Deutschendorf/Poprad

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Deutschendorf

Amtliche Bezeichnung

slwk. Poprad

Anderssprachliche Bezeichnungen

ung. Poprád

Etymologie

Der slowakische und ungarische Stadtname leitet sich von dem Fluss Popper (slwk. Poprad, ung. Poprád) ab, einem Nebenfluss des Dunajez (Dunajec) und damit der Weichsel, der als einziger großer Fluss der Slowakei zur Ostsee fließt. Es sind unter anderem folgende historische Bezeichnungen bekannt: Villa Theutonicalis (1244), Popprat (1300), Villa Tedescha (1310), Teutschendorff (1328), Popradzaza (1346) und Dewchendorff (1412).

2. Geographie

Lage

Deutschendorf liegt auf 49° 3' nördlicher Breite, 20° 18' östlicher Länge, 672 m über NHN, etwa 78 km nordwestlich von Kaschau/Košice.

Topographie

Deutschendorf liegt im Unter-Tatra-Kessel (slwk. Podtatranská kotlina) am südöstlichen Fuße der Hohen Tatra und zugleich am Fluss Popper.

Region

Zips (slwk. Spiš, ung. Szepes, lat. Scepusium, poln. Spisz), eine historische Landschaft auf dem Gebiet der heutigen nordöstlichen Slowakei entlang der Popper, die früher zu Oberungarn gehörte.

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Slowakei. Deutschendorf ist Hauptstadt des Kreises Deutschendorf (Okres Poprad).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Stadtwappen verweist auf die Gebirgslage von Deutschendorf: Sein Schild zeigt über einem weißsilbernen Gebirgszug einen tiefblauen Himmel. Die Berge sind mittig mit zwei roten gekreuzten Pfeilen versehen. In der vollständigen, zu besonders feierlichen Anlässen verwendeten Version wacht mit dem Heiligen Ägidius einer der 14 Nothelfer über den Schild. Nachweise eines intensiven Kults um den Heiligen reichen bis ins 12. Jahrhundert.

Mittelalter

In der Mitte des 13. Jahrhunderts kamen die ersten deutschen Siedler aus Schlesien, Thüringen und vor allem Sachsen auf Einladung des ungarischen Königs Béla IV. (1206–1270), der die nach den Mongoleneinfällen von 1241/1242 entvölkerten Landstriche der Zips wieder besiedeln wollte. Das ergibt sich unter anderem aus einer Urkunde aus dem Jahre 1251, worin der Ort als „Villa Theutonicalis“ bezeichnet wird und in der schon von sechs Orten die Rede ist, die den heutigen Stadtteilen entsprechen. Das sehr ländliche Deutschendorf stand zu dieser Zeit ganz im Schatten des 1256 erstmalig erwähnten Georgenberg (slwk. Spišská Sobota, ung. Szepesszombat), das 1271 die Stadtrechte erhielt und sich schon im 13. Jahrhundert durch die Vielfalt der dort ansässigen Handwerker auszeichnete. An Bedeutung gewann Deutschendorf mit dem stetigen Zuzug deutscher Siedler, wovon die Bezeichnung Sächsisch-Deutschendorf (slwk. Saský Poprad, ung. Popradzaza) zeugt. Von 1344 bis 1412 gehörte Deutschendorf zur Provinz der 24 Zipser Städte, die der so genannten Zipser Willkür unterlag. Sie entstand aus der Gemeinschaft der Zipser Sachsen, denen der ungarische König Stefan V. (1239–1272) 1271 umfangreiche Privilegien, darunter eine Selbstverwaltung in Leutschau/Levoča, erteilte. Ab 1412 war Deutschendorf Bestandteil des „polnischen Faustpfandes“, das seine Wurzeln in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Sigismund von Luxemburg (1368–1437) und dem polnischen König Wladislaw II. (1362–1434) hatte.

