Lodz/Łódź

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Lodz, Lodsch, Litzmannstadt (1940–1945)

Amtliche Bezeichnung

poln. Łódź

Anderssprachige Bezeichnungen

lat. Lodzia; jidd. Lodzh

Etymologie

Ein Dorf "Lodzia" ist erstmals für die 1330er Jahre belegt. Bis zum 16. Jahrhundert wurden die Namensvariationen mit der Endung "a" geschrieben: Lodza, Lodzya, Łodzia. Erst im 18. Jahrhundert kommt die moderne Form "Łódź" bzw. "Lodz" vor. Oft wird angenommen, der Städtename leite sich vom Namen des naheliegenden Flusses Łódka ab. Wahrscheinlich geht er jedoch auf das altpolnische Wort łodzia (= Fischerboot, kleines Schiff; Łódź bedeutet auch "Boot") zurück. Andere Hypothesen berufen sich auf den Namen "Wodzisław", auf eine Herleitung von łoza (= Weidengebüsch) oder von ród (= Stamm).[1]

2. Geographie

Lage

Lodz liegt auf 51º 45' nördlicher Breite und 19º 28' östlicher Länge, ca. 130 km westlich von Warschau/Warszawa.

Topographie

Lodz liegt in der Nähe der Quellen von Ner und Bzura. Bis heute prägen Wälder die Umgebung der Stadt. Die zahlreichen Bäche und Flüsse waren wichtig für die Industrialisierung der Stadt.

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Polen. Lodz ist Hauptstadt der Woiwodschaft Lodz. Die Stadt ist kreisfrei, dient aber als Sitz des Kreises Ost-Lodz (powiat łódzki wschodni). Lodz ist zudem Sitz des gleichnamigen Erzbistums der Römisch-Katholischen Kirche, Sitz der Diözese Lodz-Posen der Polnisch-Orthodoxen Kirche und Sitz der Diözese Warschau der Evangelisch-Augsburgischen Kirche.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Stadtwappen zeigt ein goldenes Boot (poln. łódź) mit Ruder auf rotem Schild. Die Stadtflagge ist Rot-Gold mit mittig platziertem Wappen.

Bild

Stadtansicht Lodz/Łódź (Postkarte: vor 1939)
[Herder-Institut, Marburg, Bildarchiv,
Inv.-Nr. 191536].

Gebräuchliche oder historische Beinamen

Wegen ihrer Textilindustrie erhielt die Stadt im 19. Jahrhundert den Beinamen "polnisches Manchester". Der Begriff "Das Gelobte Land" wurde durch den Roman Ziemia Obiecana (1899) von Władysław Reymont populär, obwohl der Autor diesen Namen ironisch gebrauchte. Der Schriftsteller Zygmunt Bartkiewicz (1867–1944) bezeichnete Lodz als złe miasto (die böse Stadt). Solchen negativen Darstellungen wird heute entgegengearbeitet. Da die wichtigste Filmschule Polens in Lodz ansässig ist, wird die Stadt auch liebevoll "HollyŁódź" genannt.

Mittelalter

Erstmalig erwähnt wurde das Dorf 1332.[2] Im Jahr 1423 erhielt Lodz von Władysław II. Jagiełło (vor 1362–1434) das Magdeburger Stadtrecht. Bis 1798 war die Stadt im Besitz des Bischofs von Włocławek (Leslau/Kujawien).

Neuzeit

Nach der Zweiten Teilung Polens (1793) wurde Lodz zunächst Preußen angegliedert, ab 1807 dem Herzogtum Warschau und 1815 dem Königreich Polen ("Kongresspolen"). Die Stadt ist für ihr rasantes Wachstum, Industrialisierung, Arbeiterbewegung und Streiks im 19. und frühen 20. Jahrhundert bekannt. Die boomende Textilindustrie zog tausende von deutschsprachigen Einwanderern, u. a. aus Böhmen, Sachsen und Schlesien, sowie jiddisch- und polnischsprachige Einwanderer aus den überwiegend ländlichen Regionen Kongresspolens an. Das rapide Wachstum führte immer wieder zu Streiks und Unruhen, u. a. dem sog. Lodzer Aufruhr (Bunt Łódzki) von 1892, einem mehrtägigen blutigen Konflikt zwischen Aufständischen und russischen Truppen. Lodz war zudem einer der Hauptschauplätze der Russischen Revolution 1905–1907.

