Galizien

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnungen

Königreich Galizien und Lodomerien; Kronland Galizien

Anderssprachige Bezeichnungen

poln. Galicja, ukr. Halyčyna, jidd. Galitsien

Etymologie

Der offizielle Name des von Österreich annektierten, zuvor südpolnischen Gebietes, „Königreich Galizien und Lodomerien“, leitete sich von den latinisierten Namen der ehemaligen ruthenischen Fürstentümer Halicz (ukr. Halyč, poln. Halicz) und Wladimir (ukr. Volodymyr, poln. Włodzimierz) ab.

2. Geographie

Lage

Galizien liegt zwischen den Karpaten im Süden (Beskiden im Südwesten, Ostkarpaten im Südosten) und der Weichsel im Nordwesten sowie den Flüssen Bialka (poln. Biała) im Westen und Sbrutsch (poln. Zbrucz) im Osten. Im Allgemeinen werden heute die bis zur polnisch-ukrainischen Grenze reichenden südpolnischen Gebiete als Westgalizien und die östlich davon liegenden als Ostgalizien bezeichnet.

Topographie

Galizien weist verschiedene landschaftliche Formen auf: im Süden das Karpatengebirge mit dem nördlichen Teil der Hohen Tatra, daran angrenzend die westgalizische Tiefebene, die zwischen dem hügeligen Krakauer Gebiet im Westen mit seinen Jura- und Kreidevorkommen sowie Steinkohle- und Erzvorkommen und der podolischen Platte im Osten liegt. Zahlreiche Flüsse durchziehen diese Region. Zu den größten zählen die Weichsel (poln. Wisła), der Bug, der Styr, der Sbrutsch und der San. Zwischen San und Dnister sowie Bug und Styr führt die europäische Wasserscheide hindurch: Im Westen fließen die Flüsse der Ostsee zu, im Osten dem Schwarzen Meer. Mit der westgalizischen Tiefebene eng verbunden ist die ostgalizische Grabensenke. Etwa ein Viertel des Landes ist bewaldet, wobei die Wälder ungleichmäßig verteilt sind. Besonders waldreich sind die östlichen und westlichen Karpaten. Der Ackerboden ist ergiebig, besonders fruchtbar ist die Schwarzerde in Ostgalizien.

Staatliche und regionale Zugehörigkeit

Die polnischen Woiwodschaften Kleinpolen (Województwo małopolskie) und Karpatenvorland (Województwo podkarpackie) sowie ein kleiner Teil der Woiwodschaft Schlesien (Województwo śląskie), das Gebiet um Bielitz-Biala/Bielsko-Biała und Saybusch/Żywiec, umfassen heute das Territorium des ehemaligen Westgalizien. Das frühere Ostgalizien setzt sich heute aus den ukrainischen Bezirken (Oblast) Lemberg/L’viv, Stanislau/Ivano-Frankivsk, Tarnopol/Ternopil’ sowie aus Teilen des Bezirks Czernowitz/Černivci zusammen.

