Königgrätz/Hradec Králové
1. Toponymie
Deutsche Bezeichnung
Königgrätz (seit etwa 1800 anstelle der korrekten Übersetzung Königingrätz)
Amtliche Bezeichnung
tschech. Hradec Králové
Anderssprachige Bezeichnungen
lat. Grecz Reginae, Grecz super Albea
Hradec ist das alttschechische Diminutiv für „kleinere Burg“. Eine befestigte Anlage ist hier seit dem Ende des 10. Jahrhunderts als Verwaltungssitz der Přemysliden belegt, die nachfolgend erweitert wurde (1073 castrum Gradec). Hieraus leitete sich im 12. Jahrhundert der deutsche Name Grätz ab (1259 Gretz, 1352 Grecz). Ab 1373 erhielt die Leibgedingestadt böhmischer Königinnen den tschechischen Zusatz Králové (Genitiv des Substantivs králová = Gemahlin des Königs), lat. Reginae (Hradecz regine), dt. Königin (1557 Khunigin Gract). Die deutsche Bezeichnung wurde später zu Königgrätz (1568 Khuniggräcz) verkürzt.
2. Geographie
Lage
Königgrätz liegt 50o 13‘ nördlicher Breite, 15o 50‘ östlicher Länge, etwa 115 km östlich von Prag/Praha.
Topographie
Die nordostböhmische Stadt liegt am Oberlauf der Elbe bzw. der Mündung der Adler (Orlice) in diese im Vorland des Riesengebirges auf einer Höhe von 235 m n. m.
Region
Staatliche und administrative Zugehörigkeit
Tschechien. Verwaltungssitz der Königgrätzer Region (Královéhradecký kraj) und Sitz des Bistums.
3. Geschichte und Kultur
Gebräuchliche Symbolik
Ab 1632 ist im Stadtsiegel der doppelschwänzige böhmische Löwe bezeugt, zudem stammt aus dieser Zeit ein weiteres Hoheitszeichen – der wohl von der Bezeichnung Grecz hergeleitete Großbuchstabe „G“. Beide Zeichen wurden bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nebeneinander geführt. Heute zeigt das Stadtwappen im roten Schild den grimmenden, doppelschwänzigen und silbernen Löwen mit goldener Krone, Zunge und goldenen Waffen, der in den Vorderpranken den goldenen Buchstaben „G“ hält.
Mittelalter
Seit dem 6. Jahrhundert ist eine dauerhafte slawische Landnahme in archäologischen und schriftlichen Quellen dokumentiert. Die Anfänge von Königgrätz selbst fallen dabei in die jüngere Phase der mittleren Burgwallzeit am Ende des 9. bzw. in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. im Zusammenhang mit der Ausbildung přemyslidischer Verwaltungszentren seit dem böhmischen Fürsten Boleslav I. (regierte 935–972). Sowohl die beiden Flussläufe von Adler (Orlice) und Elbe (Labe) wie auch die ausgedehnten Sumpfgebiete boten der frühmittelalterlichen, 13 ha umfassenden Burgwallsiedlung und der seit dem 10. Jahrhundert sicher bezeugten Burg Schutz. Das 1073 erstmals im Zusammenhang mit der Gründungsurkunde des Benediktinerklosters Opatowitz (Opatovice) erwähnte Königgrätz lag strategisch vorteilhaft an einer wichtigen Furt des von Krakau/Kraków nach Prag führenden Handelsweges. Seit dem 12. Jahrhundert diente die Burg mit eigenständig befestigter Akropolis als fürstlicher Verwaltungssitz der Přemysliden.
1225 schenkte der böhmische König Přemysl Ottokar I. (regierte 1197/1204–1230) den Bürgern von Königgrätz mehrere unterhalb der Burg gelegene Grundstücke und ermöglichte so die Expansion der sich allmählich ausformenden Stadt auf dem Suburbium der přemyslidischen Burgstätte sowie deren weitere administrative Ausgestaltung nach Magdeburger Recht. Königgrätz gehört damit – neben Mährisch Neustadt/Uničov (1223) und Troppau/Opava (1224) – zu den ältesten Rechtsstädten in Böhmen. 1306 schenkte der böhmische König Rudolf VI. von Habsburg (regierte 1306–1307 als König von Böhmen) seiner Gemahlin Elisabeth von Polen-Kalisch (1261/63–1304), Witwe König Wenzels II. (regierte 1278–1305) die Stadt als Leibgedinge (seit 1307 „Hradecz reginae“). Elisabeth übersiedelte 1308 nach dem Tode ihres Gemahls mit ihrem ganzen Hof nach Königgrätz, das zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum aufstieg.
