Heimatstuben

1. Genese

Begriffsgeschichte

Heimatstuben sind kleine Sammlungs- und Begegnungsstätten mit lokalgeschichtlichem Bezug. Sie bildeten sich Anfang des 20. Jahrhunderts als eine bescheidenere Form des Heimatmuseums in dörflichen Gemeinden heraus. Mitunter werden auch Heimatsammlungen oder -archive unter der Bezeichnung geführt. Die Größe, Bedeutung und Professionalität von Museen erreichen sie nicht, allerdings sind die Grenzen zwischen Heimatstuben und -museen fließend. Die Herkunft des Begriffes Heimatstube ist nicht eindeutig zu klären. Es ist anzunehmen, dass er in engem Zusammenhang mit den inszenierten Stubeneinrichtungen steht, die sich in kulturhistorischen Museen um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) großer Beliebtheit erfreuten, indem sie das „Sinnbild einer rückwärtsgewandten Sicht auf eine geschlossene Welt bäuerlicher und handwerklicher Harmonie“[1] darstellten. Nachweisbar ist die Bezeichnung Heimatstube seit Mitte der 1920er Jahre in Oberschlesien und Österreich sowie nur wenige Jahre später in der Schweiz. Im Deutschen Reich fand sie in den 1930er Jahren weitere Verbreitung, als das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung durch Reformen der steigenden Zahl an Neugründungen von Heimatmuseen entgegenzuwirken gedachte. Die Museen in den Kreisstädten sollten zu Heimathäusern umgestaltet werden, während die ‘volkserzieherische Arbeit' in den kleineren Orten durch Heimatstuben zu leisten sei. In der Zeit des Nationalsozialismus widmeten sich diese Einrichtungen oftmals der völkischen Propaganda und in Gebieten wie beispielsweise Oberschlesien besonders der Grenzlandthematik.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff in Baden als „neue Form der Heimatpflege – und der Gastlichkeit“[2] eingeführt und auch in der Deutschen Demokratischen Republik als Bezeichnung für kleine ortsbezogene heimatkundliche Sammlungen verwendet, die hauptsächlich auf privaten Initiativen beruhten. In der Bundesrepublik Deutschland entstand zudem eine Sonderform von Heimatstuben: die Sammlungs- und Begegnungsstätten der Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler. Thematisch bezogen sie sich auf Orte bzw. Regionen in den Herkunftsgebieten oder ganz allgemein auf eine konstruierte „ostdeutsche“ Heimat. Bundesweite Verbreitung fand die Bezeichnung 1953 mit der Herausgabe von Richtlinien zur Ausgestaltung von Patenschaften durch die kommunalen Spitzenverbände und die Landsmannschaften. Darin wurde als „Einzelmaßnahme“ auch die „Schaffung einer ‚Heimatstube‘ oder eines ‚Hauses‘ des ostdeutschen Partners“[3] vorgeschlagen. Die Untergliederung erfolgt zumeist nach dem Provenienzprinzip und spiegelt sich in den Bezeichnungen wie z. B. pommersche, ostpreußische, schlesische oder siebenbürgische Heimatstuben wider. Innerhalb dieser Gruppen wird unterteilt nach den einzelnen Orten, die den Fokus der Heimatsammlung bilden.

Träger, Gebrauch

Heimatstube war und ist – über die hier vorgestellte Sonderform hinaus – ein allgemein gebräuchlicher Begriff. Die Bezeichnung „Ostdeutsche Heimatstube“, die vorwiegend in Publikationen der Vertriebenenorganisationen als Sammelbegriff für alle Heimatstuben der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler benutzt wurde, gilt als diskussionswürdig. Rhetorisch erfolgte damit eine Vereinnahmung unterschiedlicher Herkunftsgebiete, die nicht primär als „ostdeutsch“ bezeichnet werden können, wie etwa Siebenbürgen oder Galizien. Zudem bezieht sich das Attribut „ostdeutsch“ im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr auf die ehemaligen Reichsgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze, sondern auf die neuen Bundesländer. Dennoch blieb das Begriffspaar für die Bezeichnung von Heimatstuben bestehen, an deren Trägerschaft zumeist mehrere Landsmannschaften beteiligt sind und die sich nicht auf ein bestimmtes Herkunftsgebiet festgelegt haben.

