Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureş

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Neumarkt am Mieresch

Amtliche Bezeichnung

Târgu Mureş (ältere Schreibweise: Tîrgu Mureş)

Anderssprachige Bezeichnungen

lat. Novum Forum Siculorum; ung. Marosvásárhely; gr. Agropolis/Areopolis; siebenbürg.-sächs. Nai Muark[1]

2. Geographie

Lage

46º 33' nördliche Breite, 24º 34' östliche Länge.

Topographie

Ortschaft am Treffpunkt der Transsylvanischen Hochebene (rum. Câmpia Transilvaniei) mit dem Tal des Flusses Mieresch (rum. Valea Mureşului) und dem Tal des Flusses Niersch (rum. Valea Nirajului), etwa 117 km nordwestlich von Hermannstadt/Sibiu, 127 km südöstlich von Klausenburg/Cluj-Napoca und 93 km südlich von Bistritz/Bistriţa.

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Johann I. Haas: Die ungarische Stadt Neumarkt am Mieresch und Burg (Marosvásárhely magyar
város és vár), 1736. [Bibliothek der Lodovika-Akademie, Budapest]

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Rumänien; Hauptstadt des Kreises Mieresch (rum. județul Mureş).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Im blauen Feld des dreieckigen Wappenschildes befindet sich ein geharnischter Arm, der ein gerades Schwert mit aufgespießtem Bärenkopf hält; in der rechten Ecke oben eine goldene Waage; über dem Wappenschild eine runde Burgmauer mit sieben Türmen.

Archäologische Bedeutung

Bei mehreren Ausgrabungen wurden auf dem Gelände der Burgkirche der nördliche und westliche Flügel des Franziskanerklosters und der im 15. Jahrhundert zur Kirche führende Ziegelweg sowie sechs weitere ältere Siedlungsschichten, die Spuren bis in die Steinzeit offenlegen, entdeckt.

Mittelalter

In den ersten urkundlichen Erwähnungen der Stadt (1323) heißt der Ort "Szeklermarkt" (Forum Siculorum, Zekel Wasarhe). Hier fanden Wochen- und Jahrmärkte statt und hier wurde die Ochsensteuer eingetrieben. Neumarkt war Vorort des Szeklerstuhles Mieresch (ung. Maros). Früh entstand hier ein erstes Kloster der Dominikaner, das aber 1241 im Mongolensturm zerstört wurde. Danach errichteten die Franziskaner ein Kloster, nebenan entstand die gotische Pfarrkirche

Neuzeit

Während eines Szekleraufstandes für die Wahrung der vom Fürsten bedrohten Sonderrechte ließ Fürst Stephan Báthory (1571–1576) die befestigte Kirche belagern. Mitte des 16. Jahrhunderts wurden die Franziskaner im Zuge der Reformation vertrieben und ihre Kirche wurde von Anhängern der Calvinisten genutzt. Infolge einer Plünderung und Brandschatzung der Stadt 1602 begannen die Bewohner auf Rat von Tamás Borsos (1566–1633) den Umbau des befestigten Klosters zur Burg. Die Burg diente im 18. Jahrhundert als Kaserne und verfiel dann. 1616 erhob Fürst Gabriel Bethlen (1613–1629) die Minderstadt Székelyvásárhely zur Freien Königlichen Stadt unter dem Namen Maros-Vásárhely (Neumarkt am Mieresch). Die Stadt war bis 1848 Sitz der königlichen Landesgerichtstafel, des höchsten siebenbürgischen Appellationsgerichtes. In der Folgezeit erlebte die Stadt nach der Eingemeindung umliegender Dörfer eine Blütezeit.

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Der Hauptplatz in Neumarkt am Mieresch (Maros-
Vásárhely). [Die österreich-ungarische Monarchie in
Wort und Bild. Ungarn, Bd. 6. Wien 1902, S. 295]

1661 wurde die Burg für kurze Zeit von den Osmanen besetzt. Nach dem Übergang unter habsburgische Herrschaft kamen im Zuge der gegenreformatorischen Aktivitäten Wiens 1702 die Jesuiten nach Neumarkt. 1728 begannen die Bauarbeiten an der Johannes dem Täufer gewidmeten zweitürmigen Kirche. 1707 wurde hier Franz II. Rákóczi (ung. Rákóczi Ferenc), Anführer des Aufstandes gegen die Habsburger (1703–1711), zum Fürsten von Siebenbürgen proklamiert. 1848 wurde der Ort für einige Monate von kaiserlichen Truppen besetzt. 1876 wurden Teile des Komitats Thorenburg (rum. Turda, ung. Torda) mit dem Szeklerstuhl Mieresch zum Komitat Maros-Torda zusammengeschlossen.

Zeitgeschichte

Die Stadt erlebte Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem ungarischen Bürgermeister György Bernády (1900–1902; 1926–1929) einen Aufschwung: Infrastrukturmaßnahmen, Errichtung von Schul- und Universitätsgebäuden, des heutigen Kulturpalasts sowie des Rathauses im Sezessionsstil. Nach dem Ersten Weltkrieg gelangte Siebenbürgen infolge des Vertrags von Trianon (1920) unter rumänische Herrschaft. Der rumänische Bürgermeister Emil Dandea (1922–1926; 1934–1937) führte den Ausbau der Stadt fort und ließ die orthodoxe und die griechisch-katholische Kirche im Stadtzentrum erbauen.