Um 1400 war das Areal der mehrere Vorstädte umfassenden und in vier Quartale gegliederten Stadt mit ihrer Ummauerung und den vier Stadttoren voll ausgebildet. Seit 1418 ist ein Rathaus bezeugt. Das erste Königgrätzer Spital wurde 1344 in der Prager Vorstadt gegründet, 1379 folgte ein weiteres – mit der Kapelle des hl. Antonius verbundenes – in der Mauter Vorstadt.
In der Zeit der Hussitenkriege (1419–1434) wurde Königgrätz 1420 kurzeitig von dem Richtung Prag ziehenden König Sigismund von Luxemburg (1368–1437) und seinen Kreuzfahrern widerstandslos besetzt. Es entwickelte sich – neben dem südböhmischen Tábor – seit 1423 zu einem Zentrum der radikalen Hussiten in Ostböhmen (Orebiten).
Neuzeit
Der aus einer der vermögendsten Bürgerfamilien stammende Martin Cejp bekleidete dreimal das Amt des Bürgermeisters (u. a. 1577–1590), unter ihm erhielt die Stadt ihren architektonischen Renaissancecharakter. 1543 galt Königgrätz nach Prag und Kuttenberg/Kutná Hora als reichste Stadt in Böhmen.
Eine Feuersbrunst 1586, die Pest 1599 und der quellenmäßig für Königgrätz nur sehr lückenhaft dokumentierte Verlauf des Dreißigjährigen Krieges fügten der vor 1618 wohl 7.000–8.000 Einwohner zählenden Stadt angesichts kaiserlicher Besatzung sowie nachfolgender schwedischer Einnahme durch Einquartierungen, Kontributionen, Konfiskationen und Plünderungen großen finanziellen und materiellen Schaden zu. Nach der Niederlage der protestantischen böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 erfasste die Rekatholisierung auch die einstige Hussitenbastion und führte in zwei Wellen 1626 und 1628 zur Emigration nichtkatholischer Bürger, deren Besitz der Konfiskation anheimfiel.
Im Zeitalter der Theresianischen und Josephinischen Reformen prägte die Entscheidung der Habsburger, eine moderne Festung in Königgrätz zu errichten, für mehr als ein Jahrhundert die Entwicklung der Stadt.
In der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 wurde die Vorherrschaft im Deutschen Bund zwischen Österreich-Ungarn und Preußen entschieden. Die preußischen Truppen siegten nach sechs Stunden heftiger Kämpfe in einer der größten Schlachten des 19. Jahrhunderts, was den Weg zur Proklamation des Deutschen Kaiserreichs 1871 in Versailles ebnete. 178.0000 Österreichern und 20.800 Sachsen standen auf preußischer Seite 221.000 Soldaten gegenüber.
Bei der notwendigen Modernisierung der Festungsstadt erwarb sich der Unternehmer, langjährige städtische Chronist und Lokalpolitiker Karel Collino (1818–1892) große Verdienste. Der Advokat, national-freisinnige Landtagsabgeordnete und Dichter František Ulrich (1859–1939), der das Amt des Bürgermeisters 1895–1929 ausübte, trug entscheidend dazu bei, dass Königgrätz nach 1918 zum „Salon der Republik“ aufstieg, da er unter Mitarbeit führender tschechischer Architekten für den Erhalt und die Nutzung des Areals um den historischen Stadtkern sorgte.
Zeitgeschichte
Im Ersten Weltkrieg wurde Königgrätz medizinische Versorgungsstation für eine ständig wachsende Zahl verwundeter Frontsoldaten, während die Bevölkerung unter erheblichen Versorgungsengpässen litt, Flüchtlinge aus Galizien in die Stadt strömten und Infektionskrankheiten sich ausbreiteten. Der im Januar 1918 von der Sozialdemokratie ausgerufene Generalstreik gegen die katastrophale Versorgungslage leitete ein ereignisreiches Jahr ein, ein weiterer Generalstreik am 14. Oktober mündete am 29. Oktober auf dem Großen Platz in eine friedliche Massenkundgebung zur Unterstützung der am Tag zuvor in Prag proklamierten eigenständigen Tschechoslowakei.
