Wartha/Bardo

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Wartha

Amtliche Bezeichnung

poln. Bardo

Anderssprachige Bezeichnungen

tschech. Brdo

Etymologie

Der Name Bardo (von urslaw. *brdo, tschech. brdo bzw. altpoln. bardo = "Hügel") ist bereits bei Cosmas 1096 (Brido) und in verschiedenen Formen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts erwähnt (Barda 1155, Bardou, Berdov 1189, Bardo 1203). Der Name "Wartha", der erstmals 1290 als Warda, später als Wartha (1318) und Warthe (1743) auftaucht, ist höchstwahrscheinlich eine Anpassung an die deutsche Aussprache des slawischen Ortsnamens.[1]

2. Geographie

Lage

Wartha liegt auf 50˚ 30' nördlicher Breite, 16˚ 44' östlicher Länge, ca. 10 km nordöstlich von Glatz/Kłodzko, auf 260-320 m über NHN.

Topographie

Wartha liegt in einer auf drei Seiten eingeschlossenen Talschlucht der Glatzer Neiße (poln. Nysa Kłodzka), am Ende des Durchbruchs des Flusses durch das Warthagebirge (poln. Góry Bardzkie). Die Stadt liegt am linken Ufer, die ehemalige Vorstadt Haag am rechten Ufer.

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Republik Polen, Woiwodschaft Niederschlesien (województwo dolnośląskie). Bis 1975 und wieder seit 1999 gehört die Stadt zum Landkreis Frankenstein (powiat ząbkowicki). Die Pfarrei Wartha gehört zum Dekanat Kamenz (Kamieniec Ząbkowicki) im Bistum Schweidnitz (Świdnica).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Stadtwappen zeigt die gekrönte Gottesmutter auf einem Thronsessel, das Jesuskind mit dem Reichsapfel auf dem Schoss haltend. Das Wappen wiederholt das Motiv der mittelalterlichen Madonnenfigur von Wartha (Objekt des Marienkults).

Mittelalter

Strategisch günstig am Pass zwischen Schlesien und dem Glatzer Kessel gelegen, gehört Wartha zu den ältesten Siedlungen der Region. Schon 1096 wird hier eine Burganlage zum Schutz der Neißebrücke genannt, die spätestens im 10.–11. Jahrhundert entstanden sein muss. Sie wurde möglicherweise von Böhmen errichtet, wechselte wegen ihrer Grenzlage im Laufe der andauernden böhmisch-polnischen Kämpfe des 11. und 12. Jahrhunderts oft die Zugehörigkeit. 1189 wurde erstmals eine Kapelle erwähnt, die der Breslauer Bischof Laurentius 1210 samt dem umliegenden Besitz dem Augustinerkloster in Kamenz/Kamieniec Ząbkowicki schenkte. Das Kloster, das 1247 von den Zisterziensern übernommen wurde, blieb bis zur Säkularisation 1810 Grundherr in Wartha; ein kleinerer Teil der Grundherrschaft lag bei der Stadt Frankenstein/Ząbkowice. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stabilisierte sich endgültig Warthas Zugehörigkeit zu Schlesien; das Ende der böhmisch-polnischen Streitigkeiten ermöglichte den wirtschaftlichen Aufschwung der Siedlung. Infolge der politischen Zersplitterung Schlesiens gehörte Wartha seit 1248 zum Herzogtum Breslau, später zum Herzogtum Fürstenberg-Jauer (ab 1290) und zum Fürstentum Münsterberg-Frankenstein (seit 1321; als Teil davon seit 1335 unter böhmischer Lehnshoheit). Wartha wurde Ende des 13. Jahrhunderts zum Marktort erhoben; nach 1300 erhielt es das Stadtrecht. Seitdem wurde das städtische Gemeinwesen durch einen Vogt geleitet. 1425 wurde Wartha von Hussiten gebrandschatzt, 1428 erneut von Hussiten verwüstet.

Neuzeit

1526 übernahmen die Habsburger die Lehnshoheit über Wartha als die neuen Könige von Böhmen; 1569 wurde die Stadt direkt der böhmischen Krone unterstellt. 1711 brach in der Stadt ein großer Brand aus, von dem nur sechs Häuser verschont blieben.

