Wolgadeutsche ASSR

1. Toponymie

Amtliche Bezeichnung

Dt.: seit 1918 „Arbeitskommune der Wolgadeutschen“ oder „(Autonomes) Gebiet der Wolgadeutschen“; nach der Umwandlung in eine Republik Anfang 1924 „Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen“, abgekürzt: ASSR der Wolgadeutschen, ASSR der W.-D., auch: ASSRWD, ASSR d. WD. oder ASSRdWD. Bis Anfang der 1930er Jahre war zudem folgende Bezeichnung geläufig: Autonome Sozialistische Räterepublik der Wolgadeutschen – ASRR d.W.-D. (auch: ASRRdWD).

Russ.: seit 1918 „(Trudovaja) Kommuna nemcev Povolž’ja“ oder „(Avtonomnaja) Oblast’ nemcev Povolž’ja“; ab 1924: „Avtonomnaja Socialističeskaja Sovetskaja Respublika Nemcev Povolž’ja (ASSR NP)“.

2. Geographie

Lage

1917 existierten mehr als 200 ländliche deutsche Siedlungen, die sich auf beiden Seiten der Wolga (russ. Volga) ober- und unterhalb der Regionalmetropole Saratow/Saratov in den Kreisen (ujezdy) Nikolajewsk/Nikolaevsk und Nowousensk/Novouzensk des Gouvernements Samara (Samarskaja gubernija) und in Atkarsk sowie in Saratow und Kamyschin/Kamyšin, also im Gouvernement Saratow (Saratovskaja gubernija), befanden. Sie nahmen insgesamt eine Fläche von ca. 20.000 km² ein. Einige weit entfernte Siedlungen, wie Jagodnaja Poljana, blieben außerhalb der künftigen Autonomie.

Topographie

Historische Geographie

Nach dem Dekret über die Gründung der Arbeitskommune (des Autonomen Gebiets) der Wolgadeutschen vom 19. Oktober 1918 konnten − trotz erbitterter Widerstände des Saratower Gouvernements-Exekutivkomitees, aber mit klarer Unterstützung der Zentralregierung in Moskau/Moskva − bis zum März 1919 214 Dörfer auf dem neu geschaffenen nationalen Territorium vereinigt werden, das zunächst aus mehreren, nicht immer miteinander verbundenen Gebieten, die nur deutsche Siedlungen umfassten, bestand. Dieses Autonome Gebiet gehörte – wie ab 1924 die Republik der Wolgadeutschen − seit seiner Gründung administrativ zur Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), die ihrerseits seit Ende 1922 zusammen mit anderen Unionsrepubliken den Bundesstaat UdSSR bildete. Es bestand zunächst aus den drei Kreisen Balzer/Krasnoarmejsk, Katharinenstadt und Seelmann (heute: Rovnoe). Das Zentrum der Arbeitskommune wurde im Mai 1919 von Saratow nach Katharinenstadt (am 4. Juni 1919 in Marxstadt/Marksštadt umbenannt, heute: Marx/Marks) verlegt. Ein weiteres Dekret ordnete 1922 an, die Siedlungen mit andersethnischer, vornehmlich russischer und ukrainischer Bevölkerung, die zwischen den deutschen Territorien lagen, in das Autonome Gebiet aufzunehmen. Dadurch vergrößerte sich dessen Fläche zunächst um 27 % auf 24.940 km² und die Bevölkerungszahl um 48 % auf 502.099 Menschen. Das Gebietszentrum wurde nach Pokrowsk (am 19. Oktober 1931 in Engels/Ėngel’s umbenannt) verlegt. Das nationale Gebiet wurde demnach in 14 Kantone (Landkreise) unterteilt; die Hauptstadt bildete eine selbständige administrative Einheit.

Durch das Regierungsdekret vom 19. Dezember 1923 und den Beschluss des elften Rätekongresses des wolgadeutschen Gebiets vom 6. Januar 1924 erfolgte die Umwandlung des Gebiets in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD). Schließlich legte ein weiteres Dekret der russländischen Staatsgewalt 1924 „wichtigste Grundzüge seines Verfassungslebens“[1] fest. Seit Juni 1928 bis Januar 1934 wurde die ASSRdWD der neugebildeten Region „Unteres Wolgagebiet“ mit Saratow als Verwaltungszentrum unterstellt. Nach der Aufteilung dieser Großregion blieb die Wolgarepublik bis Dezember 1936 Teil der neu gebildeten Region Saratow, ehe sie wieder direkt den zentralen Organen der RSFSR unterstellt wurde. Zum 1. Januar 1941 umfasste die ASSRdWD eine Fläche von 28.400 km² und gliederte sich in 22 Kantone und zwei selbständige Orte: die Hauptstadt Engels und die Arbeitssiedlung Krasnyj Tekstil’ščik (dt. = Roter Weber). Die Republik grenzte an die Gebiete Saratow und Stalingrad (heute: Wolgograd/Volgograd) sowie an Kasachstan.