Historische Geographie

Als „Galizien“ wird das südpolnische Gebiet bezeichnet, das 1772 infolge der Ersten Teilung Polens an Österreich fiel und aus der polnischen Provinz Kleinpolen (Polonia Minor) bestand. Das österreichische Kronland Galizien grenzte im Westen an Österreichisch-Schlesien, Preußisch-Schlesien und das Königreich Polen (russisches Teilungsgebiet), im Nordosten an Russland, im Osten an die Moldau und Bessarabien sowie im Süden an Ungarn und Siebenbürgen. Im Rahmen der Dritten Teilung Polens 1795 gewann Österreich Krakau/Kraków und Umgebung sowie große Gebiete im Nordwesten hinzu, sodass die Grenze Galiziens bis knapp vor Warschau/Warszawa reichte. Dieses als „Neu-Galizien“ bezeichnete Gebiet wurde aber 1809 von polnischen Truppen zurückerobert, und die Grenzen des österreichischen Teilungsgebietes umfassten in etwa wieder die Grenzen Galiziens von 1772. Im Vertrag von Schönbrunn 1815 erhielt die Stadt Krakau den Status einer Freien Stadt und bildete mit ihrer engeren Umgebung eine Enklave in Galizien, bis sie 1846 wieder in das Kronland Galizien eingegliedert wurde. 1849 wurde der Kreis Czernowitz im Südosten zu einem eigenen Kronland, dem Herzogtum Bukowina, erhoben. Bis 1918 blieben die Grenzen Galiziens unverändert, von den verschiedenen Frontverläufen im Ersten Weltkrieg abgesehen. Nach der Pariser Friedenskonferenz am 18. Juni 1919 wurden die Gebiete des ehemaligen Ostgalizien bis zum Grenzfluss Sbrutsch der Zweiten Republik Polen zugestanden.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen des Kronlandes Galizien und Lodomerien besteht aus einem blauen, längs geteilten und mit einer Königskrone geschmückten Schild. In der linken Hälfte (Galizien) wird er durch einen roten Querbalken mit einer Dohle oberhalb und drei goldenen Kronen unterhalb, zwei davon direkt unterhalb des Querbalkens und eine unter den zwei Kronen, unterteilt. In der rechten Hälfte (Lodomerien) befinden sich zwei silbern und rot geschachte Querbalken.

Neuzeit

Infolge der Ersten Teilung Polens 1772 war zunächst österreichisches Militär in dem neuen Kronland stationiert und übernahm für die ersten Monate die administrativen Aufgaben, die anschließend von den aus den deutschsprachigen Gebieten der Habsburgermonarchie entsandten Beamten übernommen wurden. In der Hauptstadt Galiziens, Lemberg/Lwów/L’viv, befand sich das Landesgubernium mit einem Landesgouverneur (nach 1848 Statthalter) an der Spitze, dem Gubernialbeamte und mittlere Beamte sowie Hilfskräfte zur Seite standen. Den im Laufe der Zeit auf 18 beziehungsweise 19 (mit Czernowitz) reduzierten Kreisen standen Kreishauptleute (nach 1848 Bezirkshauptleute) vor, die wiederum von Kreiskommissaren (nach 1848 Bezirkskommissaren) und niederem Personal bei ihrer Arbeit unterstützt wurden. Bis 1848 nahmen Deutsche oder Tschechen die höchsten Verwaltungsämter ein. Erst nach der Revolution im März 1848 wurden diese Ämter auch Polen übertragen, die schon eine beachtliche Beamtenkarriere in der galizischen Verwaltung zurückgelegt hatten. Manche von ihnen bekleideten später sogar Ministerposten in der Wiener Regierung, wie etwa der galizische Statthalter Agenor Graf Gołuchowski (1812–1875), der 1859 zum Innenminister ernannt wurde.

Nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich 1867 machte die Wiener Regierung den polnischen Politikern umfassende Zugeständnisse für eine weitgehende Autonomie Galiziens. 1867 wurde die polnische Sprache als Unterrichts- und Amtssprache eingeführt. 1870/1871 folgte die Einführung der polnischen Sprache an den Universitäten und Hochschulen. Nach wie vor blieben politische Entscheidungen abhängig von Wien, allerdings ermöglichten die Selbstverwaltungsstrukturen Galiziens der polnischen Verwaltungselite, die nun die Schlüsselpositionen einnahm und die deutsch-österreichischen Beamten, die nicht der polnischen Sprache mächtig waren, ersetzte, einen großen Einfluss auf die landespolitischen Entscheidungen. Dadurch befand sich die polnische Bevölkerung des österreichischen Teilungsgebiets im Gegensatz zu der des preußischen und des russischen Teilungsgebiets in einer äußerst vorteilhaften Lage.

Bei den anderen nationalen Gruppen stieß diese Begünstigung der Polen in Galizien allerdings auf Kritik, insbesondere bei den Ruthenen/Ukrainern, die als fast gleich große Bevölkerungsgruppe in keinerlei Weise ihrem Anteil entsprechend in den galizischen Behörden repräsentiert waren. Der zunehmende Antagonismus zwischen Polen und Ukrainern nahm Anfang des 20. Jahrhunderts durch das tödliche Attentat auf den galizischen Statthalter Andrzej Graf Potocki (1861–1908) gewalttätige Züge an. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sah sich die jüdische Bevölkerung, die etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, mit zunehmenden antisemitischen Kampagnen konfrontiert.

