Debrezin/Debrecen

1. Toponymie

Amtliche Bezeichnung

ung. Debrecen

Anderssprachige Bezeichnungen

slowak. Debrecín; rum. Debrețin; poln. Debreczyn; lat. Debretinum

Etymologie

Das Toponym „Debrezin“ ist mutmaßlich auf einen Personennamen türkischer Herkunft (Bedeutung: „er/sie soll leben, sich bewegen“) zurückzuführen.[1] Der Name ist zum ersten Mal 1235 im Regestrum Varadiense (als villa Debrezun[2]) schriftlich belegt.

2. Geographie

Lage

Debrezin liegt auf 47o 31’ nördlicher Breite, 21o 38’ östlicher Länge, 230 km östlich von Budapest und etwa 35 km westlich von der rumänischen Grenze entfernt.

Topographie

Debrezin befindet sich in der ostungarischen Landschaft Nyírség mit sandigem Boden.

Region

Ostungarn (Kelet-Magyarország), Trans-Theiß-Gebiet (Tiszántúl), Nördliche Große Tiefebene (Észak-Alföld).

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Ungarn; Komitat Hajdú-Bihar (Hajdú-Bihar Megye), Komitatssitz; Zentrum des Debreziner Bezirkes (Debreceni járás); Stadt mit Komitatsrecht.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das heutige Wappen wurde auf Grund einer am 11. April 1693 ausgefertigten königlichen Urkunde im Jahre 1989 von der Stadt angenommen. Im gerade stehenden himmelblauen, unten spitz zulaufenden Kampfschild erhebt sich eine Palme mit grüner Palmwedelkrone in der Mitte eines grünen Feldes auf einem Dreiberg. Unter der Palme  befindet sich ein weißes wolliges Lamm (Agnus Dei), mit drei Beinen auf zwei aufgeschlagenen Büchern stehend; mit seinem erhobenen, ein wenig eingebogenen rechten Vorderbein hält es die Stange eines goldfarbigen Kreuzes. Der Kopf des Lammes ist von einem Heiligenschein umgeben und schräg nach hinten gewendet. Von dem goldenen Kreuz hängt ein rotes Banner herab, auf dem ein weißes durchgehendes Kreuz aufgestickt ist. Auf der Krone über dem offenen, mit einer Halskette verzierten Helm im Oberwappen steht ein weißer Phönix mit ausgebreiteten Flügeln, erhobenem Kopf, geöffnetem Schnabel und einem grünen Efeukranz um die Brust, der sich von den aus der Krone züngelnden Flammen sengen lässt. Die Helmdecken hängen auf der einen Seite rot und weiß, auf der anderen Seite gold und blau herab und schmiegen sich eng an den Schild. Schräg über dem Kopf des Phönix ist eine strahlende Sonne zu sehen.

Die Flagge von Debrezin besteht aus drei gleich großen horizontalen Balken (blau, gelb, blau) mit dem Seitenverhältnis 2:3.

Beinamen

Die Stadt wird auch als „das Calvinistische Rom“ bezeichnet (zunächst als Spottname, im 19. Jahrhundert schon als stolze Selbstbenennung der hiesigen Bürger), was auf ihren Stellenwert im Kontext der ungarischen Reformation verweist. Die Bezeichnung Debrezins als „Cívis-Stadt“ (ung. cívisváros) bezieht sich auf die zu Vermögen gekommene bürgerliche Schicht der zum Marktflecken gewordenen Siedlung, die ein städtisch-bäuerliches Leben führte.

Vor- und Frühgeschichte

Der Gegend von Debrezin können die ältesten Funde der östlichen Linearbandkeramik der mittelneolithischen Kultur zugeordnet werden. Im letzten Abschnitt des Neolithikums stieg die Zahl der Siedlungen explosionsartig an. Auf Grundlage archäologischer Funde kann von einer eigenen Kupferzeit im Karpatenbecken (Funde in der Umgebung von Debrezin und des Trans-Theiß-Gebiets) gesprochen werden. Die aus der Bronzezeit stammenden Waffen- und Geschirrfunde sind von großer Bedeutung. Das Gebiet von Debrezin wurde in der römischen Kaiserzeit von Sigynnen, Kelten und Sarmaten, in der Völkerwanderungszeit von Gepiden, Vandalen, Westgoten, Hunnen, Awaren (Greifen-Ranken-Kultur), Protobulgaren und schließlich am Ende des 9. Jahrhunderts von den landnehmenden Ungarn bewohnt.

