Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG)

1. Kurzbeschreibung

Die Gründung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen im Jahre 1949 war eine Folge der deutschen Teilung. Formal für die Fragen der Wiedervereinigung und die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Bewusstseins für die historischen deutschen Ostgebiete zuständig, stand es faktisch stets im Schatten des Bundeskanzleramts: Die großen deutschlandpolitischen Entscheidungen, soweit diese nicht in die Kompetenz der alliierten Siegermächte fielen, behielt sich allein der Kanzler vor. Angesichts dieser Umstände verlegte das BMG während der 1950er und frühen 1960er Jahre seine Bemühungen um die deutsche Einheit auf nachgeordnete Bereiche. So stellte es sich u. a. in den Dienst des staatlichen Antikommunismus. Das wiederum prägte nachhaltig die politische Kultur der jungen Bonner Republik. Im Zuge der "Neuen Ostpolitik" unter sozialliberaler Ägide änderten sich seit Herbst 1969 die inhaltliche Arbeit und die Ausrichtung des Ministeriums. Seinen Niederschlag fand diese Entwicklung nicht zuletzt in der Umbenennung des gesamtdeutschen Ressorts: Ab Oktober 1969 bis zur Auflösung am 1. Januar 1991 hieß es – ganz dem Wandel der Zeit entsprechend – Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB).

2. Aufgaben

Das BMG war von Anfang an ein rein politisches Regierungsressort. Festgelegt auf den Gedanken der Wiedervereinigung, sollte es zur politischen Willensbildung in der Bundesrepublik beitragen. Der formale Auftrag wurde 1955 auf folgende selbstbeschreibende Formel gebracht: "die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten und die dem deutschen Volkstum drohenden Gefahren, besonders in den Grenzgebieten, abzuwehren".[1] In dieser Funktion konzentrierte sich das BMG zugleich darauf, diejenigen Kräfte zu fördern, die sich für ein "entschiedenes Entgegentreten gegen den kommunistischen Expansionsdrang" engagierten. In diesem Sinne sah sich das Ministerium seit seiner Gründung als "Hüter, Mahner und Förderer", der immer dann gefragt war, wenn "gesamtdeutsche Fragen beraten und entschieden" werden sollten.[2] Im Rahmen der "Neuen Ostpolitik" erfuhr diese Aufgabenstellung eine inhaltlich weitreichende Modifikation. Nun stand nicht mehr der Gedanke der Wiedervereinigung auf der unmittelbaren Tagesordnung der deutschlandpolitisch verantwortlichen Organe in der Bundesregierung. Dem daraufhin umbenannten BMB fiel damit die Aufgabe zu, die deutsche Teilung zu verwalten. In erster Linie ging es darum, für die Bevölkerung dies- und jenseits des "Eisernen Vorhangs" die innerdeutschen Beziehungen im Geiste eines "geregelten Nebeneinanders" beider deutscher Staaten erträglicher zu gestalten. Zu diesem Zwecke sollte das Ministerium einschlägige Koordinierungsaufgaben zwischen den einzelnen Kabinettsressorts der Bundesregierung übernehmen. Gleichwohl wurde der Aktionsradius in dieser Hinsicht immer wieder durch die deutschlandpolitische Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramts eingeengt. Deutlich sichtbar wurde dies spätestens 1989/90, als das Kanzleramt, das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt zu den maßgeblichen politischen Akteuren im deutschen Einigungsprozess avancierten.

3. Organisation

In den Jahrzenten seiner Existenz wurde das BMG/BMB zahlreichen strukturellen Reorganisationen unterzogen. Ungeachtet dessen hielt man an einer strukturpolitischen Grundsatzentscheidung fest: In der Bonner Regierungszentrale befand sich der Hauptsitz des Ministeriums. Eine Berliner Dependance war von Anfang an ein "verkleinertes Spiegelbild" des Mutterhauses am Rhein. In dem Maße aber, in dem Berlin im Zuge des sich verschärfenden Kalten Krieges seine langjährigen Standortvorteile verlor, was spätestens 1961 mit dem Bau der Mauer endgültig der Fall war, verringerte sich die Bedeutung der dortigen Außenstelle. Sie nahm seit dieser Zeit zumeist nur noch nachrangige Aufgaben wahr. Einzig der unter strengster Geheimhaltung abgewickelte Freikauf von politischen Häftlingen aus der DDR und die Belange der innerdeutschen Familienzusammenführung blieben bis zur Auflösung des Ministeriums organisatorisch in Berlin angesiedelt.

