Schwenckfelder

1. Begriff

„Schwenckfelder“ ist die Bezeichnung für die Anhänger des mystischen Spiritualisten und Reformators Kaspar Schwenckfeld von Ossig (1489–1561).

2. Träger, Gebrauch

Gemeinschaften der Schwenckfelder (engl. Schwenkfelder) befanden sich seit dem zweiten Drittel des 16.  Jahrhunderts außer in zahlreichen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besonders in Schlesien und in der Grafschaft Glatz. Ursprünglich war „Schwenckfelder“ vor allem eine pejorative oder häretisierende Fremdbezeichnung. Seit dem Übergang zum 17. Jahrhundert gebrauchten sie den Begriff als Selbstbezeichnung zur Abgrenzung von anderen Glaubensgemeinschaften. In der neueren Historiographie wird der Terminus meistens wertneutral gebraucht.

3. Lehre und Strukturen

Kaspar Schwenckfeld von Ossig war ursprünglich ein Anhänger der Reformation Martin Luthers (1483–1546). Infolge seines sich verstärkenden Spiritualismus brachen jedoch seit 1525 Streitigkeiten mit Luther und dessen Mitarbeitern über das Sakramentsverständnis aus. Zum Zerwürfnis mit ihnen und auch mit den oberdeutschen und Schweizer Reformatoren kam es, als Schwenckfeld und seine Anhänger (unter ihnen Valentin Krautwald, gest. 1545) allmählich deviante christologische Vorstellungen zu entwickeln begannen und seit 1538 die Auffassung vertraten, dass der „Mensch Jesus Christus“ niemals eine „Creatur“ gewesen sei (auch nicht im Stande seiner Erniedrigung, d. h. während seines Erdenwirkens), sondern ein „neuer Mensch“. Diesem „glorifizierten“ Christus werde der Mensch bei seiner Wiedergeburt einverleibt und erhalte – in einem lebenslangen Prozess – Anteil an dessen Herrlichkeit. Aufgrund ihrer spiritualistischen Theologie und ihrer weltabgewandten Frömmigkeit übten die Schwenckfelder massive Kritik an Lehre und Zustand der lutherischen Kirche, der sie in der Regel aufgrund ihrer Taufe rechtlich angehörten.

Im Unterschied zu den Schwenckfeldern in den süd- und westdeutschen Territorien schlossen sich diejenigen in Schlesien zu größeren, durativen Gemeinschaften zusammen. Solche gab es hier seit Mitte des 16.  Jahrhunderts vor allem in Ortschaften der südwestlichen Randzone des Herzogtums Liegnitz und des daran anstoßenden Grenzgebietes des Erbfürstentums Schweidnitz-Jauer.

