Schneidemühl/Piła

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Schneidemühl

Amtliche Bezeichnung

poln. Piła

Lateinische Bezeichnung

Pila

Etymologie

"Piła" heißt auf Polnisch Säge.

2. Geographie

Lage

Die Stadt liegt im Nordwesten Polens auf 53° 9' nördlicher Breite und 16° 44' östlicher Länge, 80 km nördlich von Posen/Poznań und ebenso weit westlich von Bromberg/Bydgoszcz am Fluss Küddow (Gwda).

Region

Heute Großpolen

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Republik Polen, Hauptstadt des Landkreises Schneidemühl (Powiat Piła) in der Woiwodschaft Großpolen (Województwo wielkopolskie).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen der Stadt zeigt einen über grüne Felder springenden roten Hirsch auf weißem (silbernem) Hintergrund. 1605 erhielt das Wappentier durch die polnische Königin Konstanze, die Gemahlin Sigismunds III., eine goldene Krone; die Ergänzung war vermutlich ein Zeichen des Patronats der Königin, die zahlreiche Bauvorhaben in der Stadt unterstützte.[1] 1945 übernahm die polnische Verwaltung das Wappen, das seit den1960er Jahren in vereinfachter Form ohne Krone geführt wird. Die Flagge besteht aus den horizontal angeordneten Farben Weiß (Silber), Rot und Grün.

Mittelalter

Im Jahre 1380 wurde "Pyla" ein Privileg erteilt, das u. a. den Bau einer Kirche vorsah. Vor diesem Hintergrund wird das Jahr 1380 auch als Gründungsjahr der Stadt angesehen. In einem Brief aus dem Jahr 1456 wurde zum ersten Mal der Name "Pyla" in Verbindung mit dem Namen "Snydemole" urkundlich erwähnt. Dabei handelte sich um zwei verschiedene Ortschaften: die ältere polnische Ansiedlung Pyla und die jüngere deutsche Ansiedlung Snydemole. Beide sind später miteinander zu einer Stadt verschmolzen.

Neuzeit

1513 erhielt "Pyla" vom polnischen König Sigismund I. das Magdeburger Stadtrecht. Mit der Ersten Teilung Polens 1772 ging die Stadt an Preußen über. Zwei große Stadtbrände 1626 und 1834 vernichteten einen Großteil der historischen Bausubstanz.

19. Jahrhundert

Mit der Errichtung des Herzogtums Warschau durch Napoleon I. kam Schneidemühl 1807 kurzfristig erneut unter polnische Herrschaft; nach dem Wiener Kongress 1815 gehörte es in der preußischen Provinz Posen zum Regierungsbezirk Bromberg und zum Kreis Chodziesen (später Kolmar).[2] Infolge der Eröffnung der preußischen Ostbahn im Jahr 1851 entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt.

20. Jahrhundert

Bild


Schneidemühl, Oberpräsidium und Regierungsdienst-
gebäude am Pferdemarkt [Foto: Bilder aus der
Grenzmark, Berlin 1931, S. 7].

1914 schied Schneidemühl aus dem Landkreis Kolmar aus und wurde ein eigener Stadtkreis. Infolge des Versailler Vertrages wurden große Teile der Provinzen Posen und Westpreußen zugunsten Polens vom Deutschen Reich abgetrennt; Schneidemühl verblieb bei Deutschland, wurde Grenzstadt und 1922 Hauptstadt der aus den nördlichen und westlichen Teilen der Provinz Posen und dem westlichen Teil der Provinz Westpreußen neu gebildeten Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen.[3] 1938 wurde das bereits zuvor umstrittene und unwirtschaftliche Konglomerat der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen an die Nachbarprovinzen angegliedert; Schneidemühl fiel an die Provinz Pommern und wurde Hauptstadt des Regierungsbezirkes Grenzmark Posen-Westpreußen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden 72 % der Stadt, im Zentrum etwa 90 % aller Gebäude, zerstört. Am 14. Februar 1945 besetzte die Rote Armee die Stadt. Im April 1945 wurde Schneidemühl in die polnische Woiwodschaft Posen (Województwo poznańskie) eingegliedert. In den Jahren 1946–1975 war es Hauptstadt eines Landkreises und 1975–1998 Hauptstadt der Woiwodschaft Piła (Województwo pilskie). Seit 1999 ist Schneidemühl wieder Hauptstadt des gleichnamigen Landkreises in der Woiwodschaft Großpolen (Województwo wielkopolskie).