In den Jahrzehnten bis zur Vereinigung Deutschlands wurde das Ressort zumeist von CDU-Ministern geleitet: Jakob Kaiser, 1949–1957; Ernst Lemmer, 1957–1962; Rainer Barzel, 1962–1963, 1982–1983; Johann Baptist Gradl, 1966; Heinrich Windelen, 1983–1987; Dorothee Wilms, 1987–1991. Zwischen 1963 und 1966 übernahmen mit Erich Mende ein FDP-Politiker und in den Jahren 1966 bis 1982 mit Herbert Wehner und (ab 1969) Egon Franke zwei Sozialdemokraten die Verantwortung für das Ministerium. Unter den Ressortchefs jener Jahre zählte Herbert Wehner zweifellos zu den herausragenden Persönlichkeiten. Es gelang ihm während der Großen Koalition (1966–1969) erstmals, vorübergehend auch in der großen Deutschlandpolitik Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten für das BMG zu erlangen: Die Tatsache etwa, dass Bundeskanzler Kiesinger 1967 die sogenannten Stoph-Briefe des damaligen DDR-Ministerpräsidenten nicht unbeantwortet ließ – ein Novum in der Geschichte der innerdeutschen Beziehungen –, wäre ohne Wehners maßgebliche Überzeugungsarbeit nicht möglich gewesen.

Während Wehner in seiner Ministerverantwortlichkeit den Beginn der Entspannung symbolisierte, galt dies nicht für die Gründergeneration des BMG. Diese stellte sich – entsprechend den damaligen politischen Rahmenbedingungen – vorbehaltlos in den Dienst des Kalten Krieges, was bedeutete, den unterhalb der militärischen Schwelle geführten Systemkonflikt zwischen West und Ost gewinnen zu wollen. Orientiert an US-amerikanischen Vorbildern, verlegte sich das Ministerium darauf, mit Mitteln der sogenannten Psychologischen Kriegführung und in Zusammenarbeit mit privaten antikommunistischen Apparaten, das SED-Regime zu destabilisieren. Überdies galt es, den von der DDR mit Hilfe der westdeutschen KPD geführten kommunistischen Unterwanderungsversuchen im Bundesgebiet wirkungsvoll zu begegnen. Hiermit war vor allem die Fachabteilung I im BMG betraut. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Osten spielte sich auch auf anderen Ebenen ab. Einschlägige Fachreferate des Ministeriums koordinierten regelmäßig humanitäre Hilfsaktionen, hauptsächlich zur Unterstützung der Kirchen in der DDR. Derlei Maßnahmen, ebenso wie die publizistisch aufwändigen Bemühungen, den Deutschen in Ost und West unter den Bedingungen der staatlichen Teilung ein gesamtdeutsches Bewusstsein zu vermitteln und diese für die Belange von Freiheit und westlicher Demokratie zu sensibilisieren, erfolgten jeweils in gezielter Abgrenzung zur DDR-Diktatur.

4. Geschichte

Für die Geschichte des BMG besaßen die 1950er und 1960er Jahre, die ganz im Zeichen der US-amerikanischen antikommunistischen Befreiungsstrategie standen, eine nachhaltige Wirkung. Als bundesdeutsche Behörde reihte sich das Ministerium vorbehaltlos in den damit einhergehenden, staatlich geführten Abwehrkampf gegen den totalitären Kommunismus ein. Damit flankierte das Ministerium gleichzeitig Bundeskanzler Adenauers Bemühungen um die politische Westintegration der jungen Bundesrepublik, denn die freiheitlich-demokratische Staatsräson des von den USA angeführten westlichen Lagers legitimierte sich gemeinhin durch einen dezidierten Antikommunismus.

In diesem Geiste organisierte das BMG in den ersten Jahren seiner Existenz eine aktiv gegen das SED-Regime gerichtete Ostarbeit. Dabei wurde auch der direkte Kontakt zu oppositionellen Kreisen in der DDR gesucht. Unter dem Eindruck des dort gescheiterten Volksaufstands am 17. Juni 1953 verlagerte sich allerdings die operative Abwehrarbeit des Ministeriums. Fortan wollte man nicht mehr leichtfertig Menschenleben im östlichen Teil Deutschlands gefährden. Im BMG setzte sich daher zusehends die Überzeugung durch, das SED-Regime ebenso wirkungsvoll einzudämmen und vor allem risikoloser bekämpfen zu können, wenn man sich nunmehr voll darauf konzentrieren würde, den "Kampf gegen den inneren Feind" in der Bundesrepublik zu führen: Gemeint waren damit die von Ost-Berlin aus gesteuerte KPD und deren sogenannte Tarnorganisationen. Hierbei kooperierte das BMG mit den bundesdeutschen Geheimdiensten und der US-amerikanischen CIA. Überdies erwiesen sich in diesem Abwehrkampf auch die zahlreichen westdeutschen antikommunistischen Privatorganisationen als natürliche Verbündete. Sie erhielten deshalb über viele Jahre hinweg aus den geheimen Finanztöpfen des BMG großzügig Subventionen.

