Prag/Praha

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Prag

Amtliche Bezeichnung

Praha

Anderssprachige Bezeichnungen

tschech. Praha; engl., frz. Prague; lat., ital., span. Praga; ung. Prága; poln. Praga czeska; russ., ukr. Прага (Praga), ndl. Praag, jidd., hebr. פראג (Prag), esp. Prago

Etymologie

Der slawische Ortsname „Praha“ wird entweder von „práh“ (Türschwelle) oder von „pražit“ (brennen) hergeleitet. Nach der Gründungslegende soll die Seherin und Ehefrau des mythischen Stammvaters des böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden Libuše befohlen haben, aus einem Baumstamm eine Türschwelle zu schlagen, an deren Stelle die spätere Stadt entstand; die zweite Variante würde auf eine Stadtgründung infolge einer Rodung hindeuten.

2. Geographie

Lage

Prag liegt nördlich des geografischen Mittelpunkts Böhmens im Böhmischen Becken auf 50°5’ nördlicher Breite und 14°27’ östlicher Länge.

Topographie

Prag erstreckt sich auf topografisch sehr bewegtem Terrain mit Hügeln und tiefen Einschnitten beidseitig der Moldau (tschech. Vltava); die Höhe der Stadt variiert zwischen 177 m und 399 m ü. NN. Wichtige Erhebungen im Innenstadtbereich sind der Petřín (dt. auch: Laurenziberg) und der Burgberg.

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Tschechische Republik (Česká republika), Hauptstadt Prag (Hlavní město Praha, Statutarstadt)

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

In Gebrauch sind ein großes und ein kleines Stadtwappen. Die große Variante besitzt folgende Blasonierung: „Auf dem Schild drei goldgekrönte silberne Stechhelme (Krötenkopfhelme) mit rot-goldenen Decken. Auf dem mittleren Helm wachsend ein goldgekrönter, goldbewehrter und -bezungter silberner Löwe, die beiden äußeren mit je zwölf Landesfahnen mit goldenen Stangenspitzen besteckt. Schildhalter: Zwei goldgekrönte, goldbewehrte und -bezungte silberne Löwen. Unter dem Postament ein rotes Band mit dem Wahlspruch in schwarzen Majuskeln: 'PRAGA CAPUT REI PUBLICAE.'" Das kleine Stadtwappen wird so beschrieben: „In Rot eine wachsende schwarzgefugte, silbergezinnte, goldene Stadtmauer mit drei wachsenden schwarzgefugten goldenen Türmen mit silbergekreuzten schwarzen Fenstern, die äußeren mit schindelbedeckten goldenen Zeltdächern, der mittlere höher mit ebensolchem Walmdach, mittig ein offenes schwarzes silbergefasstes Tor mit nach außen gestellten Torflügeln in natürlichen Farben und halbgezogenem goldenen Fallgatter, darunter herausragend ein geharnischter silberner Arm mit ebensolchem Schwert.“[1]

Die Prager Stadtfahne im Seitenverhältnis 2:3 ist gelb-rot längsgestreift.

Beinamen

Im Mittelalter nannte man die Stadt „Praga totius Bohemiæ domina“ (Herrin ganz Böhmens) oder „Praga caput regni“ (Haupt des Königreichs [Böhmen]). Jüngeren Datums ist die Bezeichnung „Praga mater urbium“ (Mutter aller Städte). Man spricht auch von der „Goldenen Stadt“ oder dem „Goldenen Prag“ (tschech. Zlatá Praha), wofür es mehrere Erklärungen gibt (1. die in der Abendsonne golden glänzenden Sandsteinbauten Prags, 2. die vergoldeten Kuppeln der Prager Burg, 3. Prag als Anziehungspunkt von Alchemisten unter Kaiser Rudolf II. [1552–1612); außerdem seit dem 19. Jahrhundert auch von der „Stadt der hundert Türme“ (tschech. Praha stověžatá). Eine emotionale Bindung der Bewohner drückt sich in dem populären Epiteton „Mütterchen Prag“ (tschech. Matička Praha) aus.[2]

Vor- und Frühgeschichte

Im heutigen Stadtgebiet lassen sich an mehreren Stellen Besiedelungsspuren unterschiedlichster Phasen seit der Altsteinzeit nachweisen. In der La-Tène-Zeit existierte im heutigen südlichen Stadtteil Závist ein großes Oppidum. Kelten und germanische Stämme besaßen dort bereits feste Ansiedlungen.

Mittelalter

Nach der Völkerwanderungszeit ließen sich ab dem 6. nachchristlichen Jahrhundert slawische Stammesgemeinschaften im Böhmischen Becken nieder. Die Prager Burg wurde im 9. Jahrhundert als Höhenburg mit zugehöriger Stadtsiedlung (Suburbium) errichtet; im 10. Jahrhundert folgte auf dem anderen Moldauufer der Vyšehrad als Sitz der nach dem sagenhaften ersten Herrscher Přemysl benannten Přemysliden-Dynastie. Diese beiden schützenden Burganlagen bildeten die Ausgangspunkte für die Gründung von Städten. Sie entwickelten sich zum räumlichen Machtzentrum der böhmischen Herzöge und Könige. Um 1230 verlieh König Wenzel/Václav I. (1205–1253) der Prager Altstadt (tschech. Staré Město) das Nürnberger Stadtrecht. Sein Sohn Přemysl II. Otakar (1232–1278) gründete 1257 zwischen Moldau und Burg die Kleinseite (tschech. Malá Strana). 1320 erhielt auch die Burgstadt, der Hradschin (tschech. Hradčany), das Stadtrecht. Als vierte Stadt kam unter König und Kaiser Karl IV. von Luxemburg (1316–1378), der Prag zum Zentrum seines Reiches machte, in den 1340er Jahren die Neustadt (tschech. Nové Město) hinzu. Karl IV. gründete 1348 die später nach ihm benannte Universität, die erste nördlich der Alpen. In seiner Regierungszeit ab 1346 entstanden unter der Leitung seines Baumeisters Peter Parler (um 1330–1399) die Steinerne Brücke, später Karlsbrücke (tschech. Karlův most) genannt, anstelle der älteren, von einer Moldauflut zerstörten Judithbrücke (1170), und mehrere Kirchen, allen voran ab 1344 der Veitsdom, der erst im 20. Jahrhundert vollendet wurde.[3] Prag war zu jener Zeit die drittgrößte Stadt Europas nach Rom und Konstantinopel.

