Langenau/Câmpulung Muscel

1. Toponymie

Amtliche Bezeichnung

Câmpulung; auch: Cîmpulung; der nichtamtliche Namenszusatz „Muscel“ (siehe: Staatliche und administrative Zugehörigkeit) dient der Unterscheidung von gleichnamigen anderen Orten in Rumänien.

Deutsche Bezeichnung

Langenau

Anderssprachige Bezeichnungen

ung. Hosszúmező; slav. Dalgopol (hist. Dlagopole – so erwähnt im Brief des Kaufmanns Neacșu Lupu aus Câmpulung von 1521, dem ältesten bekannten Dokument in rumänischer Sprache.)

Etymologie

Der deutsche Name und die anderssprachigen Benennungen verweisen offenkundig auf eine ausgedehnte Au, auf der die Siedlung angelegt worden war. Der Name ist als Toponym insgesamt häufig, vgl. kroat. Dugopolje, bulg. Дългопол (Dălgopol).

2. Geographie

Lage

45° 17′ nördlicher Breite, 25° 3′ östlicher Länge; die Entfernung nach Târgoviște beträgt ca. 60 km, nach Pitești sind es ca. 50 km, zum Törzburger Pass in nördlicher Richtung ca. 35 km.

Topographie

Langenau liegt in einem Nebenflusstal des Argeș im Vorland der Südkarpaten am Ausgang des wichtigen Törzburger Passes zwischen Butschetsch- (Munții Bucegi) und Fogaraschmassiv (Munții Făgărașului) auf einer Höhe von ca. 600 m.

Region

Große Walachei (Muntenien) bzw. Câmpia Română

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Rumänien. Kreis (Județ) Argeș, ehemals Verwaltungssitz des historischen Kreises Muscel.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Der Wappenschild ist gekrönt von einer fünftürmigen Mauerkrone, besetzt mit einem kreuztragenden Adler, der den (ehemaligen) Fürstensitz symbolisiert. Auf dem blauen Schild befindet sich ein Helm mit geschlossenem Visier, darauf ein nach links blickender Adler mit Kreuz im Schnabel.

Frühzeit, Antike

Im Stadtgebiet sind bronzezeitliche und dakische Besiedlungsspuren nachgewiesen. Auch das Grenzfort Jidava des römischen Limes Transalutanus befand sich im heutigen Stadtgebiet.

Mittelalter und Frühe Neuzeit

Die ersten urkundlichen Erwähnungen der Stadt gehen auf das Ende des 13. Jahrhunderts zurück; damit ist Langenau die älteste bezeugte Stadt auf dem Boden der Ost-Walachei (des Berglandes, auch: Munteniens). Eng verbunden mit der frühen Entwicklungsgeschichte der Stadt ist die Ansiedlung von Siebenbürger Sachsen, die bereits vor der Konstituierung des Fürstentums Walachei erfolgte, wahrscheinlich in Verbindung mit Expansionsbestrebungen der ungarischen Krone nach dem Mongolensturm.[1] Ob die Ansiedlung mit der siebenbürgischen Episode der Deutschordensritter in Zusammenhang steht, konnte bislang nicht nachgewiesen werden, ist aus Gründen der Chronologie auch eher unwahrscheinlich. Die v. a. von rumänischen Historikern vertretene Version setzt die Ansiedlung der Sachsen und ihre Ortsgründung mit dem „Descălecatul“, dem Gründungsmythos des rumänischen Fürstentums Walachei, in Verbindung: Der sagenhafte erste Woiwode Negru Vodă habe nach seinem Zug aus dem Fogarascher Land in die walachische Tiefebene den deutschen Siedlern als seinen Getreuen die Ansiedlung als Privileg gewährt.[2]

Der wahrscheinlich für die Ansiedlung zuständige Comes, der Gräfe Laurentius de Longo Campo († 1300), hat seine Grabstätte in der Bărăției-Kirche (s. Architektur). Die Inschrift auf dem Grabstein ist die älteste erhaltene mittelalterliche Epigraphie der Walachei.

Aus dem deutschen Siedlungskern entwickelte sich allmählich ein Marktflecken, der aufgrund der begünstigten Lage an einem der wichtigsten Handelswege über die Südkarpaten (durch den Törzburger Pass, der vom Burzenland aus den kürzesten Weg in die Câmpia Română darstellt) rasch überregionale Bedeutung in der Walachei gewann.

