Heimattreffen

1. Definition

Als Heimattreffen werden die organisierten Zusammenkünfte von Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern aus ehemals (auch) von Deutschen bewohnten Gebieten östlich der Oder-Neiße bezeichnet.

Gestaltung und Ablauf

Heimattreffen folgen meist einem festen Ablauf, oftmals mit den Bestandteilen Gottesdienst, Ansprachen/Reden, Kranzniederlegung, Totengedenken, kulturelle Darbietungen ("Volkstumsabend"), Besuch der Heimatstube, gemütlichem Beisammensein. Auch Vorträge zu historischen und kulturellen Themen, Lesungen etc. sind zunehmend üblich. Die Treffen finden oftmals traditionell am selben Ort statt (meist aufgrund einer bestehenden Patenschaft), seit 1989 vermehrt auch im ehemaligen Heimatort. Den Charakter der Treffen unterstreichen die zahlreichen visuellen Zeichen wie Fahnen, Wappen und Trachten, deren Emblematik historisch-retrospektive Züge trägt und der eine gemeinschaftsstiftende bzw. (heimat-)politisch demonstrative Funktion zukommt.

Die größten Heimattreffen stellen deutschlandweite Treffen wie der Sudetendeutsche Tag oder das Schlesiertreffen dar; auf solchen überregionalen Heimattreffen finden auch Zusammenkünfte von Orts-, Ortsteil- bzw. Kreisgruppen statt, die für die Teilnehmer wegen des persönlichen Austauschs oftmals eine besondere Rolle spielen.

2. Historischer Abriss

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Einzug der Fahnenabordnung auf dem Egerlandtag,
Marktredwitz 2001. [Foto: E. Fendl, JKI, Freiburg/Br.,
Sig./ID Dx00240]

Heimattreffen organisierter, formalisierter Form existier(t)en in der Bundesrepublik Deutschland bei nahezu allen Gruppen von Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern seit Ende des Vereinigungsverbots in den Westzonen 1948; inoffizielle Treffen gab es bereits seit Sommer 1945. Organisiert werden sie von Heimatgruppen, Heimat(orts)gemeinschaften oder Heimatkreisen, landsmannschaftlichen Vereinigungen auf Orts-, Kreis-, Landes- oder Bundesebene. Aufgrund sinkender Mitgliederzahlen und des Zurücktretens der sog. Erlebnisgeneration sind die Teilnehmerzahlen seit Jahren rückläufig; konnte z. B. die Sudetendeutsche Landsmannschaft bis in die 1970er Jahre hunderttausende Teilnehmer aufbieten,[1] sind es in den letzten Jahren nur noch wenige Zehntausend.[2]

In der SBZ/DDR fanden wahrscheinlich seit 1947/48 Vertriebenentreffen im Leipziger und Hallenser Zoo statt, die keine feste Organisationsstruktur, aber z. T. feste Termine hatten und vom Ministerium für Staatssicherheit mindestens bis Ende der 1960er Jahre beobachtet wurden.[3]

3. Forschungsstand

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Treffen der Heimatkreise auf dem Sudetendeutschen
Tag, Augsburg 2009.
[Foto: E. Fendl, JKI, Freiburg/Br., Ex. 00001]

In der Forschung werden Heimattreffen als Teil der Vertriebenenkultur mit berücksichtigt. Frühe Arbeiten hoben dabei den Charakter der Heimattreffen als Versuch des Rückgriffs auf soziale Kontexte des Herkunftsorts heraus ("Heimat ohne Ort", vgl. Hanika, Karasek-Langer), während neuere Untersuchungen Symbole, Formensprache, Inszenierungen, die oftmals Rückgriffe auf in der Zwischenkriegszeit entstandene bzw. verfestigte Elemente darstellen, in dem Mittelpunkt rücken. Diese Verschiebung der Forschungsperspektiven spiegelt auch die Verlagerung des Schwerpunkts der Heimattreffen selbst vom vorübergehenden Heimatersatz zu Veranstaltungen mit überwiegend politisch-demonstrativem bzw. nostalgischem Charakter wider.

4. Diskurse/Kontroversen

Kontroverse Aufmerksamkeit bei den Medien in Deutschland und den Nachbarstaaten, insbesondere in Polen und Tschechien, finden die Äußerungen von hochrangigen Landsmannschaftsvertretern und prominenten Politikern auf den Großkundgebungen der Deutschlandtreffen. Das gilt vor allem für zunächst geäußerte Rückkehrhoffnungen (vgl. Bundeskanzler Adenauer beim Schlesiertreffen 1953)[4] bzw. Forderungen nach einer Grenzrevision (im Zuge einer Wiedervereinigung Deutschlands) sowie Forderungen an die Nachbarländer wie solche nach Entschädigungszahlungen oder Aufhebung der sog. Beneš-Dekrete, die die Sudetendeutsche Landsmannschaft bis heute an den tschechischen Staat stellt.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Heike Amos: Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990. München 2009 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer).
  • Andrew Th. Demshuk: The Lost German East. Forced Migration and the Politics of Memory, 1945–1970. Cambridge 2012.
  • Josef Hanika: Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung. Methodische Forschungsanleitung am Beispiel der deutschen Gegenwart. Salzburg 1957 (Verband der Vereine für Volkskunde, Kommission für Volkskunde 1), S. 126ff.
  • Alfred Karasek-Langer: Volkstum im Umbruch. In: Eugen Lemberg (Hg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. 3 Bde. Kiel 1959, Bd. 1, S. 606–694.
  • Matthias Stickler: "Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch". Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzung der deutschen Vertriebenenverbände 1949–1972. Düsseldorf 2004 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 46).
  • Michael Schwartz: Vertriebene und "Umsiedlerpolitik". Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945–1961. München 2004 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 61).

Weblinks

Anmerkungen

[1] Stickler: Ostdeutsch, S. 157.

[2] z. B. 10.000 im Jahr 2010: www.faz.net/aktuell/politik/sudetendeutscher-tag-seehofer-kuendigt-besuch-in-prag-an-1653756.html.

[3] Amos: Vertriebenenpolitik, S. 32–42.

[4] siehe: www.youtube.com/watch?v=ZhwsBsvbB8w (Abruf 08.12.2011).

Zitation

Heinke M. Kalinke: Heimattreffen. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2012. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32818 (Stand 10.08.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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