Zeitgeschichte

Im Ersten Weltkrieg musste auch die galizische Bevölkerung einen hohen Blutzoll leisten, da Galizien zu einem Schauplatz des Kriegsgeschehens an der Ostfront wurde und sich die Fronten zwischen den deutschen und österreichischen Truppen auf der einen und den russischen Truppen auf der anderen Seite immer wieder verschoben. Zum Ende des Ersten Weltkriegs verließen die zuvor gemeinsam in der österreichischen Armee kämpfenden polnischen und ukrainischen Soldaten und Offiziere die Armee und bildeten eigene Regimenter, die sich seit dem 1. November 1918 in Ostgalizien erbitterte Kämpfe lieferten. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens am 11. November 1918 rief die nationalukrainische Regierung am 13. November die Westukrainische Volksrepublik mit Stanislau/Stanislaviv/Stanisławów als Hauptstadt aus. Im polnisch-ukrainischen Kampf um Lemberg und Ostgalizien 1918/1919 gingen die Polen als Sieger hervor.

Bis zum deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 blieb die 1919 festgelegte Grenze bestehen. Dann wurden die südpolnischen Gebiete von deutschen Truppen besetzt und bildeten als Distrikt Krakau bis Januar 1945 einen Teil des Generalgouvernements. Entsprechend dem geheimen Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes vom 24. September 1939 wurde Ostgalizien bis zum Fluss San von der Sowjetunion besetzt und blieb bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 unter sowjetischer Besatzung. Als Distrikt Galizien wurde es dann in das Generalgouvernement eingegliedert. Ende 1944 wurde dieses Gebiet wieder von der Roten Armee zurückerobert. Die seit 1945 zwischen der Volksrepublik Polen und der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik bestehende Grenze ist seit 1991 auch die Grenze zwischen der Republik Polen und der unabhängigen Ukraine.

Bevölkerung und Gesellschaft

Zwischen 1776 und 1848 verdoppelte sich die Bevölkerung Galiziens beinahe.

Jahr
Einwohner[1]
17762.628.483
17863.224.000
18013.644.892
18183.760.319
18284.435.435
18485.290.974

Im Westen Galiziens lebten mehrheitlich Polen, im Osten Galiziens mehrheitlich Ruthenen (Ukrainer). Juden lebten in beiden Teilen Galiziens, mehrheitlich jedoch in ostgalizischen Städten, da in zahlreichen westgalizischen Städten noch das Privileg De non tolerandis Judaeis aus dem 16. Jahrhundert seine Wirkung zeigte.

Um 1848 verzeichnete der westgalizische Wadowicer Kreis 272.870 Einwohner, von denen 263.225 römisch-katholisch, demzufolge mehrheitlich Polen waren. Darüber hinaus wurden 2.135 Evangelische Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses sowie 7.500 Juden gezählt. Im Krakauer Kreis waren von 146.000 Einwohnern 143.338 römisch-katholisch (Polen), 62 griechisch-katholisch (Ruthenen), 1.700 Evangelische A. und H. B. sowie 10.040 Juden. Im Przemyśler Kreis waren von 272.793 Einwohnern 74.870 römisch-katholisch (Polen) und 175.449 griechisch-katholisch (Ruthenen). Außerdem lebten hier 1.464 Evangelische A. und H. B. sowie 19.834 Juden. Der einzige Kreis in Ostgalizien, in dem die polnische Bevölkerung nur einen geringfügig kleineren Anteil als die ruthenische (ukrainische) Bevölkerung hatte, war der Lemberger Kreis, in dem die Zugehörigkeit der Bevölkerung zu den verschiedenen Konfessionen wie folgt aussah: Von 194.292 Einwohnern waren 74.289 römisch-katholisch, 86.950 griechisch-katholisch, 230 armenisch-katholisch, 807 Evangelische A. und H. B. sowie 12.337 Juden. Im Czortkower Kreis, dem am östlichsten gelegenen Kreis an der Grenze zu Russland, gehörten von 220.184 Einwohnern 47.260 dem römisch-katholischen, 160.003 dem griechisch-katholischen, 228 Evangelische A. und H. B. sowie 11.693 dem mosaischen Glauben an.[2]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verzeichnen Volkszählungen in Galizien einen weiteren Bevölkerungszuwachs:

