Gumbinnen/Gusev
1. Toponymie
Deutsche Bezeichnung
Gumbinnen
Amtliche Bezeichnung
russ. Гусев (Gusev)
Anderssprachige Bezeichnungen
lit. Gusevas, Gumbinė, poln. Gąbin, Głąbin
Etymologie
Der Ortsname leitet sich vermutlich ab von litauisch gumbine (= Knotenstock, knorrige Äste). Die Umbenennung in "Gusev" erfolgte im Jahr 1946 zu Ehren des russischen Hauptmanns Sergej I. Gusev (1918–1945).
2. Geographie
Lage
Gumbinnen liegt auf 54° 35' nördlicher Breite, 22° 11' östlicher Länge, 57 m über NHN, ca. 120 km östlich von Kaliningrad und 40 km westlich der Grenze zu Litauen.
Topographie
Gumbinnen liegt am Zusammenfluss der Flüsse Pissa (russ. Pissa) und Rominte (russ. Krasnaja) in der flachwelligen Grundmoränenebene an der Nordabdachung des Baltischen Landrückens.
Region
Große Wildnis, Preußisch-Litauen
Staatliche und administrative Zugehörigkeit
Russische Föderation, Oblast Kaliningrad, Rayon Gusev.
3. Geschichte und Kultur
Gebräuchliche Symbolik
Die heutige Flagge und das Wappen zeigen auf rotem, schräglinks geteiltem Grund oben einen Elchkopf mit Schaufeln, unten einen aufrechten Pfeil (im Wappen auf damasziertem Grund); das Wappen bekrönt ein zinnenbewehrter Turm. Bis 1945 stand an Stelle des Elchs der halbe preußische Adler, 1936 wurde die ursprüngliche schräge Teilung durch eine senkrechte ersetzt.
Vor- und Frühgeschichte
Bodenfunde belegen die Besiedlung der Flussmündung um 9000 v. Chr.
Mittelalter
Im 13. Jahrhundert bestanden dörfliche Siedlungen beidseits der Pissa; aus einem erhöht liegenden Dorf (Bisserkehmen oder Bisserkeim) ging das spätere Gumbinnen hervor.
Neuzeit
1545 erfolgte ein Kirchenbau unter Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach; 1580 wird das Kirchdorf erstmals unter dem Namen Gumbinnen erwähnt. 1642 war das Dorf mit ca. 150 Einwohnern das größte im Hauptamt Insterburg. In den Jahren 1709–1711 entvölkerten Pest und Hungersnöte den Ort, anschließend kam es zur planmäßigen Neuanlage im Zuge des Retablissements unter Friedrich Wilhelm I.; die Verleihung der Stadtrechte 1724 gilt als Gründungsjahr Gumbinnens. Die Wiederbesiedlung geschah vor allem durch Glaubensflüchtlinge, als größte Gruppe kamen 1732 evangelisch-lutherische Salzburger Exulanten. Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) wurde der Ort durch russische Truppen besetzt.
Stadtansicht Gumbinnen/Gusev
(Postkarte: vor 1945) [Herder-Institut, Marburg,
Bildarchiv, Inv. Nr. 61665].
Im Ersten Weltkrieg war die Umgebung Gumbinnens bereits im August 1914 Kriegsschauplatz; in der Stadt gab es in geringem Umfang Zerstörungen, die im Zuge des Wiederaufbaus beseitigt wurden.
Im Oktober 1944 wurde die Innenstadt durch einen Luftangriff stark zerstört. Kurz darauf kam es zur Panzerschlacht südlich von Gumbinnen, was die Flucht der Zivilbevölkerung einleitete. Im Januar 1945 wurde die Stadt durch die Rote Armee eingenommen und besetzt. 1946 waren von 1.410 Einwohnern 270 Deutsche, darunter viele Waisen, für die ein Heim eingerichtet worden war. 1948 wurden die letzten nicht geflohenen deutschen Einwohner ausgewiesen; die neue Bevölkerung stellten fortan überwiegend Russen und Weißrussen.
Verwaltung
Die Stadt war Sitz der Kammerdeputation der Preußischen Kriegs- und Domänenkammer (ab 1723), später Hauptsitz der Litauischen Kriegs- und Domänenkammer (ab 1736), des Kreises (1818–1945) und des Regierungsbezirks (1878–1945) Gumbinnen; heute Hauptstadt des Rayons Gusev.
Bevölkerung
Jahr[1] | Einwohner* | davon protestant.* | kath.* | jüdisch* |
1850 | 7.000 | |||
1875 | 9.100 | |||
1890 | 12.200 | 270 | 95 | |
1925 | 19.000 | 18.200 | 420 | 200 |
1933 | 20.000 | 19.250 | 410 | 160 |
1939 | 22.180 | 20.820 | 570 | 33 |
1959 | 14.100 | |||
1970 | 22.100 | |||
1989 | 27.000 | |||
2010 | 28.260 |
*alle Angaben gerundet.