Durch das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets (POS) der UdSSR vom 7. September 1941 wurde das Territorium der Wolgarepublik zwischen den Gebieten Saratow und Stalingrad aufgeteilt. In den Jahren 1942−1944 verfügte eine Reihe von Ukazen des POS und von Beschlüssen der Gebietsverwaltungen Saratow und Stalingrad über die komplette Ersetzung der deutschen Toponymik durch russische.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Flagge der Wolgadeutschen Republik in den 1920er Jahren und nach der Annahme der Republikverfassung 1937, Rekonstruktion 2003 [Abb.: Michail Revnivcev: Flag i gerb ASSR Nemcev Povolž’ja (Flagge und Wappen der ASSR der Wolgadeutschen)].

In der 1926 angenommenen Konstitution der ASSR der Wolgadeutschen waren die Artikel 81 und 82 dem Wappen und der Flagge der Republik gewidmet.[2] Obwohl dieses Grundgesetz von den verfassungsmäßigen Organen der RSFSR nicht bestätigt wurde, gibt es zahlreiche Hinweise, dass wenigstens die Flagge der Republik bei entsprechenden Anlässen gehisst wurde. Die in der 1937 vom außerordentlichen Sowjetkongress der ASSRdWDr bestätigten Konstitution der Wolgarepublik festgelegte Symbolik war bis zur Liquidierung der Republik im August 1941 gültig.[3]

Autonomievoraussetzungen und -gründung

Noch während der Existenz der bürgerlichen Regierung, nach dem Sturz der Monarchie im Zuge der Februarrevolution 1917, entstand eine massenhafte nationale Autonomiebewegung der Wolgadeutschen (s. Wolgagebiet), bei der das in der Deklaration der Rechte der Völker Russlands vom 2. November 1917 versprochene Selbstbestimmungsrecht eine breite Zustimmung fand. Die neue bolschewistische Staatsführung erkannte die Wolgadeutschen als ein genuin eigenständiges russländisches Volk an und gestand ihnen das Recht auf eine nationale sprachlich-kulturelle Entwicklung sowie die Schaffung einer eigenen Territorialautonomie zu, allerdings auf Grundlage der bolschewistischen Räteorganisationen.

Anfang April 1918 brach eine Delegation aus den gewählten bürgerlichen Vertretern der Wolgadeutschen nach Moskau auf, um die verbrieften Autonomierechte einzufordern. Gleichzeitig mit ihnen kam aus Saratow eine Abordnung der dortigen Sozialisten mit demselben Ansinnen, die dann von Iosif Vissarionovič Stalin (Džugašvili, 1878–1953) in dessen Funktion als Kommissar für Nationalitätenfragen empfangen wurde.

Für die praktische Umsetzung der Nationalitätenpolitik im bolschewistischen Sinne wurde Ende April 1918 das „Kommissariat für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet“ gegründet, dem der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter (1889−1953), vorstand. Einige Wochen später rief der am 30. Juni in Saratow vom Kommissariat einberufene Rätekongress der deutschen Kolonien im Wolgagebiet eine „Föderation der Arbeiter- und Bauernräte“ aus, die sich für die Selbstverwaltung der deutschen Siedlungen und für alle Fragen der Kultur- und Schulaufgaben zuständig erklärte. Die Tätigkeit des Kommissariats endete mit der Bestätigung der Autonomie durch Vladimir Il’ič Lenin (Ul’janov, 1870–1924) als Regierungschef.

Bürgerkrieg und Hungersnot

Die Politik des Kriegskommunismus 1918−1921 ruinierte nachhaltig die wirtschaftlichen Grundlagen der ländlichen Bevölkerung, die unter Gewaltandrohungen gezwungen war, große Mengen an Lebensmittel abzuliefern (russ. prodrazverstka) und für die Rote Armee Rekruten, Pferde und Futter bereitzustellen. Die ständig wachsende Unzufriedenheit der deutschen Bauern erreichte im Winter 1920/21 ihren Höhepunkt und schlug sich in zahlreichen bewaffneten Aufständen nieder. Daneben gab es unter den Wolgadeutschen schon vor 1914 einen beträchtlichen proletarischen Anteil, der sich vor allem aus verarmten Landwirten, Tagelöhnern und Sarpinka-Webern zusammensetzte. Nach der Gründung der Autonomie formierte sich etwa das Erste Katharinenstädter kommunistische deutsche Regiment, das mit 2.000 Mann am 15. Dezember 1918 an die Südfront (Ukraine) ging. Bis 1920 wurden weitere wolgadeutsche Einheiten für die Rote Armee gebildet.

Das autonome Gebiet wurde zum Epizentrum der katastrophalen Hungersnot 1921−1922. Zur Linderung der Notlage ließ die Sowjetregierung die Tätigkeit ausländischer Hilfsorganisationen zu. Durch die Lebensmittellieferungen retteten vor allem die „American Relief Administration“ (ARA) und das von Fridtjof Nansen (1861−1930) geschaffene „Kinderhilfswerk“ das Leben von Millionen Menschen.[4] In Deutschland führte der Reichsausschuss „Brüder in Not“ landesweit Sammelaktionen durch. Anfang 1922 durfte eine medizinische Hilfsexpedition des Deutschen Roten Kreuzes ihre Tätigkeit in Sowjetrussland, unter anderem in der Arbeitskommune, aufnehmen.

