Landeshut/Kamienna Góra

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Landeshut, bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auch Landshut.

Amtliche Bezeichnung

poln. Kamienna Góra

Etymologie

Die Herkunft des Namens "Landeshut" ist nicht eindeutig geklärt. Die mittelalterliche Burganlage wird in der polnischen Literatur als straż (= Wache) bezeichnet.

2. Geographie

Lage

Landeshut liegt auf 50° 47' nördlicher Breite, 16° 20' östlicher Länge, etwa 26 km südöstlich von Hirschberg/Jelenia Góra und etwa 90 km südwestlich von Breslau/Wrocław.

Topographie

Landeshut liegt am Fluss Bober (poln. Bóbr), in der Senke zwischen dem zum Riesengebirge (Karkonosze) gehörenden Landeshuter Kamm (Rudawy Janowickie) und dem Waldenburger Bergland (Góry Walbrzyskie) sowie dem Rabengebirge (Góry Krucze) auf 468 m Höhe.

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Landeshut ist eine Kreisstadt in der Woiwodschaft Niederschlesien (Województwo dolnośląskie) in Polen. Die Stadt ist Sitz des Landkreises Landeshut (Powiat Kamiennogórski). Stadt und Landkreis sind Mitglied in der Euroregion Neisse (Nisa, Nysa).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Der älteste Nachweis eines Stadtsiegels datiert von 1371. Das Wappen von Landeshut ist zweigeteilt. Die linke Seite zeigt eine zweitürmige Wehranlage auf blauem Grund, rechts befindet sich ein in Silberfarbe gehaltener Ritter in wehrhafter Ausrüstung auf rotem Grund.

Mittelalter

Besiedlung und wirtschaftliche Erschließung wurden durch die schlesischen Piasten gefördert, insbesondere durch die 1242 gegründete Benediktinerpropstei Grüssau/Krzeszów, ab 1292 Zisterzienserabtei, zu deren Besitz das spätere Stadtgebiet gehörte. Die Siedlung wurde vermutlich 1289/1292 nach deutschem Recht angelegt. Hier kreuzten sich zwei strategisch wichtige Verkehrsverbindungen. 1334 bestätigte Herzog Bolko II. von Schweidnitz-Jauer (1308–1368) die Stadtrechte. Landeshut entwickelte sich zu einem bedeutenden Zentrum der Tuchmacherei, des Garn- und Leinenhandels.

1368/1392 fiel das Herzogtum Schweidnitz-Jauer an Böhmen. Beim Hussiteneinfall 1426 kam es zur völligen Zerstörung der Stadt.

Neuzeit

1526 übernahmen die Habsburger die Herrschaft in Schlesien. Der Dreißigjährige Krieg führte zu einem gravierenden wirtschaftlichen Niedergang.

Nach dem ersten Schlesischen Krieg 1742 fiel Landeshut an Preußen. Mit der Neuordnung Preußens 1815 expandierte die Stadt, die Wehranlage wurde niedergelegt, das Stadtgebiet erweitert. Ab 1816 wurde Landeshut Sitz des gleichnamigen Landkreises in der Provinz Schlesien, Regierungsbezirk Liegnitz (Legnica).

1903 wurde ein neues Kreiskrankenhaus (Mariannenstift) eingeweiht, 1904 der Betrieb in der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Volksheilstätte aufgenommen (heute Medizinische Fachklinik für Orthopädische Chirurgie, Rheumatologie und Rehabilitation [Dolnośląskie Centrum Rehabilitacji Sp. z o. o. Kamienna Góra]). Zwischen 1903 und 1928 kam es zur Eingemeindung mehrerer Orte.

Zeitgeschichte

Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 entfielen im Landkreis Landeshut von 47.163 der abgegebenen gültigen Stimmen 25.586 auf die NSDAP.[1] Während des Zweiten Weltkrieges unterhielt die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) in Landeshut ein Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen. Das dafür genutzte unterirdische Stollensystem wird heute für touristische Zwecke genutzt. Viele Betriebe stellten während des Krieges auf Rüstungsproduktion um. Auswärtige Firmen verlagerten ihre kriegsbedingten Produktionsstätten nach Landeshut.

Die Stadt wurde am 9. Mai 1945 kampflos von der Roten Armee eingenommen, der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung 1946–1948 vertrieben. Ab 1945 kamen polnische Neusiedler nach Landeshut.