Wirtschaft
Bereits im 18. und 19. Jahrhundert war Gumbinnen ein wichtiger Verwaltungs- (staatliche Verwaltung, Bahn, Post) und Militärstandort im nordöstlichen Preußen. Daneben waren vor allem Betriebe ansässig, die Agrarprodukte weiterverarbeiteten (Mühle, Molkerei, Brauerei, Brennerei, Holzverarbeitung, Woll- und Leinenweberei) bzw. mit ihnen handelten. 1860 wurde Gumbinnen Station an der Bahnstrecke Königsberg-Stallupönen, nach 1900 kamen weitere Zugverbindungen hinzu. Im Zuge der Industrialisierung siedelten sich in Gumbinnen Maschinenbaufirmen und Eisengießereien an oder wurden wie die 1642 erstmals erwähnte Mühle zu Großbetrieben. In den 1920er Jahren entstand das Ostpreußenwerk als zentrales Elektrizitätswerk in Gumbinnen. Nach 1945 bestanden Textil-, Elektro- und Futtermittelindustrie
Religion
Die Bevölkerung war mehrheitlich protestantisch (ev.-lutherisch und ev.-reformiert); die katholische und die jüdische Gemeinde blieben dagegen relativ klein (s. Tabelle); 1939 lebten nur noch 33 von zuvor 160 Einwohnern jüdischen Glaubens in Gumbinnen. Heute existiert eine russisch-orthodoxe Gemeinde und in der ehemaligen Salzburger Kirche eine der wenigen lutherischen Gemeinden der Oblast.
Architektur, Stadtbild
Der Stadtkern zeigt die planmäßige Anlage der Stadt im 18. Jahrhundert um den Marktplatz; auf diesem befand sich bis 1945 ein Standbild Friedrich Wilhelms I. von Christian Daniel Rauch vor dem klassizistischen Regierungsgebäude (sog. Alte Regierung) von Karl Friedrich Schinkel (1832–1836, zerstört); angrenzend der Sitz der Bezirksregierung (sog. Neue Regierung) von Richard Saran (1908–1910, erhalten). Ebenfalls nach Plänen von Schinkel wurde die Salzburger Kirche erbaut, die 1838–1840 am Standort der 1754 errichteten, wegen Baufälligkeit abgerissenen Kirche der Salzburger entstand. Die ehemalige Kreuzkirche (1899) ist nach Aufbau einer Kuppel heute russisch-orthodoxe Kirche. Gumbinnen besaß ein von drei- bis viergeschossigen Bauten geprägtes kleines Stadtzentrum und ausgedehnte Vororte mit niedriger Bebauung, zwei Kasernen und Gewerbebetrieben. Die nicht schiffbare Pissa teilt die Stadt in west-östlicher Richtung. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sind teilweise bis heute im Stadtbild sichtbar. Das als Wahrzeichen Gumbinnens geltende Elch-Standbild (errichtet 1912 auf der Dammpromenade) wurde in sowjetischer Zeit in den Kaliningrader Zoo umgesetzt und kehrte Anfang der 1990er Jahre nach Gusev zurück.
Bildungseinrichtungen
Gumbinnen verfügte seit 1763 über ein Gymnasium, erhielt 1810 die erste höhere Mädchenbildungsanstalt und 1872 die erste Landwirtschaftsschule in Ostpreußen. 1929/30 kam eine staatliche Ingenieursschule hinzu.
4. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Rolf Engels: Die preußische Verwaltung von Kammer und Regierung Gumbinnen (1724–1870). Köln, Berlin 1974.
- Dietrich Goldbeck, Herbert Sticklies: Gumbinnen Stadt und Land. Bilddokumentation eines ostpreußischen Landkreises 1900–1982. Hg. von der Kreisgemeinschaft Gumbinnen in der Landsmannschaft Ostpreußen e. V. Bielefeld 1985.
- Aleksandr M. Ivanov: Gumbinnen – Gusev. Kaliningrad 2003 [in russ. Sprache].
- Rudolf Grenz: Stadt und Kreis Gumbinnen. Eine ostpreußische Dokumentation. Marburg/L. 1971.
Weblinks
- treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990)
- www.herder-institut.de/bildkatalog/wikidata/Q5663 Abbildungen zu Gumbinnen/Gusev im Bildarchiv des Herder-Instituts, Marburg)
Anmerkungen
[1] Vgl.: www.verwaltungsgeschichte.de/gumbinnen.html (Abruf 21.10.2015); de.wikipedia.org/wiki/Gussew (Abruf 21.10.2015).
Zitation
Heinke M. Kalinke: Gumbinnen/Gusev. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32399 (Stand 30.07.2021).
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