Ende 1740 wurde Wartha von preußischen Truppen besetzt und Teil des preußischen Staates. 1807 verteidigte Preußen die Stadt erfolglos gegen das französische Heer.

19. Jahrhundert und Zeitgeschichte

In die Zeit der Industrialisierung fallen rege Aktivitäten der städtischen Verwaltung: 1860 wurde eine Waisenerziehungsanstalt zu St. Hedwig gestiftet, 1868 wurde das städtische Elisabeth-Krankenhaus gebaut.

Am 8. Mai 1945 wurde Wartha von sowjetischen Truppen kampflos besetzt und anschließend als "Bardo" Teil des polnischen Staates. Kirche und Kloster wurden von polnischen Redemptoristen übernommen, die deutsche Bevölkerung bis 1946 ausgesiedelt und durch polnische Zuwanderer ersetzt. Die kommunistische Regierung verstaatlichte alle Wirtschaftsbetriebe und beseitigte praktisch die städtische Selbstverwaltung. Die Stadt wurde von der polnischen Verwaltung anfänglich als Dorf eingestuft, durch den Ausbau der Zellulose- und Papierindustrie erfolgte jedoch ein schnelles Wachstum. 1954 wurde Wartha als stadtartige Siedlung (osada) eingestuft, 1969 wurden ihr erneut die Stadtrechte verliehen.

Verwaltung

Bis etwa 1280 verblieb das örtliche Gericht in den Händen eines Kastellans. 1299 wurde die Obergerichtsbarkeit durch das Stift Kamenz übernommen. Die Stadt wurde anschließend jahrhundertelang durch Vögte geleitet, denen Schöffen zur Seite standen. 1792 wurde ein Magistrat eingesetzt (Bürgermeister mit Ratsmännern) und das Vogt- und Schöffengericht aufgelöst. Mit der Städteordnung wurde 1809 die Abhängigkeit vom Stift Kamenz und von der Patrimonialgerichtsbarkeit der Herrschaft Kamenz beendet. Nach 1849 war das Kreisgericht Frankenstein für Wartha zuständig.

Bevölkerung

Die Bürgerschaft kam während des Prozesses der Stadtbildung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vor allem aus Obersachsen, der Lausitz und Thüringen; bis nach 1300 mischte sie sich mit der ursprünglichen slawischen Bevölkerung. 1905 gaben alle Einwohner Deutsch als ihre Muttersprache an.[2] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die bisherige Einwohnerschaft ausgesiedelt und durch teilweise aus den an die Sowjetunion gefallenen Ostgebieten stammende Polen ersetzt. Bevölkerungsentwicklung: 1773: 561, 1828: 866, 1850: 1.023, 1885: 1.155[3]/1.189, 1910: 1.416, 1938: 1.767, 1950: 2.334,[4] 1970: 2.736,[5] 1980: 3.200, 1993: 3.019,[6] 2011: 2.794 Einwohner.

Wirtschaft

Nach dem Verlust seiner strategischen Bedeutung im Mittelalter entwickelte sich Wartha spätestens ab dem 15. Jahrhundert zum Wallfahrtsort und erlebte diesbezüglich eine Blütezeit um 1700 (bis zu 150.000 Prozessionswallfahrer und unzählige Einzelwallfahrer). In diesem Zusammenhang entstanden zahlreiche Gasthöfe und Herbergen sowie ein Devotionalienhandel. Seit etwa 1880 wurde die Stadt auch von sog. Sommerfrischlern aufgesucht.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Papierfabrik von Josef Poppe, die u. a. Eisenbahnkarten für zahlreiche deutsche Gesellschaften herstellte. 1873 wurde Wartha an die wichtige Eisenbahnlinie Breslau/Wrocław Glatz – Mittelwalde angebunden. Darüber hinaus entwickelte sich die Produktion von Pfefferkuchen. Nach 1945 wurde die Papierindustrie bedeutend ausgebaut; ab 1954 waren hier die Warthaer Zellulose- und Papierwerke (Bardzkie Zakłady Celulozowo-Papiernicze) ansässig. Nach 1990 brach die industrielle Produktion bis auf kleinere Papier- und Möbelbetriebe zusammen; heute hat die Stadt vor allem als Wallfahrtsort und lokales Handelszentrum Bedeutung.

