Hirschberg/Jelenia Góra

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Hirschberg

Amtliche Bezeichnung

poln. Jelenia Góra

Weitere Bezeichnungen

1927–1945 Hirschberg im Riesengebirge; tschech.: Jelení Hora, früher: Hiršperk, auch Hornšperk; lat. Cervimontium, Mons Cervi

Etymologie

In den ältesten Urkunden aus dem 13. Jahrhundert wird der Ort als Hyrzberc, Hyrspergk oder Hirssbergk bezeichnet.

2. Geographie

Lage

50° 54′ nördlicher Breite, 15° 44′ östlicher Länge, am Fluss Bober (poln. Bóbr, tschech. Bobr), einem linken Nebenfluss der Oder (poln./tschech. Odra), gelegen, ca. 90 km südwestlich von Breslau/Wrocław und 70 km östlich von Görlitz/Zgorzelec im Hirschberger Tal (Kotlina Jeleniogórska) am Fuß des Riesengebirges (Karkonosze).

Region

Niederschlesien

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Republik Polen; Woiwodschaft Niederschlesien (Województwo dolnośląskie), Stadtgemeinde. 1975–1998 war Hirschberg/Jelenia Góra Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das heutige Wappen der Stadt zeigt auf silbernem Feld einen roten Hirsch mit großem Geweih, auf drei grünen Hügeln stehend. Das Tier blickt nach rechts, im Maul hält es drei Eicheln. Der Hirsch als Wappentier der Stadt wird bereits in der mittelalterlichen Symbolik verwendet, etwa auf den städtischen Siegeln aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Darstellungen, die an die heutige Form erinnern (mit Helmkleinod in Form eines Hirsches, mit diagonal geteiltem, silber-blauem Hintergrund), wurden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verwendet.[1]

Mittelalter

Einer Legende zufolge soll der polnische Herzog Bolesław III. Schiefmund (1085–1138) während einer Jagd in dieser Gegend einen verwundeten Hirsch verfolgt haben. Von der Schönheit der Landschaft beeindruckt habe er nach 1108 an der Stelle der heutigen Stadt auf dem Hausberg (poln. wzgórze Krzywoustego) eine Burg errichten lassen. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die Stadt erst kurz vor 1281 auf unbesiedeltem Land gegründet wurde. 1288 werden die Einwohner von Hirschberg in einer Urkunde des Herzogs Bolko I. von Löwenberg-Jauer (um 1253–1301) als „Bürger“ bezeichnet, 1299 die Stadt selbst als „civitas“. Unter Herzog Bolko II. von Schweidnitz-Jauer (1308–1368) bekam sie 1338 das Meilenrecht und in den Folgejahren weitere Privilegien zur wirtschaftlichen Betätigung. Nach dem Tod des Herzogs erhielt seine Witwe Agnes (um 1315–1392) ein lebenslanges Nießrecht über das Herzogtum Schweidnitz-Jauer, das jedoch gleichzeitig als erledigtes Lehen an die Krone Böhmen fiel. 1377 erwarb die Stadt das Schulzenamt.

1395–1404 war Hirschberg im Besitz des böhmischen Oberstburggrafen und Landeshauptmanns Johann Kruschina von Lichtenburg (vor 1370–1407). Im Kontext der Hussitenkriege (1425–1433) wurde 1433 die seit 1291 belegte Burg am Hausberg westlich der Stadt geschleift, um zu verhindern, dass die Angreifer sich dort verschanzten; die Stadt konnte erfolgreich verteidigt werden.

Neuzeit

1502 erhielt Hirschberg vom böhmischen König Wladislaw II. (1456–1516) das Recht der freien Ratswahl. 1550 wurde die Stadt durch einen Brand beschädigt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie mehrmals belagert (1634 verheerender Stadtbrand, 1640/1641 teilweise Zerstörung) und zur Zahlung von Kontributionen verpflichtet. Nach dem Ersten Schlesischen Krieg 1742 fiel Hirschberg wie fast ganz Schlesien an Preußen.

19./20. Jahrhundert

Nach der preußischen Verwaltungsreform von 1816 wurde Hirschberg zum Sitz des gleichnamigen Landkreises. Seit 1922 bildete Hirschberg einen eigenen Stadtkreis. 1924 wurde der Gutsbezirk Hartau, 1928 der Gutsbezirk Schwarzbach in die Stadt eingegliedert. Im Zweiten Weltkrieg ist die Stadtbebauung von den Kriegshandlungen verschont geblieben. 1945 kam Hirschberg zu Polen. 1976 wurden die Nachbargemeinden Bad Warmbrunn (Cieplice Śląskie-Zdrój), Hermsdorf (Sobieszów), Maiwaldau (Maciejowa), 1988 Agnetendorf (Jagniątków) eingemeindet.