Drei Monate nach der Okkupation der „Rest-Tschechei“ durch das nationalsozialistische Deutsche Reich am 15. März 1939 wurde in der Stadt die Außendienststelle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) mit etwa 40 Mitarbeitern, darunter auch Sudetendeutsche, eingerichtet, hinzu kam eine Dienststelle des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS. Seit November 1939 residierte in Königgrätz zudem die Kreisleitung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Zum 1. April 1942 wurden sämtliche Gemeindeselbstverwaltungsorgane durch die Okkupanten beseitigt: 10 Gemeinden kamen zu Königgrätz, das nun rund 58.000 Einwohner zählte. Den tschechischen Bürgermeister Josef Pilnáček (1877–1949) löste der deutsche Regierungskommissar Franz Heger (?–1945) ab. Die im November 1939 von dem tschechischen Techniker Bedřich Opletal (1912–1946) gegründete „Arische Arbeitsfront“ wirkte mit ihrer nationalsozialistischen Propaganda in ganz Ostböhmen, besonders intensiv jedoch in Königgrätz.
Nach der Befreiung durch amerikanische Verbände am 8. Mai 1945 regierte bis zur kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 ein Nationalausschuss, bestehend aus der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch), Sozialdemokraten, Nationalen Sozialisten, der Volkspartei und später noch Parteilosen, die Stadt.
Ein im Juni 1945 installiertes Außerordentliches Volksgericht (Mimořádný lidový soud; MLS) verhandelte bis 1947 gegen 1.262 Personen als Kriegsverbrecher oder Kollaborateure (653 Deutsche, 445 Tschechen) und verurteilte neun Personen zum Tode.
Bis Oktober 1946 wurden in sieben Transporten mehr als 3.000 in und um Königgrätz noch lebende Deutsche in die sowjetische (fünf Transporte) und die amerikanische Besatzungszone (zwei Transporte) ausgesiedelt. Bei den Parlamentswahlen 1946 siegte auch in der Stadt die KPTsch, die mehr als 36 Prozent der Stimmen erhielt; die Kommunisten hatten nach dem Prager Februarputsch 1948 fortan auch in Königgrätz das alleinige Sagen, während politische Gegner konsequent verfolgt wurden, u. a. im 1950 veranstalteten Schauprozess gegen Alois Hlavatý (1906–2001) als vermeintlichem Anführer einer 40köpfigen Gruppe, die des Umsturzes und Hochverrats bezichtigt wurde.[1]
Bei der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 besetzten polnische Verbände als Bestandteil der Invasionsarmeen sozialistischer Länder in Königgrätz strategisch bedeutsame Punkte, während die Einwohner empört gegen die Okkupation protestierten. In der nachfolgenden sog. Normalisierung wurden die politischen Verhältnisse vor der Liberalisierung im Tauwetter der 1960er Jahre wiederhergestellt und gleichsam zementiert, was alle Wahlen seit 1971 auch in Königgrätz “bestätigten“. Die drängende Wohnungsfrage suchte man durch die Errichtung mehrerer sozialistischer Plattenbausiedlungen zu lösen.
Die Samtene Revolution, d.h. der Übergang vom Realsozialismus zur demokratischen Staatsform, begann in Königgrätz im November 1989, drei Tage nach den Prager Ereignissen, auf Initiative der Schauspieler und Angestellten des städtischen Theaters, denen sich kurz darauf die meisten Hochschulstudenten anschlossen. Alle Aktionen mündeten am 27. November in einen zweistündigen Generalstreik, der auch in Königgrätz die politische Wende brachte.
Bevölkerung
Wirtschaft
Aufgrund seiner vorteilhaften Lage präsentierte sich Königgrätz im Mittelalter als wichtiges Handels- und Umschlagszentrum (u. a. für Blei und Silber) zwischen Breslau/Wrocław, Prag und Nürnberg. Ein wichtiger Handelsweg verband die Stadt mit der Lausitz. Die fortschreitende Industrialisierung in Böhmen tangierte Königgrätz lange kaum, noch Mitte der 1840er Jahre gab es lediglich fünf Fabriken und Manufakturen, die ausschließlich Lebensmittel produzierten bzw. verarbeiteten (u. a. Kaffeeersatz, Likör). Seit 1857 verfügte Königgrätz über einen (um 1870 erweiterten) Eisenbahnanschluss, die seit 1859 geltende Gewerbeordnung führte zum allmählichen Ende des zünftig organisierten Handwerks.
