Draheim (Starostei)

1. Toponymie und Geographie

Das Land zwischen Drage (Drawa) und Küddow (Gwda) trat im Jahre 1286 in einer Urkunde des polnischen Herzogs Przemysław II. (1257–1296) in die schriftlich überlieferte Geschichte ein. Der zentrale und für die gesamte Starostei Draheim (Starostwo Drahimskie) namengebende Ort Alt Draheim/Stare Drawsko liegt auf einer Landzunge zwischen Dratzigsee (Jezioro Drawsko) im Westen und Sarebensee (Jezioro Żerdno) im Osten im Bereich des Pommerschen Höhenrückens. Es steht zu vermuten, dass der Name Draheim entweder vom Fluss Drage oder vom Dratzigsee, der seinerseits wiederum in einer Beziehung zum alteuropäischen Gewässernamen des Flusses steht, abgeleitet wurde.

Die Starostei Draheim stellte eine etwa 20 km lange Landzunge zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen dar. Nach der einzigen Stadt im Gebiet dieser Starostei wird in der älteren Literatur auch vom Land Tempelburg gesprochen.

2. Geschichte und Kultur

Mittelalter und Frühe Neuzeit

Das kaum besiedelte Gebiet war bereits vor seiner ersten Erwähnung in den Quellen zwischen Pommern und Polen mehr als ein Jahrhundert lang umstritten. In diesem Grenzsaum, der nach Westen auch noch die Neumark umfasste, betätigten sich im 12. bis 14. Jahrhundert eine ganze Reihe von geistlichen Orden: 1286 wurden vom polnischen Herzog Przemysław II. die Templer in dieses Gebiet gerufen, auf deren wenige Jahre dauernde Präsenz der Name der später, vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, zur Stadt erhobenen Siedlung Tempelburg/Czaplinek zurückgeht. Bereits seit 1296 hatten die Markgrafen von Brandenburg über diese Niederlassung des Templerordens die Oberherrschaft beansprucht. Auch nach der Aufhebung des Ordens 1312 übertrugen die Brandenburger dieses Land zunächst nicht, wie es von Papst Clemens V. (Amtszeit 1305–1314) gefordert wurde, dem Johanniterorden, der es somit erst schrittweise zu seinem Besitz machen konnte. Aber das Land zwischen Drage und Küddow kam auch in den nachfolgenden Jahrzehnten nicht zur Ruhe. 1368 hatte Markgraf Otto der Faule von Brandenburg (1341/42–1379) seinen Lehensanspruch an König Kasimir I. den Großen (Kazimierz III Wielki) von Polen (1310–1370) abgetreten. In diesen Jahren kam es zu schweren Grenzfehden zwischen den pommerschen Herzögen und polnischen Adelsgeschlechtern, insbesondere den Czarnkowskis, bei denen das Schloss Tempelburg sowie die kleine Johannisburg bei Machlin/Machliny zerstört wurden. Damit blieb dem Johanniterorden nur noch die strategisch wichtige Burg Draheim, die bis ins 18. Jahrhundert die einzige Wehranlage dieser Landschaft darstellte.

Die Johanniterherrschaft endete zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Chaos: Nachdem 1407 polnische und deutsche Adlige Draheim überfallen und eingenommen hatten, verübten sie von hier aus Raubzüge auf die wichtige West-Ost-Verbindung, die über Tempelburg ins Deutschordensland verlief; auch die Handelsstraße zwischen der Saline in Kolberg/Kołobrzeg und Polen war dadurch beeinträchtigt. Die an jener Handelsstraße gelegene neumärkische Stadt Dramburg/Drawsko Pomorskie beendete 1422 dieses Treiben, indem ihre Truppen die Burg Draheim erstürmten und deren polnische Besatzung vertrieben. Als die Dramburger sich allerdings nach dem im gleichen Jahr geschlossenen Frieden von Melnosee/Mełno weigerten, Draheim an die polnische Krone auszuliefern, griff der Deutsche Orden ein und übertrug Burg und Land endgültig an die polnische Krone. Die Starostei Draheim bildete – als Teil des Kreises (Powiat) Deutsch Krone (in den polnischen und brandenburgisch-preußischen Quellen jener Zeit noch als Wałcz, Crone oder Arnscrone bezeichnet) zum Palatinat Posen gehörend und zeitweise von einem Unterstarosten verwaltet – den nordwestlichsten Zipfel des polnischen Staatsverbandes, de jure bis zur Ersten Teilung Polens 1772 beziehungsweise bis zum Warschauer Vertrag von 1773.