Das ausgehende Mittelalter bestimmten innerstädtische Konflikte zwischen Landesherrn, Bischof, Patriziat, den Zünften und einer zunehmenden städtischen Unterschicht. Hinzu kamen religiöse Gegensätze zwischen der römisch-katholischen Amtskirche und der reformatorischen Bewegung der Hussiten, die sich nach dem Märtyrertod des Theologen und Universitätsrektors Jan Hus (um 1372–1415)[4] auf dem Konzil von Konstanz entluden. 1419 defenestrierten aufgebrachte Prager mehrere Stadtvertreter der Neustadt (Erster Prager Fenstersturz); 1420 siegte ein hussitisches Heer unter Jan Žižka (um 1360–1424) am Vitkov-Hügel über ein Kreuzfahrerheer Kaiser Sigismunds (1368–1437). 1434 gewannen die gemäßigten Hussiten die Oberhand über deren radikalen Flügel. Insgesamt gingen die Prager Städte in ihrer Bedeutung gestärkt aus den Hussitenkriegen hervor.

Neuzeit

In der Zeit der Jagiellonen (1471–1526) erlebte Prag die Ausprägung der ständischen Gesellschaft in Böhmen. Nach dem Aussterben der zentraleuropäischen Dynastie übernahmen von 1526 bis 1918 die Habsburger die Herrschaft. In dieser Zeit bauten die Prager Städte ihre Eigenständigkeit weiter aus. Eine erneute Blüte erlebte Prag unter Kaiser Rudolf II. (1552–1612), der Prag 1583 zu seiner Residenz und zu einem Zentrum europäischer Kunst, Kultur und Wissenschaft machte.

Die ungelösten Konflikte zwischen den katholischen Habsburgern, die etwa durch die Gründung eines Jesuitenkollegs (1556) die Gegenreformation förderten, und den protestantischen Ständen eskalierten im frühen 17. Jahrhundert. Die Defenestrierung zweier kaiserlicher Gesandter durch protestantische Ständevertreter (Zweiter Prager Fenstersturz, 1618) gilt als Auslöser des Dreißigjährigen Kriegs. In der Schlacht am Weißen Berg, im Westen Prags, am 8. November 1620 siegten die kaiserlichen Truppen über das Heer der protestantischen Stände. In der Folge begann ein systematischer Austausch des oppositionellen Adels gegen kaisertreue Familien. Es entstanden neue Klöster, Kirchen und Palais, die Prag ein barockes Gepräge verliehen. Zu starken Zerstörungen kam es im Siebenjährigen Krieg (1756–1763).

Mit der Aufklärung setzte in Prag eine Erneuerung der tschechischen Sprache und Kultur ein; diese Rückbesinnung läutete die sogenannte Nationale Wiedergeburt im 19. Jahrhundert ein. In der Regierungszeit Josephs II. (1741–1790) und seiner Nachfolger kam es zu einer Reihe von Reformen. Für die Stadt am wichtigsten war der Zusammenschluss der vier bis dahin administrativ voneinander unabhängigen Städte – Hradschin, Altstadt, Kleinseite und Neustadt – zur einheitlichen Königlichen Hauptstadt Prag (1784). Durch die Anlage von Manufakturen begann eine Protoindustrialisierung und damit eine Ausdehnung des Stadtgebiets.

In der Revolution von 1848 erhoben sich national gesinnte Tschechen gegen die Herrschaft der Habsburger, wurden aber durch die Truppen des Marschalls Alfred zu Windischgrätz (1787–1862) niedergeschlagen. Gleichzeitig tagte in Prag der Slawenkongress mit Delegationen unterschiedlicher, vor allem westslawischer Nationen.

Das neue Selbstbewusstsein der Stadt und ihrer Bürger äußerte sich in repräsentativen Bauten. Der Anschluss an das zentraleuropäische Eisenbahnnetz förderte einen weiteren Aufschwung. Die mittelalterliche Stadtbefestigung wurde abgerissen, Industrie- und Wohnviertel entstanden, durch Eingemeindungen vergrößerte sich die Stadtfläche zunehmend. Seit 1861 hat Prag eine gewählte Stadtvertretung. Im Stadtzentrum blühte die bürgerliche Kultur mit Kaffeehäusern, Theatern, Salons und Kasinos, während in den ärmeren Vororten vor allem Arbeiter und Handwerker zu Hause waren. Durch das Wachstum der Stadt ging um 1860 die bis dahin seit dem Mittelalter durchgängige deutsche Bevölkerungsmehrheit verloren.

Zeitgeschichte

Als am Ende des auch für die Prager entbehrungs- und verlustreichen Ersten Weltkriegs die Habsburgermonarchie zusammenbrach, riefen tschechische Politiker am 28. Oktober 1918 in Prag die Tschechoslowakische Republik (tschech. Československá republika) aus, deren Hauptstadt es wurde. Als Sitz der Zentralbehörden und der wichtigsten kulturellen Institutionen erlebte die Stadt in der Zwischenkriegszeit noch einmal einen Aufschwung. Verschiedentlich kam es zu Spannungen mit der deutschen Minderheit in der Stadt, etwa 1920 durch die Konfiszierung des Ständetheaters (das in der Habsburgerzeit als „Königlich Deutsches Landestheater“ fungiert hatte) oder der im gleichen Jahr verabschiedeten Lex Mareš, kraft derer die tschechische Karlsuniversität zur einzigen legitimen Rechtsnachfolgerin der Alma Mater Carolina erklärt wurde, woraufhin die deutsche Karl-Ferdinands-Universität Prag sich in Deutsche Universität Prag umbenennen musste.