Deshalb wurde der Ort von Basarab I. († 1352), dem ersten Woiwoden des sich konsolidierenden Fürstentums Walachei, nach der siegreichen Schlacht von Posada 1330 zum ersten Fürstensitz gemacht. Damit wurde Langenau für ein knappes halbes Jahrhundert zum politischen Zentrum des jungen Fürstentums, bis es von Argisch/Curtea de Argeș als Sitz des Woiwoden abgelöst wurde. Es blieb aber temporärer Fürstensitz. 1368 wurde Langenau in einer Urkunde als Grenzkontrollpunkt genannt, den die siebenbürgischen Händler nach dem Überqueren der Karpaten zur Zollzahlung zu passieren hatten.

Der Brief des Neacșu aus Langenau/Câmpulung an Stadtrichter Johannes Benkner in Kronstadt (Abb. 1), in dem der Adressat vor Truppenbewegungen der Osmanen im Donaugebiet gewarnt wird, ist das älteste erhaltene schriftliche Zeugnis der rumänischen Sprache (1521). Er belegt zudem, dass im 16. Jahrhundert Rumänisch als Verkehrssprache zwischen den Ethnien fungieren konnte.

Die Stadtentwicklung nahm bis zur Fanariotenzeit einen weiteren Aufschwung. 1552 wurde im Auftrag der Frau des Woiwoden Mircea Ciobanu in Langenau eine der ersten Schulen des Fürstentums gegründet; ein Jahrhundert später erfolgte die Gründung der ersten rumänischsprachigen Schule (unter Antonie Vodă). Anton-Maria del Chiaro, Sekretär des Fürsten Constantin Brâncoveanu (1654–1714), bezeugte die Wichtigkeit von Handel und Handwerk in Langenau und erwähnte die große Reichweite der jährlich stattfindenden Messe am Eliastag (Sf. Ilie, 20. Juli).

Bis ins 17. Jahrhundert gab es in Langenau eine große sächsische Gemeinde. Die aus Siebenbürgen kommenden deutschen Siedler betrieben Handel und Handwerk. Dass ihre Verbindungen zu den deutschsprechenden Siebenbürgern jenseits der Karpaten nicht abrissen, belegt ihre Rezeption der Reformation: Gemeinsam mit den Siebenbürger Sachsen nahmen sie Mitte des 16. Jahrhunderts den lutherisch-evangelischen Glauben an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Recht auf die alleinige Bildung des Magistrats verloren (erster belegter rumänischer Bürgermeister im Jahr 1521). Knapp 100 Jahre danach war die deutsche Gemeinde sprachlich in die inzwischen mehrheitlich rumänische Stadtbevölkerung assimiliert und zählte ca. 500 Seelen. Lediglich in ihrem Glauben unterschieden sie sich nun von der Mehrheitsbevölkerung. Die Prägung der Stadt durch die deutschen Siedler, die sich nach der Annahme des lutherischen Glaubens zunehmend religiösen Repressionen ausgesetzt sahen, blieb dennoch deutlich sichtbar: Die Stadtverwaltung mit einem Stadtrichter und 12 Räten („pârgari“) erinnerte an die Organisation der siebenbürgisch-sächsischen Städte. Das Stadtsiegel und die Privilegien wurden bis 1735 in der katholischen Bărăției-Kirche, der Kirche der deutschen Siedler, aufbewahrt. 1639 trat die deutsche Gemeinde nach Repressalien durch den Fürstenhof und gegenreformatorischen Bemühungen wieder zum Katholizismus über. Auch eine Remigration nach Siebenbürgen setzte ein (bis ca. 1650 verließ die Hälfte der deutschen Bevölkerung Langenau), da sich die Verhältnisse der deutschen Gemeinde besonders während der Herrschaft Matei Basarabs (1588–1654) weiter verschlechterten.

