Grenzmark Posen-Westpreußen
1. Toponymie
Der Begriff „Grenzmark Posen-Westpreußen“ geht vermutlich auf den von Mai bis August 1919 amtierenden Oberpräsidenten der Provinz Westpreußen, Bernhard Schnackenburg (1867–1924), zurück. Ihm ging es darum, die beim preußischen Staat verbliebenen Gebiete westlich der Weichsel der ansonsten weitgehend an Polen verloren gegangenen Provinzen Westpreußen und Posen so zusammenzufassen, dass sie, mit einem „Traditionsnamen“ belegt, auch künftig an den Verlust erinnern sollten.
Die Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen wurde mit dem „Ostmarkengesetz“ vom 22. Juli 1922, einem preußischen Gesetz zur Neuordnung der kommunalen Verfassung und der Verwaltung in der sogenannten Ostmark, geschaffen. Die Provinz bestand ab dem 1. August 1922 und war deckungsgleich mit dem ebenfalls mit diesem Gesetz geschaffenen Regierungsbezirk Schneidemühl/Piła. Die Bezeichnung für die preußische Provinz und – nach deren Auflösung – ab 1938 für den neu geschaffenen gleichnamigen Regierungsbezirk innerhalb der Provinz Pommern hatte bis zum Jahr 1945 Bestand.
2. Geographie
Lage und administrative Gliederung
Die Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen bestand zwischen 1922 und 1938 aus drei unterschiedlich großen, nicht zusammenhängenden Gebieten, die östlich an die preußischen Provinzen Pommern, Brandenburg und Schlesien angrenzten. Dabei handelte es sich um neun Kreise: Schlochau/Człuchów, Flatow/Złotów und Deutsch Krone/Wałcz (vorher Provinz Westpreußen) im Norden sowie südlich davon Schneidemühl, Netzekreis, Schwerin an der Warthe/Skwierzyna, Meseritz/Międzyrzecz, Bomst/Babimost und Fraustadt/Wschowa (vorher Provinz Posen). Der Netzekreis mit dem Landratsamt in Schönlanke/Trzcianka war am 15. Dezember 1919 aus den beim Deutschen Reich verbliebenen Gebietsresten der posenschen Kreise Filehne/Wieleń, Czarnikau/Czarnków und Kolmar/Chodzież gebildet worden. Mit dem neuen Kreisnamen wurde an den Netzedistrikt erinnert, der bei der Ersten Teilung Polens 1772 an Preußen gelangt war. Auch bei den Kreisen Schlochau, Flatow, Meseritz, Bomst, Schwerin an der Warthe und Fraustadt waren jeweils mehrere Gemeinden an den neuen polnischen Staat gefallen. Aus dem westpreußischen Kreis Konitz/Chojnice, der zum größeren Teil in polnische Hoheit überging, wurden einzelne Gemeinden 1919/1920 in den Kreis Schlochau eingegliedert. Zwischen den Kreisen der neuen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen kam es noch verschiedentlich zu Verschiebungen auf Gemeindeebene.
Sitz des Oberpräsidenten, in der Grenzmark zugleich der Regierungspräsident, war Schneidemühl. Der Landeshauptmann, der dem Provinzialverband (= höherer Kommunalverband innerhalb einer preußischen Provinz) vorstand, hatte seinen Sitz in Meseritz. Die Provinz hatte eine Fläche von 7.695 km², auf der 332.442 Menschen (1938) lebten. Die größte Stadt war das seit 1914 kreisfreie Schneidemühl (1939: 45.791 Einwohner).[1]
Der nördliche Teil der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen umfasste 1938 mit einer Gesamtfläche von 5.787 km² die Landkreise Schlochau, Flatow, Deutsch Krone, den Netzekreis und den Stadtkreis Schneidemühl. In 15 Städten und 296 Landgemeinden lebten zu diesem Zeitpunkt 251.000 Menschen. Mit der Auflösung der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, bei der die südlichen Kreise an die Provinzen Brandenburg und Schlesien fielen, und der Schaffung des gleichnamigen pommerschen Regierungsbezirks, in den auch die beiden neumärkischen Kreise Friedeberg/Strzelce Krajeńskie und Arnswalde/Choszczno integriert waren, wuchs die Provinz Pommern bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 auf 2.393.844 Einwohner an, bei einer Gesamtfläche von 38.409 km².[2]
Kirchliche Administration
Nachdem ab 1919 die Konsistorien und Generalsuperintendenten in Berlin und Stettin/Szczecin vorübergehend gemeinsam die kirchliche Aufsicht im Gebiet der Grenzmark wahrgenommen hatten, wurde 1923 in Schneidemühl ein evangelisches Konsistorium für die in sieben Superintendenturen untergliederte neue Kirchenprovinz Grenzmark Posen-Westpreußen innerhalb der preußischen Landeskirche eingerichtet. Hier hatte auch der Generalsuperintendent der Kirchenprovinz seinen Amtssitz. Nach 1938 wurde vorübergehend die Grenzmark in die Zuständigkeit des Berliner Konsistoriums und des dortigen Generalsuperintendenten übergeben, schließlich ab 1941 dann eine Außenstelle des Stettiner Konsistoriums in Schneidemühl offiziell eingerichtet, der neue Regierungsbezirk Grenzmark Posen-Westpreußen also in die Kirchenprovinz Pommern eingegliedert.