Fremdsprachige Entsprechungen

Polnisch: Regionalne izby pamięci. Ungarisch: Tájszoba. (Parallel zu den Entwicklungen in Deutschland entstehen seit 1994 ungarndeutsche Heimatstuben in Ungarn.)

2. Definition

Die Heimatstuben der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler sind ein weit verbreitetes Phänomen besonders in den westlichen Bundesländern, in denen mittlerweile über fünfhundert dieser semi-musealen Einrichtungen entstanden sind. In den östlichen Bundesländern richtete der Bund der Vertriebenen (BdV) seit 1990 weitere Heimatstuben ein, vorwiegend in Sachsen und Thüringen. Quantitativ liegen die Schwerpunkte jedoch in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, den Hauptaufnahmeländern für Flüchtlinge und Vertriebene der westlichen Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg.

In den 1950er und 1960er Jahren galten die Heimatstuben in den Kreisen der organisierten Flüchtlinge und Vertriebenen Westdeutschlands als Symbol der ‘Heimattreue‘. Sie stellten zunächst ein Interim dar, das zur Sammlung des materiellen Kulturgutes sowie zur Förderung landsmannschaftlicher Verbundenheit dienen sollte, u. a. mit dem Ziel, möglichst auf eine baldige Rückkehr vorbereitet zu sein. Von Seiten der westdeutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen, die diese Stuben unterstützten, sollten sie jedoch vielmehr der Integration und Beheimatung dienen und im Kontext der Patenschaftsinitiativen die Bereitschaft zur Aufnahme der ‘Neubürger‘ signalisieren. In diesem Zusammenhang war Ihnen die Funktion als Begegnungsstätte zwischen Einheimischen und Flüchtlingen bzw. Vertriebenen zugedacht. Das Angebot wurde von den ‘Altbürgern‘ jedoch kaum wahrgenommen; die Betroffenen blieben meist unter sich. In den 1970er und 1980er Jahren trat dieser integrierende Aspekt weiter in den Hintergrund. Die Heimatstuben entwickelten sich vielmehr zu ‘Rückzugsgebieten‘ der Vertriebenenorganisationen, in denen ihre Position als Opfergruppe betont und konträr zur allgemeinen bundespolitischen Entwicklung weiterhin Anspruch auf die „verlorenen Gebiete“ erhoben wurde. Aufgrund des Rückganges der Erlebnisgeneration nahm ihre Bedeutung als Begegnungsstätte für die Betroffenen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ab. Gegenläufig dazu vergrößerten sich jedoch die Sammlungsbestände etwa durch Nachlassauflösungen; die Heimatstuben entwickelten sich vielfach zu „Deponien der Erinnerung“ (E. Fendl).

Gegenwärtig sind die Heimatstuben oft nur bedingt zugänglich, werden zuweilen noch als Treffpunkte genutzt oder befinden sich in einer Phase der Umgestaltung von eigenständigen Einrichtungen zu Ausstellungsbereichen in stadt- und regionalgeschichtlichen Museen, die sich mit der Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler befassen.

3. Kontroversen

Die staatliche Unterstützung der Heimatstuben in der Bundesrepublik Deutschland ist auch im Kontext der bis in die 1960er Jahre hinein angestrebten Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 zu sehen. Da sich die bundesrepublikanischen Heimatstuben auf Orte und Regionen bezogen, die zur damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und mit der Anerkennung der neuen Grenze im Görlitzer Abkommen seit 1950 zur Volksrepublik Polen und der Sowjetunion gehörten, galten sie in der DDR offiziell als Teil eines "ausgedehnten System[s] von Schulungs- und Begegnungsstätten der Revanchistenverbände".[4] Insofern bildeten die Heimatstuben einen Bestandteil der Ost-West-Konfrontation jener Zeit. Sie waren aber auch innerhalb der Bundesrepublik aufgrund der heimatpolitischen Ambitionen ihrer Initiatoren bereits seit Ende der 1950er Jahre teilweise umstritten. Die gesellschaftspolitische Wirkung der Begegnungsstätten kann allerdings, wie E. Fendl feststellt, als eher gering eingeschätzt werden.