Religions- und Kirchengeschichte

Eine angebliche Erscheinung der Gottesmutter führte um 1200 zu der Aufstellung eines Gnadenbildes und ersten Pilgerfahrten nach Wartha. Mit einer zweiten Erscheinung am 5. Mai 1400 setzten die von den Zisterziensern betreuten Marienwallfahrten ein, die die Stadtgeschichte bis in die Gegenwart prägen. Als Teil der Klosterherrschaft Kamenz und als Wallfahrtsort blieb Wartha während der Reformationszeit katholisch. Die wenigen evangelischen Gläubigen wurden nach Giersdorf/Opolnica eingepfarrt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen jährlich bis zu 80.000 Pilger nach Wartha, 1920 waren es noch 40.000–50.000 Personen; die Zahlen gingen nach der Grenzsperre gegen die Tschechoslowakei jedoch stark zurück.

Um die Wallfahrt zu betreuen, siedelten sich im 1810 säkularisierten Kloster im Jahr 1900 Redemptoristen an. 1916 wurde das Ursulinenkloster St. Angela eröffnet.

Konfessionelle Gliederung der Bevölkerung: 1905: 1.186 Katholiken, 126 Evangelische,[7] 1925: 1.433 Katholiken, 123 Evangelische. Ortstypisch während der Frühlings- und Sommermonate waren zahlreiche Prozessionen mit Gesang und Musik. Nach 1945 verstärkte sich das zahlenmäßige Übergewicht der Katholiken; lutherische Gottesdienste finden heute gelegentlich in Giersdorf statt.

Besondere kulturelle Institutionen

Im Kloster ist seit 1967 das Museum für Sakrale Kunst (Muzeum Sztuki Sakralnej) untergebracht (barocke Malerei, Skulptur und das Buch Diva Wartensis von 1655).

Bildung und Wissenschaft

Wartha hatte seit dem 17. Jahrhundert eine katholische Schule und seit 1889 eine evangelische Volksschule. Darüber hinaus gab es die sog. Maidenschule im Ursulinenkloster und eine Landwirtschaftsschule. Heute ist ein Gymnasium ansässig.

Alltagskultur

Bis 1945 war die gebirgsschlesische (Frankensteiner) Mundart mit starken Anklängen an die Glatzer Mundart verbreitet.

Kunstgeschichte

Wichtigstes Baudenkmal ist die barocke Marienwallfahrtskirche (Basilika Heimsuchung der Heiligsten Frau Maria), die 1687–1704 im Auftrag der Kamenzer Äbte Augustin Neudeck und Gerhard Woiwode nach Plänen des in Neisse/Nysa ansässigen Baumeisters Michael Klein anstelle zweier mittelalterlicher Vorgängerbauten errichtet wurde: der um 1315 geweihten Kirche St. Wenzeslaus ("böhmische Kirche") sowie der 1403–1420 erbauten "deutschen Kirche". Die repräsentative Doppelturmfassade der heutigen Kirche ist das Wahrzeichen von Wartha. Das Gnadenbild, die spätromanische Holzfigur der Madonna mit Kind (12.–13. Jahrhundert), ist eine der ältesten erhaltenen Plastiken aus Schlesien. Zur barocken Innenausstattung der Emporenbasilika gehören die Kanzel von Johann Joseph Weiss (1696), der Hochaltar mit dem Gemälde Mariä Heimsuchung von Michael Willmann (1705) und das Orgelwerk von Franz Josef Eberhardt mit dem mächtigen Rokokoprospekt von Heinrich Hartmann (1755–1759).

Neben der Kirche wurde 1712–1716 auch das zweiflügelige Klostergebäude neu errichtet. Heute dient es als Wohnung der Redemptoristen und als Museum (s. o.).

1617–1619 wurde am sog. Kalvarienberg (Góra Bardzka), dem Ort der mittelalterlichen Marienerscheinungen, im Auftrag des Bischofs von Breslau Erzherzog Karl eine Kapelle erbaut. Zum Wallfahrtskomplex gehört auch ein Rosenkranzweg mit 10 aufwändig gestalteten Kapellen aus den Jahren 1902–1939; eine Kapelle entstand 1989.

An der Hauptstraße (ul. Główna) sind einige der Pilger-Gasthäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert erhalten. Reste mittelalterlicher Befestigungs- bzw. Burganlagen finden sich nördlich (10.–13. Jahrhundert) sowie am Steilufer der Glatzer Neiße südwestlich der Stadt (12.–13. Jahrhundert).