Auch auf katholischer Seite war infolge der neuen Staatsgrenzen nach dem Versailler Vertrag eine Neugliederung notwendig geworden, die in mehreren Schritten erfolgte. 1920 entstand in Tütz/Tuczno eine Erzbischöfliche Delegatur, schließlich eine Apostolische Administratur für die beim Deutschen Reich verbliebenen Gebiete des Erzbistums Gnesen-Posen (Archidiecezja gnieźnieńska-poznańska) und des Bistums Kulm (Diecezja chełmińska). 1926 war diese Administratur nach Schneidemühl verlegt worden, die schließlich als Freie Prälatur Schneidemühl dem am 13. August 1930 gegründeten Erzbistum Breslau (Archidiecezja wrocławska) unterstellt wurde.[3]
3. Geschichte und Kultur
Gebräuchliche Symbolik
Wie alle preußischen Provinzen sollte auch die Grenzmark Posen-Westpreußen ein Wappen und eine Flagge erhalten, wobei bereits bei Gründung der Provinz im Sommer 1922 an eine Verbindung von Elementen der Wappen und Flaggen der vormaligen preußischen Provinzen Posen und Westpreußen gedacht wurde. Kern der folgenden Auseinandersetzungen um ein passendes Wappen war die Frage, wie der posensche weiße Adler so in das Wappen eingebunden werden könnte, dass sich daraus keine polnischen Ansprüche auf die Grenzmark ableiten ließen. Nach mehreren abgelehnten Entwürfen wurde am 10. Februar 1925 vom preußischen Ministerium des Inneren das Wappen der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen genehmigt, wonach im silbernen Schild ein schwarzer, mit Gold bewehrter Adler mit roter Zunge steht, zwischen dessen Hals und rechtem Flügel ein geharnischter rechter Arm herauswächst, welcher ein Schwert mit goldenem Griff horizontal über dem Kopf des Adlers schwingt. Auf der Brust trägt dieser Adler einen roten Herzschild, der mit einem silbernen, mit Gold bewehrten Adler mit roter Zunge belegt ist. Dieses neue Wappen wurde in der Folgezeit allerdings kaum publik gemacht. Sowohl in der Grenzmark als auch außerhalb der Provinz gab es gewichtige Stimmen, die sich gegen eine Verwendung des früheren Wappens der Provinz Posen im Herzschild des Grenzmarkwappens aussprachen. Daraufhin wurde am 28. Juli 1929 vom Staatsministerium des Inneren in Berlin eine Änderung dahingehend bestätigt, dass nunmehr die seit dem 9. Juni 1923 vom Provinziallandtag der Grenzmark bestätigte Gestaltung der Flagge für einen neuen Herzschild Pate stehen sollte. Diese Flagge zeigte auf der dem Mast zugewandten Seite von oben nach unten die Farben der Provinz Westpreußen (Schwarz-Weiß-Schwarz) und in dem abgewandten Feld die Farben der Provinz Posen (Weiß-Schwarz-Weiß). Letztere waren erst 1886 eingeführt worden, um die bis dahin gebräuchliche posensche Provinzialflagge in den Farben Rot-Weiß zu verdrängen.