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Das Rathaus mit Turm und der Kulturpalast in
Neumarkt am Mieresch.
[Foto: B. Moldovan]

Zwischen 1949 und 1967 war Neumarkt Vorort der Autonomen Ungarischen Region (rum. Regiunea Autonomă Maghiară), die die minderheitenfreundliche Politik des kommunistischen Regimes illustrieren sollte, aber keine eigentliche Autonomie bedeutete, vielmehr eine starke Überwachung durch die Bukarester Zentrale zur Folge hatte. 1967 wurde die Fiktion im Zuge einer administrativen Neuaufteilung beseitigt und Neumarkt zum Vorort des Kreises Mieresch bestimmt. In den 1970er Jahren wurde mit der Industrialisierung (Chemisches Kombinat) auch eine bewusste Rumänisierungspolitik verbunden. Nach der Wende (1989) erlebte Neumarkt im März 1990 blutige Auseinandersetzungen zwischen Rumänen und Ungarn, den sog. Schwarzen März.

Verwaltung

Munizipium Neumarkt am Mieresch/Municipiul Târgu Mureş.

Bevölkerungsentwicklung

Die Bevölkerung der Stadt Neumarkt am Mieresch zwischen 1850 und 2011.[2]

Jahr

Gesamtbevölkerung Rumänen Ungarn Deutsche
Andere
1880 13.192 5,10% 85,60% 3,94% 5,36%
1930 38.517 25,43% 58,12% 1,64% 14,81%
1966 80.912 27,5% 70,6% 0,5% 1,4%
1992 161.216 46,2% 51,6% 0,3% 1,9%
2011 127.849 51,96% 44,86% 0,15% 3,03%

Religions- und Kirchengeschichte

Konfessionelle Zugehörigkeit der Bewohner (2002): Orthodoxe: 46,74%; Reformierte: 30,06%; Römisch-Katholische: 13,50%; Griechisch-Katholische: 2,60%; Atheisten: 0,37%; Freikirchler und andere: 36,79%.[3]

Bildung und Wissenschaft

Medizinische Universität (rum. Universitatea de Medicină şi Farmacie); Sapientia -Ungarische Wissenschaftsuniversität Siebenbürgen (ung. Sapientia Erdélyi Magyar Tudományegyetem), Privatuniversität "Petru Maior".

Kunstgeschichte

Anfang des 19. Jahrhunderts legte Graf Sámuel Teleki die Grundlagen der Teleki-Bibliothek mit 40.000 Bänden, unter ihnen 66 Inkunabeln sowie der Vásárhelyer Codex, eine Pergamenthandschrift der Annalen des Tacitus mit dem Wappen der Hunyadi. 1955 wurden die Bibliothek des ehemaligen Reformierten Kollegs sowie die Manuskripte und persönlichen Objekte von János und Farkas Bolyai aus der Bolyai-Gedenkstätte in die Bibliothek überführt. Der im Stil der Sezession gebaute Kulturpalast besitzt einen prachtvollen Spiegelsaal, dessen Glasfenster mit Szenen aus Szekler-Balladen verziert sind. Die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammende Orgel im Konzertsaal ist heute Rumäniens drittgrößte Orgel

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Balázs Orbán: Marosszék [Der Stuhl Mieresch]. In: A Székelyföld leírása történelmi, régészeti, természetrajzi s népismereti szempontból [Beschreibung des Szeklerlandes aus historischer, archäologischer, naturwissenschaftlicher und volkskundlicher Sicht]. Pest 1868, S. 1-12, 106-153.
  • Das Maros-Tordauer Comitat. In: Siebenbürgen in Wort und Bild. Mit einer Einleitung von Krista Zach und durch ein Ortsregister ergänzt. Köln u. a. 2004 [Vollst. Nachdr. von Bd. 23 (Ungarn, Bd. 6), Wien 1902] (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 28), S. 287-308.
  • Pál-Antal Sándor: Die Herausbildung der Szeklerstühle. In: Harald Roth (Hg.): Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinde zur ethnischen Gruppe. Köln u. a. 2008 (Siebenbürgisches Archiv 40), S. 126-149.
  • Tom Gallagher: The violence in Tîrgu Mureş and its aftermath. In: Theft of a nation. Romania since communism. London 2005, S. 84-89.
  • Ernő Deák: Königliche Freistädte - Munizipalstädte. Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780-1918), Teil 2. Ausgewählte Materialien zum Städtewesen. Wien 1989 (Veröffentlichungen der Kommission für Wirtschafts-, Sozial- und Stadtgeschichte / Österreichische Akademie der Wissenschaften 4), S. 370-375.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Ernst Wagner: Historisch-statistisches Ortsnamenbuch für Siebenbürgen. Mit einer Einführung in die historische Statistik des Landes. Köln u. a. 1977 (Studia Transsylvanica 4), S. 344.

[2] E. Árpád Varga: Maros megye településeinek etnikai (anyanyelvi/nemzetiségi) megoszlása százalék szerint 1850 und 2002. [Ethnische (Muttersprache/Staatsangehörigkeit) Verteilung in Prozenten der Siedlungen im Kreis Mieresch zwischen 1850–2002]: www.kia.hu/konyvtar/erdely/erd2002.htm (Abruf 06.01.2012).

[3] Centru de resurse pentru diversitate etnoculturală [Zentrale Stelle für Informationen über die ethnisch-kulturelle Vielfalt]: www.edrc.ro/recensamant.jsp?regiune_id=2568&judet_id=2798&localitate_id=2799 (Abruf 06.01.2012).

Zitation

Beáta Moldovan: Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureş. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2012. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/56393.html (Stand 22.03.2012).

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OME-Redaktion (Stand: 30.07.2024)  | 
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