Remigration

1. Definition

„Remigration“ (auch: Rückkehrmigration) bezeichnet jenen Teil eines Migrationsprozesses, der mit einer Rückkehr in einen engeren oder weiteren Herkunftskontext meist am Ende einer Wanderungskette steht. Eine Remigration kann von Beginn an intendiert, kann aber auch erzwungen sein (Rückführung, Abschiebung, Ausweisung) oder spontan (z. B. nach einem Regimewechsel) erfolgen. Grundsätzlich kann bei allen Migrationsbewegungen von einem gewissen, unterschiedlich hohen Anteil an Remigrationen ausgegangen werden, sofern diese praktisch durchführbar waren/sind. Von „Remigration“ wird in der Regel nur innerhalb einer Biografie gesprochen, die Migration in den Herkunftskontext von Vorfahren stellt dagegen eine Sonderform („ancestral return migration“[1]) dar. Diese Form wird häufig auch als „ko-ethnische Migration“[2] bezeichnet, um zu verdeutlichen, dass die Rückkehr in den gleichen ethnischen Kontext erfolgt (nicht jedoch zwangsläufig in denselben räumlichen Herkunftskontext). Die Ko-Ethnizität mag als ein Integrationsvorteil erscheinen und eine Privilegierung der Remigranten suggerieren, täuscht aber leicht darüber hinweg, dass kulturelle, politische und soziale Unterschiede zwischen Herkunfts- und Ankunftskontext den Eingliederungsprozess beeinflussen.[3]

Generell gelten für Remigrationen dieselben potenziellen Hintergründe und raum-zeitlichen Dimensionen wie für Migrationen. Es können jedoch weitere Faktoren wie der Wunsch, sich nach einer politisch motivierten Emigration in den veränderten Herkunftskontext einzubringen,[4] oder schlichtweg Heimweh dazu führen, dass eine Remigration erfolgt.

2. Diskurse

Mit „Remigration“ beschäftigen sich zahlreiche Disziplinen, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als mit „Migration“ im Allgemeinen. Im Fokus der überwiegend historischen, soziologischen, ökonomischen, geographischen, politikwissenschaftlichen sowie kulturanthropologischen Forschungen stehen Fragen des Kulturtransfers und des finanziellen und politischen Engagements durch Remigranten, der (Re-)Integrationsproblematik sowie der Typologisierung von Rückkehrern.[5]

Methodisch erweist sich die Beschäftigung mit Remigration nicht zuletzt wegen ihrer mangelnden statistischen Erfassung als problematisch. Daher widmet sich die Remigrationsforschung häufig besonders den prominenten Fällen.[6] Solcherlei akteurszentrierte Studien, die sich Remigranten mittels biografischer Methoden nähern, vermögen tiefgreifende Einblicke in Handlungs- und Deutungsmuster von Remigranten zu vermitteln. Im Rahmen der historischen Exilforschung verdeutlichen beispielsweise zahlreiche Studien zu den deutschen Remigranten der Nachkriegszeit die Schwierigkeit der Rückkehr in einen während der Abwesenheit veränderten Herkunftskontext.[7]

Versteht man die Geschichte der Deutschen im östlichen Europa als Geschichte von Migrationen, so muss auch deren Remigration in den Blick genommen werden. Im Kontext der vielen unterschiedlichen Migrationsprozesse von Deutschen in das, im und aus dem östlichen Europa sind Remigrationen vielfach belegt, aber aufgrund der diffusen Quellenlage nur selten systematisch und zahlenmäßig dokumentiert und erforscht. Außerdem stellt sich in diesem Zusammenhang die Schwierigkeit, die Kriterien zur Erfassung ethnischer oder nationaler Zugehörigkeiten in den überlieferten Quellen nachzuvollziehen, als methodisches Problem dar.