Die unmittelbare polnische Herrschaft endete allerdings bereits mit dem Vertrag von Bromberg/Bydgoszcz im Jahre 1657, als die Verpfändung des Krongutes an das Kurfürstentum Brandenburg festgelegt wurde. Brandenburg konnte die Pfandherrschaft jedoch erst mit einiger Verzögerung 1668 antreten. Bis 1726 wurde Draheim als sogenanntes Schatullamt von der Kammer in Berlin aus direkt für den brandenburgischen Kurfürsten beziehungsweise ab 1701 für den preußischen König mittels eines Amtmannes auf Schloss Draheim verwaltet, danach wie andere Ämter auch als Domäne verpachtet.

Betrachtet man im 17. Jahrhundert die Geschichte der Kriege und der damit einhergehenden Verwüstungen, so wird die Verschiedenheit der polnischen Starostei Draheim gegenüber dem übrigen Hinterpommern sehr deutlich: Schon bevor der Dreißigjährige Krieg Pommern erreichte, befand sich Polen im Krieg mit Schweden. Während der Dreißigjährige Krieg dann in Vorpommern mit den kaiserlich-schwedischen Kämpfen 1637/1638 und in Hinterpommern mit dem so genannten Krockow’schen Einfall 1643 kulminierte, waren die Kampfhandlungen in Polen beendet. Dagegen hatte Pommern in der Frühphase des Schwedisch-Polnischen Krieges 1655-1660 außer als Durchmarschgebiet für die schwedischen Truppen kaum zu leiden – die Feste Draheim war dafür aber eine der ersten polnischen Wehranlagen, die die Schweden unter Arvid Wittenberg (1606–1667) 1655 einnahmen und besetzten. Auch in den preußisch-russischen Auseinandersetzungen während des Siebenjährigen Krieges wiederholte sich dieses Phänomen, als zum Beispiel der katholische Geistliche in Tempelburg für seine Kirche und sich eine polnische Hoheit in Anspruch nahm, um von den russischen Plünderungen verschont zu bleiben. Für die Bewohner Draheims und der angrenzenden neumärkischen und pommerschen Gebiete bedeuteten diese zeitlich versetzten Handlungsstränge eine Möglichkeit zu aktiver Positionierung – die Grenze war beweglich, und die in ihrer Nähe wohnenden Menschen wussten diesen Umstand für sich zu nutzen.

Die Sonderrolle Draheims innerhalb des preußischen Staates und damit auch die direkte Berliner Unterstellung des Amtes endeten erst nach 1773. Die von den preußischen Behörden empfundene „Widerspenstigkeit“ seiner Bewohner lässt sich in den Quellen allerdings auch in den Jahrzehnten danach immer wieder feststellen. Schließlich ging Draheim mitsamt den umliegenden neumärkischen und ursprünglich polnischen, dann westpreußischen, Exklaven 1817 endgültig im pommerschen Kreis Neustettin/Szczecinek, der zum Regierungsbezirk Köslin/Koszalin gehörte, auf. 1938 erfolgte im Zuge einer Verwaltungsreform innerhalb des preußischen Staates die Umgliederung des gesamten Kreises Neustettin in den neu geschaffenen Regierungsbezirk Grenzmark Posen-Westpreußen mit Sitz in Schneidemühl/Piła innerhalb der Provinz Pommern.

Religions- und Kirchengeschichte

Neben der bei einem Pfand immer üblichen Wiedereinlösbarkeit musste Brandenburg mit dem Bromberger Vertrag die Stellung der katholischen Kirche in der Starostei Draheim als unantastbar zusichern. Wie große Teile der Bevölkerung in Polen waren auch die Bewohner der Starostei Draheim im 16. Jahrhundert zum evangelischen Glauben übergetreten. Im Zuge der Gegenreformation wurden dann 1625 durch den zum Katholizismus konvertierten Starosten Johann Czarnkowski (um 1590–1641) die evangelischen Prediger aus Tempelburg ausgewiesen und alle Kirchen der Starostei Draheim wieder dem Bischof von Posen/Poznań unterstellt. Es bestand nun für 100 Jahre die Situation, dass zwar fast alle Bewohner der Starostei evangelisch waren, sie aber keinerlei kirchliche Räume zur Verfügung hatten und für die Unterhaltung des katholischen Geistlichen in Tempelburg herangezogen wurden. Lediglich in der Burg von Alt Draheim gab es in brandenburgischer Zeit eine reformierte Schlosskirche.

