Rügen (Fürstentum)
1. Toponymie
Die Bezeichnung „Fürstentum Rügen“ für ein zwischen 1168 und 1325 existierendes Herrschaftsgebiet geht auf die Ostseeinsel Rügen zurück, deren Name sich von der Bezeichnung im ersten Jahrtausend n. Chr. dort siedelnder Stämme ableitet. Bereits die Römer kannten einen an der südlichen Ostseeküste, westlich der Goten, siedelnden germanischen Volksstamm, dessen Name „Rugii“ in der „Germania“ des Tacitus belegt ist. Ob es eine längerwährende Verbindung des Stammes mit der Insel gab, ist ungewiss. Im Zuge der Völkerwanderung tauchten die „Rugier“ an den Grenzen des Römischen Reiches nördlich von Passau beziehungsweise von Wien auf; anders als in anderen Gebieten verblieb aber offenbar auf der Insel Rügen eine Restbevölkerung, die von den seit dem 7. Jahrhundert in diesen Raum einwandernden Slawen assimiliert wurde. Vermutlich diese Rügenslawen werden in der angelsächsischen Kirchengeschichte des Mönchs Beda Venerabilis (672/673–735) als „Rugini“ erwähnt, bei Helmold von Bosau (um 1120–1177) als „Rani“ und bei Saxo Grammaticus (um 1140–1220) als „Rugiani“.
Wurden die Fürsten dieses Volksstamms in den oben genannten Quellen vereinzelt noch als Könige bezeichnet, so setzte sich mit Aufrichtung der dänischen Lehnsherrschaft 1168 die Bezeichnung „Fürstentum Rügen“ für das hochmittelalterliche Territorium durch. Gerade in der Frühzeit des Fürstentums finden sich weiterhin Herrschaftstitel, die sich nicht auf das Territorium, sondern auf den Stamm beziehen, also „Fürst der Slawen“ oder „princeps Ruyanorum“.
2. Geographie
Lage
Das Fürstentum Rügen bestand aus zwei im Laufe der Geschichte in ihrer Bedeutung unterschiedlich gewichteten Teilen, dem insularen und dem festländischen Rügen. Die namensgebende Insel liegt, getrennt durch den Strelasund, vor der vorpommerschen Ostseeküste und umfasst eine Fläche von 926 km². Die festländischen Außengrenzen des Fürstentums Rügen bildeten im Westen eine Landenge auf dem Fischland südlich von Ahrenshoop, im Südwesten von Damgarten bis Tribsees die Recknitz, südlich von Loitz die Peene beziehungsweise ab 1250 der Ryck nördlich von Greifswald. Im Osten erstreckte sich das Fürstentum bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt seiner weitesten Ausdehnung, bis vor die Tore von Wolgast.
Das Fürstentum umfasste kurz vor dem Übergang an das Herzogtum Pommern im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts eine Landfläche von etwa 3.000 km². Der heutige Landkreis Vorpommern-Rügen, in dem 2013 mehr als 220.000 Einwohner lebten, ist in etwa deckungsgleich mit diesem Territorium.
Historische Geographie
Nach der Eroberung der Tempelburg Arkona auf Rügen wurde das Siedlungsgebiet der Rügenslawen 1168 als Fürstentum Rügen Teil des dänischen Staatsverbands. Die Insel Rügen bestand aus neun Gardvogteien (Garz, Streu, Jasmund, Wittow, Schaprode, Patzig, Gingst, Bergen und Rambin), deren Gliederung sich bis in slawische Zeit zurückverfolgen lässt und bis in die Neuzeit von Bedeutung blieb. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts gelang den Rügenfürsten die Arrondierung ihres Territoriums im festländischen Bereich, der sich fortan aus den Ländern Barth, Damgarten, Grimmen, Loitz, Pütte, Saal, Sund und Tribsees sowie den Herrschaften Brandshagen und Gristow zusammensetzte. Bereits 1215 fielen die Grafschaft Gützkow und 1250 das Land Wusterhusen endgültig an Pommern.