Gleichzeitig wurde Prag aber zu einem Dreh- und Angelpunkt der kulturellen Avantgarde in Europa, zu einem Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt.

Die Tschechoslowakei war in der Endphase der Zwischenkriegszeit der letzte demokratisch verfasste Staat in Europa. Nach der Annexion der „Sudetengebiete“ im Herbst 1938 durch das nationalsozialistische Deutschland folgte im März 1939 die Besetzung des verbliebenen Staatsgebiets und die Proklamation des Protektorats Böhmen und Mähren auf der Prager Burg am 16. März 1939. Damit begann eine bis zum Mai 1945 andauernde Terrorherrschaft, während derer Gestapo und SS die Prager Bevölkerung tyrannisierten.[5] Es kam zu zahlreichen Fällen von Kollaboration seitens der tschechischen Verwaltung, die unter deutscher Regie weiter funktionierte. Kurzfristig beabsichtigten die deutschen Besatzungsorgane das Abschöpfen der wirtschaftlichen Ressourcen des hoch industrialisierten und technologisch weit entwickelten Landes. Fernziel war jedoch die vollständige Eingliederung des „Protektorats“ und seiner Hauptstadt Prag in das Deutsche Reich unter Teilassimilation beziehungsweise Umsiedlung oder Vernichtung des tschechischen Volkes. Wichtige Protagonisten dieser Politik waren sudetendeutsche Nationalsozialisten wie der stellvertretende Reichsprotektor Karl Hermann Frank (1898–1946) und der stellvertretende Prager Primator Josef Pfitzner (1901-1945), ein bekannter Historiker. Besonders die Angehörigen der zahlenmäßig bedeutenden jüdischen Gemeinde wurden zunächst unterdrückt, später in das Ghetto Theresienstadt und von dort zum Teil ins KZ Auschwitz oder andere Vernichtungslager deportiert. In Prag sollte ein „Museum der untergegangen Rasse“ mit in ganz Böhmen gesammelten jüdischen Artefakten entstehen (der Grundstock des heutigen Jüdischen Museums).[6] Nach dem von tschechischen und slowakischen Widerstandskämpfern verübten Attentat auf den stellvertretenden „Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich (1904–1942), der an dessen Folgen starb, begann eine beispiellose Verfolgungswelle gegen Tschechen in Prag („Heydrichiáda“). Alliierte Fliegerangriffe, die eigentlich Dresden ansteuerten, richteten Anfang 1945 im Stadtgebiet große Schäden an. Die Anspannung der unterdrückten Bevölkerung entlud sich Anfang Mai 1945 im Prager Aufstand. Dabei kam es zu Ausschreitungen gegen die Prager Deutschen, die anschließend vertrieben wurden.

Mit der Rückkehr der tschechoslowakischen Exilregierung unter Staatspräsident Edvard Beneš (1884–1948) begann 1945 formal die Wiedererrichtung demokratischer Strukturen, die jedoch durch die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei unterlaufen wurden. Im Februar 1948 rissen die Kommunisten durch einen Putsch in Prag die Macht an sich. Damit begann erneut eine Zeit der Unfreiheit und Unterdrückung. Durch die Eingemeindung von 60 zuvor selbstständigen Kommunen erweiterte sich das Stadtgebiet enorm; Ausdruck des Wachstums waren die zahlreichen Plattenbauten an der städtischen Peripherie, während gleichzeitig das historische Stadtzentrum zusehends verfiel. In den 1960er Jahren setzte eine von Reformern innerhalb der Kommunistischen Partei initiierte Öffnung ein, die der Regierung jedoch entglitt. Als 1968 die Protagonisten des „Prager Frühlings“ nach demokratischen Reformen und Strukturen zu rufen begannen, intervenierten im August 1968 Truppen des Warschauer Pakts und restituierten die kommunistische Diktatur. Aus Protest dagegen verbrannte sich am 16. Januar 1969 der Student Jan Palach (1948–1969), der an den Folgen seiner Verletzungen verstarb.

Es begann eine Zeit der Normalisierung, die bis 1989 anhielt. Gegen die Repression formierte sich Widerspruch im Untergrund, der 1977 nach den KSZE-Beschlüssen in der Charta 77, einer Forderung nach Liberalisierungen, zum Ausdruck kam. Im Samizdat wurde eine Gegenkultur zur herrschenden Doktrin der Kommunistischen Partei entwickelt. Aus diesem Milieu entstammten die führenden Persönlichkeiten der Samtenen Revolution im Herbst 1989, die nach einer friedlichen Übereinkunft zwischen Regierung und Opposition einen gewaltfreien Übergang zu einem demokratischen System ermöglichte.

Seit der Teilung der Tschechoslowakei in die Tschechische Republik (Česká republika, Tschechien) und die Slowakische Republik (Slovenská republika) zu Jahresbeginn 1993 ist Prag Hauptstadt Tschechiens.

Verwaltung

Das mittelalterliche Stadtrecht begünstigte den Aufstieg einzelner Patrizierfamilien, die gegenüber den weltlichen und kirchlichen Herrschern nach Selbstverwaltung strebten und ihrerseits von den Zünften herausgefordert wurden. 1338 wurde mit dem Bau des Altstädter Rathauses (tschech. Staroměstská radnice) begonnen; auch die übrigen Einzelstädte hatten bis 1784 eigene Rathäuser und Vertretungen, so auch die Judenstadt (tschech. Židovské město, Josefov). Die Fusion der Teilstädte entsprach einer absolutistischen Vereinheitlichungstendenz, die sich auch andernorts feststellen ließ (vgl. etwa die Zusammenlegung der Königsberger Städte Altstadt, Löbenicht und Kneiphof zur Einheitsstadt Königsberg in Preußen 1724).

