerst die Balleien Thüringen und Sachsen, später Franken, für Livland die Ballei Westfalen. Daher erklärt sich der starke mitteldeutsche Anteil der Brüder in Preußen, der niederdeutsche in Livland. Marburg blieb eine geistlich bestimmte Ballei durch das Grab der hl. Elisabeth, Ordenspatronin neben Maria und Georg. Die Ordensprovinzen am Rhein gewannen für den Nachwuchs vor allem im 14. und 15. Jahrhundert an Bedeutung: Elsass, Koblenz und das unwichtigere Lothringen. Daraus ergaben sich in Preußen wie in Livland starke rheinische Gruppen und Auseinandersetzungen um die Führung im jeweiligen Ordenszweig. Biesen und Utrecht lagen stärker an der Peripherie. Dabei gab es keine strenge Abgrenzung der Interessensgebiete einer Ballei oder innerhalb der Ballei der verschiedenen Kommenden. So war es selbstverständlich, dass die Ordensballeien Territorial- wie Diözesangrenzen übersprangen. Zwar war der Orden exemt, d. h. er unterstand unmittelbar dem Papst, doch das betraf ihn nur als Orden. Wenn er Pfarren verwaltete, dann war in geistlichen Fragen der Ortsbischof zuständig. Eine solche Exemtion, eine Herauslösung aus direkten territorialrechtlichen wie geistlichen Unterordnungsverhältnissen, barg stets den Keim von Auseinandersetzungen mit den Territorialfürsten, den Ortsbischöfen wie auch den großen Städten in sich. Die großen Territorialisierungsprozesse der Frühen Neuzeit banden denn auch den Deutschen Orden immer stärker in die Pflichten der Landstände oder innerhalb der Stadt ein. Zwar hatte das die Ausweitung von Schutz und Schirm des Landes- oder Stadtherrn auch auf den Orden zur Folge, doch ging es vor allem um Dienstleistungen und Abgaben, zu denen man den Orden heranzog. So wurde der Deutschmeister 1494 Reichsfürst, auch wenn die päpstliche Privilegierung des 13. Jahrhunderts dem entgegenstand. Für Balleien und Kommenden verlief diese Entwicklung problematisch: Vor Ort waren sie in den landesfürstlichen Territorialisierungsprozess eingebunden, der Landkomtur verlangte Abgaben für die Balleiebene, der Deutschmeister für die Aufgaben im Reich, der Hochmeister für Preußen. Es kam daher zu einer immer drückenderen Mehrfachbelastung, aus der sich viele Probleme des 15. und 16. Jahrhunderts erklären lassen.

Entwicklungen vom 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts

Vorangegangen waren Ereignisse, die unter dem Begriff der spätmittelalterlichen Agrarkrise zusammengefasst werden. Die Pestwelle in der Mitte des 14. Jahrhunderts verlor ihre katastrophalen Auswirkungen erst im Osten Europas, weshalb dort eine hohe wirtschaftliche und politische Blütezeit anzutreffen ist, beispielsweise in Preußen. Für das Römisch-deutsche Reich bedeutete das einen erheblichen Rückgang in der landwirtschaftlichen Produktion. Das traf vor allem den niederen Adel, dessen Existenz auf Grundbesitz und seinen Erträgen basierte. Da die Ordensstruktur nicht anders war, verliefen die Vorgänge ähnlich. Es gelang allerdings an einigen Orten, durch Umstrukturierung der Wirtschaftsform wie Umstellung im Bereich der Produktionsgüter quasi frühmerkantilistische Ansätze zu entwickeln, die zukunftsweisend sein sollten. So ist es verständlich, dass der Orden bei insgesamt geringeren Einkünften die Aufnahme neuer Brüder restriktiv behandelte. Vom Ende des 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts sank der Personalstand auf etwa ein Viertel ab, was sich im Reich als Rekrutierungsbasis genauso auswirkte wie in Preußen und Livland. Damit ging eine soziale Verengung des Ordens einher. Das Bürgertum verlor vollends die Möglichkeit des Zugangs, ausgenommen für den in seiner Bedeutung immer mehr zurückgedrängten Priesterzweig. Der Deutsche Orden wurde zum "Hospital des deutschen Adels", der miles verdrängte den monachus im Erscheinungsbild der Korporation nach außen und im Bewusstsein nach innen. In dieser Entwicklung bedeutete die Reformation zwar einen Beitrag, aber nicht den entscheidenden Einschnitt. Die Zäsur erfolgte im Ostseeraum unter territorialen Gesichtspunkten.

