Assimilation

1. Definition

Dem Begriff „Assimilation“ begegnet man in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen: in der Biologie, der Linguistik, der Petrologie, der Psychologie, der Geschichtswissenschaft und der Soziologie. Die Definitionen des Begriffs in den jeweiligen Disziplinen differieren abhängig von deren fachlichen Schwerpunkten: Die Geschichtswissenschaft befasst sich zum Beispiel im Rahmen der historischen Migrationsforschung mit Assimilation.

In der Soziologie bezeichnet der Begriff „Assimilation“ ein Ähnlich-Werden aufgrund von Angleichungs- und Anpassungsprozessen. Genauer betrachtet geht es um Angleichungsprozesse eines Individuums oder einer Gruppe an die soziale Umgebung durch die Übernahme herrschender Verhaltensweisen und Einstellungen. Die sich parallel zur Assimilation vollziehende Aufgabe der bisherigen soziokulturellen Prägung bezeichnet man als „Dissimilation“. Im politisch-soziologischen Sinn ist Assimilation die Angleichung an Wertvorstellungen. Sie umfasst die Enkulturation und das als Akkulturation bezeichnete Erlernen kultureller Zeichensysteme und Praktiken. Assimilation ist ein wesentlicher Faktor des Wachstums von Stammesgruppen, Völkern sowie Sprach- und Religionsgemeinschaften.

2. Genese

Träger, Gebrauch

In der Antike bedeutete der Begriff „Assimilation“ Erkenntnis infolge der Angleichung des Erkennenden an das Erkannte; dieser Ansatz wurde bis in die Neuzeit tradiert.[1] Während 1892 das Brockhaus-Konversationslexikon „Assimilation“ als einen Fachterminus insbesondere der Biologie und der Linguistik verstand und Meyers Lexikon von 1936 dieser Definition folgte, erscheint der Begriff im Großen Brockhaus von 1952 auch als Fachbegriff der Soziologie. In der Zeit des Nationalsozialismus war „Assimilation“ als soziologischer Begriff negativ konnotiert, da es galt, die Exklusivität des eigenen Volkes hervorzuheben. „Assimilation“ war inhaltlich eng an das Konzept „(ein) Raum und Volk“ gebunden.[2]

Nach dem Zweiten Weltkrieg drangen die Erkenntnisse angelsächsischer Soziologie mit ihren Kontroversen um zwei Konzepte nach Europa: das der melting pot policy der USA gegenüber Immigranten und das des salad bowl concept Kanadas. Sie belebten die Diskussionen im Fach genauso wie die Interpretation der jüdischen Assimilation zum Beispiel in Deutschland und in Ungarn. Im Verständnis der US-amerikanischen Forschung war Assimilation ein natürliches und am Ende stehendes Ergebnis der Zuwanderung, die Amerikanisierung. Assimilation war in den USA also bis in die 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts positiv konnotiert.[3] In der Bundesrepublik Deutschland wurde Assimilation in den 1950er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiver diskutiert, unterschrieb doch 1951 der damals junge deutsche Staat die Genfer Flüchtlingskonvention, die 1954 in Kraft trat, und es ging um den Umgang mit Zuwanderern angesichts der Komplexität deutsch-preußischer Geschichte.

Dabei erschien die Unterscheidung zwischen Assimilation und Assimilierung als wichtig: „Assimilation“ wurde als nationale Angleichung im Sinne einer fortschreitenden Aufgabe des eigenen Volkstums verstanden. Als Verfechter einer auf Assimilation gerichteten Politik galten damals Großbritannien und Frankreich. Unter „Assimilierung“, genauer „sozialer Assimilierung“, verstand man den Ablauf der verschiedenen Formen der sozialen Eingliederung von Zuwanderern in eine Gesellschaft; man war bemüht, für diese Prozesse die Bezeichnung „Anpassung“ zu verwenden.