4. Genese und historischer Abriss

Um den Adligen Kaspar Schwenckfeld von Ossig, seit 1519 Hofrat bei Herzog Friedrich II. von Liegnitz, Brieg und Wohlau, sammelten sich seit Anfang der 1520er Jahre Theologen und Laien, um der von Wittenberg ausgehenden Reformation in Schlesien zum Durchbruch zu verhelfen. Auch als Schwenckfeld im Frühjahr 1529 infolge von theologischen Differenzen mit Friedrich II. von Liegnitz freiwillig sein Vaterland verließ und bis zu seinem Tod in süd- und westdeutschen Territorien wirkte, wuchs seine Anhängerschaft in Schlesien weiter. Außerdem konnten seine Anhänger in der Grafschaft Glatz seit Ende der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts großen Einfluss gewinnen, der jedoch mit der gewaltsamen Rekatholisierung der Grafschaft (ab 1622) zum Erliegen kam. Wegen ihrer theologischen Devianz und Kirchenkritik gingen weltliche Obrigkeiten – vielfach von lutherischen Ortspfarrern dazu gedrängt – gegen sie mit Disziplinar- und Strafmaßnahmen (Beuge- und Strafhaft, Zwangsarbeit, Galeerenstrafen) vor. 1719 wurde bei ihnen im Zuge der in Schlesien mit großer Härte durchgeführten Gegenreformation auf Anordnung Kaiser Karls VI. eine Jesuitenmission errichtet, um sie zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen. Als deren Maßnahmen (Zwangsveranstaltungen, Bußgelder, Trauverbote) immer schärfer wurden und nachdem ihre Petitionen um Duldung oder legale Auswanderung abschlägig beschieden worden waren, verließen seit Anfang 1726 mehrere Hundert von ihnen heimlich die Heimat. Sie begaben sich in die nahe gelegene lutherische Oberlausitz, seit dem Prager Frieden 1635 dem Kurfürstentum Sachsen zugehörig. Hier erhielten sie vorläufig Unterkunft in Görlitz sowie vor allem in Herrnhut und Oberberthelsdorf, Besitzungen des pietistischen Reichsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760). 1733 wurde ihnen von Friedrich August II. von Sachsen (1696–1763) – aufgrund einer Intervention des Kaisers Karl VI. – befohlen, binnen Jahresfrist das Kurfürstentum grüppchenweise zu verlassen. Nach vergeblicher Suche nach einem neuen Asyl in Europa beschlossen sie, nach Amerika zu emigrieren. Die in Schlesien verbliebenen Schwenckfelder waren weiterhin den willkürlichen Maßnahmen der Jesuitenmission (Zwangstaufen) ausgesetzt. Als jedoch König Friedrich II. von Preußen zwei Monate nach dem Tod  Kaiser Karls VI. (20. Oktober 1740) in Schlesien einmarschierte und es – sich auf strittige Rechtstitel (Liegnitzer Erbverbrüderung von 1537) stützend - in Besitz nahm, garantierte er ihnen alsbald individuelle Glaubens- und Gewissensfreiheit

Sie wurden also rechtlich wieder der lutherischen Kirche eingegliedert, d. h., Kasualhandlungen mussten bei dem jeweiligen Ortspfarrer vollzogen werden; eine Verpflichtung zur Teilnahme am kirchlichen Leben bestand aber nicht. Ungehindert konnten sie häusliche Andachten und private Erbauungsversammlungen abhalten. Trotz dieser günstigen Rahmenbedingungen ebbte  das schlesische Schwenckfeldertum ständig ab. Die zahlenmäßig immer geringer werdenden Schwenckfelder kamen allenfalls noch sporadisch zur Erbauung zusammen und unterschieden sich in ihrer alltäglichen Lebensführung sowie Kleiderordnung nicht mehr von ihrer Umwelt. Die Gründe für den Niedergang des schlesischen Schwenckfeldertums und sein Erlöschen im frühen 19. Jahrhundert waren die Migration seiner vitalsten Anhänger nach Amerika und seine demographische Entwicklung.

Die in sechs Auswandererzügen (1731–1737) über Holland nach Amerika emigrierten 204 Schwenckfelder, zumeist miteinander verwandt, konnten trotz intensiver Bemühungen in Pennsylvania kein zusammenhängendes Areal erwerben, um sich dort gemeinsam niederzulassen. Schließlich siedelten sie nordwestlich von Philadelphia in einem Umkreis von 50 Meilen. Obwohl in dieser englischen Kolonie völlige Glaubensfreiheit bestand (William Penns „heiliges Experiment“), ging ihr religiöses Gemeinschaftsleben anfänglich durch eine ernste Krise, bedingt vor allem durch ihre relativ verstreute Siedlungsweise und die Notwendigkeit neuer Existenzgründungen. Neu aktiviert wurde es nach der ersten Generalkonferenz aller Schwenckfelder im Oktober 1762  durch Intensivierung der religiösen Unterweisung der Jugend sowie durch Schaffung von katechetischer Literatur und geistlichem Liedgut. Erbauungsveranstaltungen fanden nun turnusmäßig statt und waren stärker strukturiert. 1782 konstituierte sich die „Society of Schwenkfelders“. Mit deren „Grund-Regeln“ („Constitution“) - stark fokussiert auf die religiöse und sittliche Gestaltung des individuellen und gemeinsamen Lebens - gaben sich die Schwenckfelder erstmals eine verbindliche Ordnung. Alles sollte ausschließlich bestimmt sein von der Liebe, dem „Urbild“ Jesus Christus; sie ist die „Tugend, die Gott und Menschen zusammen verbindet“. In dieser „Constitution“ hatten bezeichnenderweise entscheidende Charakteristika von Schwenckfelds Theologie, wie seine Christologie, keine Aufnahme mehr gefunden, da  sie seit der zweiten Einwanderergeneration weitgehend marginal oder irrelevant geworden waren. 1909 erfolgte die Gründung der kongregationalistischen „Schwenkfelder Church“. Außer den gemeindlichen Kernaufgaben befassen sich ihre autonomen Kirchengemeinden besonders mit Bildung und Erziehung, karitativ-sozialen Aufgaben, Literatur- und Traditionspflege.