JahrEinwohner[3]
18695.418.016
18805.958.907
18906.607.816
19007.315.938
19108.025.679

Deutsche gab es schätzungsweise in den Jahren 1786: 18.000, 1812: 26.000, 1846: 49.300, 1869: 67.500, 1880: 75.500, 1900: 77.500 und 1910: 69.500.[4] Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Galiziens betrug im gesamten Zeitraum nicht mehr als ein bis drei Prozent. Im Gegensatz zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem Volkszählungen nach der konfessionellen Zugehörigkeit durchgeführt wurden, galt in den Volkszählungen seit 1869 die Frage nach der Umgangssprache als Mittel zur Erhebung der nationalen Zugehörigkeit. Als Umgangssprachen waren jedoch nur die anerkannten Sprachen Deutsch, Polnisch und Ruthenisch zugelassen, daher hatten die Juden keine Möglichkeit Jiddisch als Umgangssprache anzugeben.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse änderten sich zwischen 1772 und 1918 nur wenig. Die große Mehrheit der Bevölkerung stellte die bäuerliche Schicht (Polen und Ruthenen), von denen die meisten nur über ein kleines Stück Land verfügten, das kaum ein Auskommen für die Familie bot. Zwar verbesserte sich 1782 die rechtliche Lage der Bauern nach der Aufhebung der Leibeigenschaft durch Joseph II. (1741–1790), allerdings blieben die Frondienste, die dem Staat und zum größeren Teil den Grundbesitzern geleistet werden mussten, bis 1848 bestehen. Ausgedehnte Ländereien befanden sich dagegen im Besitz einer kleinen Zahl von Adeligen. Das Bürgertum war anfangs schwach entwickelt und erfuhr erst im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Stärkung. Ende des 19. Jahrhunderts kam es aufgrund der Überbevölkerung und dem Arbeitsmangel zu einer anhaltenden Auswanderung vor allem in die Vereinigten Staaten von Amerika sowie nach Kanada.

Wirtschaft

Etwa 80 Prozent der galizischen Bevölkerung lebte noch um 1900 von der Landwirtschaft. Der Grundbesitz der Agrarbevölkerung umfasste vornehmlich kleine landwirtschaftliche Betriebe von ein bis zehn Hektar. Auf den zum Teil sehr ergiebigen Anbauflächen wurden Getreide und Mais angebaut. Eine große Bedeutung hatte die Zucht von Nutzvieh und Geflügel, die ebenso wie Molkereiprodukte und Eier auch außerhalb des Kronlandes Absatz fanden. Zahlreiche Gestüte polnischer Aristokraten bedienten neben den staatlichen Gestüten die große Nachfrage nach Pferden. Fast 40 Prozent der österreichischen Staatsforste entfielen auf Galizien und warfen einen großen Ertrag ab. Daneben gab es auch Privatforste in Händen adeliger und nichtadeliger Grundbesitzer, die Produkte aus Holz herstellen ließen und im In- und Ausland absetzten. Durch die Modernisierung der Betriebe mit Wasser- und Dampfsägen erlebte die Holzindustrie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung. Ein besonders einträglicher Wirtschaftszweig für den Staat war die Steinsalzgewinnung in den westgalizischen Salzbergwerken Wieliczka, den damals größten Österreichs, und in Bochnia. Auch in Ostgalizien gab es Salzbergwerke, von denen sich das größte in Drohobytsch/Drohobyč/Drohobycz befand. Ab den 1880er Jahren spielte die Erdölgewinnung in Ostgalizien eine herausragende Rolle. So zählten die Ölfelder bei Boryslau/Boryslav/Borysław und Drohobytsch zu den damals ergiebigsten Ölfeldern Europas. Die Ölproduktion deckte damals den gesamten Bedarf der Habsburgermonarchie und konnte sogar noch exportiert werden. Zu den wichtigen Bodenschätzen zählten auch die Steinkohlevorkommen in Westgalizien sowie die verschiedenen Erzvorkommen in ganz Galizien.