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Deutschordensland Preußen in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts (© Bernhart Jähnig: Vorträge und
Forschungen zur Geschichte des Preußenlandes und des
Deutschen Ordens im Mittelalter, Münster 2011, S. 75).

Seit dem 14. Jahrhundert verlagerte sich das europäische Kräftefeld von West nach Ost. Frankreich und England verstrickten sich in den Hundertjährigen Krieg, die Leitung des Heiligen Römischen Reiches ging auf die Luxemburger über, jedoch in ihrer Eigenschaft als Könige von Böhmen. Es war die Epoche der großen Herrscher in Ostmitteleuropa: Ludwig I. von Anjou in Ungarn, Karl IV. in Böhmen und als römisch-deutscher Kaiser, Kasimir I. in Polen; auch der Deutschordensstaat Preußen unter Hochmeister Winrich von Kniprode (1352–1382) darf hierzu gerechnet werden, ebenso Königin Margarete von Dänemark, Norwegen und Schweden (1353–1412). Diese Reiche orientierten sich nach Osten, am deutlichsten sichtbar in der Union der nordischen Reiche von Kalmar (1397) und in der Union Polens mit Litauen (1385). Damit aber musste der Orden in Preußen auf Dauer einem Umzingelungsangriff unterliegen, den er nicht durch territoriale Vergrößerung wie die Eroberung Gotlands 1398 oder den Kauf der Neumark 1402 aufbrechen konnte; alle preußischen Maßnahmen politischer und militärischer Art galten seitdem als Abwehrmaßnahmen.

Hinzu kam eine weitere Entwicklung des Ordensstaates. Die innere Verfassung von Städten und Territorien unterlag einem Wandel durch den Anspruch breiterer Bevölkerungsschichten auf Teilhabe an der Herrschaft. Handwerkeraufstände in den Städten und ständisches Mitspracheverlangen gab es auch in Preußen. Gerade nach der ersten großen militärischen Auseinandersetzung mit Polen-Litauen in der für den Orden katastrophalen Schlacht bei Tannenberg 1410 benötigte er die Hilfe des Landes: Der Erste Thorner Friede (1411) hatte ihm zwar das Territorium weitgehend belassen, forderte aber immense Geldsummen, die er alleine nicht aufbringen konnte. Im Orden verhärteten sich die konservativen Ansichten, während die Stände stets progressivere Forderungen stellten, sodass die oftmals auch handgreiflichen Gegensätze 1454 zum Abfall der Stände vom Landesherrn und einem 13-jährigen Krieg führten. Der Zweite Thorner Friede (1466) brachte eine Teilung Preußens und die Unterstellung des westlichen Teils einschließlich der Marienburg und des Bistums Ermland unter den polnischen König. Die Landesherrschaft wurde immer mehr von der korporativen Ordensherrschaft zum personalen Fürstenregiment des Hochmeisters, sodass die Ereignisse des Jahres 1525 vorgezeichnet scheinen: Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490–1568) unterwarf sich nach einem vergeblichen Krieg dem König von Polen als Herzog in Preußen, legte den Ordensmantel ab und nutzte zur Stabilisierung seiner Landesherrschaft die Einführung der Reformation.

Beim Zusammenbruch der livländischen Herrschaftsformen folgte der dortige Landmeister Gotthard Ketteler 1561/62 Albrechts Vorbild. Er nahm den südlichen Rest des Ordenslandes als Herzogtum Kurland von Polen zum Lehen, während sich Schweden und Polen das übrige teilten; auch Moskau/Moskva, Dänemark und Preußen hatten noch einen Fuß im Lande. Damit verlor der Orden die Gebiete, in denen er eine ausgesprochen wirksame und das Land bis in die Gegenwart mitformende Landesherrschaft aufgebaut hatte.

