Magdeburger Recht

1. Definition und Begrifflichkeit

Als Magdeburger Recht wird keine konkrete Kodifikation, sondern ein im Einzelfall sehr variables Konglomerat von Normen und Rechtsvorstellungen bezeichnet, das ausgehend von Magdeburg die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtsordnungen Mittel- und Osteuropas entscheidend mitgeprägt hat. Es wird darunter erstens die mittelalterliche Magdeburger Stadtverfassung und ihre Aufzeichnung in einer Reihe von Texten des 13. und 14. Jahrhunderts, zweitens die rechtsberatende Tätigkeit des Magdeburger Schöppenstuhls sowie drittens die juridische und gesetzgeberische Orientierung an beidem in Rechtspraxis und Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters und der Neuzeit verstanden. In der konkreten Überlieferung geht diese Rezeption häufig untrennbar einher mit einer ähnlichen Aufnahme des Sachsenspiegels Eikes von Repgow aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Deshalb sprechen die zeitgenössischen Quellen neben ius Maideburgense häufig auch von ius teutonicum oder ius saxonicum, während die moderne Forschung sich regelmäßig der Wendung sächsisch-magdeburgisches Recht bedient, um diese enge Verbindung zu betonen.

2. Zur Geschichte des Magdeburger Rechts

Dass es in Magdeburg bereits am Ende des 12. Jahrhunderts eine normierte Gerichtsverfassung gegeben haben muss, belegt ein Privileg Erzbischof Wichmanns aus dem Jahr 1188. Aufzeichnungen dieser Normen existieren aber keine. Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts entsteht dann das sog. Magdeburger Weichbildrecht als 'private' Aufzeichnung geltender Rechtsgewohnheiten und entwickelt sich bis zum Ende des Jahrhunderts zu seiner vulgaten Form, der sog "Weichbildvulgata", die in der handschriftlichen Überlieferung häufig zusammen mit der zwischen 1235 und 1250 entstandenen "Weichbildchronik" auftritt. Diese weit verbreitete vulgate Verkehrsform wird seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, ebenso wie auch der Sachsenspiegel, glossiert und erfährt Übersetzungen ins Lateinische, Polnische und Tschechische. Spätestens seit dieser Zeit ist das Magdeburger Recht als zentrale Rechtsaufzeichnung der 'Länder sächsischen Rechts' akzeptiert. Dieser unscharfe geographische Raum wird durch zahlreiche Bewidmungen von Städten in Mittel- und Osteuropa durch das gesamte Mittelalter hindurch stetig erweitert und beeinflusst auch herrschaftliche Kodifikationen. Mancherorts (z. B. in der Ukraine und in Kiew/Kyjiv) hat sich dieser Einfluss bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein entfaltet.

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Das sächsisch-magdeburgische Recht in Ost- und Mitteleuropa.
Basiskarte des Untersuchungsgebiets (Inge Bily, Konrad Großer, Patricia Mund). [Kartenbeilage I
zu: Inge Bily, Wieland Carls, Katalin Gönczi: Sächsisch-magdeburgisches Recht in Polen.
Untersuchung zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache. Berlin, Boston 2011 (IVS SAXONICO-
MAIDEBVRGENSE IN ORIENTE 2). Karteninhalt: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig,
Kartografie: Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig www.ifl-leipzig.de]

Bei strittigen Rechtsfragen stellten die mit Magdeburger Recht bewidmeten Städte regelmäßig Anfragen an den Magdeburger Schöppenstuhl oder eine 'Tochterstadt', die ihrerseits die Funktion eines Oberhofes übernahm (z. B. Krakau/Kraków, Breslau/Wrocław, Olmütz/Olomouc, Troppau/Opava etc.). Die Rechtsauskünfte des Magdeburger Schöppenstuhls sind während der Eroberung Magdeburgs durch den kaiserlichen Feldherrn Johann von Tilly (1559–1632) im Jahre 1631 wohl verbrannt. Am 1940 in Magdeburg gegründeten Institut zur Erforschung des Magdeburger Stadtrechts wurde daher unter der Leitung von Theodor Goerlitz (1885–1949) versucht, diese in großer Zahl überlieferten Sprüche auf Empfängerseite zu sammeln; mit Schließung des Instituts 1945 endete das Unternehmen. Einen zweiten Anlauf in diese Richtung hat dann in den 1980er Jahren Friedrich Ebel (1944–2005) unternommen, von den geplanten neun sind allerdings nur zwei Bände erschienen.