Wirtschaftspolitische Entwicklungen der 1920er Jahre

Die im März 1921 eingeführte Neue Ökonomische Politik (NÖP; Novaja ėkonomičeskaja politika, NĖP) führte marktwirtschaftliche Elemente ein und setzte stabile Ablieferungsnormen für die Bauern fest, die nun, anders als bei den zuvor durchgeführten Requisitionen, über ihre Überschüsse frei verfügen konnten. Auch von der Aufnahme andersethnischer Siedlungen und des zentral liegenden Kreises Pokrowsk in das Autonome Gebiet im Juni 1922 erhofften sich die örtlichen Funktionäre vor allem eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Nicht zuletzt aus außenpolitischen Erwägungen stimmte das Politbüro des ZK der kommunistischen Partei im Dezember 1923 der Statuserhöhung des Gebiets (Aufwertung zu einer Autonomen Republik) zu.

Die NÖP führte zu einer raschen wirtschaftlichen Erholung der deutschen Autonomie, in der bereits 1927 die Gesamtfläche des bewirtschafteten Landes und die Gesamtproduktion der Landwirtschaft 80 % des Vorkriegsniveaus sowie die industrielle Produktion im Berichtsjahr 1927/28 bereits 88 % der Vorkriegsleistung erreichten.

Der Status einer autonomen Republik ermöglichte den lokalen Eliten, sprachlich-kulturelle Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung zu berücksichtigen und in Moskauer Zentralgremien vorzubringen. Das bezeugen Beschlüsse der gesetzgeberischen Institutionen der Wolgarepublik zur Einführung des Deutschen als Amtssprache (1924), zur Verwendung deutscher Bezeichnungen für Ortschaften, zur Gründung eines Zentralen Staatlichen Heimatkunde-Museums in Engels (1925), zur weiteren Entwicklung des deutschsprachigen Bildungswesens und der Massenmedien, des örtlichen Verlagswesens usw. Mit politischer und finanzieller Unterstützung der lokalen Partei- und Sowjetführung nahmen solche Institutionen und Vereinigungen wie die „Zentralstelle für wolgadeutsche Mundartforschung“ (1925) oder die „Gesellschaft für wissenschaftliche Erforschung der Wolgadeutschen Republik“ (1928) ihre Tätigkeit auf.

Links: Mitteilungen des Zentralmuseums der Wolgadeutschen Republik, 1927.

Stalinismus

Der Ende der zwanziger Jahre eingeschlagene Kurs zu einer Mobilisierungsdiktatur unter Stalins Alleinherrschaft führte zur Abkehr von der bisherigen liberaleren Politik, zu Verbannung und Entrechtung der wohlhabenden Bauern, zu Verfolgungen der Kirchen und Strafprozessen gegen bürgerliche Intellektuelle, Kolchosgegner und „Schädlinge“ jeglicher Art.[5] Daraufhin brachen vielerorts Unruhen aus, besonders vehement in den Kantonen Frank und Kamenka: Bis zum Eingreifen bewaffneter Einheiten der Geheimpolizei GPU befand sich hier eine Reihe von Dörfern mehrere Wochen im Dezember 1929 und Januar 1930 in der Gewalt der aufgebrachten Bauern, die die Kollektivwirtschaften auflösten, Deportationen der Kulakenfamilien (= wohlhabende Bauern) verhinderten und geschlossene Kirchen wieder öffneten.

Dennoch vereinigten die hastig gebildeten Kolchosen im Zuge der Zwangskollektivierung bis zum Juni 1931 bereits 97 % der bäuerlichen Wirtschaften, was zur Hungersnot der Jahre 1932−1933 führte, die, insbesondere in der Ukraine, in Kasachstan, im Nordkaukasus und eben im Wolgagebiet, mindestens 3,5 Mio. Menschen das Leben kostete.

Hilferufe einiger bedrängter Sowjetbürger deutscher Herkunft an ihre Verwandten oder Glaubensbrüder im Ausland lösten eine massive Propagandakampagne aus, in der die Existenz einer Hungersnot schlichtweg geleugnet wurde. Besonders die Tätigkeit des Reichsausschusses „Brüder in Not“ und Unterstützung von Kirchen und Privatpersonen aus dem nationalsozialistischen Deutschland wurde als „Hitler-Hilfe“ diffamiert; ihre Empfänger wurden als „faschistische Agenten“ gebrandmarkt.[6] Solche Bittschriften wertete die sowjetische Führung – anders als zu Beginn der 1920er Jahre – fortan als Untreue zur „sozialistischen Heimat“. Eine Welle von Verfolgungen und Verhaftungen löste das Telegramm des ZK der Kommunistischen Partei vom 5. November 1934 aus, das zum Kampf „gegen die Faschisten und ihre Helfershelfer“ unter der deutschen Bevölkerung aufforderte. Die Intensität der Verfolgung der Wolgadeutschen in ihrer Republik in den Jahren des Großen Terrors 1937−1938 mit 6.698 verurteilten, davon 3.632 erschossenen Menschen lag anderthalbfach höher als im Landesdurchschnitt, war aber aufgrund des Autonomiestatus wesentlich niedriger als unter den Deutschen in der Ukraine und anderen Regionen.[7]