Neuzeit

Von 1772 bis 1876 gehörte Deutschendorf zur Provinz der 16 Zipser Städte, die ihren Sitz in Zipser Neu(en)dorf/Spišská Nová Ves hatte. 1778 bestätigte Maria Theresia (1717–1780) die früheren Privilegien dieser Städte und garantierte ihnen Selbstverwaltung. In diesem Zusammenhang erhielt Deutschendorf das Recht zur Abhaltung von Märkten. Im Zweiten Weltkrieg galt Deutschendorf als Zentrum des Widerstands gegen die deutschen Truppen. 1942 wurde in der Stadt ein Sammellager errichtet, von dem aus die Juden aus dem Gebiet der Slowakei ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert wurden.

Verwaltung

Im Zuge einer Verwaltungsreform, die das Ende der traditionellen Magistratsordnung markierte, wurde Deutschendorf 1923 zur Großgemeinde, 1927 Zentrum des neu geschaffenen Kreises Deutschendorf. Die heutige Stadt entstand durch die Eingemeindung mehrerer Gemeinden nach 1945. Stadtoberhaupt von Deutschendorf ist heute ein hauptamtlicher Oberbürgermeister. Es gibt sechs Stadtteile mit eigenen Parlamenten sowie ein Stadtparlament.

Bevölkerung

Die demographische Entwicklung Deutschendorfs ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verhältnismäßig gut dokumentiert. 1880 waren die Deutschen die zahlenmäßig stärkste Bevölkerungsgruppe in allen heutigen Stadtteilen.[1] Sie stellten mindestens 67 Prozent aller Einwohner: Deutschendorf 67 Prozent = 659 Einwohner; Georgenberg/Spišská Sobota 67 Prozent = 538 Einwohner; Michelsdorf/Straže pod Tatrami 70 Prozent = 404 Einwohner; Groß/Veľká 78 Prozent = 887 Einwohner; Matzdorf/Matejovce (1977 eingemeindet) 84 Prozent = 763 Einwohner.

Entwicklung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung (18801910)[2]

  1880: 1.034 Einwohner, davon: 1890: 1.156 Einwohner, davon: 1900: 1.530 Einwohner, davon: 1910: 2.283 Einwohner, davon:
Deutsche 659 655 737 818
Slowaken 279 399 517 758
Ungarn 40 99 261 689

Bis 1930 sank der deutsche Anteil an der Bevölkerung auf teilweise knapp über 20 Prozent; in Matzdorf waren 75 Prozent aller Bewohner Deutsche. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Deutschen systematisch vertrieben. Bei der Volkszählung 2001 bekannten sich 0,2 Prozent von 56.157 Deutschendorfern zur deutschen Nationalität. 94,1 Prozent bezeichneten sich als Slowaken, 2,1 Prozent als Roma, 1 Prozent als Tschechen und 0,2 Prozent als Ungarn.[3]

Wirtschaft

Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Slowaken und Polen politisch und ökonomisch einflussreicher; zuvor waren in der Regel die deutschen Siedler Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, etwa die in Georgenberg ansässigen Handwerker. Auch der Aufbau erster industrieller Unternehmen geht auf die Deutschen am Ort zurück, darunter die Gründung der ersten Papierfabrik im Jahre 1692. Deutschendorf verlor zusehends seinen bis dahin ländlichen Charakter. Seit 1871 war Deutschendorf an die Kaschau-Oderberger Bahn angeschlossen, womit es dem bis dahin dominanten Georgenberg endgültig den Rang ablief. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein starkes wirtschaftliches Wachstum, vor allem auf dem industriellen Sektor (Ausbau der Waggonfabrik). Bis heute sind in Deutschendorf einige Industrieunternehmen ansässig, darunter der Haushaltsgerätehersteller Whirlpool. Der Anschluss an die Autobahn Pressburg/BratislavaKaschau hat die Verkehrsanbindung erheblich verbessert. Die Stadt lebt vor allem vom Tourismus.

Religions- und Kirchengeschichte

Zusammensetzung der Bevölkerung nach konfessioneller Zugehörigkeit[4]

  1880: 1.034 Einwohner, davon: 1890: 1.156 Einwohner, davon: 1900: 1.530 Einwohner, davon: 1910: 2.283 Einwohner, davon:
römisch-katholisch 413 544 787 1.351
griechisch-katholisch 2 4 7 22
evangelisch-lutherisch 531 596 516 567
evangelisch-reformiert 11 4 14 42
jüdisch 77 108 202 297
orthodox k. A. k. A. 2 4
Unitarier k. A. k. A. 2 k. A.