Die Hausindustrie und das Kleingewerbe verloren im Laufe der Industrialisierung an Bedeutung und wurden schrittweise durch die Neugründung von Fabriken verdrängt (Eisen- und Metallindustrie, Textilindustrie, Papierfabriken, Möbelherstellung, Brauereien in Saybusch/Żywiec und Okocim, Spirituosenfabriken u. a.). Ein Teil der verarmten bäuerlichen Bevölkerung versuchte nun als Fabrikarbeiter den Lebensunterhalt seiner Familien zu sichern. Ein wichtiger Faktor für die Industrialisierung Galiziens war der Ausbau des Eisenbahnwesens, das ebenfalls neue Arbeitsmöglichkeiten bot. Wirtschaftliche Bedeutung hatten auch die zahlreichen Kurorte mit ihren Heilquellen (Krynica, Szczawnica, Iwonicz, Rymanów, Truskavec’/Truskawiec u. a.).

Religions- und Kirchengeschichte

Der multikonfessionelle Charakter Galiziens hatte sich schon im Mittelalter herausgebildet. Neben der römisch-katholischen Konfession war auch die armenisch-katholische Konfession vertreten. Als die griechisch-orthodoxen Bischöfe Polen-Litauens 1595/1596 eine Union mit der römisch-katholischen Kirche (Union von Brest) schlossen, hielt die griechisch-orthodoxe Geistlichkeit in Lemberg zunächst an der Orthodoxie fest und widersetzte sich über hundert Jahre lang der Union. Erst im Jahre 1700 wurde die Union eines Teils der Orthodoxen mit der römisch-katholischen Kirche in Warschau bestätigt. Die mit Rom unierten Gläubigen wurden als Unierte oder griechisch-katholische Gläubige bezeichnet.

Juden lebten ab dem 14. Jahrhundert in Kleinpolen und standen unter dem Schutz der polnischen Könige, die ihnen die Ausübung ihrer religiösen Riten gestatteten. Der Protestantismus fand seit dem 16. Jahrhundert Anhänger insbesondere in adeligen Kreisen, konnte jedoch infolge der Gegenreformation nicht Fuß fassen. Erst seit 1774 durften sich im Rahmen des Ansiedlungspatentes von Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) Protestanten in Galizien niederlassen. Die Niederlassungserlaubnis wurde dann 1781 in einem weiteren Patent von Joseph II. erweitert. Die Stellung der Juden in der Gesellschaft wurde im 1789 erlassenen Toleranzpatent Josephs II. geregelt.

Eine Besonderheit der Stadt Lemberg war, dass sie seit 1808 drei Erzbistümer beherbergte: das römisch-katholische, das armenisch-katholische sowie das 1808 zum griechisch-katholischen Erzbistum (Metropolie) erhobene Bistum.

Die konfessionelle Zugehörigkeit der 1848 5.290.974 Einwohner zählenden Gesamtbevölkerung Galiziens stellte sich wie folgt dar: 2.315.822 griechisch-katholisch, 2.285.537 römisch-katholisch, 339.607 jüdisch, 307.619 griechisch-orthodox (nicht uniert), 33.800 Evangelische A. und H. B., 4.674 armenisch-katholisch, 2.020 Lipowaner, 1.272 armenisch-apostolisch (nicht uniert), 372 Mennoniten und 251 Karaiten.[5] 1910 sah die konfessionelle Gliederung folgendermaßen aus: 3.732.290 römisch- und armenisch-katholisch, 3.379.233 griechisch-katholisch, 871.804 israelitisch, 37.693 evangelisch und 2.841 griechisch und armenisch (nicht uniert).[6]