Schon zu Beginn der 1930er Jahre beschränkte sich die Rolle der örtlichen Partei-, Staats- und Regierungsführung faktisch auf das Vollstrecken der von der Moskauer Zentrale erteilten Direktiven. Gleichwohl ermöglichte die Existenz einer national-territorialen Autonomie eine gewisse Berücksichtigung der Belange der Titularnationalität in Kaderfragen, im Bereich der Kultur (Theater, Museen, bildende Kunst, Literatur, Presse, Buchdruck), der höheren Bildung oder des muttersprachlichen Schulunterrichts. Die marxistisch-leninistische Weltanschauung fand vor allem unter jungen Leuten und im städtischen Milieu genügend Anhänger, die sich nicht zuletzt durch neue Arbeits- und Lebensformen, Bildungsangebote und Aufstiegsmöglichkeiten angezogen fühlten. Unter den 9.741 Mitgliedern der Republikparteiorganisation betrug der Anteil der deutschen Titularnationalität zum 1. März 1940 immerhin 49,6 %. Zur gleichen Zeit wuchs die Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband (Komsomol), der mehrheitlich aus Wolgadeutschen bestand, auf 23.800 an.

Verwaltung

Noch im Januar 1924 konstituierte sich ein Zentralvollzugskomitee (Zentralexekutivkomitee [ZEK]) der ASSR der Wolgadeutschen mit 50 Mitgliedern und zehn Kandidaten, die aus ihrer Mitte das achtköpfige Präsidium des ZEK der ASSRdWD unter dem Vorsitz von Johannes Schwab (1888–1938), dem sog. Staatspräsidenten (amtierte in dieser Funktion 1924−1930), wählten. Auf der ersten Sitzung des ZEK der ASSRdWD wurde die Regierung der Republik, der Rat der Volkskommissare (Ministerrat), bestimmt. Zum Vorsitzenden des Rates, dem sog. Ministerpräsidenten, avancierte 1924−1929 Wilhelm Kurz (1892–1938), dem zwölf Volkskommissariate oder Ministerien unterstanden, die für gesamtrepublikanische Angelegenheiten zuständig waren.

Das ZEK und der Rat der Volkskommissare der Wolgarepublik konnten nur im Rahmen ihrer – insgesamt bescheidenen – lokalen Kompetenzen selbständig agieren und waren an Weisungen der übergeordneten Behörden der RSFSR gebunden. Immerhin durfte die Republik anstatt je einen künftig sechs Vertreter zum Allrussländischen Räte-Kongress und fünf in den Rat der Nationalitäten auf der Unionsebene entsenden.

Die Stalin’sche Verfassung von 1936 hob formal alle bestehenden Beschränkungen auf und führte „freie, direkte, geheime und gleiche“ Wahlen ein. Gleichzeitig ersetzten der Oberste Sowjet und sein Präsidium sowohl auf Unions- als auch auf Republikebene das ZEK. Der Oberste Sowjet der UdSSR bestand nun aus zwei gleichberechtigten Kammern: Von den im Dezember 1937 gewählten elf Abgeordneten der Republik im Nationalitätensowjet waren neun Wolgadeutsche; von den zwei Abgeordneten im Unionssowjet einer. Die Wahlen in den Obersten Sowjet der Wolgadeutschen Republik fanden am 26. Juni 1938 statt; die sich einen Monat später zur ersten Tagung versammelnden 147 Abgeordneten wählten das Präsidium des Obersten Sowjets der ASSRdWD, bestehend aus zwölf Personen, und seinen Vorsitzenden (Konrad Hoffmann [1894−1977]); ferner wurde die Regierung der Republik mit dem Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, Alexander Heckmann (1908−1994), bestätigt. Allerdings schützten die in der Verfassung verankerten besonderen Rechte der Volksdeputierten nicht vor staatlicher Willkür, und so erlitten die gewählten deutschen Abgeordneten verschiedener Oberster Sowjets nach 1941 Verbannung und Lagereinsatz.

Bevölkerung

Vor allem die beiden Hungerkatastrophen dezimierten die Einwohnerzahlen beträchtlich und zwangen viele zur Auswanderung. Nach der ersten Volkszählung vom 28. August 1920 zählte das Autonome Gebiet in den damals gültigen Grenzen 452.629 Einwohner, davon mehr als 96 % Deutsche. Genau ein Jahr später ging die Bevölkerung um 20,5 % auf 359.460 Menschen zurück und verringerte sich zum 1. Januar 1922 weiter auf 338.560 Personen. Allein 1921 verließen offiziell 74.084 Menschen die Arbeitskommune und zogen nach Turkestan, in den Kaukasus, nach Zentralrussland, in die Ukraine, Weißrussland und auch nach Deutschland. Aufgrund grassierender Seuchen und minderwertiger Ernährung erreichten bei weitem nicht alle Flüchtlinge die angestrebten Orte. Hinzu kamen 47.777 erfasste Todesfälle, in ihrer Mehrheit Hungeropfer.[8] Die Bevölkerungsverluste unter den Wolgadeutschen werden insgesamt auf bis zu 100.000 Personen geschätzt. Erst die territoriale Vergrößerung konnte die enormen menschlichen Verluste kaschieren. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zählte der natürliche Zuwachs der deutschen Bevölkerung in der ASSRdWD mit 38,1 % (1927) zu den höchsten in der ganzen UdSSR. Diese positive Bevölkerungsentwicklung spiegelte sich in den Ergebnissen der Volkszählung von 1926 wider: 379.600 Deutsche stellten zwei Drittel der Bevölkerung der Republik.

