Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung - Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Marburg

1. Kurzbeschreibung der Institution

Bild


Das Herder-Institut, Direktion und Bibliothek/
Sammlungen. [Foto: Herder-Institut, W. Schekanski]

Das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung - Institut der Leibniz-Gemeinschaft wurde am 29. April 1950 als 'Johann Gottfried Herder-Institut' in Marburg gegründet, ebenfalls geläufig war die Version 'Johann-Gottfried-Herder-Institut'. Ab Januar 1994 hieß es 'Herder-Institut e. V.', bevor es im Februar 2012 seinen heutigen Namen erhielt. Nach wie vor sind 'Herder-Institut' und 'HI' gängige Bezeichnungen. Seit 1952 ist das HI auf dem Marburger Schlossberg untergebracht; 1953 und 1956 wurden dort zusätzliche Gebäude einbezogen. Mit dem 1973 eröffneten Neubau des Archiv- und Bibliotheksgebäudes erhielt es seine heutige räumliche Ausstattung.[1] Ende 2011 arbeiteten am HI 85 Personen, davon 75 im Bereich der Forschung und der wissenschaftlichen Dienstleistungen.

2. Aufgaben

Das HI wurde zeitgleich mit seinem Trägerverein, dem Johann Gottfried Herder-Forschungsrat (HFR), gegründet. Es bekam die Aufgabe übertragen, als "Sammelstätte wissenschaftlicher Arbeiten und Arbeitsmittel […] die Hilfsmittel für die neue deutsche Ostforschung zu sammeln und bereitzustellen".[2]

1994 wurde das HI aus der Trägerschaft des HFR herausgelöst und ist seitdem als Verein eine eigenständige wissenschaftliche Einrichtung. Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft wird es im Rahmen der gemeinsamen Bund-Länder-Forschungsförderung gemäß Art. 91b GG von der/dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst finanziert.

Die Tätigkeit des HI verteilt sich heute auf vier Abteilungen: a) Verwaltung; b) Wissenschaftsforum: Forumsfunktion / Projektarbeit / Nachwuchsförderung / Stipendienprogramm / Publikationstätigkeit in eigenem Verlag; c) Wissenschaftliche Sammlungen: Bildarchiv mit Bildträgern aller Art - außer Gemälden - zur Topografie sowie Kunst- und Kulturgeschichte Ostmitteleuropas / Kartensammlung mit Kartenblättern, Altkarten und Senkrechtluftbildern / Dokumentesammlung überwiegend zur Geschichte des Baltikums mit Nachlässen, Familienarchiven und Akten gesellschaftlicher Organisationen; d) Forschungsbibliothek: Bibliografieportal / Zeitungs- und Zeitungsausschnittsammlung / Musiksammlung / Bibliothek.

Die Arbeitsergebnisse werden in Form von Tagungen, Ausstellungen, Hilfsmitteln für die Wissenschaft sowie eigenen Forschungsleistungen präsentiert. Arbeitsgebiet sind die heutigen Staatsgebiete von Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei und Tschechien sowie die russische Exklave Kaliningrad, gelegentlich auch Teile der Ukraine, Ungarns und Weißrusslands.

Am HI wird die Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung herausgegeben (von ihrer Gründung 1952 bis 1994 unter dem Titel Zeitschrift für Ostforschung); im Verlag des HI erscheinen außerdem vier Schriftenreihen.

3. Organisation

Das HI verfügt als Verein über vier Organe: Der dreiköpfige Vorstand besteht aus dem/der Direktor/in als Geschäftsführendem Vorstandsmitglied, einem/einer weiteren leitenden wissenschaftlichen Mitarbeiter/in als dessen/deren Stellvertreter/in sowie einem auswärtigen Vorstandsmitglied. Das zehnköpfige Kuratorium überwacht die Geschäftsführung und nimmt maßgeblichen Einfluss auf die inhaltliche und personelle Entwicklung des HI.

