Publikationsstelle Ost

1. Kurzbeschreibung der Institution

Die Publikationsstelle Ost (PuSte Ost) war die letzte der im Rahmen der "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" (VFG) eingerichteten Dienststellen, die sich, territorial gegliedert und unter stark politischer Stoßrichtung, mit Fragen der Auslandsdeutschen befassten.[1] Sie ging Anfang 1942 aus der "Sammlung Georg Leibbrandt" hervor, die, 1937 eingerichtet und angegliedert an das "Amt Rosenberg" bzw. später das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMO), unter Leitung von Emil Meynen (1902–1994) bevölkerungswissenschaftliche Daten über die Gebiete der besetzten Sowjetunion gesammelt und aufbereitet hatte, insbesondere zu den dort lebenden deutschen Minderheiten. Die Ergebnisse wurden in einer gleichnamigen Publikationsreihe mit dem Untertitel Quellen zur Erforschung des Russlanddeutschtums veröffentlicht.[2] Weiterhin wurde ihr die Geschäftsführung der ebenfalls neu gegründeten "Osteuropäischen Forschungsgemeinschaft" (OEFG) übertragen.[3] Ab 1943 unterstand sie dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA), wurde Ende 1944 an das "Wannsee-Institut" im "Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS" (SD) angegliedert und damit wie der ganze Komplex der VFG dem Imperium Heinrich Himmlers (1900–1945) unterstellt.[4]

2. Organisation und Aufgaben

Die PuSte Ost wurde aus Mitteln des RMO, des Auswärtigen Amtes (AA) und des Reichsministeriums des Innern (RMI) finanziert. Ihre Gründung erfolgte im Kontext von Versuchen der drei Ministerien, die Aufgabenbereiche der verschiedenen Einrichtungen im Rahmen der VFG voneinander abzugrenzen. Zwei Mitarbeiter an der Publikationsreihe "Sammlung Georg Leibbrandt", Margarete Woltner (1897–1985) und Karl August Fischer (1885–1975), übernahmen die Geschäftsführung der OEFG. Entsprechend der üblichen Struktur war nun auch die Einrichtung einer Publikationsstelle nötig. Diese Aufgabe wurde der Dienststelle "Sammlung Georg Leibbrandt" übertragen, die fortan als "Publikationsstelle Ost" firmierte, weiter von Meynen geleitet wurde und ursprünglich sechs Mitarbeiter umfasste. Diese Zahl wurde durch Stipendiaten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie freie Mitarbeiter ergänzt und stieg bis Anfang 1943 auf ca. 30 Beschäftigte an.[5] Die offizielle Umbenennung lässt sich mit einem Erlass des RMO auf den 1. Oktober 1942 datieren, wobei die Begrifflichkeiten parallel weitergeführt wurden. Die Einrichtung wurde der Hauptabteilung I (Politik) im RMO angegliedert, die von Georg Leibbrandt (1899–1982), dem Namensgeber der Sammlung und selbst ein Russlanddeutscher, geleitet wurde. Die Dienst- und Finanzaufsicht wurde durch die drei genannten Ministerien mit folgender Aufteilung gemeinsam ausgeübt: "Der R.f.d.b.O. [= Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg (1892/93–1946)] trägt die persönlichen und sächlichen Verwaltungsausgaben. Die allgemeinen Haushaltsausgaben werden auf die drei Ressorts (R.f.d.b.O., RdI und Auswärtiges Amt) verteilt. Jedes Ressort trägt die Ausgaben, die auf die von ihm erteilten Aufträge entfallen."[6] Das Aufgabenspektrum lässt sich in vier Bereiche einteilen: die archivalische Erfassung und Aufbereitung von vorhandenen Quellen zu den Russlanddeutschen, die Edition und Veröffentlichung dieser Quellen, die Einrichtung von Karteien, in denen diese und andere Bestände erfasst wurden, sowie schließlich die Durchführung von "volkstumspolitischen Projekten" (hauptsächlich Anfertigung von Kartenmaterial).

3. Geschichte

Bild

Georg Leibbrandt (1899–1982)
[Wikimedia Commons].

Im Rahmen mehrerer Forschungsreisen in die Sowjetunion, aber auch in die USA hatte Georg Leibbrandt in der zweiten Hälfte der 1920er und in den frühen 1930er Jahren eine umfangreiche Privatsammlung von Dokumenten und Archivalien zum Russlanddeutschtum angelegt, die aus Gemeinde- und Ortschroniken, Tagebüchern, Kalendern, Flugblättern, Broschüren sowie Memoiren bestand und zu den umfangreichsten Materialsammlungen zur Auswanderung Deutscher nach Russland gehörte. Zu den wichtigsten Bestandteilen zählten in diesem Zusammenhang "Akten aus den Auswandererlisten aus württembergischen Behörden, das Archiv des Fürsorgekomitees für Ansiedler im südlichen Russland […] und die von 1863 bis 1914 bestehende Odessaer Zeitung"[7]. 1937 wurde die Sammlung an Emil Meynen übergeben, der als Leiter der Geschäftsstelle der VFG die "volkstumspolitischen Arbeiten" in diesem Bereich koordinierte.[8] Anfang 1939 erfolgte die Einrichtung einer Arbeitsstelle, welche die Materialien edieren sollte. Ziel war es, einerseits eine "Bestandsaufnahme der Russlanddeutschen […] durchzuführen und andererseits ideologische Überzeugungsarbeit zu leisten, damit diese ,ethnischen' Deutschen nicht einem Assimilierungsprozess anheimfielen."[9]