Im Zuge des Ersten Weltkriegs wurde die Stadt im Dezember 1914 von deutschen Truppen eingenommen und 1915 dem "Generalgouvernement Warschau" angegliedert; sie blieb bis 1918 unter deutscher Besatzung.

Im neugegründeten polnischen Staat der Zwischenkriegszeit wurde Lodz zum Woiwodschaftssitz. Die Lodzer Wirtschaft erholte sich jedoch nur langsam vom Verlust der russischen Absatzmärkte, sodass Fabrikarbeiter mehrere Streiks, u. a. 1928, 1933 und 1938, organisierten.

Zeitgeschichte

1918 gründete u. a. der ortsansässige Kaufmann Adolf Eichler die Deutsche Volkspartei, die nach den Wahlen zur Polnischen verfassunggebenden Nationalversammlung (1919–1922) aufgelöst wurde. In den 1920er Jahren war die Deutsche Sozialistische Arbeitspartei Polens, die mit der Polnischen Sozialistischen Partei kooperierte, die größte Partei der Deutschen in Lodz. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland kam es im April 1933, am sog. Schwarzen Palmsonntag, zu anti-deutschen Ausschreitungen.

Bild

Markttreiben auf dem Marktplatz von Lodz/Łódź
(Postkarte: vor 1916) [Herder-Institut, Marburg,
Bildarchiv, Inv.-Nr. 191543].

In den 1930er Jahren gewann der 1924 von August Utta (1886–1940) und Joseph Spickermann (1870–1947) gegründete Deutsche Volksverband an Bedeutung und behauptete die eigenen regionalen Interessen sowohl gegenüber der Deutschen Vereinigung aus Posen-Pommerellen als auch gegenüber der Jungdeutschen Partei aus Bielitz/Bielsko-Biała. Die zunehmende Radikalisierung der Lodzer Deutschen, besonders durch Ludwig Wolff (1908–1988), der ab 1938 DVV-Führer war, trug dazu bei, dass viele "Volksdeutsche" in Lodz während des Zweiten Weltkriegs zur Kollaboration mit den deutschen Besatzern bereit waren.

Nach der Zerschlagung Polens wurde Lodz im November 1939 dem Deutschen Reich angegliedert (Reichsgau Posen, später Wartheland oder "Warthegau") und im April 1940 in "Litzmannstadt" (nach dem deutschen General Karl Litzmann, 1850–1936) umbenannt. In der Stadt befand sich der Sitz der Einwandererzentralstelle und der Umwandererzentrale, die zentral für die "Germanisierung" und den Holocaust im Reichsgau Wartheland waren. Die Lodzer Juden wurden im Frühjahr 1940 in ein Ghetto im Norden der Stadt (Bałuty) verbracht. Ende 1941 wurde im nahegelegenen Kulmhof/Chełmno ein Vernichtungslager errichtet, in dem ein großer Teil der Ghettoinsassen ermordet wurde. Auch Juden, Polen und Roma aus den annektierten und okkupierten polnischen Gebieten wurden dorthin deportiert. Weitere Opfer stammten aus Deutschland, Österreich, dem "Protektorat Böhmen und Mähren" sowie anderen europäischen Ländern. Am 19. Januar 1945 wurde Lodz von sowjetischen Truppen von der deutschen Besatzung befreit.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit war Lodz aufgrund der starken Zerstörung Warschaus de facto Hauptstadt Polens. Die Stadt wurde ein wichtiges Zentrum jüdischen Lebens für Holocaust-Überlebende und Evakuierte aus der Sowjetunion.

Anfang 1971 protestierten Textilarbeiterinnen gegen die drastische Erhöhung der Lebensmittelpreise, die daraufhin von der kommunistischen Regierung zurückgenommen wurde. In den 1980er Jahren war die Stadt ein Zentrum der Solidarność-Bewegung.

Verwaltung

Der Stadtpräsident wird im Rahmen von Kommunalwahlen (wybory samorządowe) gewählt, die alle vier Jahre stattfinden. 2011 hatte der Stadtrat 43 Mitglieder.