Bild


Das Herder-Institut, Vortragssaal, Verlag und
Verwaltung. [Foto: Herder-Institut, W. Schekanski]

Der sechs- bis achtköpfige Wissenschaftliche Beirat berät Vorstand und Kuratorium in wissenschaftlichen Fragen. In der für Satzungsfragen und die Entlastung des Vorstandes zuständigen Mitgliederversammlung sind derzeit 18 Institutionen und Fachgesellschaften vertreten, darunter der HFR. Der/Die Direktor/in des HI ist seit 2007 zugleich Professor/in an der Justus-Liebig-Universität Gießen und wird in einem gemeinsamen Verfahren berufen. Das Direktorenamt bekleideten bisher Werner Essen (1950–1951), Erich Keyser (1951–1959), Hellmuth Weiss (1959–1965), Richard Breyer (amtierender Direktor 1966–1972), Roderich Schmidt (1972–1990), Hugo Weczerka (1990–1995), Hans-Jürgen Karp (amtierender Direktor 1995), Eduard Mühle (1995–2005), Winfried Irgang (amtierender Direktor 2005–2007) und Peter Haslinger (seit April 2007).

4. Geschichte

Bis ungefähr Mitte der 1960er Jahre folgte das HI (in Einklang mit dem HFR) in Methodik und Programmatik weitgehend der Ostforschung der 1920er und 1930er Jahre, indem es sich auf Grenzfragen, Volkstumsforschung und den deutschen Anteil an der Geschichte Ostmitteleuropas konzentrierte, wenn auch unter Verzicht auf offen rassistische Argumentationsmuster.[3] Seit 1967 entspann sich eine langwierige Debatte über die institutionell-rechtliche Struktur des HI, wobei u. a. die Umwandlung in eine Stiftung oder in eine Bundesanstalt erwogen wurde.[4] Mit der 1977 erfolgten Aufnahme des HI in die gemeinsame Bund-Länder-Förderung ("Blaue Liste", seit 1997 "Leibniz-Gemeinschaft") wurde zwar eine gewisse staatliche Einflussnahme festgeschrieben, zugleich aber auch die Fortführung der Trägerschaft durch den HFR gesichert. 1994 wurde als Folge einer Evaluierung durch den Wissenschaftsrat das HI aus der Trägerschaft des HFR herausgelöst und als Verein rechtlich. verselbstständigt. Es verstand sich nun als Serviceeinrichtung der historischen Ostmitteleuropaforschung. Seit Mitte der 2000er Jahre wird wieder eine Stärkung des Forschungsanteils angestrebt, soweit dies die Verpflichtungen im Rahmen der wissenschaftlichen Infrastruktur zulassen.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Hugo Weczerka: Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat und Johann-Gottfried-Herder-Institut: Entstehung und Entwicklung eines Verbundes der Ostmitteleuropaforschung. In: Erwin Oberländer (Hg.): Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990. Stuttgart 1992 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 35), S. 256-275.
  • Hans Lemberg: Das Herder-Institut auf dem Wege. Vom Institut des J. G. Herder-Forschungsrates zum Herder-Institut e.V. In: Hugo Weczerka (Hg.): Aspekte der Zusammenarbeit in der Ostmitteleuropa-Forschung. Tagung des Herder-Instituts und des J. G. Herder-Forschungsrates am 22./23. Februar 1994. Marburg 1996 (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung 1), S. 101-106.
  • Dorothee M. Goeze, Peter Wörster (Hg.): Die Dokumentesammlung im Herder-Institut. Geschichte und Profil. 4. Aufl., Marburg/Lahn 2012.

Schriftenreihen und Periodika

  • Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung (bis 1994 Zeitschrift für Ostforschung)
  • Studien zur Ostmitteleuropaforschung (bis 2011 Studien und Materialien zur Ostmitteleuropa-Forschung)
  • Tagungen zur Ostmitteuropaforschung
  • Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas
  • Materialien zur Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas

Anmerkungen

[1] Weczerka: Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat und Johann-Gottfried-Herder-Institut, S. 260, 266.

[2] Erich Keyser: Der Johann Gottfried Herder-Forschungsrat und das Johann Gottfried Herder-Institut. In: Zeitschrift für Ostforschung 1 (1952), S. 101-106, hier S. 104.

[3] Eduard Mühle: 'Ostforschung'. Beobachtungen zu Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 46 (1997), S. 317-350, hier S. 336-344.

[4] Thekla Kleindienst: Die Entwicklung der bundesdeutschen Osteuropaforschung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik. Marburg 2009 (Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung 22), S. 119-122.

Zitation

Christoph Schutte: Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung - Institut der Leibniz Gemeinschaft. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2012. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32816 (Stand 02.06.2015).

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie:

Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.

(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page