Exil

Exil

1. Genese

Begriff

Der Begriff Exil leitet sich von lat. exilium (Verbannung, Aufenthalt in der Fremde) ab, ebenso von exul (Verbannte, Ausgewanderte). Im Althochdeutschen noch īhsilī (9. Jahrhundert), wird seit dem 16. Jahrhundert im Neuhochdeutschen das heute benutzte Wort ‚Exil‘ verwendet. Das zweite Wortelement (-al) ist auch zu Beginn des griech. alā́sthai (verbannt sein, umherziehen) enthalten.

Es gibt eine Vielzahl von Ursachen für ein Exil, z. B. religiöse oder politische Verfolgung, Verbannung, Vertreibung, Ausbürgerung oder erzwungene Umsiedlung. Ins Exil begeben sich auch Herrscher, insbesondere nach dem Machtverlust.

Fremdsprachige Entsprechungen, Übersetzungen, Übernahmen

Der Begriff Exil findet sich ähnlich in anderen germanischen und romanischen Sprachen, siehe engl. exile, franz. exil, span. exilio, ital. esilio. Während diese Beispiele auf dem lateinischen Ursprung beruhen, gehen manche slawische Sprachen auf andere Wortstämme zurück, siehe poln. uchodźstwo, wygnanie oder banicja, russ. изгнание (izgnanie), dagegen aber tschech. exil, serb. егзил (egzil), kroat. egzil, Der Wortstamm in der polnischen und russischen Sprache (wygnanie und изгнание) weist auf einen anderen Ursprung hin, der sich auf gewaltsame Vertreibung oder Verbannung bezieht. Für das bekannteste Exil im Altertum, das sogenannte Babylonische Exil eines Teils des israelitischen Volkes im 6. Jahrhundert v. Chr., wird in der Thora der hebräische Begriff גּוֹלָה (gôlāh) verwendet, der gleichzeitig auch die Gruppe der Exilierten bezeichnet.

Träger, Gebrauch

Den Begriff Exil benutzen vor allem diejenigen Personen und Gruppen, die sich selbst im Exil befinden, um eine reflektierte Eigenidentität zu etablieren. Ein Exilant hat sein Herkunftsland verlassen, in der Regel unfreiwillig, durch äußere Zwänge veranlasst. Er verweist mit dieser Eigenbezeichnung auf einen Missstand. Der Begriff impliziert dabei zugleich seinen Rückkehrwillen im Fall einer Änderung der äußeren Verhältnisse, die sein Exil veranlasst haben, sowie die angenommene oder erhoffte Vorläufigkeit seines Zustandes.

Staatliche Gesetze und zahlreiche völkerrechtliche Abkommen (z. B. in den Genfer Konventionen) definieren konkret, wer sich als Exilant bezeichnen kann und welcher Rechtsschutz mit diesem Status verbunden ist. Seitens staatlicher Institutionen wird auch der Begriff des politischen Asyls benutzt.

Der Begriff Exil ist seit der Antike nachweisbar, wenngleich eine exakte Datierung nicht möglich ist. Im Römischen Reich wurde der Begriff häufig verwendet,  da gemäß römischem Recht  Bürger freiwillig ins Exil gehen konnten, um z. B. eine Verurteilung zu umgehen. Auch wurden römische Bürger oft aus politischen Gründen ins Exil verbannt. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit erfuhr der Begriff eine stark religiöse Prägung, da er sich oft auf Glaubensgemeinschaften bezog, die wegen ihrer religiösen Ansichten ihren Wohnort verlassen mussten. Vermehrt gebraucht wurde der Begriff seit dem 19. Jahrhundert in der Phase der Nationalromantik, hier beeinflusst durch das Entstehen von Nationalstaaten und das Aufkommen  des ethnischen Nationskonzepts, das bestimmte Gruppen ausschloss. Vermehrt gebraucht wurde der Begriff seit dem 19. Jahrhundert, als sich Menschen infolge von Revolutionen, politischen Konflikten und nationalen Separationsbestrebungen immer wieder gezwungen sahen, außerhalb ihres Landes Schutz vor Verfolgung zu suchen.