Bevölkerung

1820 hatte Lodz lediglich 799 Einwohner.[3] Nach 1820 verzeichnete die Stadt ein rapides Wachstum, hauptsächlich aufgrund der wachsenden Textilindustrie. Große Bevölkerungsverluste erlitt sie während des Ersten und vor allem während des Zweiten Weltkriegs.

Die Nationalitätenstruktur der Stadt Lodz vor dem Ersten Weltkrieg (nach Wiesław Puś):[4]

 

1897

 

1913

 

Nationalität

in Tsd.

%

in Tsd.

%

Polen

145,6

46,4

251,7

49,7

Juden

92,4

29,4

171,9

34,0

Deutsche

67,3

21,4

75,0

14,8

Russen

7,4

2,4

6,3

1,3

Andere

1,3

0,4

1,2

0,2

Insgesamt

314,0

100,0

506,1

100,0

Die Nationalitätenstruktur der Stadt Lodz in der Zwischenkriegszeit:[5]

 

1921

 

1931

 

Nationalität

Anzahl

%

Anzahl

%

Polen

279.846

61,9

356.987

59,0

Juden

138.851

30,7

191.720

31,7

Deutsche

31.670

7,0

53.562

8,9

Andere

1.607

0,4

2.353

0,4

Insgesamt

451.974

100,0

604.629

100,0[6]

Nach Schätzungen gab es 1939 etwa 388.000 Polen, 230.000 Juden und 60.000 Deutsche in der Stadt.[7] 1945 hatte die Stadt ungefähr 300.000 Einwohner, diese Zahl stieg in den folgenden Jahrzehnten an. Seit 1990 sind die Bevölkerungszahlen rückläufig.

Bevölkerungsentwicklung nach dem Statistischen Büro der Stadt Lodz (in Tsd.):[8]

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

2009

2010

2011

798,3

835,7

847,9

848,3

823,2

798,4

767,6

742,4

730,6

725,1

In der Woiwodschaft Lodz wohnten 2011 2.538.677 Menschen, darunter 1.489, die sich als Deutsche bezeichneten.[9]

Wirtschaft

Während des Zweiten Weltkriegs enteigneten die deutschen Besatzer die jüdischen Laden- und Fabrikbesitzer. Weil die Produktionskapazitäten der Baumwollindustrie im Deutschen Reich den Bedarf deckten, schlossen die Deutschen viele kleinere und mittlere Betriebe in Lodz.[10] Nach dem Krieg wurden weitere Betriebe verstaatlicht. Der politische Umbruch 1989/90 und insbesondere der damit verbundene Verlust von Absatzmärkten für Textilien in der ehemaligen Sowjetunion trafen die lokale und regionale Wirtschaft hart. Trotzdem spielt die Textilindustrie bis heute eine wichtige Rolle, wie auch die elektrotechnische, die Maschinenbau- und die chemische Industrie. Einige internationale Firmen (Gillette, Dell Computers) haben Niederlassungen in Lodz. Die ehemalige Poznański-Textilfabrik wurde 2006 als Manufaktura-Einkaufszentrum wiedereröffnet.

Gesellschaft

Der Zusammenbruch der Textilindustrie und anderer Branchen nach 1989 brachte große soziale Veränderungen mit sich: 1995 lag die Arbeitslosenquote bei 15,6 Prozent, bis 2007 hatte sie sich auf 8,5 Prozent verringert.[11] Im Vergleich zu anderen polnischen Großstädten verzeichnet Lodz jedoch noch immer eine hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Gehälter.[12]

Religions- und Kirchengeschichte

1931 waren von 604.600 Einwohnern 340.200 (56,3 Prozent) Katholiken, 56.100 (9,3 Prozent) Protestanten, 202.500 (33,5 Prozent) Juden und 5.800 (0,9 Prozent) einer anderen Konfession zugehörig. Die deutsche Minderheit gehörte überwiegend der Evangelisch-Augsburgischen Kirche an. In der Woiwodschaft Lodz bekennen sich 2.022.825 Menschen zur Römisch-Katholischen und 27.500 zur Orthodoxen Kirche (Polski Autokefaliczny Kościół Prawosławny). Unter den Protestanten gehört die größte Gruppe (3.902 Menschen) der Evangelisch-Augsburgischen Kirche an.[13] 2011 umfasste die jüdische Gemeinde in Lodz einige hundert Polen. Zu ihrem religiösen Leben gehören zwei Synagogen, eine Mikwe und ein jüdisches Kulturzentrum.