Auf dem Hintergrund der Territorialisierungstendenzen der drei obersten Ordensgebietiger, des Hochmeisters in Preußen, des livländischen Landmeisters und des Deutschmeisters, wird auch die weitgehend eigenständige Ordensentwicklung im Reich verständlich, deren Tendenz in der Annahme der Reichsfürstenwürde und damit der Teilnahme am Reichstag 1494 gipfelte – der Orden hatte sich in die reichsständische Entwicklung voll eingepasst. Das ist bei der Herkunft der Brüder nicht verwunderlich, sie hoben sich vom Denken ihrer Standesgenossen nicht ab. Auch für die Priesterbrüder lässt sich Ähnliches in ihrem Bereich sagen. Die überlieferten Geisteszeugnisse machen die Einbindung in die zeitgenössische Mentalität deutlich. So können wir auch nicht von einem Deutschordenskulturkreis im Reich sprechen, anders als etwa in Preußen. Zwar sind im Orden einige durchaus herausragende Dichter anzutreffen, fast immer Ordenspriester, doch eine spezifische Deutschordensliteratur im Reich gibt es nicht, im Gegensatz zu Preußen. Dasselbe gilt für den Bereich der Baukunst. Die an den preußischen Bauten entwickelte Diskussion um einen spezifischen "Deutschordensburgtypus" entbehrt für den Mittelmeerraum genauso wie für das Reich jeglicher Grundlage. Nicht dass der Orden dort keine Burgen gehabt hätte, doch übernahm er sie als Schenkung und baute nur weiter, beim Neubau passte sich örtlichen und regionalen Bedingungen völlig ein. Das gilt parallel für seine Stadthäuser wie für die Kirchen. In Preußen verlief diese Entwicklung anders und führte zu herausragenden Ergebnissen in der Baukunst, der Malerei, der Dichtkunst wie auch im höfischen Leben am Sitz des Hochmeisters. In Livland ist Paralleles vor allem in der Baukunst überliefert; insgesamt jedoch sind die Zeugnisse nicht so zahlreich wie in Preußen.

Der neuzeitliche Orden im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation

Die preußischen Ereignisse von 1525 hatten den Orden im Reich auch hinsichtlich seiner inneren Struktur vor neue Probleme gestellt. Der Deutschmeister Walter von Cronberg (1526–1543) entschied das Tauziehen um die Führung im Restorden gegen den livländischen Landmeister Wolter von Plettenberg für sich: Kaiser und Papst erkannten den Deutschmeister als Administrator des Hochmeistertums in Preußen an, innerhalb des Ordens war die Anerkennung schwieriger. Vier Balleien im Reich hatten unmittelbar dem Hochmeister unterstanden: Elsass-Burgund, Österreich, Koblenz und Bozen. Nur sehr widerstrebend ordneten sie sich dem Deutschmeister unter, da sie erkannten, dass völlige Eigenständigkeit sie zum Opfer der Territorialmächte machen würde. Hinzu trat die Konfessionsproblematik. Die neuen protestantischen Landesherrschaften und Städte gewannen durch Säkularisation und Erlangung der Kirchenhoheit eine teilweise sehr feste Stellung. Die Ordenspriester hatten aus kirchenrechtlichen Gründen nie "Pfarrherren" werden können und sich daher in großer Zahl der neuen Lehre angeschlossen und den Orden verlassen – wobei bei vielen auch religiöse Überlegungen mitspielten. Waren von den Brüdern der Ballei Franken und des Deutschmeistertums 1513 noch 68 Prozent Priester, so waren es 1577 nur noch sechs Prozent oder in absoluten Zahlen: zwei. Anders verlief die Entwicklung bei den Rittern. Der Adel gewann im Unterschied zum Landesherrn durch die Reformation keine Änderung der sozialen Grundposition. Von daher war er, unabhängig von einer konfessionellen Entscheidung, in der er meist dem Landesherrn folgte, am Erhalt des Ordens als Versorgungsinstitution interessiert. So kam es nicht zu einer Säkularisation des Ordensbesitzes, wohl aber zu einem Konfessionswechsel vieler Ordensritter, der nach einigen Schwierigkeiten zu einer geregelten Trikonfessionalität des Ordens führte. Katholiken, Lutheraner und Calvinisten gehörten gleichberechtigt dem Orden an. Die Balleien Thüringen, Sachsen und Utrecht waren protestantisch, Hessen sogar trikonfessionell, die übrigen Balleien blieben katholisch. Der Hochmeister war stets Katholik. So bildete der Versorgungsgedanke fast drei Jahrhunderte lang eine Klammer im Orden über alle Konfessionsgegensätze hinweg. Mit dieser Trikonfessionalität steht der Orden einzigartig da in der Reichsgeschichte.

