Orthodoxe

1. Kurzbeschreibung

„Orthodoxie“ (griech. ὀρθοδοξία) lässt sich wörtlich als rechter Glaube oder auch allgemeiner als rechtes Handeln übersetzen. Im engeren Sinne bezeichnet der Terminus Christen, die aus der Osthälfte des ehemaligen Römischen Reichs stammen oder von dort aus missioniert worden sind. Orthodoxe Christen lebten und leben seit Jahrhunderten als unmittelbare Nachbarn von Deutschen im östlichen Europa. Dies gilt vor allem für Regionen, in denen Deutsche als Minderheit von Angehörigen anderer Ethnien unmittelbar umgeben waren und auch zum Teil noch sind, so vor allem in Rumänien (Siebenbürgen, Banat, Bukowina), Serbien, Russland, der Ukraine, Kasachstan, Georgien, Polen, dem Baltikum und anderen. Orthodoxe gehören meist jeweils eigenständigen Kirchen an.

2. Aufgaben der Institution

Die orthodoxen Kirchen verstehen sich als die Bewahrerinnen altkirchlicher Strukturen, Lehren und Praktiken. Ihre Eigenständigkeit lag zunächst nicht in einem eigenen konfessionellen Bewusstsein, sondern vielmehr in der Zuständigkeit für eine jeweils klar umrissene Region begründet. Diese Regionen haben sie noch heute in ihrer je spezifischen Art seelsorgerlich und liturgisch zu versorgen.

3. Organisation in ihrer geschichtlichen Entwicklung

Während die Verantwortung für die Verwaltung bis ins vierte Jahrhundert zunächst ausschließlich beim Bischof oder anderen regionalen Klerikern lag, entwickelten sich seit dieser Zeit übergeordnete Verwaltungsstrukturen, die sich an das spätantike römische Verwaltungssystem anlehnten: die sogenannte Metropolitanstruktur und deutlich ab dem fünften Jahrhundert auch die Gliederung in Patriarchate beziehungsweise rechtlich eigenständig agierende, überregional organisierte Kirchenstrukturen. Neben den Patriarchaten Rom, Alexandreia, Konstantinopel, Antiocheia und Jerusalem bildete sich als weitere „autokephal“ organisierte Kirche in dieser Zeit bereits die zyprische Kirche, bald auch die georgische. Autokephale Kirchen sind juristisch eigenständig und haben das Recht, ihr Oberhaupt selbst zu bestimmen.

Bereits im fünften Jahrhundert kam es aus kirchenpolitischen, theologischen und letztlich auch spirituellen Gründen zur Aufspaltung der Mehrheitskirche in drei große Kirchenfamilien. Seit dem Konzil von Ephesus 431 entwickelte sich die heute so genannte „Apostolische Kirche des Ostens“ (traditionell, aber nicht korrekt als „Nestorianer“ bezeichnet); seit dem Konzil von Chalkedon 451 bildeten sich die orientalischen orthodoxen Kirchen heraus (die korrekt nicht als „Monophysiten“, sondern besser als „Miaphysiten“ oder als „Nonchalkedonenser“ bezeichnet werden sollten). Während die Vertreter der „Apostolischen Kirche des Ostens“ eine gewaltige Kirchenstruktur entlang der Seidenstraße bis nach China ausbauten, gehören zu den Miaphysiten die Kopten Ägyptens, die Äthiopier und Eritreer, die Syrische Orthodoxe Kirche, die Thomaschristen in Indien und die Armenier. Insbesondere Letztere waren als Händler und Kaufleute oft in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen ethnischen Minderheiten wie den Deutschen ansässig.