Mittelalter

Debrezin, am Knotenpunkt nord-südlicher und west-östlicher Handelswege aus mehreren kleineren Siedlungen entstanden, erscheint in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erneut in schriftlichen Quellen (z. B. 1271 als Dubrychyn[3]). Demnach war das Dorf zu dieser Zeit schon im Besitz einer einzigen Familie, die dann selbst nach dem Siedlungsnamen benannt wurde. 1332 wurde der Stadtrat gegründet, es wurden die ersten Zünfte ins Leben gerufen und Debrezin entwickelte sich zu einem der Zentren Ostungarns. 1361 wurde der Siedlung von König Ludwig dem Großen (I. Nagy Lajos, 1326–1382, ung. König 1342–1382) das Privilegium eines Marktfleckens verliehen. Nach dem Aussterben der männlichen Linie der Familie Debrezin fiel die Siedlung dem Besitz des Königs Sigismund (Luxemburgi Zsigmond, 1368–1437, ung. König 1387–1437) anheim; 1445 erwarb die Familie Hunyadi Debrezin, so auch der spätere König Matthias Corvinus (Hunyadi Mátyás, 1443–1490, ung. König 1458–1490), dann 1507 König Vladislav II. von Böhmen und Ungarn (II. Ulászló, 1456–1516, ung. König 1490–1516), der die Stadt 1509 an Johann Zápolya (Szapolyai János, 1487−1540, ung. König 1526–1540), den späteren (Gegen-)König verlieh.

Neuzeit

Während der Zeit der osmanischen Herrschaft und der Dreiteilung des Landes agierte die Stadt geschickt, vor allem durch Tributzahlungen, zwischen den unterschiedlichen Machthabern, dem ungarischen König bzw. den siebenbürgischen Herrschern, den Habsburgern und den Osmanen. 1536 geriet Debrezin in den Besitz des hochadligen Heerführers und Bans von Belgrad/Beograd Bálint Török (1502–1550). 1693 verlieh Kaiser und König Leopold I. (I. Lipót 1640–1705, ung. König 1657–1705) Debrezin das Privileg einer freien königlichen Stadt.

Von den Aufständen bzw. Kriegen gegen die Habsburger, angeführt von Stefan Bocskai (Bocskai István, 1557–1606, Fürst von Siebenbürgen 1604–1606), Gabriel Bethlen (Bethlen Gábor, 1580–1629, Fürst von Siebenbürgen 1613–1629, ung. König 1620–1621), Georg I. Rákóczi (I. Rákóczi György, 1593–1648, Fürst von Siebenbürgen 1630–1648) und Franz II. Rákóczi (II. Rákóczi Ferenc, 1676–1735, Fürst von Siebenbürgen 1704–1711), dem sogenannten „Kuruzzenaufstand“ (1703-1711) war auch Debrezin betroffen und wurde mehrmals durch kaiserliche Truppen verheert.

Während der Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/1849 wurden die ungarische Regierung und der Landtag im Januar 1849 wegen des die Hauptstadt des Landes bedrohenden Vorstoßes der österreichischen Truppen vorläufig nach Debrezin verlegt. In der Reformierten Großkirche – verlas der ungarische „Nationalheld“ Lajos Kossuth (1802–1894) die die Entthronung der Habsburger enthaltende Unabhängigkeitserklärung. Kossuth wurde hier zum Reichsverweser gewählt und in sein Amt eingesetzt. Zur entscheidenden Schlacht kam es am 2. August 1849 westlich von Debrezin, die mit einem Sieg der mit Österreich verbündeten russischen Truppen endete. Der in Debrezin als Herrscher über Ungarn entthronte Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) suchte später die Stadt mehrmals auf und ließ ihr großzügige Spenden zukommen.

Nach 1849 konsolidierte sich die Stadt nur allmählich. 1876 wurde Debrezin zum Verwaltungszentrum des Komitats Hajdú.

Zeitgeschichte

Durch den Ersten Weltkrieg, die nach seinem Ende ausbrechenden Unruhen, den Krieg der Siegermächte gegen die ungarische Räterepublik Béla Kuns (1886–1938), die darauffolgende rumänische Besatzung und die Folgen des Friedensvertrags von Trianon von 1920 erlebte Debrezin neue Krisenzeiten. Als östlichste Großstadt im verkleinerten Ungarn nahm sie zahlreiche Magyaren auf, die nach 1918 aus den rumänisch bzw. tschechoslowakisch gewordenen Gebieten Transleithaniens geflohen waren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs erlitt die Stadt durch schwere Kämpfe große Schäden. Sie wurde nach dem Einmarsch der Roten Armee eine Zeit lang wieder zur provisorischen Hauptstadt des Landes: Die Provisorische Nationalversammlung hielt ihre Sitzungen im Reformierten Kollegium ab, die Provisorische Nationalregierung war hier 100 Tage lang tätig. Während des Aufstandes von 1956 organisierten die Debreziner Arbeiter und Studenten Massenkundgebungen und bereits am 23. Oktober 1956 eröffneten Truppen des kommunistischen Regimes das Feuer auf sie.