Von den Rügenfürsten wurden die Städte Stralsund, Garz, Barth, Damgarten, Grimmen und Tribsees zu lübischem Recht gegründet. Die Stadt Richtenberg fiel unter die Hoheit des Klosters Neuenkamp. Die landesherrlichen Stadtgründungen Rugendal (bei Garz auf Rügen) und Schadegard (bei Stralsund) hatten keinen dauerhaften Bestand. Die Verleihung des lübischen Stadtrechts an die Stadt Rügenwalde/Darłowo in Hinterpommern geht auf Fürst Wizlaw II. von Rügen (um 1240–1302) zurück. Sie ist ein Indiz für seine Ambitionen in diesem Raum in den 1270er Jahren.
Im Zuge der Erbfolgekriege zwischen Pommern und Mecklenburg nach 1325 wurde das Fürstentum Rügen als Herrschaftsgebiet aufgelöst und in das Herzogtum Pommern integriert. Den Titel „Fürst von Rügen“ führten fortan die Herzöge von Pommern. Die reale Lehnsbeziehung zwischen dem Fürstentum Rügen und dem Königreich Dänemark währte bis 1438. Während für das festländische Rügen schon seit spätestens 1283 eine Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich angenommen werden kann, ist seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch für die Insel Rügen dieser Status erreicht worden. Mit dem westlichen Teil Pommerns fiel 1648 auch das Fürstentum Rügen unter schwedische Herrschaft. Die schwedischen Könige waren bis 1815 in Personalunion Herzöge von Pommern und Fürsten von Rügen und als solche Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Von 1815 bis 1918 trugen die preußischen Könige den Titel und das Wappen eines Fürsten von Rügen. Mit der Abdankung Wilhelms II. (1859–1941) als deutscher Kaiser endete formal auch die Geschichte des Fürstentums Rügen.
3. Geschichte und Kultur
Gebräuchliche Symbolik
Auf einem Siegel des Rügenfürsten Wizlaw I. (um 1180–1250) von 1224 ist erstmals in einem geteilten Schild im oberen Teil ein bekrönter Löwe mit aufgeworfenem Schweif zu sehen, der aus Mauergiebeln im unteren Teil wächst. Dieses Wappen wurde nach dem Eintreten des Erbfalls an Pommern von dessen Herzögen übernommen. Das Fürstentum Rügen und nachfolgend auch der Kreis Rügen führten im gold-blau geteilten Schild einen aus einem offenen roten Mauergiebel wachsenden, rot bekrönten, gezungten und bewehrten schwarzen Löwen.
Frühgeschichte
Auf dem Gebiet des späteren Fürstentums lebten bereits eiszeitliche Rentierjäger (ca. 10.000 v. Chr.). In der Stein-, Bronze- und Eisenzeit hatte insbesondere die Insel immer wieder den Charakter einer Siedlungskammer.
Besiedlung durch die Rügenslawen im frühen Mittelalter
Die Rügenslawen (Ranen) waren zwar hinsichtlich ihrer Siedlungsausdehnung einer der kleinsten westslawischen Stämme, aber es gelang ihnen, im westlichen Ostseeraum bis zur Christianisierung in wirtschaftlicher, politischer und nicht zuletzt religiöser Hinsicht über Jahrhunderte eine herausragende Stellung zu behaupten. Die wirtschaftlichen Grundlagen bildeten der Heringsfang in den Gewässern um Rügen, der ausgedehnte Fernhandel sowie Raubzüge in den Gebieten der benachbarten Obotriten und Pomoranen und an den dänischen Küsten.
Integration des Fürstentums Rügen in den dänischen Staatsverband ab 1168
An der Nordspitze der Insel Rügen befand sich mit der Tempelburg Arkona, in der der vierköpfige Gott Svantevit verehrt wurde, eines der wichtigsten religiösen Zentren der Westslawen. Die Priesterschaft in Arkona hatte nach den Zeugnissen des 12. Jahrhunderts auch die politische Macht im Bereich der Ranen inne. Es gab zwar einen Adel und ebenso einen König beziehungsweise Fürsten. Aber erst im zeitlichen Umfeld der Zerstörung der Tempelburg Arkona durch ein dänisches Heer im Jahre 1168 wird – beginnend mit Tezlaw (in den Quellen erwähnt 1164–1170) – eine eigenständige Dynastie der Rügenfürsten greifbar, die bis zu ihrem Aussterben 1325 das Territorium regierte.