Alle Gebäude in Prag weisen eine doppelte Nummerierung auf: Neben den auf Straßennamen bezogenen (blauen) Hausnummern existieren auch die (roten) Konskriptionsnummern, ein aus der Habsburgerzeit stammendes Klassifikationssystem.[7]

Prag gliedert sich heute in 22 Verwaltungsbezirke (tschech. správní obvody) und 57 Stadtteile (tschech. městské části). Die kommunalen Selbstverwaltungsorgane sind der Stadtrat und der Oberbürgermeister (tschech. Primátor).

Bevölkerung

Zur Zeit Kaiser Karls IV. zählten die vier Prager Städte bereits etwa 40.000 Einwohner. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebten ca. 150.000 Menschen in Prag, mehrheitlich Tschechen, doch noch immer mit etwa einem Drittel Deutsche. Die weitere Bevölkerungsentwicklung verlief rapide (1900: 222.588, 1925: 718.300, 1950: 931.500),[8] wobei die Zahl der Deutschen bis 1939 in absoluten Zahlen bei etwa 25.000 konstant blieb, damit aber in ihrem prozentualen Anteil zurückging. Heute zählt Prag 1.335.084 Einwohner (Stand: 31.12.2020). Die Zahl der heute noch in Prag lebenden Deutschen ist minimal: Der Verband der Deutschen, Region Prag und Mittelböhmen, hat heute offiziell 20 Mitglieder;[9] ähnlich dürfte es sich bei der Ortsgruppe Prag des Kulturverbands der Bürger deutscher Nationalität in der Tschechischen Republik verhalten.[10] Eine bilinguale Grundschule und das bilinguale Thomas-Mann-Gymnasium werden daher in erster Linie von Kindern deutscher und österreichischer Ex-Pats frequentiert.

Vor 1941 lebten in Prag etwa 39.000 Juden, deren Zahl infolge der Shoah bis 1945 auf 7.540 sank. Heute zählt die Jüdische Gemeinde Prag noch etwa 1.600 Mitglieder.

Wirtschaft

Seit dem 10. Jahrhundert war Prag ein bedeutender Handelsplatz. Prag entstand am Kreuzungspunkt mittelalterlicher Handelsrouten und war daher von jeher eine Durchgangsstadt für Waren und Menschen. Mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert begann die Errichtung von Manufakturen, die sich im Laufe des 19. Jahrhundert in moderne Fabriken verwandelten. Insbesondere die verarbeitende Industrie, die Textil- und Lebensmittelindustrie erlangten in Prag eine große Bedeutung, darunter auch mehrere Großbrauereien. Ein starker Aufschwung, der sich auch in der demografischen Entwicklung abbildete, setzte um 1860 ein. Ab 1870 wurde die Moldau im Stadtgebiet reguliert und gleichzeitig die Elektrifizierung der Stadt vorangetrieben. In den Jahren 1939–1945 wurden Besitztitel von Prager Juden von der Protektoratsverwaltung „arisiert“.

Im 19. Jahrhundert wurde Prag auch zu einem Eisenbahnknotenpunkt in Böhmen. Der Hauptbahnhof (tschech. Hlavní nádraží, 1871–1918: Kaiser-Franz-Joseph-Bahnhof, 1918–1939: Wilson-Bahnhof), der als Kopfbahnhof konzipierte Masaryk-Bahnhof (tschech. Masarykovo nádraží, 1862–1918: Staatsbahnhof) sowie die Bahnhöfe Holešovice (tschech. Nádraží Praha-Holešovice) und Smíchov (tschech. Nádraží Praha-Smíchov) sind die bedeutendsten Fernbahnhöfe. Neben Straßenbahn und Omnibus spielt im öffentlichen Personennahverkehr seit 1974 die Prager Metro mit bisher drei Linien eine wichtige Rolle. Prag hat Autobahnverbindungen nach Nürnberg, Dresden, Königgrätz/Hradec Králové und Brünn/Brno. Über den im Nordwesten der Stadt gelegenen Flughafen Ruzyně (seit 2012 auch: Letiště Václava Havla) ist Prag an das internationale Flugverkehrsnetz angeschlossen.

Die Verkehrsanbindung begünstigte die wirtschaftliche Entwicklung mit Manufakturen und Fabriken im 18./19. Jahrhundert. Als Landeshauptstadt ist Prag auch das Dienstleistungszentrum der Tschechischen Republik.

Religions- und Kirchengeschichte

Im Zuge der Christianisierung Böhmens wirkten Missionare aus dem Bistum Regensburg. Um 883 ließen sich Herzog Bořivoj I. (um 852–890) und dessen Frau Ludmila (um 855–921) taufen. 973 wurde nach vorausgegangenen Verhandlungen zwischen den Přemysliden, Kaiser Otto II. (955–983), Rom und dem Bistum Regensburg das eigenständige Bistum Prag gegründet, dessen Kompetenz ursprünglich weit über die Landesgrenzen hinausreichte. Mit der Gründung des mährischen Bistums Olmütz/Olomouc wurde es auf Böhmen reduziert. Bis 1341 gehörte es zum Mainzer Metropolitanverband und wurde 1344 zum Erzbistum erhoben. Prag war Sitz großer Mönchsgemeinschaften, unter anderem der Benediktinerabtei Břevnov, des Prämonstratenserklosters Strahov, des Emaus-Klosters und des Agnes-Klosters. Um die Armenfürsorge kümmerten sich Niederlassungen der Bettelorden.