Deutsche Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg
Schon vor dem Ende des Ersten Weltkrieges deutete sich an, dass die Ostgrenze des Deutschen Reiches keinen Bestand haben würde (z. B. 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson [1856–1924]). Bereits wenige Wochen nach dem Waffenstillstand von Compiègne brach Ende Dezember 1918 in Posen/Poznań ein polnischer Aufstand aus. Dessen Ziel war die Loslösung der Gebietsteile, die bei der Ersten und Zweiten Teilung Polens, 1772 und 1793, in den preußischen Staat integriert worden waren, um daraus zusammen mit den ebenfalls seit den Teilungen Polens zum Russischen Reich und zu Österreich gehörenden Gebieten eine neue polnische Republik zu bilden. Nicht nur die Stadt Posen, sondern auch weite Teile der gleichnamigen Provinz fielen rasch unter polnische Kontrolle. Während man auf deutscher Seite davon ausging, dass die während des polnischen Aufstands nicht besetzten Teile der Provinz Posen weiterhin beim Deutschen Reich verbleiben könnten, und diese daraufhin vorläufig dem Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Bromberg/Bydgoszcz, Friedrich von Bülow (1868–1936), unterstellt wurden, sollte mit dem Friedensvertrag von Versailles lediglich ein schmaler Randstreifen im Westen der Provinz Posen beim Deutschen Reich verbleiben. Zudem musste das Deutsche Reich den größten Teil der Provinz Westpreußen, die zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich von muttersprachlich Deutschen bewohnt wurde, abtreten. Die ehemalige Provinz Westpreußen wurde in vier Teile aufgespalten: Neben dem westlichsten Teil mit Deutsch Krone, Flatow und Schlochau, der in der Folgezeit Bestandteil der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen wurde, wurden die östlichsten Kreise der Provinz Westpreußen zu einem Regierungsbezirk Westpreußen mit Sitz in Marienwerder/Kwidzyn zusammengefasst, der der Provinz Ostpreußen zugeschlagen wurde. Aus dem Nordosten mit dem wirtschaftlichen und administrativen Zentrum der Provinz Westpreußen wurde die Freie Stadt Danzig/Wolne Miasto Gdańsk gebildet. Die zentralen Teile der Provinz Westpreußen fielen dagegen an den polnischen Staat, der daraus 1919 die Woiwodschaft Pommerellen (Województwo pomorskie) schuf, die von deutscher Seite fortan als „Korridor“ bezeichnet wurde.
Ab 1919 verließen die meisten deutschsprachigen Einwohner der vormaligen preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, soweit diese unter polnische Hoheit fielen, ihre Heimat. Hintergrund dafür war die im Artikel 297b des Versailler Vertrages geschaffene Optionsmöglichkeit der Bewohner dieser Gebiete: Optierten sie für den Verbleib in der deutschen Staatsangehörigkeit, konnten sie ausgewiesen werden; entschieden sie sich für die neue polnische Staatsangehörigkeit, konnte ihnen die Aufnahme verweigert werden. In beiden Fällen mussten sie mit einer Ausweisung aus dem polnischen Staatsgebiet rechnen. In der Folgezeit führte die rigide Minderheitenpolitik der polnischen Regierung zur mehr oder weniger freiwilligen Abwanderung von weit mehr als der Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung. Viele fanden in den benachbarten preußischen Provinzen eine Bleibe und schlossen sich dort seit den frühen 1920er Jahren zu Landsmannschaften der Posener und Westpreußen zusammen, die in ihren Organisationsformen auf lokaler Ebene bereits die Strukturen der ostdeutschen Landsmannschaften im Westen Deutschlands nach 1945 vorwegnahmen. Gerade bei der Aufsiedlung von Gütern, die infolge der Wirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit forciert wurde, erhielten viele Flüchtlinge aus Posen und Westpreußen im ostelbischen Raum Siedlerstellen. Auch in der Grenzmark Posen-Westpreußen fanden viele eine neue Heimat. Nicht zuletzt die Stadt Schneidemühl spielte eine wichtige Rolle als Auffang- und Durchgangsstation für die Flüchtlinge aus den östlich angrenzenden Gebieten.