Die politische Handlungsfähigkeit des Ordens war durch den Verlust Preußens 1525 und Livlands 1561 erheblich geringer geworden. Zwei Hauptkomponenten lassen sich für die Folgezeit feststellen. Zum einen ist es der ständige Versuch, Preußen und Livland zurückzugewinnen. Zwar gewann der Orden vor dem Reichskammergericht 1532 den nötigen Rechtstitel gegen Herzog Albrecht in Preußen und gegen Polen, doch besaß er nicht die Möglichkeit der Durchsetzung. Dieser Blick zurück mit Hilfe der Rekuperationsbestrebungen hat den Orden bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts begleitet. Gleichzeitig benötigte die Gegenwart aber auch eine zukunftsträchtige geistige Fundierung. Die in der Mitte des 15. Jahrhunderts in Preußen formal auf die Gründungszeit des Ordens zurückgeführte, revidierte Regel bedurfte einer Erneuerung. Hochmeister Maximilian von Österreich setzte diese 1606 durch. Als existenzbegründende Aufgabe wurde auf den Heidenkampf zurückgegriffen in der zeitgemäßen Form des Krieges gegen die Türken. Dies entsprach den Interessen des Reiches unter Habsburgs Führung. Auch die priesterliche Versorgung wurde durch die Gründung von Priesterseminaren gefördert, benötigte der Orden doch sowohl für sich selbst als auch für die Besetzung der vielen ihm gehörenden Pfarren nach wie vor mehr Priester, als er besaß. Jene Festigung hatte ihren Preis. Eine souverän-staatliche Position, wie er sie im Mittelalter innegehabt hatte, vermochte der Orden im Reich nicht zu realisieren. Er bedurfte der starken Stütze des Kaiserhauses. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts blieb die Stellung des Hochmeisters eine Sekundogenitur des Hauses Habsburg oder eng mit ihm verwandter Häuser, wie der Wittelsbacher oder der Pfalz-Neuburger. Damit erhielt dieses Amt eine glänzendere Stellung als zuvor, zumal es oft mit anderen Ämtern verbunden war, wie etwa bei Karl von Österreich (1619–1624), zugleich Bischof von Breslau/Wrocław, Leopold Wilhelm von Österreich (1642–1662), Bischof von Olmütz/Olomouc und Breslau, oder Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1694–1732), Bischof von Breslau. Für den Türkenkampf wurde im Zusammengehen zwischen dem Kaiserhaus, den damit verschwägerten, in Bayern herrschenden Pfalz-Neuburgern und dem ebenfalls unter pfalz-neuburgischer Führung stehenden Deutschen Orden ein eigenes Regiment gegründet, das später sogenannte Regiment Hoch- und Deutschmeister, dessen militärische Tradition noch heute in Österreich fortlebt.

Während des Dreißigjährigen Krieges hatte der Hochmeister als Entschädigung für eine Geldanleihe seines kaiserlichen Bruders die in Österreichisch-Schlesien liegende Herrschaft Freudenthal erhalten, die durch Zukäufe erweitert wurde und bis ins 20. Jahrhundert wesentliche Einkommensgrundlage des Ordensoberen blieb. Hinzu kamen früher enteignete Besitzungen in Troppau/Opava, sodass sich dort vor allem im 19. Jahrhundert ein neuer Schwerpunkt der Ordensaktivitäten entwickelte.

Denn Napoleons Zugriff v. a. auf geistlichen Besitz gab den Anstoß für die mit ihm verbündeten deutschen Fürsten, sich erneut am Kirchengut zu bereichern – eine zweite große Säkularisationswelle ging durch Deutschland. Ab 1809 existierte der Orden nur noch in den habsburgischen Erblanden und konnte froh sein über jene Gebiete in Österreichisch-Schlesien, die wenigstens dem Hochmeister ein Auskommen sicherten.