Besondere kulturelle Institutionen

Das Stadtmuseum (Muzeum Miasta Łodzi) befindet sich im Poznański-Palast und bietet u. a. ein Pantheon großer Persönlichkeiten aus Lodz (u. a. Karl Dedecius). In der ehemaligen "Weißen Fabrik" von Ludwig Geyer ist heute das Zentrale Textilmuseum (Centralne Muzeum Włókiennictwa w Łodzi) untergebracht und das Manufaktura-Einkaufszentrum beherbergt ein Museum zur Geschichte der ehemaligen Poznański-Fabrik. Des Weiteren gibt es das Museum der Unabhängigkeitstraditionen (Muzeum Tradycji Niepodległościowych), das Archäologische und das Ethnologische Museum (Muzeum Archeologiczne i Etnograficzne w Łodzi). Die Filiale des Staatsarchivs und die Stadt- und Regionalbibliothek enthalten Sammlungen zur Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung. Von Bedeutung sind darüber hinaus die lokalen Büros der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) und des Instituts für Nationales Gedenken (IPN). Die Stadt hat mehrere Theater (Teatr Muzyczny, Teatr Nowy, Teatr im. Stefana Jaracza), darüber hinaus eine Musikakademie und mehrere Orchester. Die Oper von Lodz befindet sich im Großen Theater (Teatr Wielki). Die Philharmonie ist nach dem Komponisten und Pianisten Artur Rubinstein (1887–1982) benannt, der in Lodz geboren wurde.

Bildung und Wissenschaft

In Lodz sind mehrere Hochschulen, u. a. die Universität (Uniwersytet Łódzki), die Technische Universität (Politechnika Łódzka) und die Medizinische Universität (Uniwersytet Medyczny), angesiedelt. Die Staatliche Hochschule für Film, Fernsehen und Theater (Państwowa Wyższa Szkoła Filmowa, Telewizyjna i Teatralna im. Leona Schillera w Łodzi) genießt internationales Ansehen. Das Marek-Edelman-Zentrum für Dialog (Centrum dialogu im. Marka Edelmana w Łodzi) versteht sich als Forum für historische und aktuelle Fragen der Interkulturalität.

Bild


Die Piotrowska-Straße in Lodz/Łódź
(Postkarte: vor 1910) [Herder-Institut, Marburg,
Bildarchiv, Inv.-Nr. 191603].

Kunstgeschichte

Entlang der Piotrkowska-Straße befinden sich architektonisch interessante Bürgerhäuser, Paläste und Kirchen im Stil des Neobarock, der Neogotik und des Neoklassizismus. Einzigartig ist das architektonische Erbe der Industriekultur, z. B. die Poznański-Fabrik und die Scheibler-Fabrik (Księży Młyn). Der Architekt Daniel Libeskind wurde 1946 in Lodz geboren.

Druckgeschichte

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere polnische, jiddische und deutsche Lokalzeitungen. Die wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen der Zwischenkriegszeit waren die bürgerliche Neue Lodzer Zeitung, die konservativ-nationalistische Lodzer Freie Presse und die sozialistische Lodzer Volkszeitung. Seit der Wende dominieren Lokalausgaben der großen Tageszeitungen sowie der Dziennik Łódzki, dessen Ursprünge im 19. Jahrhundert liegen.