Die Verhältnisse zwischen dem Patriarchat von Rom und den übrigen autokephalen Kirchen waren bereits in der Spätantike öfter angespannt. Eine symbolische Bedeutung für das Verhältnis zwischen Ostkirchen und Westkirche hatte die Niederlegung der Bannbulle für den Patriarchen Michael I. Kerullarios (um 1000-1059), Patriarch von Konstantinopel 1043-1058, durch den römischen Legaten Humbert von Silva Candida (um 1010-1061) im Jahr 1054 auf dem Altar der Hagia Sophia in Konstantinopel. Weitere theologische Auseinandersetzungen und insbesondere der sogenannte Vierte Kreuzzug des Jahres 1204 besiegelten die Kirchenspaltung („Schisma“). Seitdem hat es mehrere Versuche gegeben, die kirchliche Einheit wiederherzustellen. Zu nennen wären etwa die – aus politischen Notwendigkeiten heraus geführten – Unionsgespräche von Lyon (1279), Ferrara/Florenz (1437/1439) und Brest (1596). Aus solchen Unionsgesprächen sind die sogenannten Unierten Kirchen hervorgegangen, die im orthodoxen Ritus zelebrieren, aber dem Papst in Rom kirchenrechtlich unterstehen. Unter den Habsburgern wurde die Union orthodoxer Christen mit Rom ab dem 18. Jahrhundert teilweise gewaltsam forciert. Unierte Kirchen sind dementsprechend seit dieser Zeit und erneut nach dem Verbot unter kommunistischer Herrschaft seit der Revolution von 1989 in der Ukraine, in der Slowakei und in Siebenbürgen anzutreffen.

Insbesondere ab dem 17. Jahrhundert lässt sich auch in den orthodoxen Kirchen eine Art Konfessionsbildung beobachten, so etwa durch die Synode von Jassy/Iaşi (1642). Evoziert wurde ein solcher Prozess möglicherweise nicht nur durch Missionsversuche der in Zentral- und Westeuropa entstandenen Konfessionen, sondern auch durch die Versuche religiöser Einflussnahmen selbst von deutschen Siedlern. Von einer territorialen orthodoxen Konfessionalisierungspolitik ist im Umfeld der Orthodoxen allerdings aufgrund der besonderen politischen Konstellationen vor allem im Osmanischen Reich und dessen Randgebieten, allenfalls in Russland zu sprechen. Die Russische Orthodoxe Kirche ist nach einem über hundertjährigen Prozess der Ablösung von Konstantinopel seit 1590 ein autokephales Patriarchat. Orthodoxe Identität war ansonsten in der Frühen Neuzeit in der Regel aus politischen Gründen an eine bestimmte Ethnie, nicht an ein Territorium gebunden. Dementsprechend entstanden mit den ethnisch begründeten Nationalstaaten im 19. und frühen 20. Jahrhundert eigene Nationalkirchen, die normalerweise zunächst aus dem Ökumenischen Patriarchat Konstantinopels ausgegliedert wurden. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen. So lassen sich intensive Auseinandersetzungen über den kirchlichen Status orthodoxer Christen unter anderem in der Ukraine, dem Baltikum oder in Makedonien beobachten.

Von der gesamten Orthodoxie anerkannt sind neben den vier altkirchlichen Patriarchaten zehn weitere Nationalkirchen, deren Autokephalie unumstritten ist. Daneben existieren elf Kirchen mit Autonomiestatus. Sie sind autonom verwaltet, gehören aber zu einer autokephalen Kirche, von der sie eine Bestätigung bei der Wahl ihres Oberhauptes erhalten. Einige dieser autonomen Kirchen sind nicht von allen übrigen orthodoxen Kirchen anerkannt. So bestreitet etwa das Moskauer Patriarchat das Existenzrecht einer autonomen Estnischen Orthodoxen Apostolischen Kirche. Die Japanische Orthodoxe Kirche wird vom Ökumenischen Patriarchat nicht als autonome Kirche akzeptiert. Sogar die Eigenständigkeit der autokephalen Orthodoxen Kirche von Amerika ist in der Gesamtorthodoxie umstritten. Ähnliches gilt für die nicht dem Moskauer Patriarchat zugeordnete Ukrainische Orthodoxe Kirche.

Die einzige juristische Institution, die den autokephalen und autonomen Kirchen übergeordnet ist, stellt das Panorthodoxe Konzil dar. Generell kann man also von einer kollegialen Kirchenstruktur sprechen, bei der alle Bischöfe dieselben Rechte innehaben. Auch die Patriarchen haben keine übergeordnete Jurisdiktionsgewalt. Das höchste Entscheidungsorgan innerhalb einer autokephalen Kirche ist vielmehr die Synode.

