Libau/Liepāja

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Libau

Amtliche Bezeichnung

lett. Liepāja

Anderssprachige Bezeichnungen

russ. Лиепая (Liepaja); lit. Liepoja; poln. Lipawa

Etymologie

Bis Mitte des 16. Jahrhunderts wird Libau als „Liwa“ erwähnt. 1560 erscheint zum ersten Mal die deutsche Bezeichnung „Libawe“. Weitere frühe Namensformen sind Liiw, Liva, Liba. Im Livischen bedeutet liiw Sand. Der Name Liepāja wird im Lettischen mit Linden assoziiert, weil im Wortstamm das lettische Wort liepa (=Linde) enthalten ist.

2. Geographie

Lage

Libau liegt auf 56° 31' nördlicher Breite und 21° 1' östlicher Länge, ca. 200 km südwestlich von Riga/Rīga.

Topographie

Libau liegt im äußersten Westen Lettlands auf der Nehrung zwischen dem Libauer See und der Ostsee.

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Lettland. Libau gehört zur Region Kurland (Kurzeme) und war bis zur Verwaltungsreform 2009 soziales und administratives Zentrum des Landkreises Libau (Liepāja). Seitdem ist Libau eine von neun lettischen Republik-Städten.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen aus dem Jahr 1625 zeigt auf silbernem Grund den roten kurländischen Löwen mit Doppelschwanz auf grünem Boden, der mit seinen Vorderpfoten eine grüne Linde stützt. Es ist auch in der Mitte der Flagge der Stadt Libau aus dem Jahr 1938 zu sehen, die zwei waagerechte Streifen (rot und grün) aufweist.

Seit 1999 hat die Stadt Libau eine offizielle Hymne: Pilsēta, kurā piedzimst vējš (Stadt, in der der Wind geboren wird). Die Musik (1973) stammt von dem lettischen Komponisten Imants Kalniņš, der Text von dem lettischen Dichter Māris Čaklais (1940–2003).

Mittelalter

Die Ursprünge Libaus sind in dem kleinen Fischerdorf Liwa am gleichnamigen, heute versandeten Flüsschen Liwa (Lyva) zu suchen. Der schmale Streifen zwischen dem heutigen Libauer See und dem Meer wurde von den Vorfahren der Liven, finno-ugrischen Stämmen, und ab dem vierten Jahrhundert n. Chr. von Kuren bewohnt.

Erstmals werden das Dorf Liwa (Lyva dorp) und der Hafen Liwa (Lyva portus) 1253 beziehungsweise 1267 in zwei Teilungsverträgen zwischen dem Deutschen Orden und Bischof Heinrich von Kurland (gest. 1274) erwähnt, als deren Ergebnis der Hafen dem Bischof, das Dorf dem Deutschen Orden überlassen wurde. 1291 wird castrum Lyva als Besitz des kurländischen Domkapitels erwähnt.

1413 wird Liwa erstmals als eine Siedlung bezeichnet. Der flandrische Ritter Ghillebert de Lannoy (1386-1462), der über Preußen nach Livland kam, schrieb in seinem Tagebuch: „...ich kam in eine Stadt, die Liwa genannt wird und am Liwa-Flusse liegt.“[1] Fünf Jahre später wurde der Ort von Litauern niedergebrannt; viele Einwohner wurden erschlagen.

Neuzeit

Im 15. Jahrhundert machte sich die Versandung des Flüsschens und des Hafens bemerkbar. Als dieser in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts endgültig versandete, wurde ein neuer Hafen angelegt, wodurch sich die Siedlung nach Süden verschob. In den 1560er Jahren wurde neben dem neuen Hafen der Marktplatz zum Mittelpunkt des öffentlichen Lebens.

Nach Auflösung des livländischen Zweiges des Deutschen Ordens im Jahr 1561 erlebte Libau wechselnde Machthaber. 1560 verpfändete Gotthard von Kettler (1517–1587), der letzte Landmeister des Deutschen Ordens in Livland und ab 1561 erster Herzog von Kurland und Semgallen, Libau als Teil der Grobiner (Grobiņa) Vogtei an den Brandenburger Markgrafen und preußischen Herzog Albrecht (1490–1568); 1609 kehrte Libau als Mitgift seiner Tochter Sophie (1527–1591) nach Kurland zurück.

Am 18. März 1625 gewährte der kurländische Herzog Friedrich Kettler (1569–1642) Libau das Stadtrecht, das ein Jahr später durch König Sigismund III. Wasa von Polen (1566–1632) bestätigt wurde. Seitdem entwickelte sich Libau zu einer bürgerlichen Stadt, geführt vom Kaufmannsstand. In den Schwedisch-Polnischen Kriegen im 17. und 18. Jahrhundert, in denen es unter anderem um die Vorherrschaft im Baltikum ging, wurde Libau von Schweden, Sachsen und Polen erobert. Gravierende Verluste erlitt die Stadt 1661, 1698 und 1710 durch Pestepidemien und einen Großbrand.

Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurde Libau von Russen besetzt (1757/58). 1794 kam es in Libau zu Zusammenstößen zwischen polnischen Insurgenten und russischen Soldaten, die 1795 mit dem Anschluss Kurlands an Russland endeten. Im Krimkrieg (1855) erfolgte eine Blockade des Libauer Hafens durch englische Schiffe. 1878 wurde in Libau die russische Städteordnung eingeführt; 1889 wurde die Ratsverfassung endgültig aufgehoben.

Zeitgeschichte

Libau war im Ersten Weltkrieg die erste große Festung in der Kette der russischen Grenzbefestigungen, die von deutschen Truppen eingenommen wurde – mit einem gleichzeitigen Angriff von Land und von See im Mai 1915. Im gleichen Jahr wurde Libau in den Militärstaat Ober Ost der deutschen Besatzungsmacht eingegliedert. Aber schon Ende 1914 hatte eine Flüchtlingsbewegung in Kurland eingesetzt – rund 400.000 Einwohner verließen ihre Heimat. Vom 6. Januar bis 8. Juli 1919 war Libau, infolge der sowjetischen Besetzung Rigas, Sitz der Regierung Lettlands, das im November 1918 seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Am 16. April 1919 putschten Deutschbalten in Libau, und die lettische Regierung unter Ministerpräsident Kārlis Ulmanis (1877–1942) wurde gewaltsam gestürzt. Die Regierung und der Ministerpräsident konnten auf das britische Schlachtschiff „Saratow“ entkommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Libau zur Militärstadt mit der größten Militärbasis der UdSSR mit 26.000 Soldaten – einem Drittel aller Einwohner.[2] Außerdem wurde Libau zu einer „geschlossenen Stadt“ erklärt; das Betreten war nur mit einer Sondererlaubnis möglich. 1967 wurde der Handelshafen geschlossen, nach der Unabhängigkeit Lettlands 1992 wurde er wieder eröffnet.

Bevölkerung

Im 13. Jahrhundert lebten in Libau nicht mehr als 100, im 16. Jahrhundert 400 bis 500 Einwohner.[3] 1897 waren von 64.489 Einwohnern 24.918 Letten, 11.627 Deutsche, 9.461 Juden, 7.492 Russen, 6.007 Polen, 3.587 Litauer; 1.397 fielen in die Kategorie „Sonstige“. 1914 war die Einwohnerzahl auf 94.000 gestiegen (ohne Kriegshafen). 1920 lebten hier noch 51.583 Personen: 26.927 Letten, 5.864 Deutsche, 9.758 Juden, 1.773 Russen, 2.904 Polen, 3.777 Litauer, 580 Sonstige. 1935 betrug die Einwohnerzahl 57.098, davon 38.845 Letten, 4.520 Deutsche, 7.379 Juden, 1.943 Russen, 2.261 Polen, 1.587 Litauer, 107 Esten und 356 Sonstige. 1967 lebten in Libau 86.100 Personen,[4] bis 1990 stieg die Einwohnerzahl auf 114.337, bis zum Jahr 2013 sank sie auf 73.469.[5]

Wirtschaft

Die eigentlich strategisch günstige Lage Libaus an der Ostsee und zwischen der Residenz des Deutschen Ordens in Marienburg/Malbork sowie dem Sitz der livländischen Ordensmeister in Riga hatte im Mittelalter keinen Einfluss auf den Handel. Ende des 15. Jahrhunderts wurden lediglich Fleisch, Fisch, Butter und Holz in nordostdeutsche Städte exportiert. Erst ab dem 16. Jahrhundert nahm die Bedeutung des Hafens von Libau für den kurländischen Handel zu.

Der Zusammenbruch des Deutschen Ordens brachte dem Ort nicht nur neue Besitzer, sondern auch wirtschaftlichen Aufschwung. Die Zugehörigkeit zu Preußen aktivierte den Landhandel mit Polen-Litauen. Als der größte Handelskonkurrent, die Stadt Riga, 1621 nach Schweden eingegliedert wurde, entwickelten sich Libau und Windau/Ventspils zu neuen Handelszentren des Herzogtums Kurland. Um 1625 kam es auch zur Versandung des neuen Hafens. Einen weiteren Versuch des Hafenausbaus unternahm Herzog Jakob (1610–1682); von 1697 bis 1703 erfolgte noch eine Hafenerweiterung, was letztlich im 18. Jahrhundert erneut zu wirtschaftlichem Aufschwung führte. 1737 wurden der Hafen vertieft und Molen errichtet, was zu einer Belebung der Schifffahrt führte. 1783 erreichte Russland ein Verbot des gesamten Außenhandels. 1858 erfolgte ein erneuter Ausbau des eisfreien Hafens, der den Handel an sich zog. Ende des 19. Jahrhunderts wurden der Vorhafen, der Handelshafen, der Winterhafen und der Kriegshafen (1890–1899) angelegt. Anfang des 20. Jahrhunderts verkehrten Dampferlinien nach Windau, Riga, Sankt Petersburg/Leningrad, Stettin/Szczecin, Lübeck, Kopenhagen, Hamburg, London, Hull, Antwerpen und New York. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Frachtgüter nach Finnland, Schweden, Dänemark, in beide deutschen Staaten, nach England, Frankreich, Kuba, Brasilien und in die Vereinigten Arabischen Republiken verschifft.