Als zahlenmäßig gering wird in der Forschung beispielsweise die Remigration von Deutschen aus dem östlichen Europa, die auf deren Überseeauswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert folgte, eingeschätzt. So kam es etwa bei den deutschstämmigen Auswanderern aus Kroatien, die zwischen 1870 und 1940 in die USA emigrierten, zu keiner nennenswerten Remigration, während die Rückkehrrate bei Kroaten und Ungarn höher war.[8] Auch für den Kontext der Vertreibungen von Deutschen aus dem östlichen Europa nach 1945 sind keine zahlenmäßig relevanten Rückkehrprozesse auszumachen; eine Ausnahme stellen größere Zahlen an illegalen ungarndeutschen Rückkehrern dar.[9] Indirekt führten die Vertreibungen von Deutschen nach 1945 zum Beispiel aus den böhmisch-mährischen Randgebieten der Tschechoslowakei teilweise zu Remigrationen von zuvor von dort durch die NS-Behörden zwangsausgesiedelten Tschechen. Neben diesen individuellen Remigrationen betrieb der tschechoslowakische Staat eine nachdrückliche Rückkehrpolitik mit dem Ziel, die durch die Vertreibung entvölkerten Gebiete mit tschechoslowakischen Siedlern etwa aus Wolhynien neu zu besiedeln. In der tschechischen Geschichtsschreibung werden diese Prozesse heute als Beispiele eines social engeneerings diskutiert, ging es hier schließlich um die Vision eines ethnisch homogenen Nationalstaates unter dem Eindruck ungünstiger demografischer Verhältnisse nach Kriegsende.[10] Auch sind Remigrationsprozesse als Reaktion auf eine vorherige Deportation im ostmitteleuropäischen Kontext zu beobachten, etwa die Rückkehr von Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen aus der Sowjetunion nach Rumänien. Bei unterschiedlichen Spätaussiedlergruppen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls Remigrationen beobachtet und untersucht, etwa bei Deutschen aus Oberschlesien oder den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.[11] Wenig Aufmerksamkeit seitens der Forschung erhielten bisher jene Personen, die in ihren Herkunftsgebieten nach 1989 (wieder) Immobilien erworben haben und dort ihre Ferien oder ihren Lebensabend verbringen. Im Zuge transnationaler Migrationsprozesse rücken solche Pendelmigrationen vermehrt in den Blick der Forschung, zunächst am Beispiel von Arbeitsmigranten aus Süd- und Südosteuropa, im Kontext der EU-Osterweiterungen dann auch aus Ostmitteleuropa (z. B. Saisonarbeiter), deren Investitionen insbesondere in Form von Immobilien in ihren Heimatländern transnationale Lebensentwürfe unterstützen. Schließlich erfahren in jüngster Zeit die Remigrationen von antikommunistischen Emigranten und deren Einfluss auf die postsozialistischen Transformationsprozesse im östlichen Europa interdisziplinäres Interesse.[12] Nur selten jedoch wird Remigration komparativ erforscht.

Im Kontext der aktuellen Migrationsdebatte in Deutschland wird der Begriff Remigration anders als bei seiner Verwendung im wissenschaftlichen Kontext insbesondere zur Legitimation problematischer politischer Positionen[13] genutzt. Politische Akteure des rechten und rechtsextremen Spektrums unterziehen den in der Exil- und Migrationsforschung etablierten wertfreien Begriff einer ideologischen Vereinnahmung und Umdeutung, und verwenden ihn, um ihre Pläne zur Zwangsausweisung und Deportation von Zugewanderten zu kaschieren. Deshalb wählte eine überwiegend aus Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern bestehende Jury an der Universität Marburg den Begriff Remigration zum "Unwort des Jahres 2023", um auf dessen unangemessenen und verschleiernden öffentlichen Sprachgebrauch aufmerksam zu machen. In der Begründung betonte die Jury, das Wort Remigration werde "als rechter Kampfbegriff“ und „beschönigende Tarnvokabel“ gebraucht und "bewusst ideologisch vereinnahmt (…). Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen. Das, was mit der Verwendung des Wortes gefordert wird, verletzt freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte. Das Eindringen und die Verbreitung des vermeintlich harmlosen und beschönigenden Ausdrucks in den allgemeinen Sprachgebrauch führt zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen".