Bevölkerungsentwicklung

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts lebten in Hirschberg ca. 3.500 Einwohner, bei der Volkszählung von 1787 6.295.[2] Infolge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts stiegen die Bevölkerungszahlen (1890: 16.214, 1925: 28.763, 1939: 32.764).[3] Nach dem Einmarsch der Roten Armee und dem Anschluss der Stadt an Polen wurden die meisten noch verbliebenen Deutschen vertrieben. An ihrer Stelle siedelten sich Polen an, oft selbst Vertriebene aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten. 1975 zählte die Stadt 58.780 Einwohner, 1989 – nach der Eingemeindung von Agnetendorf – 93.782, 2013 82.369.[4]

Wirtschaft

Bereits im Mittelalter galt die Stadt als ein wichtiges Zentrum für Handel (speziell für Transithandel) und Handwerk in Schlesien. 1338 wurde ihr das Meilenrecht verliehen, 1355 das Salz- und Bergwerksrecht sowie die Freiheit von Abgaben im Handel mit Böhmen, 1361 das Waag- und Münzrecht und 1366 die gegenseitige Zollfreiheit mit Breslau. Seit 1519 wurden in der Stadt Jahrmärkte abgehalten. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich Hirschberg zum Zentrum der Leinenweberei (insbesondere der Schleierweberei, die der Schuhmacher Joachim Girnth 1570 auf der Rückreise von Holland eingeführt hatte). Diese günstige Entwicklung wurde vom Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unterbrochen. 1658 wurde in Hirschberg eine Kaufmannssozietät gegründet, was zur Belebung des lokalen Handels entscheidend beitrug. Die Stadt konnte ihren alten Status als Zentrum für Leinen- und Schleierweberei wiedererlangen und bis zum Ausbruch der Schlesischen Kriege beibehalten. Mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts wurden die Textilmanufakturen durch industrielle Produktion verdrängt; in der Stadt etablierten sich neben der Leinenindustrie auch Maschinen-, Papier- und Zementfabriken sowie Mehl- und Schneidemühlen. 1866 bekam Hirschberg Eisenbahnanschluss nach Görlitz und Berlin, ein Jahr später nach Waldenburg/Wałbrzych und Breslau, und wurde als Mittelpunkt des an Schlössern und Landgütern reichen Hirschberger Tals und als Tor zum Riesengebirge zum beliebten Ausflugs- und Touristenort.

Religions- und Kirchengeschichte

1524 wurde in Hirschberg die Reformation eingeführt; 1566 wurde neben der Stadtkirche ein evangelisches Schulhaus errichtet (1650 in ein katholisches Pfarrhaus umgewandelt). Trotz gegenreformatorischer Maßnahmen und Ansiedlung von Jesuiten blieb Hirschberg ein wichtiges protestantisches Zentrum . Auf Grundlage der Altranstädter Konvention von 1707 musste Kaiser Joseph I. (1678–1711) den Protestanten in Schlesien Zugeständnisse machen; er gewährte unter anderem den Bau der sogenannten Gnadenkirchen in Hirschberg, Freystadt/Kożuchów, Landeshut/Kamienna Góra, Militsch/Milicz, Sagan/Żagań und Teschen/Cieszyn. Die Mehrheit der Stadteinwohner war bis 1945 evangelisch: 1890: 12.206 von 16.214 Personen, 1939: 23.982 von 32.764).[5]

Juden siedelten sich in Hirschberg vermutlich schon im 14. Jahrhundert an und hatten an der heutigen ul. Szkolna (Judengasse) auch ein eigenes Gebetshaus. Mit den Vertreibungen des 15. und 16. Jahrhunderts verließen jüdische Familien die Stadt. Erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurden dort erneut jüdische Einwohner verzeichnet (1797 waren es drei Personen).[6] Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Hirschberg eine jüdische Gemeinde, 1846 errichtete sie eine Synagoge in der heutigen ul. Kopernika (ehem. Priesterstraße 20). 1890 lebten in der Stadt 388 jüdische Einwohner, 1925 266.[7] In der Reichspogromnacht wurde die Synagoge verwüstet und danach abgerissen. Die meisten der in der Stadt verbliebenen Juden starben in den Vernichtungslagern.

Kunstgeschichte und Architektur

Die Stadt wurde auf ovalem Grundriss angelegt, mit rasterförmigem Straßennetz und rechteckigem Ring mit Rathaus in der Mitte und Kaufbänken, sogenannten Siebenhäusern, an der Westseite. Im 18. Jahrhundert wurde die Stadt nach Osten um die Schildauer Vorstadt und nach Süden um die Langgassen-Vorstadt erweitert. Die Stadtmauern wurden 1832–1839 größtenteils geschleift; einige Türme und Basteien blieben erhalten. Die Neubesiedelung der Stadt nach 1945 erfolgte mit einiger Verzögerung; dies führte teilweise zum Verfall der Bausubstanz. Die Ringbebauung wurde bis in die frühen 1960er Jahre wiederhergestellt.