Im 15. Jahrhundert wurde Prag zum Schauplatz der hussitischen Reformation, ausgelöst durch den Universitätsrektor und Theologen Jan Hus, der auf dem Konzil von Konstanz zum Feuertod verurteilt wurde. Unter seinen ideellen Nachfolgern, die sich „Hussiten“ nannten, entbrannten gewaltsame, religiös motivierte Auseinandersetzungen mit den Katholiken. Durch die Annahme der Vier Prager Artikel der Hussiten durch Erzbischof Konrad von Vechta (um 1370–1431) im Jahre 1421 begann aus Sicht Roms eine bis 1561 andauernde Sedisvakanz, da die nunmehr amtierenden Erzbischöfe, zugleich Oberhäupter der Hussitischen Kirche, vom Papst nicht anerkannt wurden. Die von den Habsburgern betriebene Gegenreformation führte 1561 zur Erneuerung des katholischen Erzbistums und zu einer Rekatholisierung der Hauptstadt und des gesamten Landes. Die katholische Konfession wurde 1627 zur einzig gestatteten erhoben.

Die Kirche hatte sowohl während der deutschen Besatzungszeit (1939–1945) als auch unter der kommunistischen Diktatur (1948–1989) unter schwerer Verfolgung und Enteignungen zu leiden. Nach der politischen Wende von 1989 begann die Restitution des Kirchenbesitzes.

Prag ist nicht nur ein Zentrum der Römisch-Katholischen Kirche, sondern auch der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche sowie der Tschechisch-orthodoxen Kirche. Allerdings gehört nur eine Minderheit aller Stadtbürger überhaupt zu einer der christlichen Kirchen oder Freikirchen, die meisten Prager bezeichnen sich heute als konfessionslos.

Die jüdische Gemeinde in Prag zählte seit dem Mittelalter zu den wichtigsten in Zentraleuropa; ungeachtet massiver Mitgliederverluste infolge von Pogromen (1348, 1389), Ausweisungen (1744) und der Shoah (1941–1945) existierte sie nahezu kontinuierlich. Nachdem es bereits im 12. Jahrhundert unterhalb der Burg eine Synagoge gegeben hatte und ein jüdisches Viertel bereits im 11. Jahrhundert existierte, entstand die Altneusynagoge (tschech. Staronová synagoga) im 13. Jahrhundert unter Einbeziehung christlicher Baumeister und Steinmetze des unweit gelegenen Agnesklosters. Die Judenstadt wurde unter Karl IV. mit Sonderrechten ausgestattet, die allerdings im 18. Jahrhundert stark beschnitten wurden, etwa durch die für ganz Böhmen geltenden Familiantenordnungen, die die Höchstzahl der an einem Ort ansässigen jüdischen Familien festlegten. Im 19. Jahrhundert wurde aus dem ehemaligen Ghetto der Judenstadt das Viertel Josefstadt (tschech. Josefov), dessen Bebauung im Zuge einer Stadtsanierung größtenteils abgebrochen wurde, mit Ausnahme einiger Gotteshäuser und des Alten Jüdischen Friedhofs. Erhalten sind die Pinkas-Synagoge (16. Jahrhundert) sowie die Klaus- (1689–1693), die Maisel- (1590) und die Spanische Synagoge (1868). Erwähnenswert ist ferner die unweit des Hauptbahnhofs gelegene, 1905–1906 errichtete Jerusalem-Synagoge. Jüdische Friedhöfe existieren in diversen Stadtteilen, unter anderem in Žižkov und Libeň.

Architektur- und Kunstgeschichte

Das Stadtbild Prags kann wie ein offenes Buch der Architektur- und Kunstgeschichte vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert „gelesen“ werden. Der orientalische Reisende Ibrahim Ibn Jakub beschrieb Prag im 10. Jahrhundert bereits als „aus Stein und Kalk“ erbaute Stadt. Aus der Romanik haben sich sowohl Keller von Wohnhäusern in der Altstadt als auch mehrere Kirchenrotunden und die Klosterkirche St. Georg auf der Burg erhalten. Ein hervorragendes Beispiel frühgotischer Architektur ist das Haus zur Steinernen Glocke in der Altstadt.

Maßgeblich war zur Regierungszeit Karls IV. die Tätigkeit des Baumeisters und Bildhauers Peter Parler. Der Chor des Veitsdoms, die Karlsbrücke mit den beiden Brückentürmen, der Erker des Universitätshauptgebäudes, die unweit von Prag gelegene Burg Karlstein und eine Reihe von Kirchen zeugen davon. Im Bereich der sakralen Malerei gilt es, aus dieser Epoche Meister Theodoricus (14. Jahrhundert) zu erwähnen.

In der Zeit der Jagiellonen-Herrscher hielt die Renaissance Einzug in Prag. Der aus Bayern stammende Baumeister Benedikt Ried (1454–1534) schuf unter anderem den Vladislav-Saal auf der Prager Burg. Auf Initiative der Habsburger entstanden nach Plänen von Paolo della Stella (um 1500–1552) das Königliche Lustschloss (tschech. Královský letohrádek) und später auch das Jagdschloss Stern (tschech. Hvězda) vor den Toren der Stadt. Am Altstädter Rathausturm wurde um 1490 die Astronomische Uhr installiert.

Auch der Buchdruck blühte zu jener Zeit in Prag mit den Offizinen von Jiří Melantrich (um 1511–1580) und Daniel Adam z Veleslavína (1546–1599).

Während der Regierungszeit Rudolfs II. war Prag ein europäisches Kunstzentrum mit Giuseppe Arcimboldo (um 1526–1593), Hans von Aachen (1552–1615), Bartholomäus Spranger (1546–1611), Aegidius Sadeler (um 1570–1629) und Joseph Heintz dem Älteren (1564–1609) sowie dem Bildhauer Adriaen de Vries (um 1545–1629). Zu den protestantischen Künstlern, die nach 1620 gezwungen wurden, die böhmische Hauptstadt zu verlassen, gehörte der bekannte Kupferstecher Wenzel/Václav Hollar (1607–1677).