Die deutsche Partnerstadt von Debrezin ist Paderborn.

Bevölkerung

Um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert lebten in Debrezin 4.500–5.000 Menschen. Im Jahr 1552 waren es 12.000, im Jahr 1601 11.000, 1693 12.500,[4] dann 1784–1785 28.551,[5] 1839 48.800,[6] 1840–1849 48.000–51.000,[7] 1910 90.153,[8] 1920 103.156[9] und 1941 125.965.[10] Nach der Volkszählung von 2011 belief sich die Bevölkerungszahl auf 211.320 Personen, davon bekannten sich 177.435 als Ungarn, 1.305 als Sinti und Roma, 554 als Deutsche, 504 als Rumänen, 302 als Araber, 188 als Ukrainer, 119 als Russen, 92 als Armenier, 87 als Slowaken, 83 als Ruthenen, 75 als Bulgaren, 75 als Polen, 72 als Griechen, 72 als Chinesen, 64 als Vietnamesen, 41 als Serben, 16 als Kroaten, 3 als Slowenen und 1.009 als Sonstige; 31.931 gaben keine Antwort.[11] Heute gilt Debrezin als zweitgrößte Stadt Ungarns.

Größere Einwanderungen nach Debrezin erfolgten – im Zusammenhang mit den „Türkenkriegen“ − nachweislich nach 1526, dann besonders nach 1541 (vor allem aus Buda/Ofen) und 1552. Nach schriftlichen Zeugnissen lebten Sinti und Roma bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Debrezin.

Die Wurzeln der Debreziner Juden reichen in das Jahr 1736 zurück, als sich Jakob Jakobovits mit seiner Familie aus Hajdúsámson hier ansiedelte. Seit 1840 durften die Juden schon ohne Einschränkungen in die königliche Freistadt einziehen, aber Immobilien durften sie erst seit 1863 kaufen. 1880 machte die Zahl der Israeliten 3089, im Jahr 1910 8406, im Jahr 1920 10170, im Jahr 1930 10044 und 1941 9142 aus.[12] Im auf den Ausgleich (1867) folgenden halben Jahrhundert erlebte das Judentum von Debrezin seine Blütezeit, das in der Entwicklung der Stadt eine bedeutende Rolle spielte.

Wirtschaft

Für Handel und Gewerbe waren in Debrezin nicht nur die lokalen Märkte entscheidend. Debrezins Messen besaßen bereits im 13. Jahrhundert eine überregionale Bedeutung. Von 1405 an wurde der Stadt das Jahrmarktrecht (Landesmarkt) verliehen, nach welchem zweimal im Jahr, von 1407 an dreimal und ab 1508 siebenmal jährlich ein Markt abgehalten werden konnte. 1477 bekam die Stadt auch das Stapelrecht. Weitere Privilegien, z.B. die Zollfreiheit, wurden zwischen dem Ende des 15. und dem 17. Jahrhundert gewährt. Wichtige Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bestanden zu zahlreichen Städten im Inland (z. B. in Oberungarn und in Siebenbürgen) und Ausland (u. a. nach Wien, Nürnberg, Breslau/Wrocław, Konstantinopel/Istanbul und Venedig/Venezia). Zentral waren dabei der Viehhandel (Rinder) sowie der Salz-, Wein-, Getreide- und Textilhandel. Unter den ausländischen Händlern waren „Griechen“ (Griechen, Türken, Armenier, Raizen) und Deutsche (die heutige Széchenyi-Straße hieß ursprünglich „Deutsche Straße“, Német utca, da die zum Markt oder zur Messe kommenden deutschen Händler in dieser Straße wohnten). Auch das Handwerk mit seinen im 14.−15. Jahrhundert gebildeten Zünften, die mit der Reformation von der Kirche unabhängig wurden, spielte für die Wirtschaft Debrezins eine wichtige Rolle.

Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte eine schnelle Industrialisierung (u.a. 1884 Dampfstraßenbahn, 1888 Pferdebahn, 1888 Aufbau des Telefonnetzes, 1900 elektrische Straßenbeleuchtung und 1911 elektrische Straßenbahn). Das Bankensystem expandierte, 1912 existierten bereits 71 Aktiengesellschaften, es entstanden die Advokatenkammer, die ersten Versicherungsgesellschaften und Organisationen der Sozialhilfe. Durch den Ausbau der Eisenbahnlinien im Jahr 1857 wurde Debrezin zum Verkehrsknotenpunkt, sodass die Stadt bis zu den Grenzverschiebungen im Zuge des Vertrags von Trianon und der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 wirtschaftlich einen Spitzenplatz im Land einnahm.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich vor allem die Schwerindustrie. Durch die Privatisierungen der 1990er Jahre kam die Mehrheit der industriellen Investitionen in ausländischen Besitz.

Militärgeschichte

Da in der Nähe von Debrezin keine zum Bauen geeigneten Steine zu finden waren, wurden zum Schutz der Siedlung tiefe und breite Wassergräben errichtet, in deren Seiten und Sohlen zugespitzte Baumstämme eingegraben wurden. Erst unter der Herrschaft von König Sigismund wurde die Stadt auch mit Palisaden umgeben. Für das über keine Stadtmauer und keine Burg verfügende Debrezin war zu jeder Zeit vor allem das diplomatische Können der Stadtregierung von großer Bedeutung. Dass dies nicht immer Rettung versprach, zeigt die Zerstörung der Stadt durch habsburgische Truppen unter dem Befehl des kaiserlichen Generals Giambattista Castaldo (1493–1563) im Zuge der Besetzung Ostungarns und Siebenbürgens durch seine Armee. 1561 verheerten die kaiserlichen Truppen des Generalkapitäns Lazarus von Schwendi (1522–1583) die Stadt. József Nagysándor (1803–1849) kämpfte mit seinen Truppen am 2. August 1849 bei Debrezin gegen die russische Armee und erlitt eine schwere Niederlage in einer der letzten Revolutionsschlachten.

Im August 1944 richtete die Flächenbombardierung durch alliierte Flugzeuge große Schäden an.

Religions- und Kirchengeschichte

Im Mittelalter war Debrezin eine römisch-katholische Stadt; die gotische, Ende des 13. Jahrhunderts gebaute St.-Andreas Kirche (bei Ausgrabungen 1980/1981 wurden Überreste freigelegt – heute steht hier die Reformierte Großkirche) galt als die größte Patronatskirche der Großen Ungarischen Tiefebene. Am Anfang des 14. Jahrhunderts gründeten die Dominikaner und die Franziskaner ihre Klöster.

Seit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde das religiöse Leben der Stadt immer mehr zunächst von der lutherischen, dann von der calvinistischen Reformation bestimmt. Die Debreziner Synode von 1567 nahm das Zweite Helvetische Bekenntnis (Confessio Helvetica Posterior) und die reformierte Kirchenordnung an. In Debrezin waren der erste Reformator Ungarns, Mátyás Bíró von Déva (gest. 1545), sowie der einflussreiche Vertreter der helvetischen Reformation Márton Kálmáncsehi Sánta (gest. 1557) tätig. Als die bedeutendste Gestalt der ungarischen Reformation gilt Péter Méliusz Juhász (1532–1572), der ebenfalls in Wittenberg studierte, dann Prediger der calvinistischen Lehren wurde und 1561–1572 als Bischof der Reformierten Kirche in Debrezin wirkte. Nachdem die calvinistische Leitung der Stadt ab 1551 die Katholiken nicht mehr duldete, gab es praktisch kein römisch-katholisches Leben mehr in Debrezin. Die Franziskaner konnten sich erst 1715 wieder in der Stadt ansiedeln.

Anfang des 19. Jahrhunderts kamen griechisch-katholische (unierte) Gläubige in die Stadt.

Der Zeitpunkt der Gründung der jüdischen Glaubensgemeinde ist unbekannt; jedenfalls fungierte der Frauenverein bereits 1850. Die Chewra Kadischa wurde 1856 ins Leben gerufen. Nach dem Kongress von 1869 wurde die Gemeinde nach status quo ante organisiert, aus der sich 1871 eine Gruppe der Freischaffenden und Aufgeklärten herauslöste und die sog. neologe Gemeinde gründete, die sich jedoch 1886 mit der status-quo-ante-Gemeinde wieder vereinte. Am Anfang des 20. Jahrhunderts gründete sich eine eigene orthodoxe Gemeinde, deren Synagoge im  späteklektischen Stil 1902 eingeweiht wurde. Die Großsynagoge wurde 1909–1910 im byzantinischen Stil gebaut (2015 endeten die vorerst letzten Restaurierungsarbeiten).