Nationale Zusammensetzung in der ASSR der Wolgadeutschen nach den Unions-Volkszählungen 1926 und 1939[9]




19261939
InsgesamtDavon in den StädtenInsgesamtDavon in den Städten
Anzahlin %Anzahlin %Anzahlin %Anzahlin %
Deutsche379.63066,433.4358,8366.68560,551.95514,2
Russen116.56120,425.09636,6156.02725,758.06937,2
Ukrainer68.56112,013.51319,758.2489,616.66928,6
Kasachen1.3530,2443,38.9881,599411,1
Übrige5.4731,01.01018,516.5842,73.89223,5
Insgesamt %571.57810073.09812,8606.532100131.57921,6

Die neue Kollektivierungs- und Industrialisierungspolitik seit Ende der 1920er Jahre führte allerdings erneut zu demographischen Verlusten. In den Jahren 1930 und 1931 wurden aus der ASSRdWD 4.288 Familien der sogenannten Kulaken mit 24.202 Mitgliedern oder 3,7 % aller Bauernwirtschaften zwangsausgesiedelt, was deutlich über dem Landesdurchschnitt von ca. 1,5 % lag. Während der Hungersnot 1932−1933 kamen in der Wolgarepublik etwa 45.300 Menschen um. Laut statistischen Angaben verließen in den Jahren 1930–1933 fast ein Drittel oder 203.000 ihrer Einwohner die Republik, die unter anderem in die Großstädte Saratow, Stalingrad, Baku/Bakı, Moskau oder Minsk übersiedelten.[10] Ein Teil davon kehrte nach einigen Jahren zurück. Ungeachtet der hohen Geburtsraten ging die absolute Zahl der Deutschen in der ASSRdWD zwischen den beiden Volkszählungen 1926 und 1939 zurück.

Der Urbanisierungsgrad der Deutschen (14,2 %, Stand 1939) war geringer als der von Russen oder Ukrainern, jedoch höher als bei anderen Titularnationalitäten in ihren jeweiligen Republiken wie etwa den Mordwinen (2,6 %), den Kalmücken (6,9 %) oder den Wolga-Tataren (12,3 %). Während überwiegend von Deutschen bewohnte Städte wie Marxstadt oder Balzer kaum Bevölkerungszuwächse verzeichneten, verdoppelte sich die Einwohnerzahl der Hauptstadt Engels zwischen 1926 und 1939 von 34.345 auf 68.983 Personen.[11]

Wirtschaftliche Entwicklungen

Die Landwirtschaft und hier vor allem der Ackerbau dominierte mit bis zu 80 % Aussaatfläche für verschiedene Weizensorten die wirtschaftliche Struktur des autonomen Gebietes. Enorme Schwankungen der Ernteerträge waren typisch für diese trockene Steppenzone. Die Landwirtschaft stürzte mit der Kollektivierung und Enteignung der wohlhabenden Bauern in eine tiefe Krise, aus der sie sich erst Ende der 1930er Jahre erholte.

Daneben existierte bereits vor 1917 eine nennenswerte Heim- und Gewerbeindustrie, in der vor allem die Produktion von Sarpinka, einem Baumwollstoff, hervorzuheben ist. Im Zuge der hastig durchgeführten Industrialisierung wurde unter anderem mit dem Bau des größten Fleischkombinats in der UdSSR in Engels begonnen. Auch bereits vorhandene Betriebe wurden stark erweitert und modernisiert. Vor allem entwickelte sich die ASSRdWD zu einem der Zentren der Textilindustrie. Neben den Weberei- und Trikotagefabriken in Balzer und Kratzke/Podčinny zählte die Spinnwollefabrik in Krasnyj Tekstilščik mit 1.904 Beschäftigten zu den größten Industriebetrieben.

Kultur- und Bildungswesen

Bedingt durch Hungersnot und wirtschaftlichen Kollaps in den frühen 1920er Jahren galten am Ende des Dezenniums 62 % der deutschen Jugendlichen im Alter von 8 bis 11 Jahren als Analphabeten, weit abgeschlagen hinter den russischen und ukrainischen Altersgenossen. Die sukzessive aus dem Schuldienst gedrängten alten Schulmeister konnten kaum durch neue, sozialistisch gesinnte Lehrer ersetzt werden. Auf Betreiben der Republikführung nahm schließlich im Herbst 1929 das Deutsche Staatliche Pädagogische Institut (Pädinstitut) seine Tätigkeit in der Hauptstadt auf; zwei Jahre später folgte die Deutsche Landwirtschaftliche Hochschule. Darüber hinaus sorgte ein dichtes Netz von Fachoberschulen (Technika) und Instituten für eine fachliche und akademische Ausbildung des Personals für das Schulwesen, die Kulturarbeit, Landwirtschaft und Industrie.[12]