Bevölkerung

Für das Jahr 1787 sind 2.790 Einwohner nachgewiesen. Die Bevölkerung wuchs im 19. und 20. Jahrhundert kontinuierlich. 1843 lebten in Landeshut 5.076, 1890 bereits 7.572 und 1933 13.907 Menschen. 1939 hatte Landeshut 13.461 Einwohner,[2] 2012 waren es 20.342.[3]

Wirtschaft

Für das Jahr 1658 ist eine Zunft der Züchner (Bettzeugweber) belegt. 1677 schlossen sich die Kaufleute zu einer Kaufmanns-Sozietät zusammen. Die frühindustriellen Unruhen des 18. Jahrhunderts und die Schlesischen Weberaufstände 1844–1848 ergriffen auch die Landeshuter Weber. Mithilfe technischer Neuerungen expandierte die Textilindustrie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bedeutende Betriebe waren u. a. die Weberei und Flachsspinnerei Kramsta-Methner & Frahne A.G. sowie die jüdischen Unternehmen Leinen- und Gebildweberei Grünfeld, Leinenindustrie Albert Hamburger AG und die Rinkel AG (die jüdischen Betriebe wurden nach 1933 "arisiert") . Daneben ließen sich eine Reihe mittelständischer Industriebetriebe in der Stadt nieder. 1849 wurde die Handelskammer Landeshut gegründet.

Der wirtschaftliche Aufschwung wurde optimiert durch die Anbindung der Stadt an das schlesische Hauptschienennetz (1869–1905). Bis 1989 war die Textilindustrie vorherrschend.

Gesellschaft

Das gesellschaftliche Leben der Stadt wurde seit dem Mittelalter durch die Zünfte und die Kirchen bestimmt. 1897 traten die Landeshuter Textilfacharbeiter dem Deutschen Textilarbeiter-Verband bei. Eine Kuriosität war der "Karnöffel-Bürgerunterstützungsverein", der in einem kombinierten Würfel- und Kartenspiel das spielerische mit dem sozialen Element verband.

Religions- und Kirchengeschichte

Die Stadtpfarrkirche St.-Peter-und-Paul wurde erstmals 1294 erwähnt. Nach der Einführung der Reformation setzte sich in Landeshut mehrheitlich die protestantische Lehre durch. Zwischen 1562 und 1654 fanden evangelische Gottesdienste in der bisher katholischen Stadtpfarrkirche statt. Zur Zeit der Gegenreformation erfolgte die habsburgische Rekatholisierung. Im Zuge der Altranstädter Konvention kam es 1707 zum Bau der evangelischen Gnadenkirche Zur-Heiligen-Dreifaltigkeit.

Ab 1812 ließen sich jüdische Siedler in Landeshut nieder; 1858 wurde eine Synagoge errichtet, die 1938 zerstört wurde. Die jüdischen Einwohner fielen mehrheitlich der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum Opfer. Die heutige polnische Bevölkerung ist überwiegend katholisch.

Bildung und Wissenschaft

Die 1709 der Gnadenkirche angeschlossene Lateinschule wurde nach der Säkularisation als Stadt- und Bürgerschule, später als Realgymnasium weitergeführt. Die Stadt verfügte als Mittelzentrum über mehrere konfessionsgebundene Volksschulen, über eine städtische Mittelschule sowie über berufliche Aus- und Weiterbildungsstätten. Nach 1945 knüpfte das polnische Staatliche Gymnasium an die Tradition an. An der Lateinschule wirkte von 1743–1757 als musikalischer Leiter der Musikpädagoge und Schriftsteller Ernst Daniel Adami (1716–1795). Für die allgemeine Bildung in Landeshut war die 1727 gestiftete "von Wallenberg-Fenderlinsche Bibliothek" bedeutsam. 1949 gelangte der Bestand in die Universitätsbibliothek Warschau/Warszawa, 1968 wurde ein großer Teil davon der Universitätsbibliothek Lodz/Łódź übergeben. 1932 etablierte sich ein Heimatmuseum, dessen Sammlungen nach 1945 in das Schlesische Webereimuseum übergingen.

Kunstgeschichte

Im historischen Zentrum befinden sich etliche barocke Patrizierhäuser und Bauten des 19. Jahrhunderts. Das 1905 im Stil der Neorenaissance errichtete Rathaus besitzt Treppenhäuser mit neugotischen Gewölbedecken und im Ratssaal drei Glasfenster von Eduard Kämpffer (1859-1926).