1944 wurde ein Teil der Debreziner Juden nach Strasshof bei Wien in Arbeitslager (Wiener Neustadt, Lobau, Franzensdorf, Neunkirchen), der andere Teil nach Auschwitz gebracht. Etwa die Hälfte der Überlebenden kehrte nach Debrezin zurück, die anderen siedelten sich in Budapest, in den USA und in Israel an. Die Glaubensgemeinde von Debrezin existiert heute wieder. 2015 wurde auf dem Gelände der orthodoxen Synagoge ein kulturelles-touristisches Zentrum gegründet, das die Geschichte des Debreziner Judentums, das Judentum als Religion und die jüdischen Traditionen vorstellt. Im Hof wurde ebenfalls 2015 eine Holocaust-Gedenkstätte eingeweiht.

1882 entstand die selbstständige evangelische Kirchengemeinde. Die Baptistengemeinde fasste 1892 Fuß. Die unitarische Kirchengemeinde wurde 1921 errichtet. Heute sind zahlreiche weitere Glaubensgemeinschaften in der Stadt zu finden (z. B. Mormonen, Zeugen Jehovas).

1910 waren 68,3 Prozent der Bevölkerung reformiert, 17,9 Prozent  römisch-katholisch, 9,0 Prozent israelitisch und 2,9 Prozent griechisch-katholisch.[13] Bis zum Jahr 1941 veränderten sich diese Verhältnisse folgendermaßen: 65,6 Prozent waren reformiert, 20,2 Prozent römisch-katholisch, 7,3 Prozent israelitisch und 5,2 Prozent griechisch-katholisch.[14]

Besondere kulturelle Institutionen

Die Basis für das Kunst- und Volkskundemuseum, das heutige Déri-Museum (Déri Múzeum), legte der Debreziner Juwelier und Kunstsammler Artúr Löfkovics (1863–1935) mit seiner Schenkung 1902. Namensgeber wurde der aus Debrezin stammende Wiener Seidenfabrikant und Kunstsammler Frigyes Déri (1852–1924). Die wertvollsten Stücke der Alten Pinakothek des Museums sind die Gemälde von Mihály Munkácsy (1844–1900).

Hervorzuheben sind zudem das Museum des Reformierten Kollegiums (Debreceni Református Kollégium Múzeuma), das Ferenc-Medgyessy-Gedenkmuseum (Medgyessy Ferenc Emlékmúzeum), das László-Holló-Gedenkmuseum (Holló László Emlékmúzeum), das Agrarmuseum (Agrár Múzeum), das Kulturzentrum für Moderne und Zeitgenössische Kunst (Modern és Kortárs Művészeti Központ; MODEM) sowie das Gerberhaus (Tímárház) mit der Darstellung verschiedener handwerklicher Berufe.

2014 wurde das Debreziner Literaturhaus (Debreceni Irodalom Háza) eröffnet. Im Ruinengarten (Romkert Kávézó és Kiállítóterem), heute mit Café und Ausstellungsraum ein kulturelles Zentrum der Stadt, steht eine Gedenksäule, die an Michiel de Ruyter (1607–1676) erinnert, der die in einem habsburgischen Schauprozess 1674/1675 verurteilten ungarischen reformierten Prediger aus ihrer Galeerenhaft befreite.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Theaterstücke in Debrezin aufgeführt. 1865 wurde das erste Theater der Stadt, das im romantischen Stil erbaute Csokonai-Theater, eröffnet. Die Theatergruppe „KonzervArtaudrium“ gründete sich 1999. Hervorzuheben ist zudem das Puppentheater „Vojtina“, das außer ungarischen Volksmärchen, Sagen und Legenden auch klassische Stücke der Weltliteratur aufarbeitet.

Die Großbibliothek des Reformierten Kollegiums (Debreceni Református Kollégium Nagykönyvtára) und die Universitäts- und Nationalbibliothek der Universität Debrecen (Debreceni Egyetem Egyetemi és Nemzeti Könyvtár) sind von internationaler Bedeutung. Daneben sind die Péter-Méliusz-Juhász-Bibliothek  (Méliusz Juhász Péter“ Könyvtár) und das Archiv des Komitats Hajdú-Bihar (Hajdú-Bihar Megyei Levéltár) sowie das Archiv der Römisch-Katholischen Diözese von Debrezin-Nyíregyháza (Debrecen-Nyíregyházi Egyházmegyei Levéltár) zu nennen.