Sprachen

Von der Annektierung des Gebietes durch Österreich 1772 bis 1867 war das Deutsche die Amts- und Unterrichtssprache (in manchen Bereichen war dies anfangs auch Latein). Die polnische Sprache blieb zwar die lingua franca der einheimischen Bevölkerung, verlor aber ihre Bedeutung im öffentlichen Bereich. Ruthenisch (Ukrainisch) sprach die Landbevölkerung in Ostgalizien. Die Umgangssprache der orthodoxen Juden war das Jiddische, darüber hinaus sprachen sie je nach Wohnort Polnisch, Ruthenisch oder Deutsch. Das Armenische wurde nur noch im kirchlichen Bereich verwendet.

Wissenschaft

Die erst 1784 durch Kaiser Joseph II. gegründete Lemberger Universität bedeutete für die seit 1364 bestehende Krakauer Universität keine Konkurrenz. Nach der Eingliederung Krakaus und seiner Umgebung in Galizien infolge der Dritten Teilung Polens 1795 wurde die Lemberger Universität auf Bestreben Wiens 1805 in ein Lyzeum umgewandelt und nur noch die wissenschaftlich auf einem höheren Niveau stehende Krakauer Universität erhalten. Als 1809 Krakau von polnischen Truppen besetzt wurde, verlor das Kronland Galizien damit seine einzige Universität. Das Lyzeum in Lemberg wurde 1817 wieder zu einer Universität erhoben, auf eine medizinische Fakultät wurde jedoch aus Kostengründen verzichtet und nur ein medizinisch-chirurgisches Studium eingerichtet. Neben der Universität bestand seit 1871 auch eine polytechnische Hochschule.

Eine große wissenschaftliche Bedeutung für Galizien erlangte das vom Präfekten der Wiener Hofbibliothek Maximilian Graf Ossoliński (1748–1826) 1817 in Lemberg gestiftete Ossolinskische Nationalinstitut (Zakład Narodowy im. Ossolińskich), das Werke der polnischen und slawischen Literatur und Geschichte sammeln sollte und dessen Grundstock die umfangreichen Sammlungen Ossolińskis nach dessen Tod im Jahre 1826 bildeten. Seit dem 16. Jahrhundert bestand die von ruthenischen Bürgern der Stadt gegründete Stauropigianische Bruderschaft, der geistliche und weltliche Mitglieder angehörten. Die Bruderschaft widmete sich vornehmlich kirchlichen Belangen und leitete eine Schule für ruthenische Kinder. Darüber hinaus besaß die Bruderschaft, die 1788 in ein Institut umgewandelt wurde, eine Druckerei, wo zahlreiche Druckerzeugnisse in kyrillischer Schrift hergestellt wurden. Mit der Gründung der Ševčenko-Gesellschaft im Jahre 1873 verfügten die Ruthenen über eine eigene wissenschaftliche Einrichtung, in deren wissenschaftlicher Zeitschrift Forschungen in ruthenischer Sprache veröffentlicht wurden.

Eine Bibliothek mit zahlreichen naturwissenschaftlichen Werken gehörte zum Naturkundemuseum des Grafen Włodzimierz Dzieduszycki (1825–1899) in Lemberg. Die Universitätsbibliothek in der galizischen Hauptstadt bot den Wissenschaftlern die Möglichkeit, neuere wissenschaftliche Publikationen einzusehen; eine viel ältere und größere Sammlung stellte dagegen die Jagiellonische Bibliothek (Biblioteka Jagiellońska) in Krakau dar. Die bedeutendste außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtung in Krakau, die 1872 gegründete Polnische Akademie der Gelehrsamkeit (Polska Akademia Umiejętności), verfügte ebenfalls über eine umfangreiche Bibliothek.

Literatur und Publizistik

Eine ruthenische Schriftkultur bildete sich seit den 1830er Jahren durch die literarischen Werke von drei ruthenischen Seminaristen aus, die sich für eine Verbesserung der Bildung der ruthenischen Bevölkerung einsetzten: Markijan Šaškevyč (1811–1843), Ivan Vahylevyč (1811–1866) und Jakiv Holovackyj (1814–1888). Zu den bekanntesten ruthenischen/ukrainischen Schriftstellern Galiziens zählte Ivan Franko (1856–1916), der auch auf Deutsch und Polnisch publizierte.