Barocke Akzente setzte im Stadtbild mit zahlreichen sakralen und profanen Bauten Kilian Ignaz Dientzenhofer (1689–1751), der Sohn des aus Oberbayern nach Böhmen zugewanderten Baumeisters Christoph Dientzenhofer (1655–1722). Ein weiterer bedeutender Prager Barockarchitekt war František Maximilián Kaňka (1674–1766). Auf dem Gebiet der Bildhauerei waren der Zipser Jan Brokoff (1652–1718) und der aus Tirol stammende Matthias Bernhard Braun (1684–1738) bahnbrechend. Die barocke Malerei der böhmischen Metropole beherrschten Karel Škréta (1610–1674), Peter Johann Brandl (1668–1735) und Wenzel Lorenz Reiner (1689–1743). Neben den genannten waren im 17./18. Jahrhundert in Prag auch Künstler aus Italien und Spanien tätig.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert erlebte Prag einen regelrechten Bau-Boom; im Zeichen eines neuen tschechischen Nationalbewusstseins entstanden der Ausbau des Vyšehrad mit dem Ehrenfriedhof Slavín, der Bau des Nationaltheaters (tschech. Národní divadlo, 1868–1881 und 1883), des Rudolfinums (1876–1884) und des Nationalmuseums (Národní muzeum, 1885–1891). Vor dem Ersten Weltkrieg setzten sich moderne Bauformen durch – mit der Secession, deren prominentestes Exempel das monumentale Repräsentationshaus (tschech. Obecní dům, 1905–1911) bildet – und dem Expressionismus (etwa dem Haus zur Schwarzen Muttergottes [tschech. Dům U Černé Matky Boží], 1911–1912 und Wohnhäusern unterhalb des Vyšehrad).

In der Zwischenkriegszeit entstanden als Zeichen der demokratischen Staatsverfassung und der Weltläufigkeit vieler Bürger Gebäude im Zeichen des Neuen Bauens, wobei sich nacheinander der so genannte Rondo-Kubismus, der Spätexpressionismus und der Funktionalismus ablösten. Prominente Beispiele für letzteren sind die Müller-Villa mit ihrem von Adolf Loos entworfenen Interieur und der Prager Messepalast.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Prag von einem Ring von Trabantenstädten mit mehrstöckigen Wohnblöcken in Plattenbauweise umgeben. Aus dieser Zeit stammen allerdings auch einige international anerkannte Beispiele des Brutalismus.

Musik

In Prag feierte Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) seine größten Erfolge, unter anderem 1787 mit der Uraufführung seiner Oper Don Giovanni. 1811 wurde das Konservatorium für Musik ins Leben gerufen.

Die beiden großen tschechischen Komponisten des 19. Jahrhunderts waren Bedřich Smetana (1824–1884) und Antonín Dvořák (1841–1904). Smetana war als junger Mann nach Prag gekommen und hatte sich in das Vereins- und Musikleben der böhmischen Hauptstadt integriert. Er machte sich einen Namen als Komponist von Opern und sinfonischen Werken. Sein Streben nach einer „nationalen Musik“ setzte der international renommierte Dvořák fort, dessen Sinfonien und Opern ebenfalls zum klassischen Repertoire der Prager Konzert- und Opernhäuser zählen.

Bis heute gilt Prag in Zentraleuropa als ein Mekka der klassischen Musik, des Jazz, aber auch unterschiedlichster Formen der Unterhaltungsmusik.

Besondere kulturelle Institutionen

Prag ist seit Jahrhunderten ein Ort wissenschaftlicher Gelehrsamkeit, getragen von den Klöstern und seit 1348 von der Karls-Universität (tschech. Univerzita Karlova). Zwischen 1882 und 1939 existierten nach der Teilung je eine Tschechische und eine Deutsche Universität, während der deutschen Besatzungszeit 1939–1945 nur die Deutsche Universität Prag, die 1945 geschlossen wurde; nach dem Zweiten Weltkrieg entstand erneut die tschechische Karlsuniversität. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es außerdem eine Technische Hochschule, ferner eine Agrarwissenschaftliche Hochschule, eine Kunst- und eine Musikakademie und diverse höhere Fachschulen.

Die Nationalbibliothek (tschech. Národní knihovna) im Klementinum, dem Gebäude des einstigen Jesuitenkollegs, und das Nationalarchiv (tschech. Národní archiv) verwalten wertvolle Kulturschätze.

Weitere bedeutende Kulturinstitutionen Prags sind unter anderem folgende Museen und Galerien:

  • Museum der Hauptstadt Prag (tschech. Muzeum hlavního města Prahy, http://www.muzeumprahy.cz),
  • Galerie der Hauptstadt Prag (tschech. Galerie hlavního města Prahy, https://www.ghmp.cz),
  • Nationalgalerie Prag (tschech. Národní galerie v Praze, (www.ngprague.cz) mit mehreren Standorten
  • Nationalmuseum (tschech. Národní muzeum, www.nm.cz) mit mehreren Dependancen
  • Kunstgewerbemuseum (tschech. Uměleckoprůmyslové muzeum, www.upm.cz)
  • Jüdisches Museum Prag (tschech. Židovské muzeum v Praze, www.jewishmuseum.cz)
  • Nationales Technikmuseum (tschech. Národní technické muzeum, www.ntm.cz)
  • Nationales Landwirtschaftsmuseum (tschech. Národní zemědělské muzeum, www.nzm.cz).
  • Muzeum Kampa (für moderne Kunst, www.museumkampa.cz).

sowie Theater und Konzerthäuser:

Literatur und Wissenschaft

Aus dem Mittelalter kennen wir namhafte Chronisten, allen voran Cosmas von Prag (um 1045–1125). Prag war durch die gesamten Jahrhunderte ein Ort der Schriftsteller unterschiedlicher Sprachen.