Bildung und Wissenschaft

Das 1538 gegründete Reformierte Kollegium, in dem zum Beispiel auch die lateinisch-volkssprachige Puerilia Colloquia von Heyden Sebald (1499–1561) benutzt und der Deutschunterricht 1769 eingeführt wurde, wurde später nach dem Vorbild von schweizerischen und deutschen Universitäten zur Hochschule; 1914 entstand hieraus die Debreziner Universität (Debreceni Egyetem), die seit 2000 die frühere Medizinische Universität (Debreceni Orvostudományi Egyetem), die Universität für Agrarwissenschaften (Debreceni Agrártudományi Egyetem), die István-Wargha- -Pädagogische Hochschule von Hajdúböszörmény, (Hajdúböszörményi Wargha István Pedagógiai Főiskola), die Miklós-Ybl-Technische Hochschule (Ybl Miklós Műszaki Főiskola) sowie die Franz-Liszt-Hochschule für Musik (Liszt Ferenc Zeneművészeti Főiskola) vereinigt. In die Reformierte Universität für Religionswissenschaften (Debreceni Református Hittudományi Egyetem) wurde 2011 die Ferenc-Kölcsey-Reformierte Hochschule für Lehrerbildung (Kölcsey Ferenc Református Tanítóképző Főiskola) integriert.

Alltagskultur

Zu den alten Trachten gehört ein vor allem im ländlichen Umland von den Debreziner Walkern/Schneidern angefertigtes charakteristisches Oberbekleidungsstück, der verzierte Hirtenmantel/das verzierte Hirtengewand (debreceni cifraszűr). Zu den kulinarischen Spezialitäten der Stadt zählen die Debreziner Wurst, das gefüllte Kraut auf Debreziner Art, die Fleischpalatschinken auf Hortobágyer Art, das Graurind-Gulasch auf Hortobágyer Art, das traditionelle Hirtengericht „slambuc“ mit Nudeln, Kartoffeln und gebratenem Speck sowie der Honiglebkuchen.

Auch der sich auf 1.082 ha erstreckende und bereits 1937 unter Naturschutz gestellte Freizeitpark „Großwald“ (Nagyerdő) mit der seit 1950 bestehenden Freilichtbühne und der heute zum Universitätsgelände gehörende Botanische Garten (Botanikus Kert) (seit 1807 bzw., nach seiner Verlegung im Kontext des Umzugs der Universität, 1928) müssen hier erwähnt werden, ebenso das im „Großwald“ befindliche Heilbad: Das  erste Badehaus wurde 1826 erbaut, 1960 wurde die Einrichtung zum Heilbad erklärt.

Sowohl im ungarischen als auch im internationalen Sportleben spielte und spielt Debrezin eine wichtige Rolle. Ende der 1920er Jahre gehörte der Bocskai FC zu den besten Fußballmannschaften Ungarns. Als die bekanntesten Debreziner TurnerInnen sind Margit Nagy (1921–2001) und Lajos Tóth (1914–1984) zu erwähnen. Der sechsfache Olympiasieger im Säbelfechten Pál Kovács (1912–1995) wurde in Debrezin geboren. Zudem lebte der internationale Schachgroßmeister Gedeon Barcza (1911–1986) in der Stadt. Seit 2000 fanden mehrere hochrangige internationale Sportveranstaltungen (Europa- und Weltmeisterschaften in Leichtathletik, Turnen und Handball) in Debrezin statt.

Kunstgeschichte

Die Reformierte Kleinkirche oder „Rumpfkirche“ (Csonka templom – nach der nicht wiederhergestellten Turmhaube, einem basteiförmigen Turm, benannt) wurde 1876 im neoromanischen Stil umgestaltet. Am Hauptplatz (Kossuth tér) steht die zwischen 1805 und 1825 erbaute Reformierte Großkirche (Református Nagytemplom) im klassizistischen Stil.

Die ursprüngliche große Glocke (Rákóczi-Glocke) – die heute als Exponat im Reformierten Kollegium zu sehen ist – wurde durch den Glockengießer Régner János/ Johann Regner (?) 1636 angefertigt und 1865 von Hiltzer Ignác/Ignaz Hilzer (1810–1880), dem Glockengießer aus Wiener Neustadt neu gegossen. Die kleine Glocke wurde ebenfalls 1865 in der Hilzer-Werkstatt gegossen. Die ehemalige Orgel wurde 1838 von dem Wiener Meister Jakob Deutschmann (1795–1853) gebaut.

Im neobyzantinischen Stil wurde die griechisch-katholische Kirche gebaut.