 

3. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Edda Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. In: Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid. Migration und ethnische Minderheiten (2006), H. 2, S. 7–23.
  • Michael Schönhuth: Remigration von Spätaussiedlern – Ein neues Forschungsfeld. In: IMIS-Beiträge 34 (2008), S. 61–84.
  • Sarah Scholl-Schneider: „(...) aber mein Mann wollte nicht mehr, der wollte nach Hause zurück.“ Die Option der Remigration für die deutsche Auswanderung aus dem östlichen Europa in Übersee. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 54 (2013), S. 132–149.
  • Ágnes Tóth: Rückkehr nach Ungarn 1946–1950. Erlebnisberichte ungarndeutscher Vertriebener. München 2012 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 43).

Anmerkungen

[1] Russell King: Return migration and regional economic development. An overview. In: Ders. (Hg.): Return migration and regional economic problems. London u. a. 1986, S. 1–37, hier S. 6.

[2] Jasna Čapo Žmegač, Christian Voß, Klaus Roth (Hg.): Co-Ethnic Migrations Compared. Central and Eastern European Contexts. München, Berlin 2010 (Studies on Language and Culture in Central and Eastern Europe 14); Takeyuki Tsuda (Hg.): Diasporic Homecomings. Ethnic Return Migrants in Comparative Perspective. Palo Alto 2009.

[3] Mathias Beer: Kleiner Unterschied – große Wirkung. Der Stellenwert kultureller Differenz im Eingliederungsprozess koethnischer Migranten. In: Čapo Žmegač, Voß, Roth (Hg.): Co-Ethnic Migrations Compared (Anm. 2), S. 101–118.

[4] Im Fall der Nachkriegsremigration nach Deutschland kann man davon ausgehen, dass eine Rückkehr umso eher stattfand, je mehr die Emigration politisch begründet war. Vgl. dazu Marita Krauss: Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945. München 2001 (Beck’sche Reihe 1436), S. 11.

[5] Jean-Pierre Cassarino: Theorising Return Migration: The Conceptual Approach to Return Migrants Revisited. In: International Journal on Multicultural Societies 6 (2004), H. 2, S. 253–279.

[6] Exemplarisch: Sarah Scholl-Schneider: Mittler zwischen Kulturen. Biographische Erfahrungen tschechischer Remigranten nach 1989. Münster u. a. 2011 (Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde 94).

[7] Exemplarisch: Claus-Dieter Krohn, Patrick von zur Mühlen (Hg.): Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands. Marburg 1997 (Schriften der Herbert-und-Elsbeth-Weichmann-Stiftung).

[8] Ivan Čizmić: Emigration from Croatia 1880–1940. In: Julianna Puskás (Hg.): Overseas Migration from East-Central and Southeastern Europe. 1880–1940. Budapest 1990 (Studia historica Academiae Scientiarum Hungaricae 191), S. 143–167, hier S. 160. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass die Übersee-Migration oft von deutschsprachigen Dörfern ausging, in denen eine Tradition hinsichtlich Mobilität bereits bestand (vgl. Julianna Puskás: Summary of the Discussion. In: Puskás (Hg.): Overseas Migration, S. 236–246, hier S. 237).

[9] Vgl. Tóth: Rückkehr.

[10] Matěj Spurný: Der lange Schatten der Vertreibung. Ethnizität und Aufbau des Sozialismus in tschechischen Grenzgebieten (1945-1960). (Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas 27). Wiesbaden 2019.

[11] Vgl. Schönhuth: Remigration.

[12] Caroline Hornstein Tomic, Robert Pichler, Sarah Scholl-Schneider (Hg.): Remigration to Post-Socialist Europe: Hopes and Realities of Return (ERSTE series 3). Wien 2018.

[13] Pressemitteilung der sprachkritischen Aktion "Unwort des Jahres", Universität Marburg, 15.01.2024, vgl. https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2024/unwort-des-jahres-2023-remigration.

 

Zitation

Sarah Scholl-Schneider: Remigration. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32737 (Stand 22.01.2024).

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(Stand: 22.01.2024)  | 
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