Neumarkt in Schlesien/Środa Śląska
1. Toponymie
Deutsche Bezeichnung
Neumarkt in Schlesien
Amtliche Bezeichnung
poln. Środa Śląska
Etymologie
Der polnische Ortsname leitet sich vom Wochentag Mittwoch (poln. środa) ab, der in der Stadt Markttag war. Auch die deutsche Bezeichnung verweist auf die Rolle der Stadt als Handelsplatz.
2. Geographie
Lage
Neumarkt liegt auf 51° 9' nördlicher Breite, 16° 35' östlicher Länge, ca. 30 km westlich von Breslau/Wrocław.
Topographie
Die Stadt liegt auf der Neumarkter Platte, die sich zwischen Oder (Odra), Katzbach (Kaczawa), Wütender Neiße (Nysa Szalona) und dem Striegauer Wasser (Strzegomka) erstreckt. Durch die Stadt fließt das Neumarkter Wasser (Średzka Woda), ein Nebenfluss der Oder.
Region
Staatliche und administrative Zugehörigkeit
Polen. Neumarkt liegt in der Woiwodschaft Niederschlesien und ist Hauptstadt des Landkreises Neumarkt (Powiat Środa Śląska).
3. Geschichte und Kultur
Gebräuchliche Symbolik
Das Wappen besteht aus zwei Teilen: Das rechte weiße Feld zeigt einen Weinstock mit drei Reben und vier Blättern, ein Hinweis auf die Weinbautradition der Region. Im linken Feld ist auf goldenem Grund ein halber schlesischer Adler zu sehen. Das Wappen ist seit dem 14. Jahrhundert in Gebrauch.
Mittelalter
Aufgrund der günstigen Lage an der Hohen Straße (Via regia) entstand an der Stelle des späteren Neumarkt im 12. Jahrhundert eine Marktsiedlung. Die Stadt wurde vermutlich 1211 gegründet (als civitas erstmalig 1238 genannt). Die Verbindung früher flandrischer Stadtrechte mit dem Magdeburger Recht – erneuert 1235 vom Breslauer Herzog Heinrich dem Bärtigen – wurde vorbildhaft für viele polnische Stadtgründungen nach sog. Neumarkter Recht. Für 1266 ist in der Stadt eine Kastellanburg als Sitz des herzoglichen Statthalters nachgewiesen. Nach dem Tod Herzog Heinrichs IV. 1335 fiel Neumarkt mit dem Herzogtum Breslau an die Böhmische Krone, die Burg wurde Sitz eines Hauptmanns. Während des Hussiteneinfalls 1428 wurde die Stadt geplündert und gebrandschatzt.
Neuzeit
1570 erwarb der Stadtrat die Erbvogtei und übernahm damit die Verwaltung der Stadt. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es zu schweren Zerstörungen, die hauptsächlich durch große Stadtbrände 1633/34 und 1641 verursacht wurden. 1741 kam die Stadt unter preußische Verwaltung. Stark in Mitleidenschaft gezogen wurden Neumarkt und seine Bevölkerung während des Siebenjährigen Krieges 1757/58, als in der Stadt eine Seuche ausbrach, und während der Napoleonischen Kriege. Mit der preußischen Verwaltungsreform 1816 wurde Neumarkt Hauptstadt des Landkreises Neumarkt.
Zeitgeschichte
Im Februar 1945 nahm die sowjetische Armee Neumarkt ein, im April erfolgte die Übergabe an die polnische Verwaltung. Anstelle der vertriebenen deutschen Einwohner ließen sich Vertriebene aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten nieder.
Wirtschaft
Im Verlauf des 15. und im 16. Jahrhundert erlebte Neumarkt einen wirtschaftlichen Aufschwung in Handel und Handwerk. Die Stadt war im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ein Zentrum des Weinbaus, die hier produzierten Weine gehörten zu den besten in Schlesien. Noch unter habsburgischer Herrschaft entstand 1711 eine Tabakfabrik, mit der eine im 19. Jahrhundert intensive Tabak- und Zigarettenproduktion begann. 1742 wurde eine Porzellanfabrik, 1750 eine Seidenfabrik gegründet. Die 1843 eröffnete Eisenbahnstrecke zwischen Breslau und Liegnitz/Legnica verlief zunächst einige Kilometer abseits der Stadt; erst 1926 folgte der Anschluss durch eine Schmalspurbahn.