Der Orden im 19.–21. Jahrhundert

Erst 1839 wurde mit Hilfe des Staatskanzlers Fürst Metternich (1773–1859) eine neue Rechtsgrundlage gefunden. Revolution, Industrialisierung, Pauperismus, Balkankriege lauten die Schlagworte, die die österreichische Entwicklung des 19. Jahrhunderts kennzeichnen. Im Sinne seiner ritterlich-karitativen Tradition betrat der Orden neue Wege. Der schon im Mittelalter untergegangene Schwesternzweig des Ordens wurde wiederbegründet und auf allen karitativen und pädagogischen Wirkungsfeldern erwarben sich die Schwestern bald einen hervorragenden Ruf. Zur Verbesserung der Priesterausbildung errichtete der Hochmeister in Lana bei Meran und Troppau Priesterkonvente, um das brüderliche Gemeinschaftsbewusstsein als theologisch tragende Kraft zu erneuern. Das Elend der Verwundeten nach der Schlacht von Solferino 1859, das zur Genfer Konvention von 1864 und zur Gründung des Roten Kreuzes führte, gab ab 1865 im Orden den Anstoß im Orden zur Entwicklung von Feldspitälern, die sich in den Kriegen Österreichs große Verdienste erwarben. Die Mittel fanden sich mit Hilfe der Gründung zweier Institutionen: Ehrenritter und Marianer. Laien erhielten das Kleid des Ordens bzw. ein besonderes Kreuz, wofür sie mit namhaften Summen das Spitalwesen unterstützten. Schwerpunkte des Ordens waren nun Österreichisch-Schlesien und das südliche Tirol. Pfarrseelsorge, Schul- und Erziehungsarbeit, Hospitaldienst bildeten die Hauptbereiche für Priester und Schwestern, die Ritter bauten das Feldsanitätswesen in Krieg und Frieden ständig weiter aus, während sie selber als Offiziere oder Diplomaten dem habsburgischen Staat dienten. Auf diesem Wege, geführt von Erzherzögen, kam es zu einer solch engen Verbindung zwischen Orden und Monarchie, dass es nach dem politischen Zusammenbruch am Ende des Ersten Weltkrieges schwerfiel, den Orden als geistliche Institution aus der Konkursmasse der Donaumonarchie zu lösen. Aufgrund des Nachweises der kirchenrechtlichen Eigenständigkeit anerkannten ihn die Republik Österreich, die Republik der Tschechoslowakei und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Jugoslawien) als neue Staaten sowie das Königreich Italien. Erzherzog Eugen (1894–1923) trat als Hochmeister zurück und machte den Weg zur priesterlichen Leitung frei – der Neubeginn als rein kirchlich-klerikale Institution mit einem Brüder- und einem Schwesternzweig unter der Generalleitung der Priester war geglückt.

Das 19. Jahrhundert war auf dem Gebiet des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches zunehmend vom Dualismus zwischen Preußen und Österreich geprägt, erhoben doch beide Mächte Anspruch auf die Führung. Erst die militärischen Siege Preußens klärten die Situation. Das 1871 begründete neue Kaiserreich war kleindeutsch-preußisch ausgerichtet und benötigte somit einen völlig anderen Traditionsstrang, als das mittelalterliche Reich und dessen habsburgische Fortführungsform ihn boten. Da entsann man sich der Ursprünge seines Namens und konstruierte eine ebenso unzutreffende wie tief ins allgemeine Bewusstsein sich eingrabende Staatstradition, teilweise bis heute noch wirksam: Ihr musste in hohem Maße die mittelalterliche Vergangenheit des Deutschen Ordens zu Diensten sein. Schon in den Befreiungskriegen gegen Napoleon, die von preußischem Boden ausgingen, hatte man mit der Stiftung des Eisernen Kreuzes 1813 an das Ordenskreuz angeknüpft. Denn durch die Aufhebung des Ordens durch Napoleon war die Gegnerschaft des Ordens gegen Brandenburg-Preußen beseitigt, die mittelalterliche Vergangenheit des Ordensstaates Preußen stand zur Disposition, das preußische Königreich bediente sich. Die Literaten und Dichter wie Joseph von Eichendorff (1788–1853) oder Gustav Freytag (1816–1895)  folgten, die Historiker ebenfalls, am deutlichsten in der Mitte des 19. Jahrhunderts in starker Blut-und-Boden-Terminologie der Berliner Hofhistoriker Heinrich von Treitschke (1834–1896). Die Marienburg wurde zum Sinnbild eines neuen preußisch-deutschen Nationalismus. Das 19. Jahrhundert schuf in Preußen eine "Tradition", die der historischen Realität nicht entsprach, sich jedoch im allgemeinen Bewusstsein Deutschlands fortsetzte, über das Kaiserreich in die Weimarer Republik und in die nationalsozialistische Zeit, teilweise bis in die Gegenwart. Dies zeigt sich in der Begrifflichkeit, in der Benutzung von Emblemen des Ordens, bis hin zur Geschichtsschreibung, wobei allerdings die Doppelbödigkeit der nationalsozialistischen Behandlung von Ordensvergangenheit und existentem Orden alles zuvor Gewesene übertraf. Die preußische Deutschordensgeschichte des Mittelalters ist ein typisches Beispiel für einen gegenwartsbezogenen, politisch motivierten Missbrauch von Vergangenheit; eine Neubeschäftigung mit diesen Problemen hat erst nach dem Zweiten Weltkrieg und sehr zurückhaltend eingesetzt.