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Galizien deutsche und polnische Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben. Die größte Verbreitung hatten damals die Lemberger Zeitung (Erscheinen 1866 eingestellt) und die Gazeta Lwowska, die jeweils eine eigene Redaktion hatten. Seit 1848 erschienen in zunehmender Zahl polnische und ruthenische Zeitungen und Zeitschriften sowie später auch Zeitungen in Jiddisch.

Zu den bekanntesten polnischen Schriftstellern im Galizien der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählte der Komödiendichter Aleksander Graf Fredro (1793–1876), dessen Theaterstücke in Krakau und Lemberg aufgeführt wurden. Ein in jener Zeit sehr gern gelesener Schriftsteller deutsch-polnisch-französischer Herkunft war Wincenty Pol (Vinzenz Poll von Pollenburg; 1807–1872), der seine Werke in polnischer Sprache verfasste. Bekannte polnische Schriftsteller der Jahrhundertwende, die in Galizien geboren wurden und die Literaturströmung des „Jungen Polen“ nachhaltig mitprägten, waren Jan Kasprowicz (1860–1926), Kazimierz Przerwa-Tetmajer (1865–1940), Stanisław Wyspiański (1869–1907), Lucjan Rydel (1870–1918), Leopold Staff (1878–1957) und Stanisław Witkiewicz (1885–1939). Große Bekanntheit erlangte der aus dem ostgalizischen Drohobytsch stammende Bruno Schulz (1892–1942) in der Zwischenkriegszeit. Bekannte deutschsprachige Schriftsteller und Publizisten, die ihre Kindheit oder Jugend in Galizien verbrachten, waren Karl Emil Franzos (1848–1904), Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895), Soma Morgenstern (1890–1976) und Joseph Roth (1894–1939), die sich in ihren Werken immer wieder mit galizischen Themen befassten. Von seiner in Galizien verbrachten Kindheit und Jugend wurde auch der Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965) stark geprägt.

Kunstgeschichte

Die in Galizien wirkenden Künstler konnten auf eine jahrhundertelange künstlerische Tradition in Südpolen zurückblicken. Die sakralen und weltlichen Gebäude in Galizien, insbesondere in Krakau und Lemberg, zeugen von den Einflüssen der Romanik, Gotik, Renaissance und dem Barock auf die Architektur in Südpolen. Zahlreiche Künstler aus Italien und Deutschland wirkten hier. Zu den bekanntesten Werken deutscher Künstler zählt der Hochaltar (1477–1496) von Veit Stoß (um 1447–1533) in der Krakauer Marienkirche. Im 19. Jahrhundert entstanden in Lemberg und Krakau Gebäude, deren Architektur meist an die in Wien anknüpfte (wie etwa die der Operntheater). Die Krakauer Schule für Schöne Künste brachte unter der Leitung des bekannten Historienmalers Jan Matejko (1838–1893) hervorragende Maler hervor, die meist auch einige Jahre an den Kunstakademien in Wien, München oder Paris verbrachten. Zu den bedeutendsten Malern Galiziens zählen unter anderem Henryk Rodakowski (1823–1894), Juliusz (1824–1899) und Wojciech Kossak (1857–1942), Artur Grottger (1837–1867), Maurycy Gottlieb (1856–1879), Włodzimierz Tetmajer (1861–1923), Olga Boznańska (1865–1940), Józef Mehoffer (1869–1946) und Stanisław Wyspiański (1869–1907).