5. Bedeutung

Kaspar Schwenckfeld war eine führende Gestalt der radikalen Reformation. Seine Anhänger leisteten aufgrund ihres Spiritualismus vor allem einen Beitrag zur Entwicklung der Toleranzidee. Auch beeinflussten sie verschiedene Frömmigkeitsbewegungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Die nach Pennsylvania emigrierten Schwenckfelder trugen durch ihre intensive Pflege der schwenckfeldischen Tradition und schlesischen Kultur zur kulturellen und religiösen Pluralität Amerikas bei. Durch ihre vielfältigen Kontakte zu anderen Denominationen förderten sie hier gegenseitiges Verständnis und forcierten praktisches Christentum (z. B. nach dem Zweiten Weltkrieg Unterstützung notleidender Deutscher durch das Relief Work).

6. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Corpus Schwenckfeldianorum. Hg. v. Chester D. Hartranft, Elmer E. S. Johnson und Selina Gerhard Schultz. 19 Bde., Leipzig, Pennsburg, PA 1907–1961.
  • Peter C. Erb (Hg.): Schwenkfelders in America. Pennsburg, PA 1987.
  • Caroline Gritschke: „Via Media“. Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert. Berlin 2006 (Colloquia Augustana 22).
  • Howard Wiegner Kriebel: The Schwenkfelders in Pennsylvania. A historical sketch. Lancaster, PA 1904.
  • R. Emmet McLaughlin: Caspar Schwenckfeld, reluctant radical. His life to 1540. New Haven, CT, London 1986.
  • R. Emmet McLaughlin: Schwenckfeld and the Schwenkfelders of South Germany. In: Peter C. Erb (Hg.): Schwenckfeld and Early Schwenkfeldianism. Pennsburg, PA 1986, S. 145–180.
  • Selina Gerhard Schultz: Caspar Schwenckfeld von Ossig (1489–1561). Spiritual interpreter of Christianity, apostle of the middle way, pioneer in modern religious thought. Norristown, PA 41977.
  • Horst Weigelt: Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien. Berlin, New York 1973 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 43).
  • Horst Weigelt: Migration and Faith. The Migrations of the Schwenkfelders from Germany to America – Risks and Opportunities. Göttingen 2017 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 110).

Weblinks

Anmerkungen

[1] Caspar von Schwenckfeld: Von der Menschwerdunge Christi. In: Corpus Schwenckfeldianorum, VI, 235.

[2] Die Lebenswelt der Schwenckfelder während der Jesuitenmission schildert der schlesische Schriftsteller Fedor Sommer (1864–1930) gefühlsbetont in seinem Roman "Die Schwenckfelder. Roman aus der Zeit der Gegenreformation" (Halle 1911); engl. "The Iron Collar" (Pennsburg, PA 1956).

Zitation

Horst Weigelt: Schwenckfelder. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2018. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32776 (Stand 07.09.2020).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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