Das Zentralmuseum der ASSRdWD wurde 1925 in der Republikhauptstadt eröffnet und umfasste eine vorgeschichtliche bzw. archäologische, eine ethnographische sowie ab 1927 eine naturwissenschaftliche Abteilung. Die 1930 erfolgte Verhaftung des Direktors Georg Dinges (1891−1932), der in der Verbannung starb, unterbrach die erfolgreiche Sammel- und Forschungstätigkeit. Um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, beging zudem Paul Rau, einer der drei Abteilungsleiter, im gleichen Jahr Selbstmord. Nach der Reorganisation 1932/1933 verwandelte sich das Museum zunehmend in eine Institution mit klarer propagandistischer Zielsetzung.[13] Immerhin beherbergte es 1940 eine stattliche Anzahl von 5.400 Exponaten, darunter eine Bildersammlung des bekannten Landschaftsmalers und Absolventen der Kunstakademie in St. Petersburg, Jakob Weber (1870–1958). Nach der Auflösung der Republik wurde das Museum geschlossen; die meisten Ausstellungsstücke gingen durch unsachgemäße Lagerung und Diebstahl verloren. Die öffentlichen Präsentationsräume des nach dem Krieg in Engels eröffneten Heimatkundemuseums ließ man von solchen Ausstellungsstücken sorgfältig säubern, die einen Bezug auf die hier vormals lebenden Deutschen oder auf die Existenz der ASSRdWD hätten aufweisen könnten. Erst seit Ende der 1980er Jahre findet die wolgadeutsche Thematik wieder ihren Platz in musealen Expositionen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen.[14]

 

Neben dem Zentralen Republikmuseum und -archiv gab es das Akademische Deutsche Staatstheater (eröffnet 1931) und zwei örtliche Bühnen in Marxstadt und Balzer, die Zentrale Republikbibliothek, den Deutschen Staatsverlag und das Republikradiozentrum. Zudem erschienen fast 30 Zeitungen und Zeitschriften und jährlich Hunderte Buchtitel in deutscher Sprache. Die künstlerische und literarische Intelligenz war in den Republikverbänden der bildenden Künste und der Schriftsteller vereinigt.

Politische Entwicklungen nach der Liquidierung der Wolgarepublik 1941 bis heute

Der im Juni 1941 ausgebrochene deutsch-sowjetische Krieg führte zu einer Radikalisierung der sowjetischen Vorgehensweise in Bezug auf ethnische Fragen. Am 26. August 1941 beschloss das Politbüro des ZK der bolschewistischen Partei die Verbannung der Deutschen aus der ASSRdWD und aus den angrenzenden Gebieten Saratow und Stalingrad. Der zwei Tage später erlassene Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons leben“ legalisierte den Politbüro-Beschluss. Bis zum 20. September 1941 wurden nach offiziellen Angaben 373.529 Deutsche aus der Wolgarepublik, 46.706 aus dem Gebiet Saratow und 26.245 aus dem Gebiet Stalingrad deportiert. Öffentliche Proteste seitens der verbleibenden Bevölkerungsgruppen gab es nicht. Das Saratower Gebietsparteikomitee kritisierte am 22. September 1941, wenige Tage nach der Deportation, in einer Sitzung die „beispiellosen Diebstähle und Plünderungen“ in den von Deutschen verlassenen Ortschaften.[15]

Die deportierten Deutschen wurden ausschließlich in ländlichen Ortschaften und kleineren Rayonstädtchen in Kasachstan und Sibirien untergebracht und unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation zu körperlicher Arbeit gezwungen (s. UdSSR). Seit Januar 1942 bis zum Kriegsende 1945 wurden fast alle Deutschen im Alter von 15 bis 55 Jahren in Arbeitslager eingewiesen.

Nach der Überführung in die Zwangsarbeitslager fanden mehrere geheime Strafprozesse gegen einstige wolgadeutsche Staats-, Partei- und Wirtschaftskader, Abgeordnete und Intellektuelle mit dem Ziel statt, die Existenz einer „Fünften Kolonne“ und die verräterischen Absichten der betroffenen Volksgruppe zu „beweisen“ und somit ihre Deportation und dauerhafte Diskriminierung nachträglich zu legitimieren. Die Verurteilten, wie zum Beispiel Alexander Heckmann und weitere hochrangige Funktionäre, die im Gebiet Swerdlowsk Zwangsarbeit leisteten, wurden Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre – ebenfalls in geheimen Verfahren – rehabilitiert.

Das nahende 200-jährige Jubiläum der Ankunft der ersten Siedler an der Wolga gab Anstöße zur Formierung von Initiativgruppen, die eine vollständige Rehabilitierung der Wolga- und insgesamt der „Sowjetdeutschen“ forderten. Nach mehrmonatigen Beratungen einigten sich Partei- und Staatsspitze auf einen symbolischen Rechtsakt: Im Erlass vom 29. August 1964 wurde der Vorwurf des Verrats als unbegründet aufgehoben, aber die Wiederherstellung der Autonomie und die Rückkehr der einstigen Bewohner strikt abgelehnt.