Bevölkerung und Wirtschaft

Im Jahr 1774 hatte Schneidemühl 1.322 Einwohner.[4] Unter preußischer Verwaltung nach 1772 und insbesondere nach der Eröffnung der Ostbahn 1851 erlebte die Stadt einen bedeutenden Aufschwung, sodass die Einwohnerzahl 1900 19.655 erreichte. Der Anteil der polnischen Bevölkerung schrumpfte von über 50 % auf unter 5 %.[5] Aufgrund der guten Eisenbahnverbindungen nach Berlin siedelten sich in der Stadt zahlreiche Industriebetriebe an, 1914 entstand hier ein großer Zweigbetrieb der Albatros Flugzeugwerke. Zudem wurde Schneidemühl ein bedeutender Flugzeugstützpunkt. Im Jahre 1915 erreichte die Einwohnerzahl 28.457.[6] Als Schneidemühl 1922 zur Provinzhauptstadt erhoben wurde und sich hier zahlreiche Behörden und Institutionen ansiedelten, stieg die Zahl auch durch den Zustrom von Aussiedlern aus Polen:[7] 1939 gab es in der Stadt 45.791 Einwohner, davon 155 Juden.[8] 1940 wurden 160 Juden in Schneidemühl verhaftet, später deportiert und ermordet.[9] Zwischen 1939 und 1945 kamen 5.262 Einwohner ums Leben, das Schicksal von weiteren 10.521 ist ungeklärt.[10] 1945 kam es zu einem nahezu vollständigen Bevölkerungsaustausch. Die deutschen Einwohner wurden größtenteils vertrieben.

Nach der Erhebung der Stadt zur Woiwodschaftshauptstadt wuchs ihre Einwohnerzahl auf 71.000 im Jahr 1990. 2002 gaben in der nationalen Volkszählung 121 Personen eine andere als die polnische Nationalität an, davon 47 die deutsche.[11]

Architektur

Bild


Reichsdankhaus Schneidemühl, Architekten: Paul
Bonatz, F. E. Scholer [Foto: Bilder aus der Grenzmark,
Berlin 1931, S. 11].

Architektonisch bedeutend sind die gut erhaltenen Bauten aus der Zwischenkriegszeit. Zu den größten Bauvorhaben gehörte die Bebauung am Danziger Platz (früher Pferdemarkt; pl. Plac Stanisława Staszica) in der inneren Stadt nahe dem Hauptbahnhof durch die deutschen Baukünstler Paul Bonatz, German Bestelmeyer und Peter Behrens.[12] Um einen rechteckigen Platz wurden das Regierungsgebäude, das Konsistorium, das Finanz- und Hauptzollamt sowie das "Reichsdankhaus", bestehend aus einem Saal- und Theaterbau mit anschließendem Bibliotheksgebäude, errichtet.[13] Außerdem entstanden in der Stadt zahlreiche Wohnhäuser, neue Schulen (Freiherr-vom-Stein-Gymnasium), Kirchen (St.-Antonius-Kirche) und weitere öffentliche Bauten. Im sozialen Wohnungsbau übertraf Schneidemühl in der Zwischenkriegszeit alle Städte ähnlicher Größe in Deutschland.[14]