Die Genese der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen
Das preußische Ministerium des Inneren in Berlin verfügte 1919 die Zusammenfassung der westlichen Reste der Provinzen Westpreußen und Posen unter einer einheitlichen Verwaltung, für die am 20. November 1919 eine Regierungsstelle in Schneidemühl geschaffen wurde. Dabei handelte es sich de facto um das hierher verlegte Regierungspräsidium Bromberg. In den folgenden drei Jahren wurden verschiedenste Ideen entwickelt, wie mit den Gebietssplittern umzugehen sei. Diese reichten von deren Eingliederung in die Nachbarprovinzen Pommern, Brandenburg und Schlesien, wobei ein Provinzialverband an die Herkunft dieser Kreise aus den alten Provinzen Posen und Westpreußen erinnern sollte, bis hin zur Bildung einer neuen Provinz. Die Diskussionen über die zukünftige administrative Gestalt verliefen auf regionaler und staatlicher Ebene in der Folgezeit durchaus unterschiedlich. Während in der Grenzmark selbst alle Parteien bis auf die KPD den Gedanken der Bildung eines neuen Provinzialverbandes und damit der Eigenständigkeit gegenüber den drei großen preußischen Nachbarprovinzen im Westen favorisierten, kam es im Berliner Landtag zu einer massiven Auseinandersetzung, bei der die SPD, die USPD und die KPD aus wirtschaftlichen Gründen die Bildung einer Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen strikt ablehnten, während die bürgerliche Landtagsmehrheit den Gesetzentwurf unterstützte. Die weite Teile der politischen Öffentlichkeit der Weimarer Republik einende Ablehnung des Versailler Vertrages und der damit verbundene Revisionismus gegenüber der neuen Ostgrenze des Deutschen Reiches spielte hierbei eine zentrale Rolle. Der Name der im Sommer 1922 neugeschaffenen Provinz war Teil dieses politischen Programms, die von ihrem ersten Oberpräsidenten Friedrich von Bülow als „Promontorium“ gegenüber befürchteten weitergehenden polnischen Gebietsansprüchen charakterisiert wurde.[4]
Wirtschaftliche Herausforderungen
Die Provinzialverwaltung in Schneidemühl stand in den folgenden Jahren vor erheblichen Problemen, die sich aus dem Verlust des östlichen Hinterlandes ergeben hatten. Die wirtschaftlichen Verflechtungen waren zerstört. Zahlreiche Verkehrswege, die innerhalb des preußischen Staates seit dem frühen 19. Jahrhundert errichtet worden waren, wurden mit der Grenzziehung des Jahres 1919 zerschnitten. So führte zum Beispiel der Verlust des Bahnhofs Bentschen/Zbąszyń seitens der Deutschen Reichsbahn und des Zolls zur Errichtung des ein paar Kilometer weiter westlich, nördlich von Bomst gelegenen Grenzbahnhofs Neu Bentschen/Zbąszynek. Während der Güterbahnhof bereits 1925 fertiggestellt war, folgten der Personenbahnhof, die Post und das Zollamt im Heimatstil erst 1930. Insgesamt waren in diesen Jahren knapp 400 Wohnungen, eine evangelische und eine katholische Kirche, die Gemeindeverwaltung sowie weitere öffentliche Gebäude für die vor allem aus Beamten und ihren Familien bestehende Einwohnerschaft des neuen Ortes errichtet worden.
Auch andere öffentliche Einrichtungen, von Verwaltungssitzen über Krankenanstalten bis hin zu Schulen, die in Preußen immer für die gesamte jeweilige Provinz beziehungsweise den Landkreis geschaffen worden waren, standen nicht mehr zur Verfügung, da sie sich häufig in den Gebietsteilen befanden, die nun unter polnische Hoheit gefallen waren. In all diesen Bereichen galt es, neue Strukturen zu errichten. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche des neuen Verwaltungsgebildes war das nur mit erhöhten Dotationen des preußischen Staates möglich, die aber in der Zeit der Hyperinflation und der anschließenden Weltwirtschaftskrise lediglich bedingt helfen konnten. Die Landeshauptleute der Provinzen Ostpreußen, Grenzmark Posen-Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Nieder- und Oberschlesien verfassten 1930 die in Königsberg/Kaliningrad gedruckte 24-seitige Denkschrift Die Not der preußischen Ostprovinzen, die an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847–1934) gerichtet war und in der diese Provinzen übergreifend als „Ostmark“ bezeichnet wurden. In der Folge wurde ein umfangreiches Gesetzespaket unter dem Titel „Osthilfe“ geschnürt, mit dem die wirtschaftliche Not im Osten des Deutschen Reiches gelindert und die damit verbundene Abwanderung von Arbeitskräften gestoppt werden sollte. In der öffentlichen Debatte wurde der Schutz des „Deutschtums“ gegenüber der drohenden „polnische Gefahr“ genutzt, um beim preußischen Staat und auch auf Reichsebene fortgesetzt Zuschüsse für die „Ostmark“ zu akquirieren.