Dabei wurden zahlreiche, für das Regime wichtige "volkspolitische Arbeiten" geleistet, die "nur für den Dienstgebrauch" veröffentlicht wurden und die Sammlung in der Selbsteinschätzung von Meynen zu der "zentralen Forschungsstelle für das Deutschtum Osteuropas"[10] machten. Dazu gehörten die Führung einer Ortskartei der deutschen Siedlungen auf dem Gebiet der Sowjetunion, deren kartographische Erfassung sowie die Anfertigung einer "Völkerkarte", welche die verschiedenen Nationalitäten der Sowjetunion aufzeigen sollte. Die Ortskartei wurde in sieben Bänden unter dem Titel "Die deutschen Siedlungen in der Sowjetunion" gedruckt. Weiterhin wurden ukrainische und russische Presseerzeugnisse ausgewertet und eine Kartei wichtiger Persönlichkeiten der Russlanddeutschen angelegt, u. a. mit dem Ziel, deren "völkische Haltung" festzustellen. Außerdem wurde eine Kartei eingerichtet, die das gesamte Schriftgut über das Russlanddeutschtum erfassen sollte und 1942 über 1.000 Titel verzeichnete. Auch die Einrichtung einer Bibliothek fand statt, die im Verlauf des Kriegsgeschehens durch Raubgut des "Sonderkommandos Künsberg"[11], das dem AA unterstand, ergänzt wurde. Im Zuge des Vorrückens der deutschen Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde zudem ein "Sonderkommando" etabliert, das unter der Leitung von Karl Stumpp (1896–1982) – eines weiteren Russlanddeutschen, der hautberuflich am Deutschen Auslandsinstitut (DAI) in Stuttgart tätig war und als freier Mitarbeiter der "Sammlung Georg Leibbrandt" / PuSte Ost fungierte[12] – statistische Angaben über die deutsche Bevölkerung im Reichskommissariat Ukraine sammelte und so einerseits Beiträge zur Erfassung von Personen im Rahmen der "Deutschen Volksliste" leistete, mit seinen Berichten andererseits "Chroniken der Ermordung der jüdischen Bevölkerung"[13] lieferte.

Die Räumlichkeiten der PuSte Ost in Berlin wurden Ende 1943 durch Bombenangriffe beschädigt, zahlreiche Materialien verbrannten. Im Januar 1944 erfolgte eine Teilevakuierung der zu diesem Zeitpunkt 30.000 Bände umfassenden Bibliothek. Im August 1944 war die Einrichtung kaum mehr arbeitsfähig. Zuvor hatte sie jedoch noch eine Reihe von Projekten verwirklicht: verschiedene Kartenwerke zu den besetzten Territorien – aufgrund paralleler Arbeiten in starker Konkurrenz zur NOFG und zur Publikationsstelle Berlin-Dahlem –,[14] Ortsnamenverzeichnisse, Übersichten zur Verwaltungsstruktur der Ukraine oder die Erfassung geraubter Archivbestände. Die Reste der Publikationsstelle wurden in die Strukturen des "Wannsee-Instituts" integriert, das bereits seit 1936/37 im Rahmen des SD mit Fragen zur Sowjetunion befasst war und später als "Amt VII Weltanschauung und Auswertung – SD-Ausland" direkt dem RSHA angegliedert wurde.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Gabriele Camphausen: Die wissenschaftliche historische Russlandforschung im Dritten Reich 1933–1945. Frankfurt/M. u. a. 1990 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 418), S. 213–239.
  • Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die ,Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften' von 1931–1945. Baden-Baden 1999, S. 590–622.
  • Julia Landau: Publikationsstelle Ost/Sammlung Georg Leibbrandt. In: Michael Fahlbusch, Ingo Haar, Matthias Berg (Hg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. München 2008, S. 486–496.
  • Mechtild Rössler: "Wissenschaft und Lebensraum". Geographische Ostforschung im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Disziplingeschichte der Geographie. Berlin, Hamburg 1990 (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 8), S. 112–133.

Anmerkungen

[1] Vgl. zum Gegenstand in Kürze Martin Munke: "Sammlung Georg Leibbrandt" und "Publikationsstelle Ost". Bevölkerungswissenschaftliche Forschungen im Dienst des Nationalsozialismus. In: Ostblicke 5 (2014).