4. Theologische und religiöse Charakteristika orthodoxer Kirchen

Trotz der organisatorischen Eigenständigkeit sind orthodoxe Kirchen durch eine ganze Reihe von gemeinsamen Kennzeichen charakterisiert. Dazu gehört bis heute die Berechnung des Osterfesttermins nach dem Julianischen Kalender. Feste des unbeweglichen Kalenders wie Weihnachten werden in den einzelnen Landeskirchen entweder nach dem Julianischen Kalender (z.B. Russland, Serbien, Berg Athos) oder seit 1924 nach dem Gregorianischen Kalender (z.B. Griechenland, Rumänien) gefeiert. Äußerliche Unterschiede gegenüber anderen Konfessionen bestehen zum Beispiel darin, dass Priesteramtskandidaten vor den höheren kirchlichen Weihen heiraten dürfen. Beachtenswert ist ferner die unmittelbare Verbindung von Taufe, Firmung und Erstkommunion bei Kindern. Die Kommunion wird in der Regel in der Gestalt von Brot und Wein gefeiert, wobei die Gläubigen mit einem Löffel beides aus einem Kelch erhalten. Das kirchliche Leben ist stark durch mönchisch-asketische sowie mystische Elemente geprägt.

Theologisch lehnen die orthodoxen Kirchen das sogenannte filioque ab. Dabei handelt es sich um einen Einschub in den dritten Teil des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses von Nizäa und Konstantinopel aus dem Jahr 381. In diesem Einschub sehen Orthodoxe eine Unterordnung des Heiligen Geistes unter Gott Vater und Sohn. Ferner lehnen die Orthodoxen unter anderem die Vorstellung vom Fegefeuer und die eucharistische Kommunion mit ungesäuertem Brot (Hostien) konsequent ab.

Ähnliches gilt für die zentralen Konzepte der „westlichen“ Aufklärung. Eine strikte Unterscheidung zwischen Transzendenz und Immanenz ist für die meisten Orthodoxen nicht nachvollziehbar. Auf der Basis vor allem platonisch-neuplatonischer Wirklichkeitskonzeptionen gehen sie vielmehr von einer engen Verbindung der irdischen Welt mit der transzendenten aus, was unter anderem in der Ikonen- und Reliquienverehrung sowie der Gestaltung der Gottesdienste als „Göttliche Liturgie“ seinen Niederschlag findet. Zur Erklärung solcher Konnexe entwickelte der sogenannte Palamismus im 14. Jahrhundert die Vorstellung von den unerschaffenen Energien Gottes, mit denen dieser in der Welt wirkt, ohne zugleich Teil dieser Welt zu sein.

Gegenwärtig ringen Orthodoxe um ihren Platz in der modernen respektive postmodernen Welt. In Siebenbürgen entwickeln sie daher zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Konfessionen Projekte kirchlicher Wohlfahrt. Die Orthodoxie ist um ihre Präsenz in der medialen Welt deutlich bemüht. Ein klares Zeugnis von der Verortung orthodoxer Theologie und Kirche in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit bietet die sogenannte „Sozialdoktrin“ der Russischen Orthodoxen Kirche aus dem Jahr 2000, in welcher unter anderem die ethischen Grundlinien der Kirche beschrieben werden.

5. Orthodoxe Kirchen und die Deutschen im Ausland

Durch die räumliche Nähe ist es zu Kontakten zwischen Deutschen und autochthonen Orthodoxen gekommen, die auch die eigene Theologie oder kirchliche Praxis gelegentlich entscheidend beeinflusst haben. So berichtet zum Beispiel der Siebenbürger Reformator Johannes Honterus (um 1498/1499–1549) in seinem Reformationsbüchlein aus dem Jahr 1543 davon, dass ein wesentlicher Anstoß für die Reformation in Kronstadt/Braşov/Brassó in kritischen Anfragen der Orthodoxen an die lateinische Praxis bestanden habe. Sein Nachfolger im Kronstädter Stadtpfarramt Valentin Wagner (ca. 1510–1557) entwarf einen Katechismus, der auch Orthodoxen die Ziele der Reformation nahebringen sollte. Ähnliche Interessen verfolgte der Reformator der Krain Primus Truber (1507/1509–1586). Deutsche Gesandtschaftsprediger in Stambul/Konstantinopel förderten den Dialog zwischen Tübinger Theologen und dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II. (1536–1595) und brachten Kenntnisse über die Orthodoxen ins westliche Europa. Ähnliches gilt für Reiseberichte oder Landschaftsbeschreibungen aus dem 17. Jahrhundert, zum Beispiel Johann Trösters (ca. 1640 – ca. 1670) Beschreibung Siebenbürgens. In solchen Berichten wird deutlich, dass das orthodoxe Gegenüber ebenso wie die deutsche Minderheit vor Ort einem ständigen Konstruktionsprozess der eigenen Identität und auch derjenigen des Gegenübers durch die Begegnung unterlag.