3. Magdeburger Recht als europäischer Erinnerungsort

Seit dem 19. Jahrhundert gilt das Magdeburger Recht mit seiner Verbreitung bis nach Weißrussland, in die Ukraine und ins Baltikum hinein neben dem Lübischen Recht als Paradebeispiel für "deutsches Recht im Osten". Entsprechend anfällig ist seine Erforschung stets für ideologische Vereinnahmung gewesen. Dabei ignorierte man in der Regel den Umstand, dass das Magdeburger Recht auch in solchen Gebieten rezipiert wurde, die gar nicht von der sog. Ostsiedlung betroffen gewesen waren (z. B. Podolien, Wolhynien und später die Ukraine).

Nachdem die Erforschung des Magdeburger Rechts während des Kalten Krieges auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges nur sehr zurückhaltend betrieben wurde, hat sie in den letzten Jahrzehnten neuen Aufschwung genommen, nun unter den Vorzeichen einer Europa übergreifenden, gemeinsamen Rechtstradition, die Ost und West miteinander verbindet. Das hat auch in der öffentlichen Erinnerung Spuren hinterlassen: 1999 feierte die Stadt Kiew, wo schon seit 1808 ein Denkmal an die Bewidmung der Stadt mit Magdeburger Recht 1494/97 erinnert, dessen 500. Jubiläum, 2006 wurde ein entsprechendes 650-jähriges Jubiläum im ukrainischen Lemberg/L'viv, 2008 das 600-jährige Jubiläum im litauischen Kauen/Kaunas begangen. In Krakau wurde 2007 anlässlich des 750. Jahrestages eine Ausstellung über "Krakau als europäische Stadt des Magdeburger Rechts" (Kraków europejskie miasto prawa magdeburskiego, 1257-1791) inszeniert, in Magdeburg war ein Jahr zuvor die Wanderausstellung Sachsenspiegel und Magdeburger Recht. Grundlagen für Europa mit Stationen in Halle, Brüssel/Bruxelles und Warschau/Warszawa gestartet. Wissenschaftlich begleitet werden diese Entwicklungen durch Neuerscheinungen mit entsprechenden Buchtiteln, die ebenfalls besonders die europäischen Dimensionen betonen. Viele dieser Arbeiten stehen in Verbindung mit dem groß angelegten Forschungsprojekt Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Friedrich Ebel (Hg.): Magdeburger Recht. 2 Bde. in 3 Teil-Bden. Köln u. a. 1983, 1989, 1995 (Mitteldeutsche Forschungen 89).
  • Ernst Eichler, Heiner Lück (Hg.): Rechts- und Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa. Sachsenspiegel und Magdeburger Recht. Berlin 2008 (IVS saxonico-maidebvrgense in Oriente 1).
  • Katalin Gönczi: Städte des Magdeburger Rechts in Osteuropa. In: Susanne Ehrich, Jörg Oberste (Hg.): Städtische Räume im Mittelalter. Regensburg 2009 (Forum Mittelalter 5), S. 181-193.
  • Krakow: europejskie miasto prawa magdeburskiego [Krakau als europäische Stadt des Magdeburger Rechts] 1257–1791 (Ausstellungskatalog). Krakau 2007.
  • Rolf Lieberwirth: Das sächsisch-magdeburgische Recht als Quelle osteuropäischer Rechts­ord­nungen. Berlin 1986 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 127/1).
  • Heiner Lück, Matthias Puhle, Andreas Ranft (Hg.): Grundlagen für ein neues Europa. Das Magdeburger und Lübecker Recht in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Köln u. a. 2009 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 6).
  • Renate Schelling: Magdeburger Schöffensprüche und Magdeburger Weichbildrecht in urkundlicher und handschriftlicher Überlieferung. In: Matthias Puhle (Hg.): Hanse - Städte - Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500, Aufsatzband. Magdeburg 1996 (Magdeburger Museumsschriften 4/1), S. 118-128.
  • Dietmar Willoweit, Winfried Schich (Hg.): Studien zur Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Deutschland und Polen. Frankfurt/M u. a. 1980 (Rechtshistorische Reihe 10).

Weblink

Zitation

Hiram Kümper: Magdeburger Recht. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2012. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32868 (Stand 06.03.2012).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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