Im Zusammenhang mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, besonders anfangs der 1970er Jahre, diskutierte man Assimilation sehr kritisch und belegte den Begriff pejorativ als eine durch forcierte Integrationspolitik bewirkte „Zwangsgermanisierung“.[4] Diese Indienstnahme des Terminus in der politischen Rhetorik besteht nach wie vor; sie verhalf im öffentlichen Diskurs dem Begriff „Integration“ als Umschreibung des Verhältnisses zwischen Zuwanderern und der einheimischen deutschen Bevölkerung zum Erfolg. Auch unter (Rechts-)Historikern etablierte sich bereits in den 1970er Jahren eine kritische Perspektive auf Assimilationsprozesse, die – zumal aus der österreichischen Tradition eines Vielvölkerstaates heraus – als eine Gefahr, beispielsweise für den Erhalt der Muttersprache, gesehen wurden.[5] Aktuell ist in der Geschichtswissenschaft die Tendenz zu beobachten, zum einen Assimilation mit Integration gleichzusetzen,[6] zum anderen Assimilation als einen parallelen Prozess zur Akkulturation aufzufassen, wobei eine klare Unterscheidung dieser beiden Begriffe fehlt.[7]

Fremdsprachige Entsprechungen

Im Englischen und im Französischen entsprechen die Begriffe der „(sozialen) Assimilierung“ dem der „accommodation“; „assimilation“ hingegen bedeutet „Assimilation“ im Sinne einer vollständigen nationalen Angleichung.[8]

3. Soziologische Theorien der Assimilation

Wilhelm Emil Mühlmann (1944, 1964), obwohl gegenwärtig wegen seiner NS-Verstrickung diskreditiert, vermittelte doch lange nach 1945 als Volkskundler seine Auffassungen zur Assimilation und prägte damit die deutsche Soziologiestudentenschaft. Mühlmann verstand unter Assimilation einen Übergang kleinerer oder größerer Teile eines bestimmten „Volkstums“ in die Eigenart eines anderen Volkes, verbunden mit einem Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung. Mühlmann wies auf das Phänomen einer „pseudologischen Gleichsetzung mit Fremdgruppen“ hin und suchte damit nach Mechanismen einer freiwillig forcierten Assimilation.

Nach Ronald Taft (1957) ist Assimilation ein Prozess, in dem ein Individuum seine Mitgliedschaft zwischen zwei unterschiedlichen sozialen Gruppen transferiert. Indikatoren dieser Mitgliedschaft sind: beiderseitige Kommunikationsbereitschaft, Normen- und Wertekonsens, Akzeptanz von Rollenanforderungen und die Identifikation mit der Gruppe. Taft unterscheidet drei Formen der Assimilation: (a) pluralistische Assimilation: kultureller Pluralismus, bei dem verschiedene Kulturen nebeneinander bestehen; (b) interaktionistische Assimilation: Angleichung von zwei Gruppen, bei der das Individuum teilweise seine ursprüngliche Identität behält; (c) monistische Assimilation: Das Individuum geht vollständig in einer neuen Gruppe auf und gibt die Zugehörigkeit zu seiner alten Gruppe auf.

Milton M. Gordon (1964) arbeitet ausgehend vom Paradigma der Klassengesellschaft sieben unterschiedliche Zustände von Assimilation aus, die nicht als ihre Stufen, sondern als verschiedene Vollzugsebenen zu verstehen sind: (a) kulturelle oder verhaltensmäßige Assimilation, (b) strukturelle Assimilation, (c) interethnische (dabei auch die eheliche) Assimilation, (d) identifikative Assimilation, (e) Assimilation von Einstellungen und Werthaltungen (attitude receptional Assimilation), (f) Verhaltensassimilation (behavior receptional assimilation) und (g) zivile (bürgerlich-politische) Assimilation. Gordon ist zu verdanken, dass er die kulturelle Assimilation, also die Akkulturation, von Assimilation als sozialem Prozess unterschied; er verortete diesen Prozess zwischen dem kulturellen Verhalten und den sozialstrukturellen Rahmenbedingungen dafür.

Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1970) geht weniger auf die Unterschiede zwischen Assimilation, Akkulturation und Integration ein; vielmehr hebt er bei der Assimilation die Teilhabe der Einwanderer an der Kultur der Aufnahmegesellschaft hervor, also die Teilhabe an der Sprache, den Normen, der Wertorientierung und ähnlichem. Er bemüht sich weniger, „Assimilation“ als Terminus unter anderen Termini zu positionieren, sondern ist um Inhalte bemüht, die den Begriff „Assimilation“ füllen. Hoffmann-Nowotny setzt für Assimilation eine erfolgreiche Akkulturation und Integration voraus: Aus einem Lernprozess, welcher die Persönlichkeitsstruktur umwandelt, könne vollständige Assimilation resultieren. Diese sei von der Interaktion zwischen der Mehrheitsgesellschaft und dem Individuum oder der Gruppe, die sich assimilieren, abhängig.

Den Überlegungen von Hartmut Esser (1980) und Paul B. Hill (1984) lassen sich mehrere Dimensionen der Assimilation entnehmen, die Annette Treibel (2008) zusammenfasst: (a) kognitive Assimilation, welche Kenntnisse über die neue Umwelt, vor allem Sprachkenntnisse, voraussetzt; (b) strukturelle Assimilation, die auf eine berufliche Eingliederung hinausläuft; (c) soziale Assimilation, die interethnische Kontakte voraussetzt; und (d) identifikative als gefühlsmäßige Assimilation, die einen Identitätswandel impliziert.

John W. Berry (1980) geht von der Akkulturation als zentralem Prozess im Verhältnis Zuwanderer – Einheimischer aus. Er versteht Assimilation als Ergebnis von Akkulturation, wenn das Individuum seine ursprüngliche kulturelle Identität aufgibt und eine positive Beziehung zu der Zuwanderungskultur wünscht. Neben Assimilation unterscheidet Berry weitere mögliche Ergebnisse der Akkulturation: Die gleichzeitige Bindung an die Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft nennt er Integration, die Reduktion auf die eigene Gruppe heißt bei ihm Segregation und keine erkennbare Identifikation mit einer der Gruppen eine Marginalisierung.

4. Kontroversen

In den letzten Jahren wird das Konzept „Assimilation“ vor allem im Zusammenhang mit Integrationsdebatten und zunehmend kritisch diskutiert.

Jutta Aumüller (2009) blickt aus primär begriffsgeschichtlicher Perspektive auf Assimilation und Integration und setzt beide Termini zueinander in Beziehung. Sie stellt fest, dass deren Bedeutungen stark divergieren und von der Verwendung der Begriffe durch einzelne Autoren abhängen.[9]

Ähnlich wie zum Beispiel Klaus Bade und Dirk Hoerder mit Blick auf die historische Migrationsforschung stellt Anna Amelina (2013) in Frage, ob Assimilation überhaupt noch eine „geeignete Denkfigur“ sei. Sie konstatiert, der Assimilationsbegriff sei – gerade wegen der ihm anhaftenden Konzeption eines „nationalstaatlichen Containers“ – nicht in der Lage, Inkorporationsmöglichkeiten von transnationalen Migranten in einer neuen Umgebung Rechnung zu tragen, und sie schlägt vor, auf diesen Terminus bei transnationaler Betrachtung von Migration zu verzichten.[10]