Zu den markantesten Zeugnissen für die kurze Phase der Konstituierung einer Grenzmark-Identität zählt die in Schneidemühl errichtete neue Provinzialverwaltung am Danziger Platz. In städtebaulicher Hinsicht wurde hier zwischen 1925 und 1929 ein beeindruckendes Ensemble als Forum geschaffen, bestehend aus dem Regierungsgebäude, dem evangelischen Konsistorium für die Kirchenprovinz Grenzmark, dem Behördenhaus mit Finanz- und Zollamt sowie dem von Paul Bonatz (1877–1956) entworfenen Reichsdankhaus für das Landestheater und das Landesmuseum mit Bibliothek.
Administrative Neuordnungen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme
Mit dem Preußenschlag am 20. Juli 1932, mit dem die Staatsgewalt im Freistaat Preußen auf die Reichsregierung übergegangen war, und mit der Machtübernahme im Deutschen Reich durch die NSDAP Ende Januar 1933 setzte in vielen Regionen eine administrative Neugliederung ein, so auch in der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. Mit dem Ausscheiden des Oberpräsidenten Friedrich von Bülow aus dem Amt im Januar 1933 übernahm Hans von Meibom (1879–1960) diese Aufgabe. Als DNVP-Mitglied trat er bereits nach den Reichstagswahlen vom März 1933 von seinem Amt zurück. Daraufhin wurde Wilhelm Kube (1887–1943), dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, die Verwaltung der Grenzmark in Personalunion übertragen. Im Mai 1933 erfolgte die Fusion des Gaus Brandenburg mit dem Gau Ostmark zum neuen Gau Kurmark unter der Ägide von Wilhelm Kube, der seit 1928 die Funktion eines Gauleiters der NSDAP in Brandenburg bekleidet hatte. Ein Jahr später wurde die Provinzialverwaltung in Schneidemühl dem brandenburgischen Oberpräsidium unterstellt. Schließlich wurde 1937 in Frankfurt an der Oder, wo das östliche der beiden Regierungspräsidien der Provinz Brandenburg seinen Dienstsitz hatte, auch die administrative Zuständigkeit für die Grenzmark konzentriert.
Als am 21. März 1938 das Gesetz über die Gebietsbereinigung in den östlichen preußischen Provinzen erlassen worden war, schien die seit 1933 angebahnte Entwicklung ihren folgerichtigen Abschluss zu finden. Der Netzekreis, der Stadtkreis Schneidemühl, die Kreise Deutsch Krone, Flatow und Schlochau sowie die neumärkischen Kreise Friedeberg, Arnswalde und Soldin/Myślibórz sollten zusammen mit den pommerschen Kreisen Dramburg/Drawsko Pomorskie und Neustettin/Szczecinek unter der Bezeichnung „Regierungsbezirk Grenzmark Posen-Westpreußen“ in die Provinz Brandenburg integriert werden. Die Kreise Schwerin an der Warthe, Meseritz und der nördliche Teil des aufgelösten Kreises Bomst sollten dem brandenburgischen Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder zugeschlagen, der südliche Teil des Kreises Bomst und der Kreis Fraustadt schließlich in den schlesischen Regierungsbezirk Liegnitz/Legnica integriert werden. Vermutlich aufgrund der Intervention des einflussreichen pommerschen Gauleiters Franz Schwede-Coburg (1888–1960) wurde am 2. September 1938 ein Änderungsgesetz erlassen, wonach der geplante Regierungsbezirk Posen-Westpreußen mit dem administrativen Zentrum Schneidemühl, allerdings ohne den neumärkischen Kreis Soldin, der Provinz Pommern zugeordnet wurde. Die für die beiden südlichen Gebietsstreifen der vormaligen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen schon im März vorgesehenen Eingliederungen in die Provinzen Brandenburg und Schlesien erlangten zum 1. Oktober 1938 Gültigkeit.