Der älteste Gebäudeteil der Stadtpfarrkirche St.-Peter-und-Paul stammt aus dem 14. Jahrhundert. Wertvoll sind der Renaissancealtar, das steinerne Taufbecken von 1580, die barocke Kanzel und die Orgelempore. Der Flügelaltar der hl. Anna (1520) wurde nach 1945 in das Breslauer Nationalmuseum verbracht. Die Wandmalereien aus dem 19. und 20. Jahrhunderts stammen von Josef Langer (1865–1918) und Jan Molga (1917–2001).

Die Gnadenkirche wurde 1709–1720 nach Plänen von Martin Frantz aus Reval/Tallinn errichtet. Wertvolle Ausstattungsstücke waren der Altar mit dem Hauptmotiv der hl. Dreifaltigkeit, die Kanzel von 1722 sowie die Menzel-Orgel von 1723. Die Inneneinrichtung wurde in den 1950er Jahren demontiert und in die Warschauer Garnisonkirche verbracht. Nach der Übernahme durch die polnische katholische Gemeinde erhielt die Kirche den Namen "Rosenkranzkirche" (Kośćiół Matki Boskiej Różańcowej) und erfuhr 1958–1966 grundlegende Veränderungen. Die Ausmalungen stammen von Jan Molga und Paul Mitka (1904–1979).

In Landeshut wurde der Baumeister und Architekt Carl Gotthard Langhans (1732–1808) geboren, der das Brandenburger Tor in Berlin schuf. Auch der Maler und Grafiker Friedrich Iwan (1889–1967) stammt aus Landeshut.

Presse

1871 gab der Buchdruckereibesitzer und Verleger Armin Werner das Landeshuter Tageblatt heraus. Ein 1840 gegründetes Wochenblatt erhielt 1865 die Bezeichnung Landeshuter Kreisblatt, ab 1922 Landeshuter Zeitung. 1904 gründete der Arbeitersekretär Hermann Krätzig MdR (1871–1954) das Parteiblatt Landeshuter Volkszeitung.

Erinnerungskultur

Die Stadt Wolfenbüttel (Niedersachsen) pflegt seit 1951 eine Patenschaft/ Partnerschaft mit Landeshut. Die Sammlungen der Landeshuter Heimatstube wurden 2013 als Dauerleihgabe dem Webereimuseum in Landeshut (Muzeum Tkactwa w Kamiennej Górze) übergeben.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Grzegorz Grajewski: Kamienna Góra/Landeshut. In: Ernst Badstübner, Dietmar Popp, Andrzej Tomaszewski, Dethard von Winterfeld (Hg.), Sławomir Brzezicki, Christine Nielsen (Bearb.): Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen. Schlesien. München, Berlin 2005, S. 419–421.
  • Erich Kunick (Hg.): Heimatbuch des Kreises Landeshut in Schlesien. 2 Bde. Landeshut 1929 (Neuauflage Wolfenbüttel 1954).
  • Wolfgang Kraus, Brigitte Riedel, Karl-Heinz Wehner (Hg.): Geschichte der evangelischen Gnadenkirche Landeshut/Schlesien. Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum der Grundsteinlegung 17092009. Wolfenbüttel 2010 (Schriftenreihe des Arbeitskreises Landeshut 5).
  • Muzeum Tkactwa Dolnośląskiego w Kamiennej Górze (Hg.): Z dziejów Kamiennej Góry [Aus der Geschichte Landeshuts]. Kamienna Góra 2005.
  • Wilhelm Carl Adolph Perschke: Verzeichniß der öffentlichen von Wallenberg-Fenderlinschen Bibliothek zu Landeshut in Schlesien, nebst eingestreuten Erläuterungen und einer Geschichte dieser Stiftung. Landeshut 1829.
  • Barbara Skoczylas-Stadnik: Kościół Łaski w Kamiennej Górze [Die Gnadenkirche in Landeshut]. Legnica 2012.

Weblinks

Anmerkungen

[1] www.verwaltungsgeschichte.de/landeshut.html (Abruf 15.09.2013).

[2] Nach Kunick: Der Kreis Landeshut in Zahlen. In: Ders.: Heimatbuch, S. 631 ff.

ders.: Zahlen zur Landwirtschaft und zur Bevölkerung unseres Kreises. In: ders.: Heimatbuch (1954), S.187-190; www.landeshut.info (Abruf 15.09.2013).

[3] www.citypopulation.de/php/poland-dolnoslaskie_d.php?cityid=0207011 (Abruf 15.09.2013).

Zitation

Inge Steinsträßer: Landeshut/Kamienna Góra. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32532.html (Stand 30.07.2021).

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