Ein Sonderphänomen bildete um 1900 die „Prager deutsche Literatur“. Unter diesem Sammelbegriff werden in der Germanistik deutschsprachige Autoren zusammengefasst, die zwischen den 1890er Jahren und 1939 tätig waren. Sie hatten ihre Treffpunkte in den Kaffeehäusern „Concordia“, „Jung-Prag“ und „Arco“. Neben vielen anderen seien Rainer Maria Rilke (1875–1926), Hugo Salus (1866–1929), Paul Leppin (1878–1945), Gustav Meyrink (1868–1932), Hugo Steiner-Prag (1880–1945), Oskar Baum (1883–1941), Max Brod (1884–1968), Franz Kafka (1883–1924), Egon Erwin Kisch (1885–1948), Franz Werfel (1890–1945), Louis Fürnberg (1909–1957) und Franz Carl Weiskopf (1900–1955) genannt.

Sie vertraten unterschiedliche literarische Richtungen – vom Realismus über den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit bis hin zur absurden Literatur – und auch divergierende politische Auffassungen; viele von ihnen entstammten dem assimilierten jüdischen Bürgertum in Prag, das durch die Habsburgermonarchie zum Teil deutschsprachig geprägt war. Wichtige Publikationsorgane für Feuilletons und kleinere literarische Formen waren die Bohemia (1828–1938) und das Prager Tagblatt (1876–1939), in dem auch auswärtige Literaten wie Joseph Roth (1894–1939) oder Sándor Márai (1900–1989) publizierten, daneben existierten zahlreiche deutsch- oder mehrsprachige literarische Zeitschriften und Verlage in Prag. Die Prager deutsche Literatur ist in den letzten Jahren literatur- und kulturwissenschaftlich ausführlich erforscht worden.

4. Diskurse und Kontroversen

Als im 19. Jahrhundert die Prager Deutschen die demografische Mehrheit und damit auch die administrative Kontrolle über die Stadt verloren, entwickelte sich im deutschnationalen Diskurs die Vorstellung von Prag als „deutscher Stadt“ – auch wenn die Deutschen nicht mehr das bestimmende Element darstellten, so sei doch die Stadt in der Vergangenheit ganz maßgeblich von deutscher Kultur und Geschichte geprägt worden, weshalb den Deutschen die Stadt zustehe.[11] Dieses Denkmuster erlebte eine erste Kulmination während der so genannten Badeni-Krise im ausgehenden 19. Jahrhundert,[12] als eine zweisprachige Amtsführung in Böhmen und Mähren eingeführt werden sollte, die jedoch am Widerstand deutscher Politiker und Beamter scheiterte. Es flammte insbesondere nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 wieder auf, die von Deutschnationalen als eine Anmaßung geschmäht wurde. Im völkischen sudetendeutschen Diskurs wurden die Prager Deutschen als „Sudetendeutsche“ vereinnahmt, während diese in der Realität als großstädtisch-urbane Bürger aus einer hohen Warte auf die kleinstädtisch oder dörflich sozialisierten „Randböhmen“ herabblickten. Während der Jahre des Protektorats Böhmen und Mähren wurde die Germanisierung Prags angestrebt, indem man Terror ausübte, das kulturelle Leben der Tschechen auf ein Minimum reduzierte und etwa ihre Universität liquidierte. Diese Politik schlug 1945 mit aller Härte gegen die Prager Deutschen zurück, die nun kollektiv für die Verbrechen des Dritten Reichs zur Verantwortung gezogen wurden.