Bevölkerung

In den Zeitraum vor dem Dreißigjährigen Krieg fällt die intensive Besiedlung dieses Grenzgürtels. Pommersche und neumärkische Bauern, in ihrer Heimat häufig dem Druck der sich ausbreitenden Leibeigenschaft entfliehend, wurden von polnischen Magnaten in dem dünn besiedelten Gebiet im 16. und frühen 17. Jahrhundert angesiedelt. Ihre Rechtsstellung, oft untermauert durch Freischulzenprivilegien, war eindeutig besser als in ihren Herkunftsgebieten. Ihnen oblag als Wehrbauern aber auch der aktive Schutz dieses Grenzraumes.

Erst nach der Integration der Starostei Draheim in den pommerschen Kreis Neustettin lassen sich in dem ursprünglich von Adligen freien Amt Draheim beispielsweise mit dem Verkauf des dann so bezeichneten Vorwerks Adlig Draheim im Jahre 1818 die ersten adligen Familien nachweisen. Hier ließ sich im 19. Jahrhundert die ursprünglich in Schwedisch-Pommern und Schweden nobilitierte und begüterte Familie von Schmiterlöw nieder. So erklärt sich auch, dass das Wappen dieser Familie (gemeinsam mit dem der von Arnim, die ebenfalls im 19. Jahrhundert hier Güter, unter anderem das ehemals den von der Goltz gehörige Heinrichsdorf/Siemczyno, erwarben) dem der Stadt Tempelburg in einem der vier Fenster im Neustettiner Kreistagssaal zugeordnet war, als im Juni 1902 das neue Gebäude der staatlichen und kommunalen Kreisverwaltung bezogen wurde.

3. Bibliographische Hinweise

  • Ernst Bahr: Die Starostei Draheim zwischen 1565 und 1632. In: Baltische Studien (NF) 57 (1971), S. 27–42.
  • Ernst Bahr, Roderich Schmidt: Alt Draheim. In: Helge bei der Wieden, Roderich Schmidt (Hg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg/Pommern. Stuttgart 1996 (Kröners Taschenausgabe 315), S. 147f.
  • Ernst Bahr, Klaus Conrad: Tempelburg. In: Helge bei der Wieden, Roderich Schmidt (Hg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Band 12: Mecklenburg/Pommern. Stuttgart 1996 (Kröners Taschenausgabe 315), S. 300f.
  • Fritz Bahr: Kirchengeschichte des Landes Draheim. In: Blätter für Kirchengeschichte Pommerns, Bände 4, 5 und 7. München, Stettin 1929-1931. (zugleich theol. Diss. Greifswald 1929; Forschungen zur Kirchengeschichte Pommerns 1. Stettin 1931).
  • Hans-Joachim Falk: Die Flucht und die Ausweisungen aus dem Deutschen Osten dargestellt an einem pommerschen Landkreis (Neustettin) (Dissertation Hamburg 1952). Hg. von Heinz Jonas. Woltersdorf 1995 (Erlebnisberichte zur Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Pommern, Kreis Neustettin, Ostdokumente 2, Nr. 139 und 140, Bundesarchiv Koblenz und weitere Berichte).
  • Hellmuth Heyden: Kirchengeschichte Pommerns. Köln-Braunsfeld 1957 (Osteuropa und der deutsche Osten, Reihe 3, Bände 5.1 und 5.2).
  • Winfried Irgang: Urkunden und Regesten zur Geschichte des Templerordens im Bereich des Bistums Cammin und der Kirchenprovinz Gnesen. Nach der Vorlage von Helmut Lüpke neu bearbeitet. Köln, Wien 1987 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe IV: Quellen zur pommerschen Geschichte 10).
  • Julius Kohte (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Pommern. Dritter Teil: Der Regierungsbezirk Köslin. Band III: Die Kreise Schivelbein, Dramburg, Neustettin, Bublitz und Rummelsburg. Stettin 1934, S. 72–74, S. 80f., S. 94–97.
  • Michael Lissok, Haik Thomas Porada: Die frühere Starostei Draheim und die Stadt Tempelburg – Gemeinsames Seminar von Greifswalder und Stettiner Studenten im März 2002. In: Pommern – Kultur und Geschichte 40 (2002), H. 2, S. 2–9.
  • Helmut Lüpke: Das Land Tempelburg – Eine historisch-geographische Untersuchung. In: Baltische Studien (NF) 35 (1933), S. 43–97.
  • Christoph Motsch: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575–1805). Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 164).
  • Karl Roelcke: Vom pommerschen Südostwinkel – ein Rückblick auf 25 Jahre Leben und Wirken in Stadt und Kreis Neustettin. Neustettin 1926 (Reprint Woltersdorf 1995).

Zitation

Haik Thomas Porada: Draheim (Starostei). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32543 (Stand 17.08.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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