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Die Heimatvertriebenen und einige ihrer Nachkommen sind heute im Heimatkreis Schneidemühl e. V. mit Sitz in Cuxhaven organisiert und treten als Herausgeber des Schneidemühler Heimatbriefs auf. 1992 wurde der Freundeskreis "Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft in Schneidemühl" gegründet. Sie pflegt die Zusammenarbeit mit unterstützenden und befreundeten Organisationen im Ausland sowie mit der Stadt Cuxhaven, die seit 1957 Patenstadt von Schneidemühl ist.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Bilder aus der Grenzmark Posen-Westpreußen. Berlin 1931.
  • Karl Boese: Geschichte der Stadt Schneidemühl. Sonderheft der Grenzmärkischen Heimatblätter. Schneidemühl 1935.
  • Zygmunt Boras, Zbigniew Dworecki: Piła. Zarys Dziejów (do roku 1945) [Schneidemühl. Abriss der Geschichte (bis 1945)]. Piła 1993.
  • Deutscher Ostbund (Hg.), Emanuel Ginschel, Franz Lüdtke (Bearb.): Ostmark: Mittlere Ostmark, Grenzmark, Posen-Westpreußen. Berlin 1927 (Deutschlands Städtebau).
  • W. Hildt: Schneidemühl. Berlin u. a. 1929 (Die deutsche Stadt).
  • Józef Kokot: Die Not der preußischen Ostprovinzen. Warszawa 1958 (Deutsche Zeugnisse 3).
  • Magistrat (Hg.), Max Reichardt (Bearb.): Schneidemühl. Die Hauptstadt der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. Berlin 1930.
  • Verein Schneidemühler Heimathaus (Hg.): Grenz- und Regierungsstadt Schneidemühl einst und heute. Cuxhaven 1979.
  • Heimatkreis Schneidemühl e. V. (Hg.): Grenz- und Regierungsstadt Schneidemühl. Zeittafel zur Geschichte der Stadt Schneidemühl. Bielefeld 1998.
  • Marek Fijałkowski, Tomasz Wola: Z dziejów Kościoła Ewangelickiego w Pile [Aus der Geschichte der evangelischen Kirche in Schneidemühl]. Piła 2009.

Weblinks

Anmerkungen

[1] R. P. Becker: Kurzgefaßte Geschichte der politischen Gemeinde. In: Magistrat (Hg.), Reichardt (Bearb.): Schneidemühl, S. 8.

[2] Becker (wie Anm. 1), S. 8-23.

[3] Die Entstehung dieses Konglomerates hatte ausschließlich politische Gründe und sollte den Revisionsanspruch gegen die im Versailler Vertrag festgelegte deutsch-polnische Grenze manifestieren. Vgl. Ingo Materna, Wolfgang Ribbe (Hg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin 1995, S. 570-572.

[4] Vgl. schneidemuehl.net/geschichte-der-stadt.html (Abruf 10.08.2021). Aus: Heimatkreis Schneidemühl: Grenz- und Regierungsstadt.

[5] Becker (wie Anm. 1), S. 22 und S. 30.

[6] Becker (wie Anm. 1), S. 22.

[7] Becker (wie Anm. 1), S. 30.

[8] Heimatkreis Schneidemühl: Grenz- und Regierungsstadt, S. 126.

[9] Weitere Informationen zu Deportationen der Juden aus Schneidemühl siehe: www.geocities.ws/schneidemuehl_pila/deportations.html (Abruf 22.04.2013).

[10] Gedenktafel in Brokeswalde/Cuxhaven.

[11] GłównyUrządStatystyczny.

[12] Siehe auch www.dawna.pila.pl/ (alte Stadtpläne, Fotos und Filme) sowie www.dawna.pila.pl/czytelnia/plac_gdanski.php (Danziger Platz) (Abruf 22.04.2013).

[13] Vgl. W. Hildt: Die bauliche Entwicklung der Provinzhauptstadt Schneidemühl nach dem Weltkriege. In: Magistrat, Reichardt: Schneidemühl, S. 32-36.

[14] Vgl. Becker (wie Anm. 1), S. 30.

Zitation

Joanna Lorenc: Schneidemühl/Piła. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32249 (Stand 30.07.2021).

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OME-Redaktion (Stand: 30.07.2024)  | 
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