Die Bewertung der Sammlungsbestände und somit die Perspektiven für eine zukünftige Nutzung der Heimatstuben variieren. Während viele Betreuer und Betroffene von ihrer Bedeutung für die Geschichtsschreibung überzeugt sind, sehen Museumsmitarbeiter, Archivare, Volkskundler und Historiker die Sammlungen eher kritisch und ordnen das Phänomen der Erinnerungskultur zu. Mitunter wird den Beständen ein begrenzter Quellenwert hinsichtlich der Regional- und Lokalgeschichte in den Herkunftsgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa zugeschrieben, allerdings mit der Einschränkung, dass der Fokus auf die ehemalige deutschsprachige Bevölkerung gerichtet war. Ethnisch oder religiös unterschiedliche Nachbarn ebenso wie die Zeit des Nationalsozialismus blieben überwiegend ausgeblendet. Der Option, die Materialien ungeachtet dessen im Sinne der Ergänzung in die lokalen Museen der Herkunftsgebiete zu überführen, stehen viele Betreuer und Verbände ablehnend gegenüber.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Mathias Beer: Heimatmuseum – Eine Bestandsaufnahme. In: Annemarie Röder (Hg.): Heimat – Annäherungsversuche. Stuttgart 2007, S. 54-62.
  • Kurt Dröge: Das "ostdeutsche" Museum und Ostmitteleuropa. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 43 (2000), S. 1-27.
  • Cornelia Eisler: Verwaltete Erinnerung - symbolische Politik. Die Heimatsammlungen der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler. München 2015 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 57).
  • Elisabeth Fendl: Deponien der Erinnerung – Orte der Selbstbestimmung. Zur Bedeutung und Funktion der Egerländer Heimatstuben. In: Hartmut Heller (Hg.): Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. Erlangen 2002 (Erlanger Forschungen, Reihe A, Geisteswissenschaften 95), S. 63-78.
  • Utz Jeggle: Kaldaunen und Elche. Kulturelle Sicherungssysteme bei Heimatvertriebenen. In: Dierk Hoffmann, Marita Krauss, Michael Schwartz (Hg.): Vertriebene in Deutschland: interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven. München 2000 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Sondernr.), S. 395-407.
  • Siegfried Lenz: Heimatmuseum. Roman. Hamburg 1978.
  • Alfons Perlick: Die Ostdeutschen Heimatstuben und Heimatsammlungen in Nordrhein-Westfalen. Geschichte, Aufgaben, Berichte. Im Auftrage des Arbeits- und Sozialministeriums. Düsseldorf 1964.
  • Martin Roth: Heimatmuseum: zur Geschichte einer deutschen Institution. Berlin 1990 (Berliner Schriften zur Museumskunde 7).
  • Manuela Schütze: "Elchkopf und Kurenwimpel". Zur musealen Aneignung verlorener Heimat in ostdeutschen Heimatstuben nach dem Zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein. Neumünster 1998 (Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins 37).
  • Ulrich Tolksdorf: Heimatmuseen, Heimatstuben, Heimatecken. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 26 (1983), S. 338-342.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Martin Roth: Heimatmuseum: zur Geschichte einer deutschen Institution. Berlin 1990 (Berliner Schriften zur Museumskunde 7), S. 217.

[2] Emil Baader: Badische Heimatstuben. Neue Wege ländlicher Kulturpflege, Stätten der Besinnung zwischen Bodensee und Mainz. In: Badische Heimat. Ekkhart. Jahrbuch für das Badner Land (1960), S. 120-141, hier S. 120.

[3] Alfons Perlick: Das West-Ostdeutsche Patenschaftswerk in Nordrhein-Westfalen. Geschichte, Berichte und kulturelle Aufgaben. Mit einem Verzeichnis der west-ostdeutschen Patenschaften in der Bundesrepublik. Düsseldorf 1961 (Schriftenreihe für die Ost-West-Begegnung, Kulturheft Nr. 38), S. 174.

[4] Werner Flach, Christa Kouschil: Kreuzritter in Trachten. Organisierter Revanchismus in der BRD. Leipzig 1984, S. 41.

Zitation

Cornelia Eisler: Heimatstuben. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2011. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32746 (Stand: 28.01.2015).

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie:

Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.

(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page