Literatur

Lodz diente als Kulisse für dystopische Geschichten, welche die industrialisierte Stadt anprangern, u. a. die Romane Ziemia Obiecana (Das gelobte Land) von Władysław Reymont (1899) und Złe miasto: Obrazy z 1907 roku (Die böse Stadt: Bilder aus dem Jahre 1907) von Zygmunt Bartkiewicz (1911). Im Lodz von 1919 spielt der Roman Hotel Savoy von Joseph Roth (1924). Der Übersetzer und Autor Karl Dedecius (1921–2016), der ein sympathischeres Bild der Stadt und ihres multiethnischen Charakters zeichnet, wurde in Lodz geboren.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Die Stadt beruft sich auf eine multiethnische Vergangenheit, die in der touristischen Werbung romantisch verklärt wird. Von 2002 bis 2009 gab es das Festival "Dialog der vier Kulturen", das inzwischen in neuer Form wiederbelebt wurde (neuer Name: Festival der vier Kulturen). Entlang der Piotrkowska-Straße stehen Denkmäler für Persönlichkeiten der Stadt (u. a. Władysław Reymont, Julian Tuwim, Artur Rubinstein und die Industriellen Karl Scheibler, Izrael Poznański und Ludwik Grohman). Auf dem Areal des ehemaligen Ghettos und auf dem jüdischen Friedhof sind Tafeln sowie Wandbilder angebracht, die an den Holocaust erinnern. Des Weiteren gibt es eine Gedenkstätte und ein Museum am Bahnhof Radegast/Radogoszcz, von dem aus ab 1942 die Deportation aus dem Lodzer Ghetto in die Todeslager stattfand. Im "Park der Überlebenden" (Park Ocalałych) wurde 2009 den "Gerechten unter den Völkern" ein Denkmal gewidmet.

In Deutschland ist Lodz bekannt durch das Lied "Theo, wir fahr'n nach Lodz", einen Schlager von Vicky Leandros (1974), der auf ein jiddisches Lied zurückgeht.

4. Diskurse/Kontroversen

Die deutsche Geschichtsschreibung über Lodz hat sich vor allem mit den in der Stadt lebenden Deutschen befasst. Die Hauptträger dieses "deutschen Lodz" waren die Vertriebenenorganisationen von Deutschen aus Polen, insbesondere die Landsmannschaft Weichsel-Warthe, sowie Institute für die Erforschung Ostmitteleuropas. In der Nachkriegszeit war die in Deutschland präsente Erinnerung an das "deutsche Lodz" daher hauptsächlich eine unkritische Opfer- und Märtyrergeschichte. Dies wird besonders im Hinblick auf die deutsche Minderheit in der Zwischenkriegszeit sowie in der Ausblendung des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs deutlich.[14] Schon vor dem Ersten Weltkrieg stellte die Multiethnizität der Stadt, die auch im Begriff "lodzermensch" bzw. "Lodzer Mensch" ihren Ausdruck fand, für viele ein Problem der Entnationalisierung dar. Nach 1989 sind die multiethnischen Ursprünge von Lodz weitgehend positiv umgewertet worden. In neueren Erzählungen werden der traditionellen Trias von Deutschen, Polen und Juden nun auch Russen hinzugefügt.[15] Kontrovers diskutiert wird die erzwungene Kooperation des Vorsitzenden des Judenrats im Ghetto in Lodz, Chaim Mordechai Rumkowski (1877–1944), mit den deutschen Besatzern.