Nach der Wende haben sich in Neumarkt mehrere ausländische Unternehmen, u. a. der Automobilbranche und eine Fabrik des Coca-Cola-Konzerns, niedergelassen. Seit einigen Jahren wird in der Region die Tradition des Weinbaus wiederbelebt.
Bevölkerungsentwicklung
1621 zählte Neumarkt 4.071 Einwohner.[1] Infolge der Kriegshandlungen und des wirtschaftlichen Niedergangs im 17. und 18. Jahrhundert sank ihre Zahl bis 1749 auf 1.774. Mit der Industrialisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwung des 19. Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl wieder, bis 1825 auf 3.075 und bis 1890 auf 5.860 Personen.[2] Im Jahr 1939, nach der Eingemeindung von Flämischdorf, Probstei und Pfaffendorf, zählte die Stadt 6.420 Einwohner.[3] Heute leben in Neumarkt 9.239 Menschen (Stand 2012).[4]
Religions- und Kirchengeschichte
1523 wurde in Neumarkt die Reformation eingeführt. Die Franziskanerkirche wurde 1527 evangelisch, das Kloster wurde zum städtischen Armenhospital umfunktioniert. Nach 1654 wurden im Zuge der Gegenreformation die Pfarrkirche und die Klosterkirche wieder den Katholiken überlassen, 1675 zogen die Franziskaner wieder in das Kloster ein, wo sie bis zur Säkularisation 1812 blieben. Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Mehrheit der Bewohner evangelischen Glaubens (im Landkreis 1890: 51 %, 1939: 60 %).[5]
Quellengesicherte Hinweise zum jüdischen Leben in Neumarkt stammen aus dem 14. Jahrhundert. Um die Mitte des Jahrhunderts kam es in der Stadt zu Pogromen und anschließend zur Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Erst 1812 siedelten sich wieder Juden in Neumarkt an. Im selben Jahr wurde eine jüdische Gemeinde gegründet, 1862 die Synagoge erbaut. 1890 zählte die Gemeinde 86 Mitglieder, 1933 waren es 62.[6]
Besondere kulturelle Institutionen
1920 eröffnete das Stadtmuseum, das seit 1935 in der Dreifaltigkeitskirche untergebracht ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm das Museum seine Arbeit 1964 wieder auf, zunächst als Museum für Holz-Kunsthandwerk, heute als Regionalmuseum (Muzeum Regionalne) mit Sitz im gotischen Rathaus.
Die wichtigste Exponatgruppe ist der 1985 bei Bauarbeiten entdeckte sog. Schatz von Neumarkt, bestehend aus Münzen und Kleinodien, von denen die ältesten aus der Zeit um 1200 stammen. Am wertvollsten ist eine adlergeschmückte Krone aus dem frühen 14. Jahrhundert, die möglicherweise der ersten Gattin Kaiser Karls IV., Blanca de Valois, gehörte. Karl IV. verpfändete die Objekte vermutlich bei dem jüdischen Kaufmann Muscho, der sie wohl im Kontext der Seuchen und des antijüdischen Pogroms in Neumarkt um 1350 vergrub.
Kunstgeschichte und Architektur
Der mittelalterliche Stadtkern ist annähernd quadratisch, im Zentrum liegt der Ring mit dem Rathaus. Die Stadtmauern des späten 13. Jahrhunderts wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts niedergelegt und die fünf Tore abgerissen. Im nordwestlichen Teil der Stadt sind Reste der zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgetragenen mittelalterlichen Kastellanburg erhalten. Sie gehörte ab 1335 der Böhmischen Krone und war später im Besitz verschiedener Magnaten. An ihrer Stelle entstand 1896 das Amtsgericht.