Als nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die polnische Republik im Oktober 1939 eine militärische Niederlage erlitt, wurden ihre westlichen Gebiete Teil des Deutschen Reiches. Am 26. Oktober 1939 entstand der Reichsgau Danzig, der am 2. November in Reichsgau Danzig-Westpreußen umbenannt wurde. Während in diesen Verwaltungsbezirk mit der Freien Stadt Danzig, dem Regierungsbezirk Westpreußen (Marienwerder) und der Woiwodschaft Pommerellen drei große Teile der 1919/1920 aufgelösten Provinz Westpreußen integriert wurden, verblieben die westlichen Kreise unverändert im Regierungsbezirk Grenzmark Posen-Westpreußen der Provinz Pommern. Gleiches galt für die westlichsten Kreise der ehemaligen Provinz Posen, die bis zum September 1938 zur Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen gehört hatten und dann den Provinzen Pommern, Brandenburg und Schlesien angegliedert worden waren, wo sie auch nach der Bildung des am 1. November 1939 geschaffenen Reichs- und Parteigaus Posen, ab 29. Januar 1940 unter der Bezeichnung Reichsgau Wartheland, verblieben.
Trotz der administrativen Festlegungen vom Herbst 1938 entwickelten sich Sonderregelungen zwischen den nunmehr für die vormalige Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen zuständigen Provinzialverwaltungen. So wurde zum Beispiel die 1904 gegründete „Provinzial-Irrenanstalt Obrawalde bei Meseritz“, die seit 1938 in der Provinz Brandenburg lag, als „Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde“ trotzdem der Aufsicht des Provinzialverbandes Pommern unterstellt und von Stettin aus verwaltet. Sie erlangte eine traurige Bedeutung bei der Organisation und Abwicklung der frühen Krankenmorde in der Provinz Pommern, die zu den ersten massenhaften Tötungsaktionen von als „geisteskrank“ klassifizierten Menschen während des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich und in den eroberten Gebieten gehörten.
Angliederung an Polen nach dem Zweiten Weltkrieg
Bis Ende Juli 1944 die sogenannte Pommernstellung für einen erwarteten Angriff der Roten Armee hektisch ausgebaut wurde, gehörte der Regierungsbezirk Grenzmark Posen-Westpreußen wie ganz Hinterpommern zu den Landschaften in Ostmitteleuropa, die kaum direkt von aktiven Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs betroffen waren. Mit dem Beginn der Offensive der Roten Armee an der Weichsel (Wisła) am 12. Januar 1945 änderte sich dies grundlegend. Aufgrund seiner großen strategischen Bedeutung wurde Schneidemühl von den deutschen Truppen besonders energisch verteidigt. Vom 28. Januar bis zum 14. Februar wurde der Kessel gehalten, ehe nach einem weitgehend missglückten Ausbruchversuch auch diese Stadt aufgegeben werden musste. Bei Beginn der Winteroffensive am 14./15. Februar 1945 waren bereits weite Teile des Regierungsbezirks Grenzmark Posen-Westpreußen von sowjetischen und polnischen Truppen besetzt. Arnswalde, das ebenfalls eingekesselt war, fiel am 21. Februar, Schlochau am 25. Februar, Neustettin am 27. Februar und schließlich Dramburg am 4. März. Bedingt durch den Frontverlauf und die heftigen Kämpfe entlang dieser Linie zwischen Ende Januar und Anfang März sind fast alle Städte und unzählige Dörfer des Regierungsbezirks Grenzmark Posen-Westpreußen stark bis sehr stark zerstört worden. Diese Feststellung trifft in vollem Umfang auch für die zu diesem Zeitpunkt zu Brandenburg und Schlesien gehörenden Kreise der früheren Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen zu.
Bereits mit dem Vordringen der Roten Armee setzte eine Massenflucht ein, auf die in den kommenden Monaten unter polnischer Verwaltung eine Vertreibung der verbliebenen deutschen Bevölkerung folgte. Das Gebiet der früheren Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen wurde 1945/1946 auf die neu geschaffenen polnischen Woiwodschaften Stettin (Województwo szczecińskie), Posen (Województwo poznańskie) und Pommerellen (Województwo pomorskie, seit 1950 nach dem Verwaltungssitz als Wojwodschaft Bromberg bezeichnet) aufgeteilt. Bei Verwaltungsreformen 1950, 1975 und 1998 kam es zu mehrfachen Veränderungen sowohl hinsichtlich der Anzahl und Größe als auch der Namen der Woiwodschaften in Polen. Nach der seit 1999 gültigen Verwaltungsgliederung gehört Schlochau zur Woiwodschaft Pommerellen (Województwo pomorskie), Flatow, Schneidemühl und Schönlanke zur Woiwodschaft Großpolen (Województwo wielkopolskie), Deutsch Krone zur Woiwodschaft Westpommern (Województwo zachodniopomorskie) sowie Schwerin an der Warthe, Meseritz, Bomst und Fraustadt zur Woiwodschaft Lebus (Województwo lubuskie).
4. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Thomas Beddies: Die pommersche Heil- und Pflegeanstalt im brandenburgischen Obrawalde bei Meseritz. In: Baltische Studien – Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte N.F. 84 (1998), S. 85–114.
- Christian Gahlbeck (Bearb.): Archivführer zur Geschichte Ostbrandenburgs bis 1945. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 31).
- Generaldirektion der Staatlichen Archive Polens: Staatsarchiv Landsberg an der Warthe – Wegweiser durch die Bestände bis 1945, bearbeitet unter der Redaktion von Dariusz Aleksander Rymar. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 25).
- Historischer und geographischer Atlas von Mecklenburg und Pommern. Hg. im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern. Teil 2: Mecklenburg und Pommern – das Land im Rückblick. Schwerin 1997.
- Walther Hubatsch (Hg.): Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815–1945. Reihe A: Preußen. Band 1: Ost- und Westpreußen, bearbeitet von Dieter Stüttgen, Band 2: Teil 1: Provinz Posen, bearbeitet von Dieter Stüttgen, Teil 2: Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, bearbeitet von Walther Hubatsch. Marburg an der Lahn 1975.
- Peter Johanek, Franz-Joseph Post (Hg.), Thomas Tippach (Bearb.): Städtebuch Hinterpommern. Neubearbeitung. Hg. im Institut für vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster. Stuttgart 2003 (Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte 3,2).
- Brigitte und Klaus-Dieter Kreplin (Bearb.): Die Gemeinden und Wohnplätze Pommerns nach dem Stand von 1932 mit Ergänzungen 1919 bis 1945. Teil A und B. Herdecke 1994 (Veröffentlichungen aus dem Genealogischen Archiv Kreplin 1A/B).
- Christoph Schley: Das Wappen der Grenzmark Posen-Westpreußen. Vor 89 Jahren – „Geburt“ der Grenzmark Posen-Westpreußen. In: Pommern – Zeitschrift für Kultur und Geschichte 40 (2002), H. 3, S. 28–33.
- Karl-Albert Wegener (Hg.): Historisches Ortschaftsverzeichnis Hinterpommern. Bearb. und hg. vom Institut für Angewandte Geodäsie im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. Frankfurt/M. 1994 (Reihe historischer Ortschaftsverzeichnisse für ehemals zu Deutschland gehörige Gebiete – Zeitraum 1914 bis 1945, 4).
Weblinks
- gsta.preussischer-kulturbesitz.de/recherche/thematischer-wegweiser/grenzmark-posen-westpreussen/ Bestände zu Grenzmark Posen-Westpreußen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin)
- www.herder-institut.de/suche.html?id=103&L=0&q=Grenzmark+Posen-Westpreu%C3%9Fen (Bestände im Herder-Institut)
Anmerkungen
[1] Dietmar Lucht: Pommern. Geschichte, Kultur und Wirtschaft bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. 2. Aufl. Köln 1998 (Historische Landeskunde – Deutsche Geschichte im Osten 3), S. 127–128, 182–185.
[2] Eberhard Völker, Manfred Pawlitta (Mitarb.): Pommern und Ostbrandenburger. München 2000 (Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche – Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat 9), S. 99.
[3] Ernst Bahr, Klaus Conrad: Schneidemühl. In: Helge bei der Wieden, Roderich Schmidt (Hg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg/Pommern. Stuttgart 1996 (Kröners Taschenausgabe 315), S. 272–273, hier S. 273.
[4] Friedrich von Bülow: Die Grenzmark Posen-Westpreußen. In: Friedrich Heiss, Arnold Hillen Ziegfeld (Hg.): Deutschland und der Korridor. Berlin 1933, S. 163.
Zitation
Haik Thomas Porada: Grenzmark Posen-Westpreußen. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32545 (Stand 04.10.2021).
Nutzungsbedingungen für diesen Artikel
Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie: ome-lexikon@uol.de
Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.