Während die Insel Rügen in der gesamten spätslawischen Zeit (ca. 10. bis 13. Jahrhundert) von einer hohen Siedlungsdichte geprägt war, führten die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit benachbarten Stämmen auf dem gegenüberliegenden Festland zu einer weitaus dünneren Siedlungsstruktur. Mit der deutschrechtlichen Besiedlung verlagerte sich das ökonomische und politische Zentrum des Fürstentums dorthin. Die Stadt Stralsund, am Strelasund gegenüber der Insel Rügen gelegen, wuchs zu einer der bedeutendsten Hansestädte im Ostseeraum heran. Die Rügenfürsten residierten jedoch seit der Mitte des 13. Jahrhunderts vornehmlich im westlich von Stralsund gelegenen Barth.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts begann das Niederdeutsche die slawische Umgangssprache allmählich abzulösen, ein Prozess, der in den Städten und in der Oberschicht beschleunigt verlief, bis sich das Niederdeutsche im 14. Jahrhundert in der fürstlichen Kanzlei und in den Städten auch als Schriftsprache durchsetzte.
Mit der Integration in den dänischen Staatsverband gehörten die Fürsten von Rügen und die Nebenlinien des Hauses, allen voran die Herren von Putbus, zu den Großen des dänischen Reiches. Umfangreiche Belehnungen und Pfandverschreibungen in ganz Dänemark und Norwegen sowie zahlreiche verwandtschaftliche Beziehungen zum dänischen Königshaus und zu den anderen hochadligen Familien des Reiches sorgten für eine enge Verbindung über die Ostsee hinweg. Das Aussterben der Dynastie der Rügenfürsten mit dem Tod Wizlaws III. (1265/1286–1325) führte zu zwei Erbfolgekriegen (1325–1328 und 1351–1354) zwischen Pommern und Mecklenburg, in deren Folge das Gebiet des Fürstentums Rügen endgültig an das Herzogtum Pommern fiel.
(siehe auch „Pommern“)
Die kirchenadministrative Sonderstellung des Fürstentums Rügen
Bei der kirchlichen Durchdringung des Raumes kam es zwischen festländischem und insularem Rügen zu einer lang anhaltenden Dichotomie. Während mit der Eroberung Arkonas die Insel Rügen dem Bistum Roskilde unterstellt wurde, wurde fast das gesamte festländische Rügen dem Bistum Schwerin einverleibt. Die Kirchspiele im spät (1273) für Rügen erworbenen Land Loitz unterstanden nicht der Schweriner Obedienz, sondern der des Camminer Bischofs. Gleiches galt für das bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zeitweise unter rügischer Hoheit stehende Land Wusterhusen und die Grafschaft Gützkow.
Eine besondere Bedeutung bei der Erschließung des Landes kam auf der Insel Rügen dem Zisterziensernonnenkloster in Bergen (gegr. 1193), auf dem Festland dem Zisterzienserkloster in Neuenkamp (gegr. 1231) sowie schließlich dessen Tochtergründung St. Nikolaus auf der Insel Hiddensee (gegr. 1296) zu. Auch an der Gründung des Zisterzienserklosters Eldena 1199 an der Mündung des Flusses Ryck waren die Rügenfürsten neben den Pommernherzögen beteiligt.
Aufgrund der hohen Konzentration von Bettelordensklöstern und Stadthöfen kirchlicher Würdenträger entwickelte sich Stralsund am Ausgang des Mittelalters zu einem geistlichen Zentrum des gesamten Territoriums.