5. Bibliographische Hinweise

Fachliteratur

  • Winson Chu: The "Lodzermensch". From Cultural Contamination to Marketable Multiculturalism. In: Kristin Kopp, Joanna Niżyńska (Hg.): Germany, Poland and Postmemorial Relations. In Search of a Livable Past. New York, Basingstoke (UK) 2012, S. 239–258.
  • Stefan Dyroff, Krystyna Radziszewska, Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Lodz jenseits von "Fabriken, Wildwest und Provinz". Kulturwissenschaftliche Studien über die Deutschen in und aus den polnischen Gebieten. München 2009 (Polono-Germanica 4).
  • Jürgen Hensel (Hg.): Polen, Deutsche und Juden in Lodz 1820–1939. Eine schwierige Nachbarschaft. Osnabrück 1999 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 1).
  • Beate Kosmala: Schwierigkeiten des Gedenkens. Das Ghetto Litzmannstadt als Erinnerungsort in Polen und Deutschland. In: Zeitschrift für Geschichte 55 (2007), S. 743–763.
  • Andreas Kossert: "Gelobtes Land"? Religiosität und Unternehmer in der Industriegesellschaft. Lodz und Manchester im langen 19. Jahrhundert. In: Jörg Gebhard, Rainer Lindner, Bianka Pietrow-Ennker (Hg.): Unternehmer im Russischen Reich. Sozialprofil, Symbolwelten, Integrationsstrategien im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Osnabrück 2006, S. 143–163.
  • Andrzej Lech, Krystyna Radziszewska, Andrzej Rykała (Hg.): Społeczność żydowska i niemiecka w Łodzi po 1945 roku [Die jüdische und die deutsche Gemeinschaft in Lodz nach 1945]. Łódź 2010.
  • Stanisław Liszewski: Łódź. Monografia Miasta [Lodz. Monographie der Stadt]. Łódź 2009.
  • Andrea Löw: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Göttingen 2006 (Schriftenreihe zur Łódzer Getto-Chronik).
  • Joanna B. Michlic: Łódź in the Postcommunist Era. In Search of a New Identity. In: John Czaplicka, Nida Gelazis, Blair A. Ruble (Hg.): Cities after the Fall of Communism: Reshaping Cultural Landscapes and European Identity. Baltimore 2009, S. 281–303.
  • Uwe Rada: "Die Zukunft heißt Lodz". In: Jahrbuch Polen 18 (2007), S. 44–55.
  • Paweł Samuś (Hg.): Polacy – Niemcy – Żydzi w Łodzi w XIX–XX w.: Sąsiedzi dalecy i bliscy [Polen – Deutsche – Juden in Łódź im 19. und 20. Jahrhundert. Ferne und nahe Nachbarn]. Łódź 1997.
  • Karl Schlögel: Lodz – Suche nach dem "Gelobten Land". In: Ders.: Promenade in Jalta und andere Städtebilder. 2. Aufl. Frankfurt/M. 2006, S. 126–138.

Jahrbücher und Zeitschriften

  • Acta universitatis lodziensis: Folia Historica, 1980ff.
  • Kronika miasta Łodzi [Chronik der Stadt Lodz], 1991ff.
  • Tygiel Kultury [Schmelztiegel der Kultur], 1996ff.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Maria Malec: Słownik etymologiczny nazw geograficznych Polski [Etymologisches Wörterbuch geographischer Namen in Polen]. Warszawa 2003, S. 151; Słownik geografii turystycznej Polski [Wörterbuch der touristischen Geographie Polens]. T. [Bd.] I: A–N. Warszawa 1956, S. 490–497.

[2] Andere Quellen sprechen von 1337. Siehe Kazimierz Badziak: Zarys dziejów Łodzi do 1918 roku [Abriss der Geschichte von Lodz bis 1918]. In: Liszewski: Łódź. Monografia Miasta [Lodz. Monographie der Stadt], S. 28.

[3] Filip Sumierski, Bronisław Chlebowski, Władysław Walewski (Hg.): Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich [Geographisches Wörterbuch des Königreichs Polen und anderer slawischer Länder]. Tom [Bd.] 5. Warszawa 1884, S. 678.

[4] Wiesław Puś: Die Berufs- und Sozialstruktur der wichtigsten ethnischen Gruppen in Lodz und ihre Entwicklung in den Jahren 1820–1914. In: Hensel (Hg.): Polen, Deutsche und Juden, S. 36.

[5] Die folgenden Daten basieren auf den staatlichen Volkszählungen in der Zwischenkriegszeit: 1921 wurde nach Nationalität gefragt, 1931 nach Muttersprache und Religion.

[6] Ludwik Mroczka: Dynamika rozwoju i struktura społeczno-zawodowa głównych grup etnicznych w Łodzi w latach 1918–1939 [Die Entwicklungsdynamik und die sozial-berufliche Struktur der größten ethnischen Gruppen in Lodz 1918–1939]: In: Samuś (Hg.): Polacy – Niemcy – Żydzi [Polen – Deutsche – Juden], S. 101.

[7] Mroczka: Dynamika rozwoju (Anm. 6), S. 101.