Zwischen 1933 und 1945, in der Zeit des Nationalsozialismus im Deutschen Reich, emigrierten bzw. flohen viele Menschen, die politischen Repressionen oder rassistischer Verfolgung ausgesetzt waren auf unbestimmte Zeit ins Ausland. Zu den Exilanten in dieser Zeit gehörten politische Gegner der Nationalsozialisten und vor allem Menschen jüdischer Herkunft, insgesamt etwa 500.000 Menschen, unter ihnen zahlreiche Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler und Architekten.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird der Begriff zunehmend mit der Gewährung von Asyl in Verbindung gebracht. Er wird weltweit verwendet, meist im Zusammenhang mit der Auswanderung aus autokratischen Staaten oder in Verbindung mit militärischen Konflikten.

2. Definition

Der Begriff Exil bezeichnet den Aufenthalt einer Person oder Gruppe außerhalb ihres Herkunftslandes, wobei dieser Aufenthalt in der Regel langfristig und oft aufgrund von Repressalien erfolgt. Ein Exilant ist eine Person, die sich im Exil befindet. Ein Exil kann aufgezwungen sein, z. B. durch staatliche Verbannung, Ausbürgerung, oder aufgrund eigener Entscheidung erfolgen, wenn Exilanten die in ihrem Herkunftsland bestehenden Verhältnisse als unhaltbar empfinden. Für den Fall einer Änderung dieser Verhältnisse wird  meist eine Rückkehr angestrebt.

3. Historischer Abriss

Religiöse Gemeinschaften im Exil

Die Religionskonflikte im spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Osteuropa führten viele Glaubensgemeinschaften ins Exil. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Bewegung der Hussiten, deren Vertreter nach dem Tod des Reformators Jan Hus (um 1370–1415) und den Hussitenkriegen (1419–1436) aus Böhmen verbannt wurden. In der Frühen Neuzeit und am Beginn der Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts gab es zahlreiche Konflikte zwischen protestantischen und katholischen Lagern, die oft in Kriegen und im Exil endeten, z. B. der Mennoniten und der Hutterer seit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts oder der französischen Hugenotten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685).  Auch deutschsprachige protestantische Gemeinschaften sind zu erwähnen, z. B. die Täufer, die Schwenckfelder aus Schlesien im 16. Jahrhundert oder die ca. 20.000 im Jahr 1731 ausgewiesenen „Salzburger Exulanten”, die sich vor allem in Ostpreußen (so z. B. in Königsberg/Kaliningrad oder in Gumbinnen/Gusev) niederließen. Infolge der Französischen Revolution begaben sich nach 1789 ca. 150.000 Menschen, die die politische Entwicklung in ihrem Land ablehnten, ins Exil, verstreut über ganz Europa.

Die Teilungen Polens und die Große Emigration

Nach den Teilungen Polens (1772, 1793, 1795) und insbesondere nach dem gescheiterten Novemberaufstand von 1830 befand sich ein erheblicher Teil der polnischen Oberschicht im Exil, vor allem in Frankreich,wo Paris zu einem Zentrum polnischer Exilkultur wurde. Die Teilungsmächte Russland, Preußen und Österreich boten der polnischen Gesellschaft nur wenige Freiräume, um sich politisch oder gesellschaftlich entfalten zu können, sodass zahlreiche Personen im 19. Jahrhundert auswanderten, insbesondere aufgrund politischer Verfolgung (Wielka EmigracjaLa Grande Émigration). In Frankreich bildeten die polnischen Exilanten zur Artikulation ihrer nationalen Ziele und Interessen politische, literarische und intellektuelle Gesellschaften.

Exil zur Zeit des Nationalsozialismus

Infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland gingen nach 1933 etwa eine halbe Million Menschen, die in ihrer großen Mehrheit als Juden diskriminiert und verfolgt wurden, ins Exil. Neben Frankreich und Palästina gehörte bis 1939 vor allem die Tschechoslowakei, die sich gegenüber deutschen Emigranten freizügig und tolerant wie kaum ein anderes europäisches Land zeigte, zu den wichtigsten Aufnahme- und Transitländern. Prag/Praha wurde zu einem bedeutenden Zentrum des deutschen Exils. Für deutsche Kommunisten war daneben die Sowjetunion ein wichtiges Exilland. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 fanden Exilanten insbesondere in den USA und Südamerika Zuflucht. Aufgrund der großen Zahl von Schriftstellerinnen und Schriftstellern im Exil wird die Zeit zwischen 1933 und 1945 auch als Epoche der Exilliteratur bezeichnet.