Eine kirchenadministrative Sonderstellung Rügens manifestierte sich bis in die nachreformatorische Zeit noch durch die Ansprüche der mecklenburgischen Herzöge in Nachfolge der Schweriner Bischöfe auf das Archidiakonat Tribsees sowie der dänischen Könige in der der Bischöfe von Roskilde auf die Insel Rügen. Mit der Reformation entstanden eigene Superintendenturen in Stralsund und auf Rügen, die noch für eine gewisse Zeit daran erinnerten, daß diese Gebiete nicht zum pommerschen Bistum Cammin gehört hatten.
Erinnerungskultur nach 1945
Das fürstliche Schloss in Putbus, dessen Mauern bis ins Mittelalter zurückreichten, war aufgrund seiner Ausstattung und seines Archivs ein zentraler Ort für die Geschichte der Familie von Putbus und des Fürstentums Rügen. Das Archiv wurde während der Bodenreform nach 1945 weitgehend zerstört, das Schloss 1960 gesprengt.
Heute ist das Archiv der Hansestadt Stralsund – neben dem Landesarchiv Greifswald und dem Staatsarchiv Stettin/Szczecin – die wichtigste Stätte für die Quellendokumentation des Territoriums. Das Kulturhistorische Museum der Hansestadt Stralsund, 1858 als Provinzialmuseum für Neuvorpommern und Rügen gegründet, ist von herausragender Bedeutung für die Dokumentation und Präsentation von Sachzeugen aus der Geschichte des Fürstentums Rügen. Daneben befinden sich bedeutendere Sammlungen zur rügischen Geschichte in den Museen in Bergen auf Rügen, Barth und Grimmen.
4. Bibliographische Hinweise
- Dirk Alvermann (Hg.): Das ältere Archiv der Superintendentur Bergen (1616–1922). Greifswald 2011 (Publikationen des Lehrstuhls für Nordische Geschichte 13).
- Bengt Büttner: Die Pfarreien der Insel Rügen. Von der Christianisierung bis zur Reformation. Köln, Weimar, Wien 2007 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur pommerschen Geschichte 42).
- Bengt Büttner, Haik Thomas Porada: Nordiska stormän och deras besittningar på ön Rügen under medeltiden [Nordische Adlige und ihre Besitzungen auf der Insel Rügen während des Mittelalters]. In: Medeltida storgårdar – 15 uppsatser om ett tvärvetenskapligt forskningsproblem [Mittelalterliche Adelshöfe – 15 Aufsätze über ein interdisziplinäres Forschungsproblem]. Uppsala 2014 (Acta Academiae Regiae Gustavi Adolphi 131), S. 269–295.
- Norbert Buske, Joachim Krüger, Ralf-Gunnar Werlich (Hg.): Die Herzöge von Pommern – Zeugnisse der Herrschaft des Greifenhauses. Köln, Weimar, Wien 2012 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur pommerschen Geschichte 45).
- Renate Herrmann-Winter: Sprachatlas für Rügen und die vorpommersche Küste. Kartographie Martin Hansen. Rostock 2013.
- Karl Lenz: Die Wüstungen der Insel Rügen. Remagen 1958 (Forschungen zur deutschen Landeskunde 113).
- Fritz Petrick (Hg.): Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart in fünf Teilen. Putbus 2008–2013.
- Heike Reimann, Fred Ruchhöft, Cornelia Willich†: Rügen im Mittelalter. Eine interdisziplinäre Studie zur mittelalterlichen Besiedlung auf Rügen. Stuttgart 2011 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 36).
- Martin Schoebel: Der Codex Rugianus und die Kanzlei der Fürsten von Rügen. In: Roderich Schmidt (Hg.): Tausend Jahre pommersche Geschichte. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 165–193 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur pommerschen Geschichte 31).
- Joachim Wächter: Das Fürstentum Rügen. Ein Überblick. In: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns. Die Demminer Kolloquien 1985–1994. Im Auftrag der Abteilung Vorpommern der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e. V. hg. von Haik Thomas Porada. Schwerin 1997, S. 299–313.
Zitation
Haik Thomas Porada: Rügen (Fürstentum). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32544 (Stand 18.03.2015).
Nutzungsbedingungen für diesen Artikel
Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie: ome-lexikon@uol.de
Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.