Der Instrumentenbauer und Musiker Václav František Červený (1819–1896) wirkte seit 1842 in Königgrätz und erweiterte seine Werkstatt zu einer weltweit anerkannten Fabrik mit über 100 Mitarbeitern (1880). Seine Söhne gründeten später in Russland und Amerika Niederlassungen. Der in Königgrätz geborene Klavierbauer Antonín Petrof (1839–1915) eröffnete 1866 die nach ihm benannte Klavierfabrik. 1899 stieg Petrof zum königlichen Hoflieferanten auf und war bald der größte Klavierhersteller in der k. u. k. Monarchie.
Heute ist Königgrätz ein bedeutendes wirtschaftliches Zentrum in Ostböhmen mit ansässigem Schwermaschinenbau, chemischer sowie Nahrungs- und Genussmittelindustrie.
Gesellschaft
Nach 1820 profilierte sich Königgrätz als patriotisches Zentrum der tschechischen Nationalbewegung. Im Vormärz dominierte in Ämtern, Schulen und im Heer die deutsche Sprache ungeachtet der tschechischen Bevölkerungsmehrheit und deren sprachnationalen Emanzipationsbestrebungen, die im Revolutionsjahr 1848/49 allerdings sichtbar neuen Auftrieb erhielten. Deutsche spielten in der gesamten Stadtgeschichte stets nur eine sehr marginale Rolle. Die Sprachenfrage wurde (nicht nur im Schul- und Vereinswesen) zu einem Wesensmerkmal bei der Ausformung der bürgerlichen Gesellschaft. Seit den 1860er Jahren bildete sich eine breite tschechische Vereinslandschaft heraus (1865 Gründung des örtlichen Turnvereins Sokol [dt. „Falke“], 1872 Beseda [Gesprächs- und Bildungsverein], 1878 akademischer Verein Dobroslav).
Religions- und Kirchengeschichte
Königgrätz bildete bereits im 11. und 12. Jahrhundert das Zentrum eines frühzeitig als Großpfarrei und seit dem 12. Jahrhundert als Archidiakonat erscheinenden Kirchsprengels, dem in Nordostböhmen und Glatz/Kłodzko grundlegende Bedeutung zukam und der bis zur Gründung des Bistums Leitomischl 1344 das kirchliche Zentrum darstellte.
Gleich nach der Prager Agglomeration besaß Königgrätz die größte Zahl an Klöstern.
Den Siegeszug der Reformation hemmte anfänglich die starke Stellung der Kalixtiner und Altutraquisten, doch wuchs seit 1562 der lutherische Einfluss auch durch die Zuwanderung von Geistlichen lutherischer Prägung stetig. Im Zuge der Rekatholisierung ließen die spätestens seit 1636 in Königgrätz institutionell verankerten Jesuiten 1654–1666 die barocke Marienkirche nach Plänen des lombardischen Architekten Carlo Lugaro (1615–1684) errichten.
Vermutlich waren vor 1620 keine Juden dauerhaft in Königgrätz ansässig, lediglich für 1508 wird eine „Judengasse“ erwähnt. Ein amtliches Glaubensverzeichnis von 1651 verzeichnet 37 in drei Häusern ansässige Juden, die freilich bereits 1652 die Stadt wieder verlassen mussten.[4] Seit den 1740er Jahren erfolgte eine langsame Wiederbelebung jüdischen Lebens, 1787 gab es bereits erneut eine kleine jüdische Gemeinde. 1930 zählte diese 425 Mitglieder, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts über eine eigene Synagoge verfügten. In der Zeit des von den Nationalsozialisten eingerichteten „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ (1939–1945) wurden die jüdischen Bürger in Königgrätz (zwei Prozent der Bevölkerung) systematisch ausgegrenzt, verfolgt, enteignet und seit Ende 1942 in zwei Transporten nach Theresienstadt und nachfolgend nach Auschwitz deportiert, wo die meisten dem Holocaust zum Opfer fielen.