Interessant bei diesem Vorgang ist, dass sich in Polen ein ähnlicher Vorstellungswandel abspielte, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen: Das von Brandenburg-Preußen mit geteilte Polen betrachtete die Deutschordenstradition in hohem Maße negativ und wandte sich damit auf historischem Feld gegen den gegenwärtigen Feind, das Königreich Preußen, das noch dazu das alte Ordensland zu seinem Staate zählte. "Krzyżak" (= Kreuzritter) wurde in Polen zu einem sehr negativ belegten Schimpfwort für Deutsche. Dieser preußisch-polnische Gegensatz, seit der Reichsgründung unter preußischer Führung 1871 zum deutsch-polnischen Gegensatz entwickelt, ist teilweise bis in die Gegenwart politisch wirksam; er hat in der Geschichtsschreibung erst in jüngster Zeit eine sachlichere Aufarbeitung erfahren.

Zwei Weltkriege gingen nicht spurlos am Deutschen Orden vorbei. Der aus dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie hervorgehende rein kirchliche Orden vermochte trotz aller Probleme nach innen wie nach außen einen Wiederaufbau durchzusetzen. Die rechtliche Zentrale blieb Wien, der wirtschaftliche Schwerpunkt lag in der Tschechoslowakei, die priesterliche, karitative und pädagogische Wirksamkeit spielte sich zusätzlich in Jugoslawien und Italien (Südtirol) ab. Mit dem "Anschluß" Österreichs und der Besetzung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutsche Reich kam jedoch ein jähes Ende. Der Nationalsozialismus übernahm zwar bestimmte preußische Traditionen, aber keineswegs alle. Hinsichtlich des Deutschen Ordens hatte er eigene Pläne, er wollte einen eigenen "Deutschen Orden" schaffen. Schließlich sah er in dieser Rolle die SS. Dem stand der wirklich existierende kirchliche Orden im Wege. 1938 in Österreich, 1939 in der Tschechoslowakei wurde er hinweggefegt. Was folgte, etwa die nationalsozialistischen Ordensburgen, hatte mit dem eigentlichen Deutschen Orden nichts zu tun. In Jugoslawien und Italien hatten die Brüder und Schwestern des Ordens aufgrund ihrer weitgehenden Identifizierung mit dem Deutschtum zu leiden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Ordensangehörigen aus der Tschechoslowakei vertrieben und gingen in den Westen, wo ein mühsamer Neuaufbau begann. Die Republik Österreich gab den ehemaligen Besitz zurück, in Südtirol hatte der Orden den Faschismus weitgehend unbeschadet überdauert. In der neu entstehenden Bundesrepublik Deutschland sammelten sich viele Brüder und Schwestern als Flüchtlinge und engagierten sich als Seelsorger und in allen karitativen und pädagogischen Bereichen. Doch nun war durch den Verlust der großen Güter im ehemaligen Österreichisch-Schlesien der letzte wichtige Rückhalt verloren gegangen. Auch das heutige Tschechien weigert sich, die von den Nationalsozialisten eingezogenen Besitzungen zurückzugeben. In Slowenien laufen die Rückgaben schwer an. Bleibendes Spezifikum ist nicht zuletzt die über 800-jährige Tradition.

Ganz in deren Sinn entstand unter der Leitung von P. Dr. Marian Tumler als Hochmeister (1948–1970) der Orden wieder, in seiner alten, dreigliedrigen Form: Brüder, Schwestern und Familiaren unter gemeinsamer Leitung. Diese Dreigliedrigkeit desselben Ordens ist eine Besonderheit, sind doch sonst männliche und weibliche Kongregationen getrennt. Auch der Familiarenzweig ist eine Institution päpstlichen Rechts: Er besteht aus im Berufsleben wirkenden Laien und Weltpriestern, die die Aufgaben des Ordens wirksam fördern wollen und können. Diese Aufgaben sind sozial-karitativer und seelsorgerischer Art; hinzu tritt die Pflege der Wissenschaft in Form der kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte im gesamteuropäischen Rahmen. Diese Tätigkeit vollzieht sich heute in unterschiedlicher Intensität in Österreich, Italien, Slowenien, Tschechien, der Slowakei, der Bundesrepublik Deutschland und Belgien.