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Seit der politischen Wende reisen vermehrt Polen, deren Familien aus dem ehemaligen Ostgalizien stammen, in die Westukraine. Das Interesse der nach 1945 geborenen Kinder, die Orte der Kindheit der Elterngeneration kennenzulernen, ist groß. So widmete sich beispielsweise der in Lemberg geborene und in Gleiwitz/Gliwice aufgewachsene polnische Dichter und Schriftsteller Adam Zagajewski (1945–2021) in einigen Gedichten seiner Geburtsstadt. Auf ukrainischer Seite befasst man sich seit der Unabhängigkeit der Ukraine intensiv mit der Geschichte des ehemaligen Galizien, wobei das Interesse nicht so sehr der polnischen Zeit, sondern vielmehr der österreichischen Herrschaft gilt. Zu den bekanntesten Schriftstellern der Westukraine, die das ehemalige Galizien thematisieren, zählt der aus Stanislau stammende Schriftsteller Jurij Andruchovyč, dessen Bücher sowohl ins Deutsche als auch ins Polnische übersetzt wurden. Auch die Kinder- und Enkelgeneration der in Galizien geborenen deutschen Kolonisten halten regen Kontakt mit den ehemaligen Heimatorten ihrer Großeltern.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Waldemar Bukowski, Bogusław Dybaś, Zdzisław Noga (Hg.): Galicja na józefińskiej mapie topograficznej 1779–1783 [Die Josephinische Landesaufnahme von Galizien 1779–1783]. Bd. 1, Teil A, Sektionen 1–30. Kraków 2012.
  • Zbigniew Fras: Galicja [Galizien]. Wrocław 1999.
  • Stanisław Grodziski: W królestwie Galicji i Lodomerii [Im Königreich Galizien und Lodomerien]. 2. Aufl. Kraków 2005.
  • Alexander von Guttry: Galizien. Land und Leute. München, Leipzig 1916.
  • Agnieszka Kawalec, Wacław Wierzbieniec, Leonid Zaszkilniak (Hg.): Galicja 1772–1918. Problemy metodologiczne, stan i potrzeby badań [Galizien 1772–1918. Methodologische Fragen, Forschungsstand und -desiderate]. Bd. 1–3. Rzeszów 2011.
  • Rudolf A. Mark: Galizien unter österreichischer Herrschaft. Verwaltung – Kirche – Bevölkerung. Marburg/L. 1994 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 13).
  • Jacek Purchla, Wolfgang Kos, Zanna Komar, Monika Rydiger, Werner Michael Schwarz (Hg.): Mythos Galizien. Wien 2015 (Sonderausstellung des Wien-Museums 401).
  • Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Galizien, Bukowina, Moldau. Berlin 1999 (Deutsche Geschichte im Osten Europas).
  • Ukraina. Przewodnik krytyki politycznej. Z Jarosławem Hrycakiem rozmawia Iza Chruślińska [Ukraine. Vademecum der politischen Kritik. Ein Gespräch Iza Chruślińskas mit Jarosław Hrycak]. Mit einem Vorwort von Adam Michnik. Gdańsk, Warszawa 2009.
  • Larry Wolff: The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Political Culture. Stanford, California 2010.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Mark: Galizien unter österreichischer Herrschaft, S. 53.

[2] Hipolit Studnicki: Das Königreich Galizien und Lodomerien, sammt dem Großherzogthume Krakau und dem Herzogthume Bukowina, in geographisch-historisch-statistischer Beziehung. Lemberg 1853, Tabelle, zwischen S. 6–7.

[3] Mark: Galizien unter österreichischer Herrschaft, S. 70.

[4] Walter Kuhn: Bevölkerungsstatistik des Deutschtums in Galizien. Wien 1930 (Schriften des Instituts für Statistik der Minderheitsvölker an der Universität 7), S. 156, Tab. 2.

[5] Stupnicki: Das Königreich Galizien und Lodomerien (Anm. 2), Tabelle zwischen S. 6 und 7.

[6] Peter Urbanitsch: Die Deutschen in Österreich. Statistisch-deskriptiver Überblick, Tabelle 6: Die konfessionelle Gliederung nach Ländern und Umgangssprachen 1910. In: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. III: Die Völker des Reiches, 1. Teilband. Wien 1980, S. 33–153, hier S. 59.

Zitation

Isabel Röskau-Rydel: Galizien. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32557 (Stand 22.11.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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