Bildung und Wissenschaft
Für das Jahr 1271 ist eine Pfarrschule an der Heiliggeistkirche belegt (1399: 30 Schüler). Der Bürgermeister Martin Cejp (1568–1599) unterstützte den Neubau der Partikularschule, die zu den ältesten in Mitteleuropa gehörte und an der der spätere Rektor der Prager Universität Johannes Campanus von Wodnian (1572–1622) 1622 lehrte.
Weit über Königgrätz hinaus reichte der Einfluss des vom Reformkatholizismus geprägten und von der Aufklärung und den Josephinischen Reformen beeinflussten Bischofs Johann Leopold von Hay (1735–1794). Auf der Grundlage der Allgemeinen Schulordnung von 1774 wurde die städtische Elementarschule in eine Hauptschule überführt (1777), die seit 1788 auch Mädchen besuchten. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurde das Gymnasium "verstaatlicht“ und später in eine fünfklassige Bildungsanstalt umgewandelt. 1896 öffnete die Städtische Bibliothek ihre Pforten, bereits 1880 das Städtische Historische Museum. Im Oktober 1945 wurde in Königgrätz eine Medizinische Fakultät zur Hochschulausbildung eröffnet, kurz zuvor erfolgte die Eröffnung der Militärischen Flugakademie (Letecká vojenská akademie; LVA). Heute haben mehrere Hochschuleinrichtungen ihren Sitz in Königgrätz. An der Spitze steht die Universität Hradec Králové mit aktuell etwa 8.500 Studenten, die im Jahre 2000 durch die Umbenennung der ehemaligen Pädagogischen Hochschule entstand. Daneben gibt es die Pharmazeutische Fakultät und eine der medizinischen Fakultäten der Karlsuniversität Prag sowie die Fakultät für Militärisches Gesundheitswesen der Universität für Verteidigung (Univerzita obrany).
In Königgrätz wurde der Politiker Rudolf Ritter Lodgman von Auen (1877–1962) geboren, der 1918 als Landeshauptmann der deutsch-österreichischen Provinz Deutsch-Böhmen an den Friedensverhandlungen in Saint–Germain teilnahm und als Vorsitzender der Deutschen Nationalpartei im Prager Parlament saß. Zu den in Königgrätz geborenen Persönlichkeiten gehören darüber hinaus der böhmische Grammatiker Johann Wenzel Pohl (1720–1790), der tschechische Sprachwissenschaftler Václav Hanka (1791–1861), der katholische Dichter Jaroslav Durych (1886–1962), der Historiker Václav Vladivoj Tomek (1818–1905), der Filmregisseur Otakar Vávra (1911–2011) und der Dominikanermönch und spätere Prager Erzbischof Dominik Kardinal Duka ( geb. 1943).
Kunstgeschichte
Die Anfänge der späteren Kathedralkirche des Heiligen Geistes reichen spätestens bis in das 14. Jahrhundert zurück (Chor 1339–1342), das Kirchenschiff selbst erlebte seine Fertigstellung in den 1360er Jahren unter der Gemahlin Kaiser Karls IV. Elisabeth von Pommern (1347–1393), die Sakristei auf der linken Chorseite erst 1497. Eine Feuersbrunst zerstörte 1484 Stadt und Kirche, 1639 plünderten und brandschatzten schwedische Truppen die Kirche. Durch die Gründung des Bistums Königgrätz 1664 als Bastion der Rekatholisierung stieg das Gotteshaus zur Kathedralkirche auf, im Zuge einer umfangreichen Barockisierung 1788/89 wurde das vormals gotische Aussehen überformt. In den Jahren 1864–1876 gestaltete der Architekt František Schmoranz (1814–1902) als Repräsentant der Neugotik die Kirche radikal um, Ludvík Lábler (1855–1930) vollendete 1901 die Türme. Wohl nach einem 1711 von Marc Antonio Canevalle (1654–1711) angefertigten Entwurf erfolgte der Bau der bischöflichen Residenz am Markt. Nördlich des Marktes entstand auf dem Areal der alten Burg 1709–1714 ein später (1769–1790) in spätbarockem Stil umgebautes Priesterseminar.