[8] Urząd statystyczny w Łodzi [Statistisches Amt Łódź]: www.stat.gov.pl/lodz/39_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Informacje o mieście – 2012 [Informationen über die Stadt – 2012]: www.stat.gov.pl/lodz/69_1169_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Tablice Przeglądowe/Ważniejsze dane o Łodzi [Übersichtstabellen. Grundlegende Daten zur Stadt], S. 86–87: www.stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/lodz/ASSETS_12m_MAJOR_DATA.pdf (Abruf 02.10.2013).

[9] Główny Urząd Statystyczny [Haupt-Statistikamt]: Ludność. Stan i struktura demograficzno-społeczna. Narodowy Spis Powszechny Ludności i Mieszkań 2011 [Bevölkerung. Demographisch-sozialer Stand und Struktur. Nationales Verzeichnis der Bevölkerung und des Wohnungswesens 2011]. Warszawa 2013, S. 271 (Tabl. 32. Ludność według identyfikacji narodowo-etnicznych [Tabelle 32. Bevölkerung nach national-ethnischer Identifikation]): www.stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/gus/LUD_ludnosc_stan_str_dem_spo_NSP2011.pdf (Abruf 02.10.2013).

[10] Aleksandra Jewtuchowicz, Andrzej Suliborski: Struktura gospodarcza Łodzi w latach 1918–1989 [Die wirtschaftliche Struktur in Lodz von 1918 bis 1939]. In: Liszewski: Łódź. Monografia Miasta [Lodz. Monographie der Stadt], S. 310.

[11] Stanisław Liszewski: Warunki życia mieszkanców Łodzi w III Rzeczypospolitej [Lebensbedingungen der Einwohner in Lodz in der 3. Republik]. In: Liszewski: Łódź. Monografia Miasta, S. 424; Urząd statystyczny w Łodzi: www.stat.gov.pl/lodz/39_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Informacje o mieście – 2012 [Informationen über die Stadt – 2012]: www.stat.gov.pl/lodz/69_1169_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Tablice Przeglądowe/Łódź na tle dużych miast w Polsce [Übersichtstabellen/Łódź in Hinsicht auf andere Großstädte in Polen], S. 324: www.stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/lodz/ASSETS_12m_LODZ_NA_TLE_DUZYCH_MIAST.pdf (Abruf 02.10.2013).

[12] Das Durchschnittsgehalt in Lodz lag 2011 bei PLN 3.427,06 (2010: PLN 3.243,15). Przeciętne miesięczne wynagrodzenie w gospodarce narodowej w latach 1950–2012 (podstawa wymiaru emerytur i rent) [Der durchschnittliche Monatslohn in der Volkswirtschaft 1950–2012 (auf Grundlage von Renten)]: www.stat.gov.pl/gus/5840_1630_PLK_HTML.htm.

[13] Urząd statystyczny w Łodzi: Podstawowe dane/Województwo [Grunddaten/Woiwodschaft]: http://www.stat.gov.pl/lodz/index_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Dane wojewódzkie (Źródło: Rocznik Statystyczny Województwa Łódzkiego 2012) [Woiwodschaftsdaten (Quelle: Statistisches Jahrbuch der Woiwodschaft Łódź 2012)]: www.stat.gov.pl/lodz/38_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Ludność – Dane wojewódzkie 2012/Ludność. Wyznania religijne: www.stat.gov.pl/lodz/69_968_PLK_HTML.htm (Abruf 02.10.2013); Niektóre wyznania religijne w 2011 r., Tabl. 34 (70) [Einige Konfessionen im Jahre 2011, Tabelle 34 (70)], S. 129: www.stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/lodz/ASSETS_12w_05.pdf (Abruf 02.10.2013).

[14] Wolfgang Kessler: Lodz nach Lodz. Beobachtungen zu Erinnerung und Gedächtnis der Deutschen aus Lodz nach 1945. In: Dyroff, Radziszewska, Röskau-Rydel (Hg.): Lodz jenseits von "Fabriken, Wildwest und Provinz", S. 163.

[15] Siehe Ingo Eser: Lodz – Blick(e) auf eine Stadtgeschichte. In: Dyroff, Radziszewska, Röskau-Rydel (Hg.): Lodz jenseits von "Fabriken, Wildwest und Provinz", S. 31–55.

Zitation

Winson Chu: Lodz/Łódź. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32319 (Stand 30.07.2021).

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