Im Umgang mit politisch Andersdenkenden, zu denen nicht nur Kommunisten, sondern auch Pazifisten oder deutschlandpolitische "Neutralisten" zählten, verhielt sich das BMG keineswegs immer zurückhaltend. Um die westdeutsche Bevölkerung vor "kommunistischer Infiltration" zu bewahren, wurden Handlungsweisen gebilligt, die unter demokratisch-rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überaus bedenklich waren. Das Ganze legitimierte man als Maßnahme des "positiven Verfassungsschutzes". Auf bloßen Verdacht hin wurden vermeintliche Gegner stigmatisiert und – begründet oder auch nicht – dem Zugriff des Bundesamts für Verfassungsschutz ausgesetzt. Das Ministerium mischte sich zudem bis in die frühen 1960er Jahre hinein immer wieder verdeckt in Bundes- und Landtagswahlkämpfe ein. Als oberstes Gebot galt dabei stets der antikommunistische Grundkonsens. Dieser bestimmte die Wahl der Mittel und Methoden und rechtfertigte vieles, was letztlich der Eindämmung der "kommunistischen Wühlarbeit" im Bundesgebiet diente. All dies stand jedoch keinesfalls im Einklang mit den verfassungspolitischen Kompetenzen des BMG. Doch die am Erfolg ihrer Arbeit interessierten Akteure des gesamtdeutschen Ressorts irritierte das zumeist wenig.

Wenn sich seit den ausgehenden 1960er Jahren in dieser Hinsicht schließlich substantielle Veränderungen abzeichneten, dann kann dafür – abgesehen von der generellen Bereitschaft der politisch Verantwortlichen – vor allem folgender Umstand angeführt werden: In dem Maße nämlich, in dem sich die Bonner Republik politisch und ökonomisch konsolidierte, gab es immer weniger Anlass, die zusehends saturierten Bundesbürger mit Hilfe der "Psychologischen Kriegführung" gegen die Verführungen und die "geistige Gefahr" des Kommunismus zu "immunisieren". Das galt umso mehr, als sich parallel dazu, spätestens jedoch seit Beginn der 1970er Jahre eine weltpolitische Wende der internationalen Lage von der Konfrontation zur Entspannung zwischen Ost und West abzeichnete. Die Westarbeit der DDR, die bis dahin den bundesdeutschen staatlichen Antikommunismus legitimierte, blieb von dieser Entwicklung nicht unberührt. Deshalb bahnte sich auch in Ost-Berlin allmählich ein Paradigmenwechsel an, der fortan nicht mehr in erster Linie auf den politischen Systemwechsel in der Bundesrepublik, sondern auf die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch das politische Bonn zielte. Für das innerdeutsche Ministerium blieb all dies nicht folgenlos. Und so entwickelte es sich unter diesen Voraussetzungen zu einer Regierungseinrichtung, dessen Aufgabe in erster Linie darin bestand, die – immer mehr als eine politische Realität akzeptierte – staatliche Teilung fortan nur noch zu administrieren.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Alfred Adam: Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Bonn 1971 (Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland).
  • Bundesministerium des Inneren, Bundesarchiv (Hg.): Dokumente zur Deutschlandpolitik: "Besondere Bemühungen" der Bundesregierung. Bd. 1: 1962 bis 1969. Häftlingsfreikauf, Familienzusammenführung, Agentenaustausch. München 2012.
  • Stefan Creuzberger: Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969. Düsseldorf 2008 (Schriften des Bundesarchivs 69).
  • Stefan Creuzberger: Psychologische Kriegsführung und operatives Einwirken auf die DDR. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen in West-Berlin. In: Michael C. Bienert, Uwe Schaper, Hermann Wentker (Hg.): Hauptstadtanspruch und symbolische Politik. Die Bundespräsenz im geteilten Berlin 1949–1990. Berlin 2012 (Zeitgeschichte im Fokus 1), S. 221-240.
  • Detlef Kühn: Das Gesamtdeutsche Institut im Visier der Staatssicherheit. Berlin 2001 (Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR 13).
  • Gisela Rüss: Anatomie einer politischen Verwaltung. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen – Innerdeutsche Beziehungen 1949–1970. München 1973 (Münchener Studien zur Politik 23).

Anmerkungen

[1] So die Formulierung im Einzelplan 27, Haushalt der BMG von 1955, zitiert nach: Adam: Das Bundesministerium, S. 40–41.

[2] Adam: Das Bundesministerium, S. 41.

Zitation

Stefan Creuzberger: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32865 (Stand 25.08.2020).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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