Ermutigt durch die Reformansätze nach dem Regierungsantritt von Michail Gorbatschow 1985 bildeten sich erneut Gruppen von Aktivisten, die Delegationen nach Moskau entsandten und die Wiederherstellung der Wolgarepublik forderten. Als engagierte Verfechterin der Autonomiebewegung trat die im März 1989 gegründete Gesellschaft „Wiedergeburt“ auf. Vor allem das vom russischen Parlament am 26. April 1991 angenommene Gesetz „Über die Rehabilitierung der unterdrückten Völker“ erklärte die früheren Repressionen gegen Russlanddeutsche und andere Nationalitäten für „gesetzlos und verbrecherisch“ und versprach umfassende moralische, finanzielle, politische und territoriale Rehabilitierung. Der erneut unternommene Versuch, die Russlanddeutschen zu einem gleichberechtigten russländischen Volk mit einem autonomen Territorium werden zu lassen, scheiterte letztendlich am Unwillen der Staatsführung sowie an dem nahezu geschlossenen Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung und der lokalen Entscheidungsträger des Gebiets Saratow. Es folgte eine umfangreiche Ausreisebewegung nach Deutschland.

4. Diskussionen/Kontroversen

Um wenige historische Ereignisse in der Geschichte der russlanddeutschen Minderheit gibt es bis heute eine derartige Kontroverse wie um die kurzlebige Autonome Republik der Wolgadeutschen. Dabei treten immer wieder folgende Fragen in den Vordergrund: Lieferte die Notlage nach dem Friedensvertrag von Brest-Litovsk 1918 den ausschlaggebenden Grund zur Ausrufung einer territorialen Autonomie oder waren es die Bestrebungen der Wolgadeutschen selbst und die Nationalitätenpolitik der neuen Staatsführung? Für was stand der Begriff „Wolgadeutsche Musterrepublik“? Gab es Sympathien bzw. Verbindungen seitens der deutschen Sowjetbürger zum ‚Dritten Reich‘? Welches waren die tatsächlichen Gründe, die zur Liquidation der territorialen Autonomie im August 1941 und zu der Deportation führten? Warum wurde die Wolgarepublik 1957, 1964 oder später nicht wiederhergestellt? Welche Bedeutung besaß eine territoriale Autonomie für die betreffende Nationalität im Sowjetstaat und besitzt sie noch heute in Russland?[16]

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Arkadi German: Istorija respubliki nemcev Povolž’ja v sobytijach, faktach, dokumentach [Geschichte der Republik der Wolgadeutschen in Ereignissen, Fakten und Dokumenten]. 2. Aufl. Moskva 2000.
  • Ders.: Nemeckaja avtonomija na Volge 1918−1941 [Deutsche Autonomie an der Wolga. 1918−1941]. 2., korrig. Aufl. Moskva 2007.
  • Alfred Eisfeld (Hg.): Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen in Russland. Stuttgart 2008 (Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.: Sonderband).
  • Viktor Krieger: Kolonisten, Sowjetdeutsche, Aussiedler. Eine Geschichte der Russlanddeutschen. Bonn 2015 (Schriftenreihe / Bundeszentrale für Politische Bildung 1631).
  • Manfred Langhans-Ratzeburg: Die Wolgadeutschen. Ihr Staats- und Verwaltungsrecht in Vergangenheit und Gegenwart. Zugleich ein Beitrag zum bolschewistischen Nationalitätenrecht. Berlin 1929.
  • Aleksandr Špak: Administrativno-territorial’nye preobrazovanija v Nempovolž’e. 1964−1944 [Administrativ-territoriale Umbildungen im deutschen Wolgagebiet. 1764−1944]. Wolgograd 2012.
  • Gerd Stricker (Hg.): Russland. Berlin 1997 (Deutsche Geschichte im Osten Europas).

 

Anmerkungen

[1] Langhans-Ratzeburg: Die Wolgadeutschen, S. 80.

[2] Konstitution der Autonomen Sozialistischen Räte-Republik der Wolgadeutschen. In: Beschlüsse des 3-ten Rätekongresses der Autonomen Sozialistischen Räte-Republik der Wolgadeutschen. Pokrowsk. Januar-Februar 1926, S. 37−59, hier S. 59.

[3] Nachrichten (Engels), Nr. 100 vom 30. April 1937, S. 3.

[4] Allein in der Deutschen Arbeitskommune konnten sie schon Ende 1921 rund 80.000 Kinder ernähren, und bis zum 1. April 1922 erhöhte sich ihre Zahl auf 158.000. In den Sommermonaten übernahmen die ARA und das „Kinderhilfswerk“ zeitweilig die Speisung von 181.000 Erwachsenen (vgl. German: Nemeckaja avtonomija na Volge, S. 124−127).

[5] Vgl.: Irina Ossipowa: „Wenn die Welt euch hasst...“. die Verfolgung der katholischen Kirche in der UdSSR. Nach Unterlagen der Gerichte und Straflager. Hg. von Eugen Reinhardt. Annweiler 2000, v. a. S. 83−100; Viktor Krieger: Der erste Geheimprozess gegen wolgadeutsche Intellektuelle. In: Jahrbuch für internationale Germanistik. Jahrgang XXXVIII (2006), H. 2, S. 105−136.