Auch kulturell partizipierte die Orthodoxie an den Errungenschaften deutscher Siedler: Baumeister und Bildprogramme der orthodoxen Moldau-Klosterkirchen Rumäniens sind zum Beispiel durch deutsche respektive siebenbürgisch-sächsische Künstler beeinflusst, Athosklöster wurden mit Arbeiten von Goldschmieden beliefert, die ebenfalls in Siebenbürgen tätig waren. Der unmittelbare Kontakt zwischen Orthodoxen und Christen anderer Denominationen führte allerdings nicht nur zu konstruktiven Begegnungen. So entwickelte der evangelisch-lutherische Theologe Adolf von Harnack (1851–1930), der in Dorpat/Tartu aufwuchs und daher bereits früh Begegnungen mit Orthodoxen hatte, eine ablehnende Haltung gegenüber ostkirchlicher Theologie und Praxis. Gegenwärtig spielen in den bilateralen Dialogen deutscher Kirchen mit der Orthodoxie gerade im ost- und südosteuropäischen Raum aufgewachsene Deutsche eine oft wichtige positive Rolle.

6. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Ernst Benz: Die Ostkirche im Lichte der protestantischen Geschichtsschreibung von der Reformation bis zur Gegenwart. München 1952 (Orbis academicus: Problemgeschichten der Wissenschaft in Dokumenten und Darstellungen 1).
  • Thomas Bremer, Haçik Rafi Gazer, Christian Lange (Hg.): Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition. Darmstadt 2013.
  • Karl Christian Felmy: Orthodoxe Theologie. Eine Einführung. Darmstadt 1990.
  • Assaad E. Kattan, Fadi A. Georgi: Thinking Modernity. Towards a Reconfiguration of the Relationship between Orthodox Theology and Modern Culture. Tripoli, Münster 2010 (Balamand theological conferences 1).
  • Christian Lange, Karl Pinggéra (Hg.): Die altorientalischen Kirchen. Glaube und Geschichte. Darmstadt 2010.
  • Grigorios Larentzakis: Die Orthodoxe Kirche. Ihr Leben und ihr Glaube. 3. Aufl. Wien, Berlin, Münster 2012.
  • Wilhelm Nyssen, Hans-Joachim Schulz, Paul Wiertz (Hg.): Handbuch der Ostkirchenkunde I–III. Düsseldorf 1984–1997.
  • Konrad Onasch: Lexikon Liturgie und Kunst der Ostkirche. Berlin, München 1993.
  • Martin Tamcke: Das Orthodoxe Christentum. München 2004 (Beck’sche Reihe 2339).
  • Reinhard Thöle (Hg.): Zugänge zur Orthodoxie. Göttingen 1998 (Bensheimer Hefte 68).

Schriftenreihen

  • Das Östliche Christentum, Würzburg (1936ff.)
  • Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, Münster (1995ff.)

Zeitschriften

  • Oriens Christianus, Wiesbaden (1901ff.)
  • Orthodoxes Forum, München (1987ff.)
  • Orthodoxie aktuell, Wuppertal (1997ff.)
  • Ostkirchliche Studien, Würzburg (1952ff.)
  • Religion und Gesellschaft in Ost und West, Zürich (2011ff., zuvor G2W 1973ff.)

Weblinks

Zitation

Andreas Müller: Orthodoxe. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32881 (Stand 30.11.2021).

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OME-Redaktion (Stand: 30.07.2024)  | 
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