Exil im Kalten Krieg

Die unfreien politischen Zustände in den kommunistischen, von der Sowjetunion dominierten Staaten im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ließen wenig Raum für kritische Haltungen, sodass zahlreiche Politiker, Kulturschaffende und Intellektuelle ihre Heimatländer verließen und sich ins Exil begaben, vor allem in westliche, demokratische Länder. Die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956 und des Prager Frühlings 1968 bildeten den Hintergrund für weitere Emigrationsbewegungen. Bei der Entscheidung für das Exil kamen im Kalten Krieg neben dem Ausweichen vor Repressionen zwei weitere Motive zum Tragen: Zum einen die Flucht vor der Russifizierung, zum anderen die Suche nach Möglichkeiten, das Heimatland von außen zu befreien und einen demokratischen Wandel oder Umsturz herbeizuführen.

4. Diskurse/Kontroversen

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Exilbegriff im allgemeinen Diskurs eine politischere Konnotation erhalten und wird oft mit politischem Asyl gleichgesetzt. Dabei werden oft religiöse, weltanschauliche oder gesellschaftliche Aspekte einer Entscheidung für das Exil ausgeblendet.

Die Inanspruchnahme des Exilbegriffs für die Situation der deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge nach Kriegsende, die im bundesdeutschen Diskurs von einzelnen Akteuren wie z.B. Eugen Lemberg (1903–1976) zeitweise vertreten wurde, konnte sich langfristig nicht durchsetzen.

Nach dem Fall der Sowjetunion rückten vor allem Exilanten aus autoritären Staaten und Diktaturen in den Fokus politikwissenschaftlicher bzw. historischer Forschung.

Zur weiteren, ausführlicheren Diskussion steht die Frage, ob und inwieweit sich die vom Exil betroffenen Personen selbst als Exilanten sahen und wie sich ihr Verhältnis zu anderen Gruppen, z.B. zur autochthonen Bevölkerung aber auch zu anderen Zuwanderern im jeweiligen Aufnahmeland, gestaltete.

Seit 2011 setzt sich die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller für die Errichtung eines Exilmuseums in Berlin ein, das mit der 2018 erfolgten Gründung der Stiftung Exilmuseum Berlin Gestalt annimmt; als Standort ist die Freifläche hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs im Gespräch.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Joachim Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin-Münster 2008.
  • Krzysztof Dybciak (Hg.): Polen im Exil. Eine Anthologie. Darmstadt 1988.
  • Matthieu Gillabert; Robert Tiphaine (Hg.): Zuflucht suchen. Phasen des Exils aus Osteuropa im Kalten Krieg / Chercher refuge. Les phases d’exil d'Europe centrale pendant la Guerre froide. Basel 2017 (Itinera. Beiheft zur Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte 42).
  • Slawomir Kalembka: Wielka emigracja 1831–1863 [Die Große Emigration 1831–1863]. Toruń 2003.
  • Claus-Dieter Krohn, Patrick von zur Mühlen, Gerhard Paul, Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt 1998.
  • Cilly Kugelmann, Jürgen Reiche (Hg.): Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933. Frankfurt/M. 2006.
  • Eugen Lemberg (Hg.): Völker und Volksgruppen im Exil. München 1953 (Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde 5).
  • Elizabeth K. Valkenier: Eastern Europe in Exile. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 317 (1958), S. 146–152.
  • Tobias Weger: Die „Volksgruppe im Exil“? Sudetendeutsche Politik nach 1945, in: Hahn, Hans Henning (Hg.): Hundert Jahre sudetendeutsche Geschichte. Eine völkische Bewegung in drei Staaten, Frankfurt a.M. u.a. 2007, S. 277–302.

Periodikum

  • Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (München, seit 1983).

Weblinks

Zitation

Patrick Paul Kopec: Exil. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2023. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p35431 (Stand 08.06.2023).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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