Bilanz

Die Bilanz der über 800-jährigen Geschichte des Deutschen Ordens kann nur im Hinblick auf die jeweilige Zeit und ihre Denkkategorien gezogen werden. Im Mittelalter bestand das Selbstverständnis aus der Verbindung von Kreuz und Schwert; Heidenkampf und Hospitalität, Unterwerfung und Mission, Territorienbildung und Siedlung, politischer Streit und Karitas verbanden sich in der Doppelrolle von Ritter und Mönch. Die Unterwerfung Preußens mit eigener Staatsbildung und der Entwicklung eines deutsch geprägten christlichen Neustammes der "Preußen" ist ein bleibendes, jenen Raum bis heute prägendes Ergebnis. In abgeschwächter Form gilt dies ebenfalls für Livland, auch wenn in beiden Gebieten die autochthone Entwicklung gebremst, teilweise beendet wurde. Preußen wie Livland sind damit bis zur Gegenwart dem mitteleuropäischen, vom römischen Christentum einschließlich der protestantischen Weiterentwicklung geprägten Kulturraum angeschlossen worden. In der Neuzeit gliederte der Orden sich immer mehr der allgemeinen politischen und kirchlichen Entwicklung ein, seine militärischen und geistlich-karitativen Leistungen entsprachen Mosaiksteinen in einer außerhalb des Ordens entwickelten Planung, sei es sein Beitrag in den Türkenkriegen oder auch als Hort des Katholizismus in einer protestantischen Umgebung – er wurde zum Objekt der Geschichte. Diese Objektrolle ging so weit, dass seine Vergangenheit zum Gegenstand politischer Ziele von Gegnern wurde, ohne dass er dem hätte wehren können. Doch seit über 800 Jahren ist er ein Teil der Entwicklung im östlichen Europa.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Udo Arnold (Hg.): Kreuz und Schwert. Der Deutsche Orden in Südwestdeutschland, in der Schweiz und im Elsaß (Ausstellungskatalog). Mainau 1991.
  • Udo Arnold (Hg.): Ritter und Priester. Acht Jahrhunderte Deutscher Orden in Nordwesteuropa (Ausstellungskatalog). [Turnhout] o. O. 1992.
  • Udo Arnold: L'Ordine Teutonico - una viva realtà. Lana 2001.
  • Marian Biskup, Gerard Labuda: Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen: Wirtschaft, Gesellschaft, Staat, Ideologie. Osnabrück 2000 (Klio in Polen 6). In polnischer Sprache: Dzieje zakonu krzyżackiego w Prusach. Gospodarka - Społeczeństwo - Państwo - Ideologia. Gdańsk 1986.
  • Hartmut Boockmann: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte. 5., unveränd. Aufl. München 2012.
  • Gerhard Bott, Udo Arnold (Hg.): 800 Jahre Deutscher Orden (Ausstellungskatalog). Gütersloh 1990.
  • Sylvain Gouguenheim: Les chevaliers teutoniques. Paris 2007.
  • Klaus Militzer: Die Geschichte des Deutschen Ordens. 2. Aufl. Stuttgart 2012. In polnischer Sprache: Historia zakonu krzyżackiego. Kraków 2007; in lettischer Sprache: Vācu ordena vēsture. Riga 2009.
  • Kristjan Toomaspoeg: Histoire des Chevaliers Teutoniques. Paris 2003 (Champs 533).
  • Marian Tumler: Der Deutsche Orden im Werden, Wachsen und Wirken bis 1400. Mit einem Abriß der Geschichte des Ordens von 1400 bis zur neusten Zeit. Wien 1955.
  • Marian Tumler, Udo Arnold: Der Deutsche Orden. Von seinem Ursprung bis zur Gegenwart. 5., überarb. u. erw. Aufl. Bad Münstereifel 1992.

Quellen und Periodika

  • Udo Arnold (Hg.): Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens. Bonn u. a. 1967ff. (Schriftenreihe mit über 70 Bänden).
  • Deutscher Orden. Zeitschrift des Ordens für seine Brüder, Schwestern, Familiaren und Freunde, 1970ff. (4 bzw. 3 Hefte pro Jahr).

Weblinks

Zitation

Udo Arnold: Deutscher Orden. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32858 (Stand 14.01.2022).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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