Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE)
1. Kurzbeschreibung
Der "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) wurde nach der Aufhebung des Lizenzierungszwangs für die politischen Parteien am 8. Januar 1950 in Kiel als Interessenvertretung v. a. der Heimatvertriebenen gegründet und erzielte bei Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl 1953 spektakuläre Wahlergebnisse. Das Problem des BHE, das letztendlich auch zu seinem allmählichen Verschwinden als Partei führte, waren paradoxerweise gerade seine Erfolge als Interessenpartei, die maßgeblich zur Integration der Heimatvertriebenen beitrugen. In dem Maße, wie die materielle Not der Vertriebenen gelindert wurde, wandten sich diese nämlich vom BHE ab und den "einheimischen" Parteien zu. Auch die Fusion mit der kleinen rechtskonservativen Deutschen Partei (DP) zur Gesamtdeutschen Partei (GDP, später GPD) im April 1961 vermochte diesen Trend nicht mehr abzuwenden. Nachdem dem BHE bereits 1957 der Wiedereinzug in den Bundestag misslungen war, verlor er auch in den Ländern zunehmend an Bedeutung und sank bis Ende der 1960er Jahre zu einer Splitterpartei ab. Formal aufgelöst hat sich die Bundespartei, die Anfang der 1980er Jahre noch etwa 1.000 Mitglieder gehabt haben soll, bis heute nicht. Offiziell hieß der BHE ab 1952 Gesamtdeutscher Block/BHE (GB/BHE), wobei das Kürzel BHE nicht mehr aufgelöst wurde; diese Namensänderung wie auch der neue Name GDP bzw. GPD setzten sich jedoch nie wirklich durch, weshalb im Folgenden der Einfachheit halber stets vom BHE gesprochen wird.
2. Geschichte und Programmatik
Auch wenn der BHE von Anfang an versuchte, neben der Vertriebenenklientel andere Zielgruppen, wie etwa Opfer des Bombenkriegs, Währungsreformgeschädigte oder nach 1945 aus politischen Gründen entlassene Beamte – auf all diese bezog sich im Parteinamen der Zusatz "Entrechtete" –, anzusprechen, war er in erster Linie eine Vertriebenenpartei. Die Fokussierung auf deren Interessen war der Grund für den anfänglich steilen Aufstieg der Partei: Zwischen 1950 und 1966 war der BHE kurzzeitig im Bund (1953–1955), dafür umso länger in den Ländern an den Regierungsbildungen beteiligt: in Baden-Württemberg von 1952 bis 1964, in Bayern von 1950 bis 1962, in Hessen von 1954 bis 1966, in Niedersachsen von 1951 bis 1963 und in Schleswig-Holstein von 1950 bis 1958. Charakteristisch für den BHE war, dass sich in seinen Reihen viele ehemalige Nationalsozialisten sammelten, z. B. die Vorsitzenden der Gründungsphase Waldemar Kraft und Theodor Oberländer. Ersterer betonte 1952 ausdrücklich, der BHE sei die Partei "auch der ehemaligen Nazis, aber nicht derjenigen, die heute noch Nazis sind" (Winkler, 359). Obwohl der BHE insofern zwar keine rechtsradikale Partei war, kam ihm eine zentrale Rolle bei der Beendigung der Entnazifizierungsmaßnahmen und der beruflichen Wiedereingliederung nationalsozialistisch belasteter Personen in der frühen Bundesrepublik zu. Die Politik des BHE zielte nicht nur auf eine schnelle Verbesserung der Lebensbedingungen der Vertriebenen ab, sondern auch darauf, seiner Klientel durch gezielte Patronage Arbeitsplätze, besonders in den öffentlichen Verwaltungen, zu verschaffen. In dieser Hinsicht konnte der BHE nicht zuletzt deshalb erfolgreich agieren, weil er als Folge seiner vorwiegend interessenpolitischen Ausrichtung nicht automatisch auf Mitte-Rechts-Koalitionen festgelegt war. Vor allem in Hessen und Niedersachsen, kurzfristig auch in Bayern, trug er SPD-geführte Regierungen mit, wobei seine sozialpolitischen, auf Vermögensumverteilung von den Einheimischen zu den Vertriebenen ausgerichteten Forderungen ebenso eine ideologische Brücke bildeten wie die anfänglich ablehnende Haltung der SPD zur Westpolitik Adenauers. Von langfristiger Tragweite war dieses pragmatische Vorgehen des BHE insbesondere für die hessische Nachkriegsgeschichte, wo erst die jahrelange Koalitionsbereitschaft der Vertriebenenpartei die SPD für Jahrzehnte zur strukturellen Mehrheitspartei machte. Von Anfang an ein Problem für den BHE war, dass er nicht gegen den aus dem früheren Lizenzierungszwang herrührenden Vorsprung zumal der großen Volksparteien ankam: Bei der Bundestagswahl 1953, als die Partei erstmals bundesweit antrat und mit (enttäuschenden) 5,9 % in das Bonner Parlament einzog, wählten nur 34 % der Heimatvertriebenen den BHE. In keinem Bundesland, nicht einmal in den Hochburgen Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern, wurden 50 % erreicht. Bei der Bundestagswahl 1957, als der BHE mit 4,6 % knapp scheiterte, was sein parteipolitisches Aus einläutete, wählten ihn nur noch 26 % der Vertriebenen; selbst in den Hochburgen kam er über 35 % (Bayern) nicht mehr hinaus. Der Versuch des BHE, diesem Trend entgegenzuwirken, indem er sich als nationale bürgerliche Partei für alle Deutschen empfahl (deshalb 1952 Umbenennung in Gesamtdeutscher Block/BHE bzw. GB/BHE), scheiterte. Dies ist umso bemerkenswerter, als eine solche Ausrichtung ("Dritte Kraft") durchaus dem Selbstverständnis vieler Mitglieder entsprach, insbesondere jenem der in der Partei deutlich überrepräsentierten Sudetendeutschen, die überwiegend dem in der frühen Bundesrepublik politisch heimatlosen und mehrheitlich im Witikobund organisierten "nationalfreiheitlichen" bzw. "völkischen" Lager zugerechnet werden müssen. Es gelang weder, die eigene Wählerschaft nennenswert um Einheimische