[2] Dazu direkt Julia Landau: Sammlung Georg Leibbrandt (Publikationsreihe). In: Michael Fahlbusch, Ingo Haar, Matthias Berg (Hg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. München 2008, S. 611–614.

[3] Meynen war zugleich Leiter der Geschäftsstelle der VFG und damit des Dachverbandes von PuSte Ost und OEFG. Aufgrund der personellen, aufgabentechnischen und räumlichen Nähe – die "Sammlung Georg Leibbrandt" war in den Räumlichkeiten der Geschäftsstelle der VFG untergebracht – wird die PuSte Ost gelegentlich mit der Publikationsstelle Berlin-Dahlem der Nordostdeutschen (später Nord- und Ostdeutschen) Forschungsgemeinschaft (NOFG) verwechselt, die ebenfalls zum Verbund der VFG gehörte. Vgl. dazu Martin Munke: Publikationsstelle Berlin-Dahlem. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/53902.html (22.05.2013, 15.11.2021).

[4] Vgl. Gideon Botsch: "Geheime Ostforschung" im SD. Zur Entstehungsgeschichte und Tätigkeit des "Wannsee-Instituts" 1935–1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 509–524, hier S. 520f.

[5] Allein schon aufgrund dieser vergleichsweise überschaubaren personellen Ausstattung erscheint die Behauptung bei Ingo Haar: Deutsche "Ostforschung" und Antisemitismus. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 485–508, hier S. 504, die PuSte Ost sei "die Schnittstelle zwischen beiden Großprojekten des Nationalsozialismus" – gemeint sind der "Generalplan Ost" und die "Endlösung der Judenfrage" – als stark übertrieben. Ähnliches gilt mit Blick auf den Etat, der 1942 für OEFG und PuSte Ost (ohne Sonderausgaben für konkrete Projekte) bei reichlich 100.000 Reichsmark lag (Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik?, S. 615) – ein Bruchteil des Millionenetats, über den die Himmler unterstellte "Volksdeutsche Mittelstelle" zur Umsetzung der "volkstumspolitischen Ziele" des Regimes verfügte. Die "Anschubfinanzierung" der "Sammlung Georg Leibbrandt" durch das RMI hatte bei 2.750 Reichsmark gelegen (Camphausen: Die wissenschaftliche historische Russlandforschung, S. 215).

[6] Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (im Folgenden BArch), Bestand R2/11909 (Reichsfinanzministerium), LG 9400 Ost – 318 I A, 17.07.1943.

[7] Landau: Publikationsstelle Ost/Sammlung Georg Leibbrandt, hier S. 490f. Für eine detaillierte Bestandsaufnahme vgl. BArch, Bestand R153/1233 (Publikationsstelle Berlin-Dahlem), Broschüre "Sammelbesitz Georg Leibbrandt".

[8] Meynen gehörte in den Bundesrepublik zu den führenden Geographen und Raumplanern. Er wirkte u. a. an der von Theodor Schieder (1908–1984) geleiteten "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" mit. Vgl. hierzu instruktiv Mathias Beer: Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Großforschungsprojekt "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa". In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 345–389.

[9] Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik?, S. 602.

[10] Emil Meynen: Die Sammlung Georg Leibbrandt. In: Georg Leibbrandt (Hg.): Probleme des Ostraumes. Berlin 1942 (Bücherei des Ostraumens, Sonderveröffentlichung), S. 111–118, hier S. 113.

[11] Dazu ausführlich Ulrike Hartung: Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941–1943. Bremen 1997; Anja Heuß: Die "Beuteorganisation" des Auswärtigen Amtes. Das Sonderkommando Künsberg und der Kulturgutraub in der Sowjetunion. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997), S. 535–556.

[12] In der Bundesrepublik war Stumpp Studienrat in Tübingen und langjähriger Vorsitzender der "Landsmannschaft der Deutschen aus Russland". Seine Publikationen zu den Russlanddeutschen wurden lange Zeit (teilweise bis heute) weitgehend unkritisch zitiert. Vgl. etwa Karl Stumpp: Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. 4. Aufl. Stuttgart 1984.

[13] Landau: Publikationsstelle Ost/Sammlung Georg Leibbrandt, S. 492. Dazu direkt Eric J. Schmaltz, Samuel D. Sinner: The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in Ukraine, and Its North American Legacy. In: Holocaust and Genocide Studies 14 (2000), S. 28–64. Wiederabgedruckt in: Michael Fahlbusch, Ingo Haar (Hg.): German Scholars and Ethnic Cleansing. 1919–1945. New York, Oxford 2005, S. 51-85; Ingeborg Fleischhauer: Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart 1983 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46), passim.

[14] Dazu Camphausen: Die wissenschaftliche historische Russlandforschung, S. 227–231.

Zitation

Martin Munke: Publikationsstelle Ost. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/62681.html (Stand 15.11.2021).

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