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Jutta Aumüller: Assimilation. Kontroversen um ein migrationspolitisches Konzept. Bielefeld 2009.
  • John W. Berry: Acculturation as a variety of adaptation. In: Amado M. Padilla (Hg.): Acculturation. Theory, models and some new findings. Boulder 1980, S. 9–25.
  • Hartmut Esser: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse. Darmstadt 1980.
  • Özekan Ezli, Andreas Langenohl, Valentin Rauer, Claudia Marion Voigtmann (Hg.): Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität. Bielefeld 2013.
  • Alex von Gagern: Assimilation/Dissimilation. In: Joachim Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1. Darmstadt 1971, Sp. 546f.
  • Paul B. Hill: Determinanten der Eingliederung von Arbeitsmigranten. Königstein 1984 (Materialien zur Arbeitsmigration und Ausländerbeschäftigung 10).
  • Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny: Migration. Ein Beitrag zu einer soziologischen Erklärung. Stuttgart 1970.
  • Berthold Löffler (Hg.): Integration in Deutschland. Zwischen Assimilation und Multikulturalismus. München 2011.
  • Annette Treibel: Migration. In: Nina Baur, Hermann Korte, Martina Löw, Markus Schroer (Hg.): Handbuch Soziologie,. Wiesbaden 2008, S. 295–318.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Albert Schirrmeister: Assimilation und Negation. Antikes Traumwissen in neuzeitlichen Wissenschaften. In: Georg Toepfer, Hartmut Böhme (Hg.): Transformationen antiker Wissenschaften. Berlin 2010, S. 93–144.

[2] Vgl. Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten. 2. durchges. u. verb. Aufl. Göttingen 2002 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 143), S. 210; siehe auch bei Aumüller: Assimilation, S. 37.

[3] Vgl. Paul L. Metzger: American Sociology and Black Assimilation. Conflicting Perspectives. In: American Jounal of Sociology 76 (1971), S. 627–647, hier S. 628f.

[4] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb 1981: „Integrieren, nicht eindeutschen“ (FAZ vom 28. Oktober 1981). Davor argumentierte 1979 ein spanischer Gastarbeiter in einem öffentlichen Gespräch in Stuttgart „Gleichwohl: ‚Germanisierung‘, das andere Extrem, müsse ebenso vermieden werden“ (Stuttgarter Nachrichten vom 17. Dezember 1979). Mehr zum Thema Integrationsprogramme und Assimilation siehe bei Klaus J. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung. Göttingen 2004, S. 404.

[5] Theodor Veiter: Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht im 20. Jahrhundert. Bd. 1. München 1977 (Arbeitshefte. Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit, München 55), siehe Lebenslauf in Anm. 52.

[6] „Inhaltlich entspricht er [der Begriff Integration] im Wesentlichen dem Assimilationsbegriff“ (Wolfgang Bosswick: Integration. In: Detlef Brandes, Holm Sundhaussen, Stefan Troebst [Hg.]: Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Wien 2010, S. 295–298, bes. S. 295).

[7] Zum „Verhältnis der Begriffe Assimilation und Akkulturation“ siehe Andreas Hoffmann: Schule und Akkulturation. Geschlechtsdifferente Erziehung von Knaben und Mädchen der Hamburger jüdisch-liberalen Oberschicht 1848–1942. Münster 2001, bes. S. 143-146. Ferner siehe Barbara Widawska: Zur Akkulturation polnischer Intellektueller im habsburgischen Galizien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Lichte der Memoiren von Kazimierz Chłędowski (1843–1920). In: Polilog. Studia Neofilologiczne 1 (2011), S. 133–144, hier S. 136.

[8] Vgl. Gotthold Rhode: Terminologie zum Flüchtlingsproblem. Marburg 1956, S. 21.

[9] Aumüller: Assimilation, S. 128ff.

[10] Anna Amelina: Transnationale Inklusion als ein multilokales Phänomen. Ein Abschied vom Assimilationsparadigma der Migrationsforschung? In: Ezli, Langenohl, Rauer, Voigtmann (Hg.): Integrationsdebatte, S. 119–155.

Zitation

Roman Smolorz: Assimilation. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32851 (Stand 25.05.2021).

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