Zeitgeschichte

Im Oktober und November 1916 wurde die Muscel-Region um Langenau zum Schauplatz schwerer Abwehrgefechte der rumänischen Armee gegen die durch den Törzburger Pass vorrückenden deutschen und österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Die 22. und die 12. Infanteriedivision der rumänischen Zweiten Armee unter dem Kommando von General Alexandru Averescu (1859–1938) verhinderten in Abwehrkämpfen den frühzeitigen Durchbruch der Kräfte des I. deutschen Reserve-Korps unter Generalleutnant Kurt von Morgen (1858–1921). Langenau geriet während der Kämpfe mehrmals unter Artilleriebeschuss (22. und 23. Oktober), viele Bewohner flüchteten während dieser belagerungsähnlichen Wochen.[3] 

In der Zwischenkriegszeit und bis zur Verwaltungsreform von 1950 war Langenau Sitz des historischen Kreises (Județ) Muscel, der aus Teilen der heutigen Județe Argeș und Dâmbovița bestand, woraus sich auch der heutige Namenszusatz herleitet.

Bevölkerung und Religion

Langenau war als Handelszentrum ein Anziehungspunkt für Siedler aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen, in seiner Eigenschaft als Fürstensitz war es gegenläufigen Tendenzen unterworfen. Die die Stadtgeschichte initiierende deutsche Siedlergruppe steht exemplarisch für beide Phänomene. Im 19. Jahrhundert siedelte sich auch eine nennenswerte italienische Gemeinde in der Stadt an. Gab es damals noch eine ethnische, kulturelle und konfessionelle Vielfalt, u. a. bezeugt durch die große Anzahl von Kirchen in der Stadt, gegenwärtig noch 20, so veränderte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung kontinuierlich hin zu einer homogen rumänisch-orthodoxen.

Im 20. Jahrhundert, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, verdreifachte sich die Bevölkerung von Langenau, von knapp 14.000 Einwohnern im Jahre 1930 bis 1992, als mit 44.125 Einwohnern der Höhepunkt der demographischen Entwicklung der Stadt erreicht wurde. Seitdem ist diese stark rückläufig.

Die Volkszählung von 2011 ergibt folgendes Bild zur konfessionellen Verteilung der Einwohner: 28.721 orthodox, 137 römisch-katholisch, 852 reformiert bzw. evangelisch-lutherisch (auch Splittergruppen), 53 andere/keine/atheistisch, 1.926 keine Angabe, drei Muslime.

Bevölkerung Câmpulung Muscel 2002[4] 2011[5]
Gesamt 37.802 31.767
Rumänen 37.349 29.221
Roma 363 570  
Ungarn 35 27
Italiener 6 7
Ukrainer -- 6
Türken 5 --
Deutsche 13 5
Andere 3 9
Unbekannt -- 1.914

Kunstgeschichte, Architektur

Das Ensemble der Franziskanerkirche St. Jakob („Bărăția“ – Brüderkirche), erbaut im 13. Jahrhundert von deutschen Siedlern, ältester Kirchenbau Munteniens, mit erhaltenem gotischem Chor, beherbergt die Grabplatte des sächsischen Gräfen Laurentius und ist baugeschichtlich und kulturell bedeutsam. Der Bau des Klosters „Negru Vodă“ aus dem 17. Jahrhundert geht auf die Gründung des Fürsten Basarab I. im 14. Jahrhundert zurück, der Originalbau ist wie der Fürstenhof nicht erhalten.

Dem städtischen Museum zugeordnet sind eine historische und eine naturwissenschaftliche Sammlung sowie eine ethnographische Abteilung, die in einem der ältesten Gebäude der Stadt, der Clădirea Ștefănescu (Ștefănescu-Gebäude), erbaut 1735, untergebracht ist. Ferner stellt das nach dem Dichter George Topârceanu (1886–1937) benannte Haus „Casa George Topârceanu“, in dem er viele Jahre gelebt hat, eine Attraktion dar. Das Mausoleum Mateiaș beherbergt die Gebeine von ca. 3.200 im Ersten Weltkrieg gefallenen rumänischen Soldaten.