Im Vertriebenendiskurs nach 1945 setzte sich die Vereinnahmung der deutschen Kultur in Prag durch die Sudetendeutsche Landsmannschaft fort. Nun wurden auch die jüdischen Träger deutscher Sprache und Kultur, etwa Franz Kafka, Max Brod und Egon Erwin Kisch, zu „Sudetendeutschen“ erklärt – nachdem völkische Ideologen aus dem sudetendeutschen Milieu vor 1939 häufig die „Verjudung“ Prags beklagt hatten. Hier wurde ignoriert, dass der Gebrauch der deutschen Sprache und deutsche Ethnizität nicht kongruent sein mussten, ganz im Gegenteil: Es gibt im östlichen Europa zahlreiche Beispiele aus dem Bereich der ehemaligen Habsburgermonarchie, in denen das Deutsche als Kultursprache verwendet wurde, ohne dass die betreffenden Personen sich in einem ethnischen oder nationalen Verständnis als „Deutsche“ empfinden mussten. Die überwiegend von jüdischen Protagonisten getragene deutschsprachige Literatur in Czernowitz/Černivci/Cernăuți, der Hauptstadt der Bukowina, bildet hierfür eine gute Vergleichsfolie.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Peter Becher, Jorg Krappmann, Manfred Weinberg, Steffen Hohne (Hrsg.): Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder. Stuttgart 2017.
  • Hartmut Binder: Prag. Literarische Spaziergänge durch die Goldene Stadt. Prag 2017.
  • Detlef Brandes, Alena Míšková (Hrsg.): Vom Osteuropa-Lehrstuhl ins Prager Rathaus. Josef Pfitzner 1901–1945. Essen 2013.
  • Gary B. Cohen: The Politics of Ethnic Survival: Germans in Prague, 1861–1914. West Lafayette 2006.
  • Peter Demetz: Prag in schwarz und gold. Sieben Momente im Leben einer europäischen Stadt. München, Zürich 1998 (im Original: Prague in Black and Gold. The History of a City. London 1998).
  • Johanna von Herzogenberg: Prag. Ein Führer. München, New York 91997.
  • Václav Ledvinka, Jiří Pešek: Prag. Praha 2001.
  • Ines Koeltzsch: Geteilte Kulturen. Eine Geschichte Der Tschechisch-jüdisch-deutschen Beziehungen in Prag (1918–1938). München 2012.
  • Bernard Michel: Histoire de Prague. Paris 1998.
  • Alena Míšková, Vojtěch Šustek (Hrsg.): Josef Pfitzner a protektorátní Praha v letech 1939–1945 [Josef Pfitzner und Prag unter dem Protektorat in den Jahren 1939–1945]. Praha 2000–2001.
  • Cynthia Paces: Prague Panoramas. National Memory and Sacred Space in the Twentieth Century. Pittsburgh PA 2009.
  • Jiří Padevět: Prag 1939–1945 unter deutscher Besatzung: Orte – Ereignisse – Menschen. Halle (Saale) 2021.
  • Jiří Padevět: Blutiger Sommer 1945: Nachkriegsgewalt in den böhmischen Ländern. Leipzig 2020.
  • Jiří Pešek: Od aglomerace k velkoměstu. Praha a středoevropské metropole 1850–1920 [Vom Ballungsgebiet zur Großstadt. Prag und die mitteleuropäischen Metropolen 1850–1920]. Praha 1999.
  • Jaroslaus Schaller: Beschreibung der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Prag sammt allen darinn befindlichen sehenswürdigen Merkwürdkeiten. Prag 1795 (3 Bde.).
  • Oskar Schürer: Prag. Kultur, Kunst, Geschichte. 3., veränderte Aufl., Prag 1935.
  • Jaroslava Staňková, Jiří Stursa, Svatopluk Voděra: Pražská architektura. Významné stavby jedenáctí století [Prager Architektur. Bedeutende Bauwerke aus elf Jahrhunderten]. Praha 1991.
  • Jan Vlk u. a. (Hgg.): Dějiny Prahy [Geschichte Prags]. Band 1: Od nejstarších dob do sloučeni pražských mést (1784) [Von der ältesten Zeit bis zur Zusammenlegung der Prager Städte (1784)]. Praha 1997; Band 2: Od sloučení mést v roce 1784 do současnosti [Von der Zusammenlegung der Städte 1784 bis zur Gegenwart]. Praha 1998.
  • Tobias Weger: Kleine Geschichte Prags. Regensburg 2013.

Periodika

  • Pražský sborník historický (The Prague Historical Review), 1964ff., herausgegeben vom Stadtarchiv Prag.
  • Český časopis historický (The Czech Historical Review), 1895ff.
  • Landesecho. Hg. von der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik, 1994ff.
  • Prager Zeitung, 1991–2016 als Print-Ausgabe, seither online: https://www.pragerzeitung.cz

Weblinks

Anmerkungen

[1] Vgl. Znaky a vlajka Prahy [Die Zeichen und die Fahne Prags], www.czechatlas.com/prague/symbols-of-town/ (26.03.2021). Siehe auch: Václav Vojtéšek: Znak hlav[ního] města Prahy/Les armes de la ville de Prague. Praha 1928.

[2] Vgl. K stržení pražských hradeb [Zur Schleifung der Prager Mauern]. In: Český lev. Pražské noviny předměstské, 2. Jg., Nr. 10, 15.04.1874, S. 1.

[3] Zu Karl IV. und seiner Zeit vgl. Markus Hörsche, Jiří Fajt (Hgg.): Kaiser Karl IV. 1316–2016. Ausstellungskatalog. Nationalgalerie Prag/Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Nürnberg 2016.

[4] Vgl. Andrea Strübind, Tobias Weger: Jan Hus. 600 Jahre Erste Reformation. München 2015 (Schriften des BKGE 60).

[5] Vgl. Jan Boris Uhlíř: Praha ve stínu hakového kříže [Prag im Schatten des Hakenkreuzes]. Praha 2005.

[6] Vgl. Jan Björn Potthast: Das jüdische Zentralmuseum der SS in Prag. Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main, New York 2002.

[7] Ernst Gamillscheg: Prag, Wien. Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte. Wien 2003, S. 223.

[8] Prag; de.wikipedia.org/wiki/Prag (26.03.2021).

[9] landesversammlung.cz/de/verband-der-deutschen-region-prag-und-mittelboehmen, 07.04.2021.

[10] www.kulturverband.org/?page_id=75&lang=cs>m, 07.04.2021.

[11] Vgl. Tobias Weger: Das „deutsche Prag“ – von der Beständigkeit eines Mythos. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 44 (2001), S. 197–218.

[12] Benannt nach dem cisleithanischen Ministerpräsidenten und k. k. Innenminister Kazimierz Feliks Badeni (1846–1909), der am 5. April 1897 in einer Sprachenordnung die Gleichberechtigung des Tschechischen und des Deutschen als Amtssprachen in den Böhmischen Ländern verfügte. Es ging um die „innere“ Amtssprache, sodass die deutschen Beamten auch Tschechisch hätten beherrschen müssen, was sie aber in der Regel nicht taten, während die tschechischen Beamten zweisprachig waren. Nach massiven Protesten der Deutschböhmen und -mährer, die einen Verdrängungswettbewerb tschechischer Beamter fürchteten, musste Badeni am 28. November 1897 von seinen Ämtern zurücktreten; seine Sprachenverordnung wurde sukzessive revidiert. Die „Badeni-Krise“ gilt als ein Schlüsselmomentum der deutschnationalen Mobilisierung in den Böhmischen Ländern. Vgl. Hans Mommsen: 1897. Die Badeni-Krise als Wendepunkt in den deutsch-tschechischen Beziehungen. In: Detlef Brandes (Hg.): Wendepunkte in den Beziehungen zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken 1848–1989 (Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission 14). Essen 2007, S. 111–118.

Zitation

Tobias Weger: Prag/Praha. In: Online-Wörterbuch zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2021. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32515 (Stand: 30.07.2021).

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