Ein hölzerner Vorgängerbau der katholischen Pfarrkirche St. Erasmus und Pankratius ist bereits im ausgehenden 13. Jahrhundert belegt; 1288 wird ein Pfarrer erwähnt. Der heutige Bau wurde um 1380–1400 bis Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet. 1524-1629 war die Kirche protestantisch; 1662 wurde sie auf Veranlassung der Jesuiten grundlegend renoviert. Die Ausstattung der dreischiffigen Basilika mit Westturm und Zwiebelhelm ist im Wesentlichen barock, so der Hauptaltar, der 1713–1718 von dem Bildhauer Thomas Weißfeldt (1670–1721) und dem Tischler David Hielscher geschaffen wurde.

Die ehemalige evangelische Gnadenkirche (seit 1957 katholische Pfarrkirche Hl. Kreuz und Garnisonskirche) wurde gemäß den Auflagen der Altranstädter Konvention 1709–1718 außerhalb der Stadtmauern errichtet. Den Entwurf nach Vorbild der Stockholmer Katharinenkirche fertigte der aus Reval/Tallinn stammende und in Liegnitz/Legnica ansässige Architekt Martin Frantz (1679–1742). Der Zentralbau auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes ist im Ostarm um ein quadratisches Joch mit dem Altaraufbau verlängert. Die Kreuzarme haben Tonnengewölbe, über der Vierung erhebt sich eine Kuppel mit Tambour und Laterne. Die Wand- und Gewölbemalereien Felix Anton Schefflers (1701–1760) und Johann Franz Hoffmanns (1699/1701–1766) entstanden 1734–1751. Um die Kirche liegt ein weitläufiger Friedhof, umgeben von einer Mauer mit 19 Grabkapellen von Hirschberger Patrizierfamilien (1716–1770er Jahre), die den Kirchenbau mitfinanzierten. Ein Großteil der wertvollen Grabplatten mit Inschriften wurde nach 1945 zerstört.

Die St.-Anna-Kapelle entstand 1515 durch die Umgestaltung des Schildauer Torturms. Sie war bis 1650 evangelisch, später im Besitz der Jesuiten und ab Mitte des 19. Jahrhunderts altkatholisch. 1709–1715 wurde sie renoviert und umgebaut. Damals entstanden die Wandmalereien und die Ausstattung im Inneren.

1744–1747 wurde das Rathaus an der Stelle eines Vorgängers aus dem 16. Jahrhundert erbaut (Architekt: Christoph Gottlieb Hedemann). 1924 und 1957–1959 fanden Renovierungen statt. Um 1910 wurde es mit den benachbarten „Siebenhäusern“ verbunden. Es handelt sich um einen dreigeschossigen Rechteckbau mit Mansardwalmdach und zentralem, viereckigem Turm mit oktogonalem Helm.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Grzegorz Grajewski: Jelenia Góra/Hirschberg. In: Ernst Badstüber, Dietmar Popp, Andrzej Tomaszewski, Dethard von Winterfeld (Hg.), Sławomir Brzezicki, Christiane Nielsen (Bearb.): Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen. Schlesien. München, Berlin 2005, S. 387–402.
  • Günter Grundmann: Hirschberg. In: Hugo Weczerka (Hg.): Handbuch der historischen Stätten. Schlesien. Stuttgart 1977 (Kröners Taschenausgabe 316), S. 189–193.
  • Andrea Langer: Die Gnadenkirche „Zum Kreuz Christi“ in Hirschberg. Zum protestantischen Kirchenbau Schlesiens im 18. Jahrhundert. Stuttgart 2003.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Vgl. die Webseite der Stadt Jelenia Góra: um.jeleniagora.pl/index.php?option=com_content&view=article&id=66%3Aherb-miasta&catid=18%3Asymbole-miasta&Itemid=48&lang=pl (Abruf 30.12.2013).

[2] Grundmann: Hirschberg, S. 192.

[3] Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. URL: treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Abruf 31.05.2021).

[4] GUS Główny Urząd Statystyczny [Hauptamt für Statistik]: stat.gov.pl/ (Abruf 30.12.2013).

[5] treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Anm. 3).

[6] Vgl. die vom Jüdischen Museum in Warschau „Polin“ entwickelten Seiten zur jüdischen Lokalgeschichte in Polen: sztetl.org.pl/en/towns/j/216-jelenia-gora (Abruf 31.05.2021).

[7] treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Anm. 3).

Zitation

Beata Lejman, Tomasz Torbus: Hirschberg/Jelenia Góra. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32416 (Stand 11.01.2022).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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