Die Pfarrkirche St. Andreas wurde ab 1248 anstelle eines Vorgängerbaus als Backsteinbasilika errichtet. In den 1380er Jahren entstand der gotische Chor. Um 1500 gehörte die Kirche den Breslauer Kreuzherren mit dem Roten Stern. 1540–1654 war sie protestantisch. 1670–1675 wurde sie im Zuge der Gegenreformation barockisiert; erhalten ist u. a. der Hauptaltar mit Skulpturen von Tobias Stahlmeyster und einem Gemälde von Georg Wilhelm Neunhertz. Die neogotische Zweiturmfassade entstand 1828, der freistehende, rechteckige Backstein-Glockenturm (Wachturm) stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.
Die um 1234 von Heinrich dem Bärtigen und seiner später heiliggesprochenen Gemahlin Hedwig gestiftete Kirche Mariä Geburt war ursprünglich Teil des Aussätzigenspitals. Zwischen 1349 und 1535 gehörte die Kirche den Benediktinern, in deren Auftrag in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts das Kirchenschiff in gotischen Formen entstand. 1816 zum städtischen Waffenmagazin umgebaut, erhielt der Bau 1871 wieder eine sakrale Funktion. Nach Zerstörungen im Jahr 1945 wurde die Kirche erst 1983 wieder aufgebaut, wobei Elemente des romanischen Ursprungsbaus entdeckt wurden.
Die Franziskanerkirche der hl. Kreuzerhöhung (ehemals Kloster-, heute Pfarrkirche) entstand ab 1378 bis Mitte des 15. Jahrhunderts als dreischiffige Backsteinhalle anstelle eines Vorgängerbaus. Nach der Säkularisation 1810 diente sie als Magazin. 1933 wurde sie von der evangelischen Gemeinde nach einem Projekt von Paul Klein wieder für den Gottesdienst adaptiert.
Das gotische Rathaus entstand in den Jahrzehnten um 1400 anstelle der ehemaligen Kaufkammern, deren Räumlichkeiten im Mittelblock zum Teil erhalten sind. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde das Gebäude im Renaissancestil umgebaut. Letzte Renovierungsarbeiten erfolgten 1983/84. Der zweigeschossige Backsteinbau mit quadratischem Turm im Westen erstreckt sich "L"-förmig um einen kleinen Innenhof. Der gotische Giebel der Südfassade ist mit (1997 rekonstruierten) polychromen Malereien verziert; auch in den Innenräumen wurden gotische und manieristische Polychromien freigelegt.
4. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Beata Lejman: Środa Śląska/Neumarkt. In: Ernst Badstübner, Dietmar Popp, Andrzej Tomaszewski, Dethard von Winterfeld (Hg.), Sławomir Brzezicki, Christine Nielsen (Bearb.): Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen. Schlesien. München, Berlin 2005, S. 919-924.
- Jerzy Pietrusiński: Herrscherschmuck aus der Schatzkammer der Luxemburger im Goldschatz von Neumarkt in Schlesien. In: King John of Luxembourg (1296–1346) and the art of his era. Prague 1998, S. 189-200.
- Hugo Weczerka: Neumarkt. In: Ders. (Hg.): Handbuch der historischen Stätten. Schlesien. Stuttgart 1977 (Kröners Taschenausgabe 316), S. 342-347.
Weblinks
- dksrodaslaska.pl/ (Haus der Kultur/Dom Kultury in Neumarkt in Schlesien)
- www.herder-institut.de/bildkatalog/wikidata/Q387307 (Abbildungen zu Neumarkt/Środa Śląska im Bildarchiv des Herder-Instituts, Marburg)
Anmerkungen
[1] Vgl. Weczerka: Neumarkt, S. 346.
[2] Zahlen nach Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. URL: treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Abruf 18.06.2013).
[3] Weczerka: Neumarkt, S. 346.
[4] Stand vom 30. Juni 2012. Główny Urząd Statystyczny (GUS), www.stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/gus/l_ludnosc_stan_struktura_30062012.pdf (Abruf 18.06.2013).
[5] treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Anm. 2).
[6] Onlineportal zur Geschichte der Juden in Polen: www.sztetl.org.pl/pl/city/sroda-slaska/ (Abruf 18.06.2013).
Zitation
Beata Lejman/Tomasz Torbus: Neumarkt/Środa Śląska. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32273 (Stand 30.07.2021).
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