Literatur

Die Stadt erscheint als Schauplatz in den Werken der polnischen Gegenwartsautoren Andrzej Sapkowski (Narrenturm) und Olga Tokarczuk (Bardo. Szopka [Wartha. Die Krippe]).

Militärgeschichte

Die Befestigungen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurden von Preußen im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts ausgebaut; die Stadt war vorübergehend (1794–1806) Sitz eines preußischen Infanterieregiments.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

1988 übernahm die Gemeinde Reken (Kreis Borken) die Patenschaft für die ehemaligen Einwohner von Wartha. In der Klosterkirche Maria Veen in Reken wurde eine Kopie der Warthaer Gnadenfigur der Muttergottes aufgestellt.[8]

4. Diskurse/Kontroversen

Die Frage der politischen und ethnischen Zugehörigkeit der Ansiedlung zwischen Polen und Böhmen vor der deutschen Besiedlung ist aus Mangel an Quellen weitgehend ungeklärt.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Bardo. In: Marek Staffa (Hg.): Słownik geografii turystycznej Sudetów [Lexikon der touristischen Geographie der Sudeten]. Bd. 12: Góry Bardzkie [Warthagebirge]. Wrocław 1993.
  • Werner Bein, Ulrich Schmilewski (Hg.): Wartha. Ein schlesischer Wallfahrtsort. Würzburg 1994.
  • Tadeusz Chrzanowski: Bardo. Wrocław, Warszawa u. a. 1980 (Śląsk w zabytkach sztuki 24).
  • Joseph Gottschalk: Wartha. In: Hugo Weczerka (Hg.): Handbuch der historischen Stätten. Schlesien. Stuttgart 1977 (Kröners Taschenausgabe 316), S. 560-562.
  • Artur Hryniewicz: Bardo/Wartha. In: Ernst Badstübner, Dietmar Popp, Andrzej Tomaszewski, Dethard von Winterfeld (Hg.), Sławomir Brzezicki, Christine Nielsen (Bearb.): Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen. Schlesien. München, Berlin 2005, S. 116f.

Quellen

  • Bohuslaus Aloysius Balbinus: Diva Wartensis. Prag 1655 (deutsche Übersetzung von Ferdinand August Tanner von Löwenthal, Prag 1657).
  • Sebastian Kleinwächter: Erneutes und vermehrtes Wartenbuch. Neiße 1711.
  • J. D. Hatscher: Kurze Geschichte des Wallfahrtsortes Wartha. Wartha 1857.
  • Julius Peter: Frankenstein, Camenz und Wartha in Schlesien. Glatz (1885).
  • Joseph Schweter: Wartha. Geschichte dieses Wallfahrtsortes und der Wallfahrten dorthin. Schweidnitz 1922.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Kazimierz Rymut (Hg.): Nazwy miejscowe Polski. Historia – pochodzenie – zmiany [Ortsnamen Polens. Geschichte – Herkunft – Veränderungen]. Bd. 1: A-B. Kraków 1996, S. 79.

[2] Gemeindelexikon für das Königreich Preußen, H. 6. Schlesien. Auf Grund der Materialen der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 und anderer amtlicher Quellen. Berlin 1908.

[3] Julius Peter: Frankenstein, Camenz und Wartha in Schlesien nebst Reichenstein, Silberberg, Warthapaß, Königshainer Spitzberg und deren Umgebungen. Handbuch für Reisende und Einheimische. Glatz o. J. (1885).

[4] Miasta polskie w Tysiącleciu [Polnische Städte im Millennium]. Wrocław, Warszawa u. a. 1967, S. 545.

[5] Gottschalk: Wartha, S. 562.

[6] Jerzy Kwiatek, Teofil Lijewski: Polska. Podręczny leksykon geograficzny [Polen. Geografisches Handlexikon], Toruń (o. J.), S. 333.

[7] Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 20. Leipzig 1909, S. 392.

[8] Gemeinde Reken. URL: www.reken.de/index.phtml?NavID=355.115&La=1 (Abruf 19.07.2013).

Zitation

Wojciech Wagner: Wartha/Bardo. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32434 (Stand 03.12.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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