zu erweitern, noch, sich dauerhaft mit konkurrierenden bürgerlichen bzw. Rechtsparteien in einen nationalen Bürgerblock einzubringen. Die Beteiligung des BHE an der zweiten Regierung Adenauer (1953–1955) erwies sich als Fehler, ermöglichte sie doch dem Kanzler die Spaltung der Bundestagsfraktion und damit die dauerhafte Schwächung der Partei. Kraft und Oberländer verließen 1955 den BHE und wechselten später zur CDU. Die Fusion des BHE mit der ebenfalls im Abstieg begriffenen Deutschen Partei (DP) zur Gesamtdeutschen Partei (GDP, seit 1966 GPD) im April 1961 war im Grunde nur noch der kümmerliche Rest einstmals hochfliegender Pläne, die nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl 1961 (2,8 %) endgültig zur Makulatur wurden. Unterstützt wurde diese Entwicklung dadurch, dass viele ehemalige DP-Mitglieder die GDP bald wieder verließen und diese dadurch wieder auf die Reste der alten BHE-Klientel zurückgeworfen wurde. Bis 1966 verlor die GDP sämtliche Landtagssitze. Die Volksparteien CDU, CSU und SPD bemühten sich seither durchaus mit Erfolg, die verbliebenen BHE-Anhänger zu absorbieren. Mittels Wahlabsprachen gelangten 1965 nochmals vier GDP-Abgeordnete in den Bundestag: Heinz Kreutzmann und der Bundesvorsitzende Hermann Ahrens für die SPD, Walter Becher und Herbert Prochazka für die CSU. Diese schlossen sich jedoch nicht zu einer GDP-Gruppe zusammen, sondern waren Gäste in den Fraktionen, über deren Landeslisten sie gewählt worden waren; mit Ausnahme von Ahrens traten sie später zu den jeweiligen gastgebenden Parteien über. Das weitere Schicksal der GDP/GPD wurde durch diese Handlungsweise im Grunde vorweggenommen: 1969 verfügte die Partei nur noch über etwa 5.000 Mitglieder, hatte also binnen vier Jahren 45.000 (= 90 %) ihrer Mitglieder verloren, überwiegend an die Unionsparteien, teilweise auch an die SPD (v. a. im Landesverband Hessen). Auf diese Weise fand eine Anzahl ehemaliger Nationalsozialisten Aufnahme in die Volksparteien, beispielsweise der langjährige BHE/GDP-Bundesvorsitzende (1958–1962) und zeitweilige Vorsitzende des Witikobunds Frank Seiboth, der 1967 zur SPD übertrat und noch bis 1974 als Staatssekretär im hessischen Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten amtierte. Für die Unionsparteien ist v. a. der langjährige niedersächsische Vertriebenenminister Erich Schellhaus zu nennen, der sich 1964 der CDU anschloss.
3. Bibliographische Hinweise
Quellen und Literatur
- Frank Bösch: Die politische Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen und ihre Einbindung in die CDU. In: Rainer Schulze (Hg.): Zwischen Heimat und Zuhause. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene in (West-)Deutschland 1945–2000. Osnabrück 2001 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landkreises Celle 6), S. 107–125.
- Wolfgang Fischer: Heimat-Politiker? Selbstverständnis und politisches Handeln von Vertriebenen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag 1949 bis 1974. Düsseldorf 2010 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 157).
- Ossip K. Flechtheim (Hg.): Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945. 9 Bde. Berlin 1962–1971.
- Eike Frenzel: Vom Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten zur Gesamtdeutschen Partei. Aufstieg und Niedergang einer Interessenpartei in Niedersachsen 1950–1963. Hamburg 2008 (Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte 67).
- Heinz Kreutzmann (Bearb.): Der gesamtdeutsche Block. BHE. Bonn 1957 (Die politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland).
- Matthias Müller: Die SPD und die Vertriebenenverbände 1949–1977. Eintracht, Entfremdung, Zwietracht. Berlin 2012 (Politik und Geschichte 8).
- Franz Neumann: Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950–1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei. Meisenheim/Glan 1968 (Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft 5).
- Daniel Schönwald: Integration durch eine Interessenpartei. Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten in Bayern 1950–1981. Kallmünz/Opf. 2014 (Münchener Historische Studien. Abteilung Bayerische Geschichte, XXIV).
- Michael Schwartz: Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundesverbandes der Vertriebenen und das "Dritte Reich". München 2013.
- Matthias Stickler: "Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch" – Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949–1972. Düsseldorf 2004 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 46).
- Richard Stöss (Hg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. Bd. 2: FDP bis WAV. Opladen 1984 (Schriften des Zentralinstituts für wissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 39), S. 1460–1477 (GDP), S. 1424-1459 (GB/BHE).
- Martin Virchow: Der GB/BHE, ein neuer Parteientyp? In: Die Parteien in der Bundesrepublik. Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953. Stuttgart 1955 (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft 6), S. 450–467.
- York R. Winkler: Flüchtlingsorganisationen in Hessen 1945–1954. BHE – Flüchtlingsverbände – Landsmannschaften. Wiesbaden 1998 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 64; Forschungen zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen nach 1945 6).
Zitation
Matthias Stickler: Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32864 (Stand 16.11.2020).
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