Wirtschaft

Langenau war Sitz des staatlichen Automobilherstellers ARO (Auto România), der auf Geländefahrzeuge spezialisiert war (Produktion 1957 bis 2003). Das Unternehmen ging 2006 endgültig in Insolvenz und wurde zerschlagen; der Bankrott ist der Schlusspunkt eines besonders dunklen Kapitels der vielen missglückten Konversionen von rumänischen Staatsbetrieben in den Jahren nach 1989.[6]

4. Diskurse und Kontroversen

Die Existenz eines Sachsencomes südlich der Karpaten auf walachischem Boden warf unter Historikern die Frage auf, ob er ein Repräsentant der ungarischen Krone oder lediglich ein gewählter Vorsteher und Richter der sächsischen Gemeinde war. Nach anderen Theorien, die mit der Stadtgründung zusammenhängen, habe der legendäre erste Woiwode der Walachei, Negru Voda (auch: Radu Negru), bei seinem „Abstieg“ aus dem Fogarascher Land seinen treuen sächsischen Gefolgsleuten die Gründung der Stadt gewährt. Die Ansiedlung und Existenz einer Gruppe deutscher Siedler in der Stadt, die feste Verbindungen zu den Siebenbürger Sachsen unterhielten, wird so zum Zankapfel unter den Historikern; die Frage, ob eher die ungarische Krone oder die ersten Herrscher der Walachei die Ansiedlung ermöglichten, kann letztlich nicht beantwortet werden. Unbestritten ist der Status als erster Fürstensitz der walachischen Woiwoden. Der Ort spielt folglich für die Mythen der rumänischen Nationswerdung in Gestalt des mittelalterlichen Fürstentums Walachei eine gewisse Rolle und besitzt in Rumänien als einer der nationalen Erinnerungsorte überregionale Bedeutung.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • C. D. Aricescu; Adrian Săvoiu; Gh. Pârnuță: Istoria Câmpulungului, prima rezidență a României [Die Geschichte von Câmpulung, der ersten Residenz Rumäniens]. Bukarest 2007.
  • Alexandru Ciocîltan: Identitatea comunităţii germane din Câmpulung Muscel în secolele XIII – XVIII [Die Identität der deutschen Gemeinschaft von Langenau vom 13. bis 18. Jahrhundert]. In: Revista ERASMUS 13 (2002), Bucureşti, 2002.
  • Alexandru Ciocîltan: Comunităţile germane la sud de Carpaţi în Evul Mediu (secolele XIII–XVIII) [Die deutschen Gemeinschaften südlich der Karpaten im Mittelalter (13.–18. Jh.)]. Brăila 2015.
  • Hans Petri: Zur Entstehung der Stadt Cimpulung in Rumänien. In: Südostdeutsches Archiv 14 (1971), S. 46–56.
  • Laurențiu Rădvan: At Europe's Borders: Medieval Towns in the Romanian Principalities. Amsterdam 2010 (Translated by Valentin Cîrdei).
  • Ioan Răutescu: Câmpulung Muscel – Monografie istorică [Câmpulung Muscel – eine historische Monografie]. Câmpulung 1943.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Vgl. Ciocîltan 2002.

[2] Vgl. Denis Căprăroiu: Asupra începuturilor orașului Câmpulung [Zu den Anfängen von Langenau]. In: Historia Urban, tome XVI, nr. 1–2/2008, S. 37–64.

[3] Vgl. Glenn E. Torrey: The Romanian Battlefront in World War I. Lawrence, Kansas 2011, S. 121–122.

[4] Die Zahlen beruhen auf der Volkszählung aus dem Jahr 2002, insse.ro/cms/files/RPL2002INS/index_rpl2002.htm.

[5] Das Ergebnis der Volkszählung von 2011 in Langenau zeigt exemplarisch die Mängel bei der Durchführung auf: Für gut sieben Prozent der Stadtbevölkerung konnten keine Informationen zur ethnischen Zugehörigkeit ermittelt werden, landesweit für gut fünf Prozent der Gesamtbevölkerung, vgl. www.recensamantromania.ro; für die Stadt Langenau sind die Unwägbarkeiten allerdings vernachlässigbar, da die ethnische Struktur sich aus den vorhergehenden Zählungen klar ergibt. www.recensamantromania.ro/rezultate-2/ (Zugriff: 17.08.2020).

[6] Ein rumänischer Spielfilm thematisiert satirisch eine Rettungsaktion der Arbeiter für ihren Betrieb: „Despre oameni și melci“ (Von Menschen und Schnecken, R: Tudor Giurgiu, Rumänien 2012).

Zitation

Thomas Schares: Langenau/Câmpulung (Muscel). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2020. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32403 (Stand 31.08.2020).

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie: ome-lexikon@uol.de

Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.

OME-Redaktion (Stand: 30.07.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page