Nach 1900 konnten die Stadtväter die Begründer der modernen tschechischen Architektur für den Ausbau von Königgrätz gewinnen: Jan Kotěra 1871–1923) errichtete 1903/04 mit dem Anbau des Hotels Urban ein bedeutendes Sezessionswerk, Josef Fňouk (1884–?) übertrug 1911 diesen Stil auf die Innenausstattung. Kotěra zeichnete zudem für den Bau des repräsentativen Museums (1909–1912) verantwortlich. Nach Kotěras Plänen entstand darüber hinaus 1923 die Bibliothek. Zudem wirkten in Königgrätz Josef Gočar (1880–1945) (1929–1933 Gebäude der Staatsbahn, 1932–1935 Bezirks- und Finanzamt) sowie die Brüder Václav (1884–1964) und Jan Rejchl (1899–1985) (u. a. Bahnhofsgebäude und Medizinische Fakultät am Elbufer). 1962 wurde der historische Stadtkern von Königgrätz unter Denkmalschutz gestellt.
Theater- und Musikgeschichte
Die Anfänge des städtischen Theaters reichen bis in das Jahr 1790 zurück, sechs Jahre später etablierte sich im Haus „Beim Goldenen Adler“ eine feste Spielstätte, wobei Aufführungen anfänglich ausschließlich in deutscher Sprache stattfanden. 1885 wurde nach Plänen des örtlichen Architekten Viktor Weinhengst (1855–1903) das im Stil der Neorenaissance und des Klassizismus erbaute Theater, das schon damals den Namen des tschechischen Gymnasialprofessors und Theaterförderers Václav Kliment Klicpera (1792–1859) trug, in der Dlouhá-Gasse eröffnet. Die 1978 gegründete Philharmonie führt die lange Musiktradition der Stadt erfolgreich weiter.
Literatur- und Pressegeschichte
Zeugnis der kulturellen Blüte unter Karl IV. ist die nach 1370 entstandene Königgrätzer Handschrift als einzigartige Sammlung alttschechischer Literatur. Für 1616–1620 ist die Tätigkeit Martin Kleinwechters[5] als erstem Drucker bezeugt, der neben humanistischen Gelegenheitsdrucken vor allem Schriften utraquistischer Erbauungsliteratur herausgab. An der Stelle des Jesuitenkollegs stand das Geburtshaus von Bohuslav Balbín (1621–1688), der 1672–1673 seine anonym verfasste „Apologetische Dissertation für die slawische, insbesondere für die böhmische Sprache“ („Dissertatio apologetica pro lingua Slavonica, praecipue Bohemica“) schrieb und hier das Recht auf die eigene Sprache vehement verteidigte. Seit dem Anfang des 19. Jahrhundert bildete Königgrätz ein Zentrum der nationalen Bewegung. Der Drucker, Verleger und Buchhändler Jan Hostivít Pospíšil (1785–1868) gab hier tschechische Bücher heraus, Josef František Rautenkranz (1776–1817) lehrte vor angehenden Klerikern im Priesterseminar Tschechisch auf der Grundlage einer eigenen Grammatik. Der Schriftsteller und Dramatiker Václav Kliment Klicpera (1792–1859) wirkte ab 1818 als Gymnasialprofessor in Königgrätz und trug maßgeblich zum Aufbau der Stadt als Zentrum der tschechischen Kultur bei.
Karl Joseph Biener Ritter von Bienenberg (1731–1798), Jurist, Hauptmann des Königgrätzer Kreises und Hobbyhistoriker, verfasste 1780 eine Geschichte von Königgrätz bis zum Jahre 1526. Der in Königgrätz geborene Geistliche und Historiker František de Paula Švenda (Schwenda, 1741–1822), der als Sohn des Bürgermeisters die Lateinschule des Jesuitenkollegiums in seiner Vaterstadt besuchte und in Brünn/Brno und Prag Theologie studierte, gab 1799–1818 eine 15bändige – noch heute angesichts fehlender Archivalien kulturhistorisch wertvolle – Chronik zur Geschichte von Königgrätz in der Druckerei Tibelli heraus. Seit den 1870er Jahren erschienen mehrere tschechische Zeitungen (u. a. Slovan und Ratibor).
4. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Karl Joseph Biener von Bienenberg: Geschichte der Stadt Königgrätz. Prag 1780.
- Hugo Brückner: Die Gründung des Bistums Königgrätz. Königstein/Taunus 1964.