Der Bahnanschluss Libaus beschleunigte den Handel enorm. 1871 wurde die Strecke Libau–Moscheiken/Mažeikiai (Litauen)–Romny (Ukraine) eröffnet. 1900 kam die Verbindung Libau–Hasenpoth/Aizpute, 1915 Libau–Preekuln/Priekule–Memel/Klaipėda (Ostpreußen, heute Litauen) sowie Libau–Goldingen/Kuldīga und 1917/29 Libau–Mitau/Jelgava dazu. 1899 wurde in der Stadt die erste elektrische Straßenbahn im Baltikum eröffnet.

In den zahlreichen Fabriken Libaus wurden Anilin und andere chemische Güter erzeugt sowie Dachpappe, Draht, Nägel, Kartonagen, Metallwaren, Werkzeuge, Schuhe, Zündhölzer, Ölpressen, Korken, Konserven, Liköre und Seife hergestellt und Tabak verarbeitet. Die wichtigsten Exportwaren waren Getreide und Holz. Im Ersten Weltkrieg wurde die Industrie weitgehend vernichtet, der Wiederaufbau erfolgte zum großen Teil durch ausländisches Kapital.

Ende der 1950er Jahre wurde in Libau der Flughafen ausgebaut.

Besondere kulturelle Institutionen, Bildung

In Libau gibt es fünf Museen, darunter das 1924 eröffnete Stadtmuseum (Liepājas muzejs), ein Theater und die älteste Philharmonie im Baltikum, das Libauer Symphonie Orchester (Liepāja Symphony Orchestra, seit 1883: Liepājas simfoniskais orķestris).

Aus der Libauer Pädagogischen Akademie entstand 2008 die Universität Libau (Liepājas Universitāte).

Kunstgeschichte

Die St.-Annen-Kirche wurde erstmals 1509 als Fachwerkbau erwähnt. Imposant ist der von Nikolaus Soeffrens d. J. ( 1662–1710) geschaffene Barockaltar. Altar und Kanzel sowie der Beichtstuhl aus dem Jahr 1611 gehören zu den ältesten Kirchenausstattungsgegenständen in Lettland.

Die Dreifaltigkeitskirche ist die größte protestantische Kirche Lettlands. Erbaut wurde sie 1742–1750 nach einem Entwurf des Königsberger Architekten Johann Christoph Dorn (geb. 1671) mit Formen der Schlossarchitektur und sorgfältig aus Sandstein gearbeiteten Finessen des Fassadenschmucks, Pilastern und Skulpturen. Der 18 mal 44 Meter große, helle Innenraum ist mit weltlichem Prunk ausgestaltet. Weltbekannt ist die von dem Rigaer Orgelbauer Heinrich Andreas Contius (1708–1792/95) im Rokokostil erbaute Orgel, die 1885 von dem Stettiner Orgelbauer Barnim Grüneberg (1828–1907) auf 131 Register erweitert wurde. Bis 1912 die größte Orgel der Welt, gehört sie auch heute noch zu den eindrucksvollsten Orgeln Europas.

Sehenswert sind in Libau auch einige Bürgerhäuser und Speicher aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

2009 bewarb sich Libau als Europäische Kulturhauptstadt 2014, musste aber Riga den Vorrang lassen. Libau und Darmstadt sind seit 1993 Partnerstädte.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus. Aus dem Lettischen übersetzt von Ursula Reimers. Köln 2007.
  • Libau. In: Hans Feldmann, Richard von Kymmel, Dagmar Lydike, Heinz von zur Mühlen, Clara Redlich, Sigrid Weikert-Girgensohn: Baltisches historisches Ortslexikon. T. 2: Lettland (Südlivland und Kurland). Köln 1990 (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte 8/II), S. 344–346.
  • C[onstantin] Mettig: Baltische Städte. Skizzen aus der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands. 2., verm. Aufl. Riga 1905, S. 298–310.
  • Ādolfs Šilde: Latvijas vēsture [Geschichte Lettlands] 1914–1940. Stockholm 1976.
  • Alexander Wegner: Geschichte der Stadt Libau. Libau 1878. (Nachdruck 1970).

Weblinks

Anmerkungen

[1] Zitiert nach: Lancmanis: Libau, S. 6.

[2] www.liepaja.lv/page/1510 (Abruf 08.12.2014).

[3] Lancmanis: Libau, S. 6, 8.

[4] Libau. In: Feldmann u.a.: Baltisches historisches Ortslexikon, S. 345.

[5] Datenbank der Lettischen Statistischen Behörde: www.csb.gov.lv/ (Abruf 06.02.2014).

Zitation

Anda Godlinski: Libau/Liepāja. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32308 (Stand 30.07.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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