[6] Nemcy-kolchozniki otvečajut na klevetu germanskich fašistov [Deutsche Kolchosbauer antworten auf die Verleumdungen der reichsdeutschen Faschisten]. In: Prawda, Nr. 193 vom 15. Juli 1933; Hunderttausende sowjetdeutsche Bauern schlagen den Mordfaschisten aufs Lügenmaul. In: Nachrichten, Nr. 168 vom 28. Juli 1933; Mögen die Werktätigen Deutschlands es wissen [Bericht des Sekretärs des Zentralvollzugskomitees der RSFSR, A. Kisselew, über seinen Besuch in der Republik der Wolgadeutschen]. In: Nachrichten, Nr. 264 vom 23. November 1933.

[7] Nikita Ochotin, Arseni Roginski: Zur Geschichte der „Deutschen Operation“ des NKWD 1937−1938. In: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2000/2001. Berlin 2001, S. 89−125.

[8] S. Kappes: Der Einfluss der Missernten auf das wirtschaftliche Leben im Gebiet der Wolgadeutschen in den Jahren 1920−1921. In: Alexander Mattern (Hg.): Unsere ökonomische Lage. Sammelwerk in 5 Heften mit 5 Beilagen. Marxstadt 1922, S. 29−43, hier S. 31−32; Die Bevölkerung des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen zum 1. Januar 1922 (nach Angaben der Gebietsverwaltung für Statistik, auf Russ.): wolgadeutsche.net/diesendorf/1922.htm (Abruf 25.06.2015).

[9] Die Angaben der letzten Volkszählung 1939 sind mit Vorsicht zu genießen: Die Wolgarepublik weist mit 9,6 % die größte manipulierte Zuwachsrate unter allen Territorien der RSFSR auf. Die Manipulationsquoten der einzelnen Provinzen sind aufgelistet in: Valentina Žiromskaja: Demografičeskaja istorija Rossii v 1930-e gody. Vzgljad v neizvestnoe [Demographische Geschichte Russlands. Blick ins Ungewisse]. Moskva 2001, S. 53−60.

[10] German: Nemeckaja avtonomija na Volge, S. 272.

[11] Viktor Dizendorf (Hg.): Nemcy Rossii. Naselennye punkty i mesta poselenija. Enciklopedičeskij slovar‘ [Die Deutschen Russlands. Siedlungen und Siedlungsgebiete. Lexikon]. Moskva 2006, S. 323.

[12] German: Istorija respubliki nemcev Povolž’ja v sobytijach, faktach, dokumentach, S. 254.

[13] Johann Sinner: Das Wolgadeutsche Museum zum 15. Jahrestag der Autonomie. In: Nachrichten, Nr. 232 vom 12. Oktober 1933.

[14] Siehe etwa die Fortsetzung der einstigen „Mitteilungen“ des Zentralmuseums durch Soobščenija Engel’skogo kraevedčeskogo museja [Mitteilungen des Engelser Heimatkundemuseums]. Seit 1997 sind insgesamt vier Hefte herausgegeben worden, in denen die wolgadeutsche Kultur und Geschichte thematisiert wird.

[15] German: Nemeckaja avtonomija na Volge, S. 456.

[16] Weil die Eigenständigkeit der Wolgarepublik eine Fiktion war, sollten sich die Russlanddeutschen heute weniger auf ihre Tradition beziehen, sondern mehr auf die des Widerstandes ihrer Gruppe gegen die sowjetische Politik, so Detlef Brandes: Die Wolgarepublik: Eigenstaatlichkeit oder nationales Gouvernement, in: Hans Rothe (Hg.): Deutsche in Russland. Köln, Weimar, Wien 1996, S. 103−130. Dagegen verweisen andere Forscher auf den Umstand, dass die Existenz einer nationalen Republik und der Status einer Titularnationalität, bei aller Unterordnung in rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Fragen, eine gewisse Berücksichtigung der Belange der örtlichen Bevölkerung in Kaderfragen, im Bereich der höheren Bildung oder des muttersprachlichen Schulunterrichts implizierte, vgl. hierzu etwa Viktor Krieger: Herausbildung nationaler Kader in Kasachstan und in der Republik der Wolgadeutschen (1920er-1930er Jahre): Gemeinsames und Besonderes. In: Anton Bosch (Hg.): Russland-Deutsche Zeitgeschichte. Band 4, Ausgabe 2004/2005. Unter Monarchie und Diktatur. Nürnberg 2005, S. 339−370. Auch in der heuten Russländischen Föderation verfügen Völker und Völkerschaften mit einem autonomen Territorium über wesentlich mehr Möglichkeiten, ihre legitimen politischen, sozialen und sprachlich-kulturellen Interessen zu artikulieren, zu vertreten und schließlich zu finanzieren, als „territoriumslose“ Nationalitäten.

Zitation

Viktor Krieger: Wolgadeutsche ASSR. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32592 (Stand 24.01.2022).

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