Bei der Volkszählung von 2001 bekannten sich 65,9 Prozent der Deutschendorfer zum römisch-katholischen Glauben, 7,3 Prozent zur Evangelischen Kirche A. B. und 3,7 Prozent zur griechisch-katholischen Konfession; ohne Bekenntnis waren 16,8 Prozent.[5]

Besondere kulturelle Institutionen

Im Unter-Tatra-Museum (Podtatranské múzeum) im Stadtteil Georgenberg sind Exponate zur Geschichte Deutschendorfs und der näheren Region zu sehen. In der Tatra-Galerie (Tatranská galéria), die in einem ehemaligen Kraftwerk untergebracht ist, werden überwiegend Werke lokaler Künstler gezeigt. Die Stadt ist außerdem Sitz mehrerer Verlage.

Deutschendorf bewarb sich als Wintersportzentrum mehrfach um die Ausrichtung olympischer Winterspiele.

Kunstgeschichte und Literatur

Die größte kunsthistorische Bedeutung hat der 1946 eingemeindete, etwa zwei Kilometer vom Zentrum entfernte Stadtteil Georgenberg. Hier befindet sich die römisch-katholische Kirche des hl. Georg (1273), die unter anderem einen Altar von Meister Paul von Leutschau (14./15. Jahrhundert) aufweist. In der ursprünglich im spätromanischen Stil gebauten, 1464 gotisierten Kirche befindet sich außerdem eine 1662 fertiggestellte Orgel mit 814 Holzpfeifen. Die Kirche des hl. Georg bildet den Mittelpunkt eines weitläufigen, durch zahlreiche Bürgerhäuser umrahmten Platzes. Dieser Komplex ist 1950 zur denkmalgeschützten Zone erklärt worden.

Im Zentrum von Deutschendorf, und damit auch dem gleichnamigen Stadtteil, befindet sich die große frühgotische Ägidiuskirche mit einem freistehenden Renaissance-Glockenturm.

Im heute zu Deutschendorf gehörenden Georgenberg wurde der slowakische Schriftsteller Martin Novák (Martin Novatius, vermutlich 1620–1686) geboren.

Bildung

In Deutschendorf wird wie in kaum einer anderen slowakischen Stadt mit Ausnahme der Hauptstadt Pressburg die deutsche Sprache gepflegt. Führende Einrichtung ist dabei das das bilinguale Dominik-Tatarka-Gymnasium.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Krajský Pamiatkový úrad Prešov [Denkmalschutzbehörde des Verwaltungsbezirks Prešov] (Hg.): Aktualizácia zásad ochrany, obnovy a prezentácie hodnôt územia pamiatkovej rezervácie Spišská Sobota [Aktualisierung der Prinzipien des Schutzes und der Erneuerung sowie Präsentation der Werte des Gebiets der Denkmalzone Georgenberg]. Prešov 2006. URL: www.pamiatky.sk/Content/ZASADY/SP_Sobota/0101-SP-Sobota-text.pdf

Weblinks

Anmerkungen

[1] Digitales Archiv der ungarischen Gesellschaftswissenschaften: mtdaportal.extra.hu/adatbazisok.html (Abruf 20.10.2014).

[2] Historisch-demographisches Lexikon der Gemeinden der Slowakei für die Jahre 1880 bis 1910: portal.statistics.sk/files/historicko-demograficky_lexikon_obci_sr_1880_1910_1.5.pdf (Abruf 17.09.2014).

[3] Statistisches Amt der Slowakischen Republik, app.statistics.sk/mosmis/sk/scitanie.jsp?txtUroven=440706&lstObec=523381 Abruf 20.10.2014).

[4] Statistisches Amt der Slowakischen Republik: app.statistics.sk/mosmis/sk/scitanie.jsp?txtUroven=440706&lstObec=523381 (Abruf 20.10.2014).

[5] Statistisches Amt der Slowakischen Republik: app.statistics.sk/mosmis/sk/scitanie.jsp?txtUroven=440706&lstObec=523381 (Abruf 20.10.2014).

Zitation

Karin Rogalska: Deutschendorf/Poprad. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32368 (Stand 10.05.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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