- Emanuel Poche (Hg.): Umělecké památky Čech I [Kunstdenkmäler Böhmens]. Praha 1977.
- Otto Urban: Vzpomínka na Hradec Králové. Drama roku 1866 [Erinnerungen an Königgrätz. Das Dramen des Jahres 1866]. Praha 1986.
- Jiří Mikulka: Dějiny Hradce Králové [Geschichte der Stadt Königgrätz], 4 Bde. Hradec Králové 1994.
- Gordon A. Craig: Königgrätz 1866 – eine Schlacht macht Weltgeschichte. 4. Aufl. Wien 1997.
- Rainer Bendel, Thomas Krzenck, Königgrätz. In: Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard, Miloslav Polívka (Hg.): Handbuch der Historischen Stätten: Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998, S. 269–274.
- Miroslav Richter, Eva Semotanová (Hg.): Historický atlas českých měst [Historischer Atlas der böhmischen Städte], Bd. 5: Hradec Králové. Praha 1998.
- Pavel Bělina, Josef Fučík: Válka 1866 [Der Krieg 1866]. Praha-Litomyšl 2005.
- Jakub Potůček: Hradec Králové. Architektura a Urbanismus 1895–2009. [Königgrätz. Architektur und Urbanismus 1895–2009]. Hradec Králové 2009.
- Petr Grulich: Obchodní a živnostenská komora Hradec Králové 1910–1949. (Protektor hospodářských a nacionálně politických zájmů českých podnikatelů na severovýchodě Čech.) [Die Handels- und Gewerbekammer Königgrätz 1910–1949 (Protektor der wirtschaftlichen und national-politischen Interessen tschechischer Unternehmer)]. Hradec Králové 2015.
- Radek Bláha, Petr Grulich, Roman Horký u. a.: Hradec Králové (Dějiny českých měst) [Königgrätz (Geschichte der tschechischen Städte]. Praha 2017.
Periodika
- Jahrbuch des Ostböhmischen Museums: https://www.muzeumhk.cz/eshop/periodika/kralovehradecko-11-2020.html
- Sborník prací východočeských archivů: https://vychodoceskearchivy.cz/home/prezentace-archivu/publikace/publikace-soa
Weblinks
- Stadt Hradec Králové: https://www.hradeckralove.org
- Muzeum východních čech – Museum Ostböhmens: https://www.muzeumhk.cz
- Galerie moderního umění – Galerie der Modernen Kunst: https://www.galeriehk.cz
- Hradec Králové – Universität Königgrätz: https://www.uhk.cz
- Schlacht bei Königgrätz: https://www.koniggratz1866.eu/Uvodni-stranka.html
- Museum des Krieges 1866: https://www.muzeumhk.cz/muzeum-valky-1866/zakladni-info-muzeum-valky-1866.html
- Hl.-Geist-Kathedrale Königgrätz: http://www.dekanstvihk.cz/wp/
Státni oblastní archiv v Hradci Králové – Staatliches Gebietsarchiv Königgrätz: https://vychodoceskearchivy.cz/home/kontakty/statni-okresni-archiv-hradec-kralove/
Anmerkungen
[1] Vgl. Alois Hlavatý: Z bláta do louže [Vom Schlamm zur Pfütze], Hradec Králové 1996.
[2] Radek Bláha, Petr Grulich, Roman Horký u. a.: Hradec Králové (Dějiny českých měst) [Königgrätz (Geschichte der tschechischen Städte]. Praha 2017, S. 418, 449, 554.
[3] Český statistický úřad: Počet obyvatel v obcích – k 1. 1. 2024 [Tschechisches Statistisches Amt: Einwohnerzahl in den Gemeinden – per 1.1.2024]. Praha: Český statistický úřad. 17.5.2024.
[4] Vgl. Lenka Matusíková, Zlatuše Kukanová, Magda Zahradníková (Hg.): Soupis poddaných podle víry z roku 1651. Hradecko – Bydžovsko [Verzeichnis der Untertanen nach ihrem Glauben aus dem Jahre 1651. Kůniggrätz – Bidschow], Bd. 2, Praha 2000.
[5] Lebensdaten nicht zu ermitteln.
Zitation
Thomas Krzenck: Königgrätz/Hradec Králove. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2024. URL: http://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32292 (Stand 18.10.2024).
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