Das älteste Wohnhaus stammt aus dem Jahr 1690. Seit Ausgrabungen im Jahr 2002 sind auch Überreste der ehemaligen 670 m langen, bis 1824 stehenden Holzbrücke zu sehen, die das damalige erste Wirtshaus von Debrezin, Fejérló Szálló („Zum Weißen Ross“), an der Stelle des heutigen Hajdú-Komitatshauses, mit der Großkirche verband. In der Innenstadt befindet sich das Hotel Aranybika („Goldener Stier“) im eklektischen Stil.

Der Bildhauer Ferenc Medgyessy (1881–1958) wurde in Debrezin geboren, der Bildhauer Sándor Somogyi (1881–1960) war 1907–1916 in Debrezin tätig.

Musik

Debrezin zeichnet sich heute durch ein aktives Musikleben aus. Volkstanzgruppen und Gruppen des zeitgenössischen Tanzes erleben eine Blütezeit. In Debrezin wurden der Komponist Miklós Kocsár und der Pianist Tamás Vásáry geboren.

Buch-, Druck- und Mediengeschichte

Die erste Druckerei in Debrezin wurde 1561 von dem protestantischen Prediger und ungarischen Übersetzer des „Heidelberger Katechismus“, Gallus Huszár (1512–1575), gegründet. Sie firmiert heute als „Druckerei der Großen Tiefebene“ (Alföldi Nyomda). In den 1560er Jahren wurde hier rund die Hälfte aller in Ungarn gedruckten Bücher herausgegeben. Ende des Jahres 1600 waren schon sechs Buchbinder in der Stadt tätig, die 1705 nach dem Statut der Kaschauer Buchbinder eine Zunft gründeten.

In Debrezin wurden der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Sándor Adorján (1858–?), der Journalist Ernő Ábrahám (1882–1945) und der Journalist, Fernsehmoderator und Politiker István Pálffy geboren.

Die Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik Alföld („Große Tiefebene“) erscheint seit 1954 in Debrezin, heute sowohl in gedruckter Form als auch online monatlich. Die Vierteljahresschrift Mediárium erscheint seit 2007 als Organ des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Ferenc-Kölcsey-Reformierten Hochschule für Lehrerbildung. Seit 2006 gibt Ferenc Vitéz die Zeitschrift für Literatur und Kunst Néző-Pont („Blick-Punkt“) heraus.

Die wichtigste Tageszeitung des Komitats und der Stadt ist Hajdú-Bihari Napló („Tagebuch des Komitats Hajdú-Bihar“). Die Stadt verfügt über mehrere Online-Zeitungen sowie über Radio- und Fernsehsender.

Literatur

In Debrezin wurden die Dichter Mihály Fazekas (1766–1828) und Mihály Csokonai Vitéz (1773–1805) sowie die Schriftstellerin, Dichterin und Übersetzerin Magda Szabó (1917–2007) geboren. Zudem stammt mit dem Schriftsteller und Essayisten György Konrád ein weltbekannter Vertreter der zeitgenössischen Literatur aus der Stadt, dessen Werke in 13 Sprachen übersetzt wurden und der u. a. den Herder-Preis (1983), den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1991), den Karlspreis (2001), das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2003) sowie den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis (2007) erhielt und der 1990–1993 als Präsident der Internationalen Schriftstellervereinigung P. E. N. und 1997–2003 als Präsident der Akademie der Künste, Berlin, tätig war.

Der Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer János Térey, der u.a. die Dramentetralogie Der Nibelungen-Wohnpark, eine Phantasie nach Richard Wagner (A Nibelung-lakópark, Fantázia Richard Wagner nyomán) (2004) verfasste, wurde in der Stadt geboren. Weiterhin sind, als zwischenzeitliche Bewohner Debrezins, der Autor der ungarischen Nationalhymne, Ferenc Kölcsey (1790–1838), der Lyriker und Übersetzer János Arany (1817–1882), der Lyriker der Revolution von 1848/1849 Sándor Petőfi (1823–1849), der Lyriker und Mitarbeiter der einflussreichen Zeitschrift Nyugat („Westen/Abendland“) Endre Ady (1877–1919), der Lyriker Árpád Tóth (1886–1928), der Dichter der modernen ungarischen Lyrik, Lőrinc Szabó (1900–1957) sowie der Meister der modernen ungarischen Prosa Gyula Krúdy (1878–1933) und der Schriftsteller Zsigmond Móricz (1879–1942) zu nennen.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

An der Medgyessy-Allee befindet sich der Gedenkpark mit den Statuen der wichtigsten Dichter und Schriftsteller der ungarischen Literatur, die mit der Stadt Debrezin in Verbindung standen.

Dem Reformierten Kollegium und der Reformierten Großkirche wurde 2013 der Titel „National-Gedenkstätte“ (Nemzeti Emlékhely) verliehen.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • István Bitskey, Gábor Pusztai (Hg.): Michiel de Ruyter és Magyarország [Michiel de Ruyter und Ungarn]. Debrecen 2008.
  • Debrecen története [Geschichte Debrezins]. Bd. 1: 1693-ig. Hg. v. István Szendrey, György Ránki. Debrecen 1984. – Bd. 2: 1693–1849. Hg. v. István Rácz. Debrecen 1981. – Bd. 3: 1849 – 1919. Hg. von Péter Gunst. Debrecen 1997. – Bd. 4: 1919 – 1944, Hg. v. Gyula Tokody. Debrecen 1986. – Bd. 5: Tanulmányok Debrecen 1944 utáni történetéből [Studien aus der Geschichte Debrezins nach 1944]. Hg. v. Géza Veress. Debrecen 1997. - Bd. 6: Mutatók [Index]. Hg. v. Miklós Bényei. Debrecen 2000.
  • József Hapák, György Módy, Béla Takács (Hg.): Debrecen, the „cívis“ town. Debrecen 1994.
  • Teofil Kovács: A német nyelv oktatása a Debreceni Református Kollégiumban (1769–1860) [Der Unterricht der deutschen Sprache im Reformierten Kollegium von Debrezin (1769–1860)]. Debrecen 2008.
  • Lajos Sápi: Debrecen település és építéstörténete [Siedlungsgeschichte Debrezins]. Debrecen 1972 (mit deutschsprachiger Zusammenfassung).

Periodika

Die Debreceni Szemle („Debreziner Rundschau”) ist eine wissenschaftliche Zeitschrift, die 1993 neu begründet wurde und sich als Fortsetzung der zwischen 1927 und 1944 erschienenen Zeitschrift gleichem Titels versteht.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Károly Mesterházy: Debrecen és környéke a népvándorlás és honfoglalás korában [ Debrezin und seine Umgebung in der Zeit der Völkerwanderung und der Landnahme]. In: Szendrey (Hg.): Debrecen története. Bd. 1: 1693-ig, S. 69–98, hier S. 93.

[2] György Módy: A falutól a mezővárosig [Vom Dorf zum Marktflecken]. In: Szendrey (Hg.): Debrecen története. Bd. 1: 1693-ig, S. 99−129, hier S. 100.

[3] Módy: A falutól (Anm. 2), S. 104.

[4] István Szendrey: Debrecen a mezőváros [Debrezin, der Marktflecken]. In: Szendrey (Hg.): Debrecen története. Bd. 1: 1693-ig, S. 131−312, hier, S. 240.

[5] Zoltán Kováts: A népesedési viszonyok [Bevölkerungsverhältnisse]. In: Rácz (Hg.): Debrecen története. Bd. 2: 1693–1849, S. 15–69, hier S. 21.

[6] Kováts: A népesedési (Anm. 5), S. 45.

[7] Kováts: A népesedési (Anm. 5), S. 45.

[8] Zoltán Kováts: Népesedési viszonyok [Bevölkerungsverhältnisse]. In: Gunst (Hg.): Debrecen története. Bd. 3: 1849–1919, S. 41–63, hier S. 48.

[9] Kováts: Népesedési viszonyok (Anm. 8), S. 49.

[10] Lajos Tímár: Debrecen társadalma. Mezőgazdaságunk néhány sajátossága [Die Gesellschaft von Debrezin. Einige Eigenarten unserer Landwirtschaft]: In: Tokody (Hg.): Debrecen története. Bd. 4: 1919–1944 , S. 83–161, hier S. 88.

[11] Központi Statisztikai Hivatal [Staatliche Zentrale für Statistik], 2013: www.ksh.hu/docs/hun/xftp/idoszaki/nepsz2011/nepsz_03_09_2011.pdf (Abruf 05.08.2016), S. 115.

[12] hajdu.zsidomult.hu/index.php/elveszett-koezoessegek/varosok-es-vm-osszesen

[13] Tímár: Debrecen társadalma (Anm. 10), S. 89.

[14] Tímár: Debrecen társadalma (Anm. 10), S. 89.

Zitation

Tünde Radek: Debrezin/Debrecen. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2017. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32535 (Stand 30.07.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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