Volksdeutsche

1. Genese

Begriff

Der Begriff „Volksdeutsche“ als Bezeichnung für zum deutschen Volk gehörende, aber nicht im Deutschen Reich lebende Personen fand in den 1920er Jahren Eingang in die deutsche Sprache. Ähnlich wie andere Komposita mit „Volk“ wurde er während der Zeit des Nationalsozialismus zu einem häufig verwendeten Wort im politischen Vokabular und zu einem zentralen Terminus in Ideologie und Propaganda.

Im 19. Jahrhundert und noch Anfang des 20. Jahrhunderts war der Begriff „Volksdeutsche“ nicht gebräuchlich. So findet sich in dem 1951 erschienenen Band 12/2 des Deutschen Wörterbuchs, dessen Artikel vermutlich in den 1910er Jahren entstanden sind, kein entsprechendes Lemma. Dort ist lediglich das auf Ernst Moritz Arndt (1769–1860) zurückgeführte Substantiv „Volksdeutsch“ verzeichnet, das dieser als Bezeichnung für die Sprache des „einfachen Volkes“ gebrauchte.[1] Im Sinne von „Dialekt“ wurde dieses Wort etwa auch in dem 1819 publizierten Buch von Franz Joseph Stalder (1757–1830) Die Landessprachen der Schweiz verwendet.[2]

Mit dem Begriff „Volksdeutsche“ wurden hingegen diejenigen bezeichnet, die nach „völkischem“ Verständnis als „Deutsche im Ausland“ galten, de facto aber über die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes verfügten und sich diesem gegenüber zumeist auch loyal verhielten. Zunächst zumeist adjektivisch verwendet, fand der Ausdruck sporadisch ab den 1920er und verstärkt seit den 1930er Jahren Verwendung. Im Großen Brockhaus wurde der Begriff erstmals in der 15. Auflage von 1934 verzeichnet und dort als „neuere Bezeichnung für die Angehörigen des deutschen Volkes (die Staatsangehörigen des Deutschen Reichs von deutscher Abstammung und die Auslandsdeutschen fremder Staatsangehörigkeit)“ eingeführt.[3] Diese Definition ist insofern bemerkenswert, als sie sich nicht mit denen in späteren Brockhaus-Lexika aus der Zeit des „Dritten Reichs“ deckt: Laut dem 1938 publizierten Neuen Brockhaus wurden als „Volksdeutsche“ „die Deutschen im Ausland, die nicht Reichsbürger sind“, bezeichnet.[4] Und der Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen von 1940 führte aus, dass zu jenen „insbesondere diejenigen Angehörigen fremder Staaten, die deutschen und artverwandten Blutes sind, die deutsche Sprache sprechen und sich willensmäßig zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft bekennen“, gehören würden. Der Ausdruck „deutscher Staatszugehöriger“ umfasse diese und die deutschen Staatsangehörigen, so die weitere Erläuterung 1940.[5] Diese Definition stimmte mit dem offiziellen Wortgebrauch im Sinne des nationalsozialistischen Staates überein, wie er am 29. März 1939 in einem Runderlass des Reichsinnenministeriums festgelegt worden war. In diesem hieß es: „Zum deutschen Volkstum gehören auch die Deutschen, die außerhalb des Reiches wohnen. Der Besitz einer fremden Staatsangehörigkeit ändert an der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum nichts. Die deutschen Volkszugehörigen fremder Staatsangehörigkeit werden als ‚Volksdeutsche‘ bezeichnet.“[6]

Die große – und während des Zweiten Weltkriegs noch steigende – Bedeutung des Begriffs für die nationalsozialistische Politik und Propaganda zeigt sich auch am Umfang der entsprechenden Lexika-Einträge. Während das Lemma zuvor meist in wenigen Zeilen behandelt wurde, umfassten die Erklärungen zu „Volksdeutschen“ und zu „Auslandsdeutschen“ in den 1942 und 1943 erschienenen Nachschlagewerken des Brockhaus-Verlags mehrere Spalten. In diesen wurden u. a. die „Erfolge“ der NS-„Volkstumspolitik“ in Bezug auf die „Rückkehr“ von „Volksdeutschen“ in das Reich gefeiert und die entscheidende Bedeutung des „Feldzugs gegen die Sowjetunion“ für das „Schicksal“ der dort lebenden „Volksdeutschen“ herausgestellt.[7]

Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ wurde der Begriff im Duden von 1947 – wie die allermeisten mit der nationalsozialistischen „Volkstumspolitik“ in Zusammenhang stehenden Wörter – zunächst getilgt, fand dann aber 1954 wieder Eingang in das Wörterbuch der deutschen Sprache. Erst ab der Ausgabe von 1991 wurde der Terminus als nationalsozialistischer Begriff gekennzeichnet.[8]

Auch die 16. Auflage des Großen Brockhaus von 1957 führte das Lemma. Darin hieß es, mit „Volksdeutsche“ würden „die in Ländern außerhalb der Grenzen des D[eu]t[schen] Reichs von 1937 und Österreichs in Sprachinseln oder Streusiedlungen ansässigen Bewohner deutscher Herkunft“ bezeichnet. Auf die ideologische Belastung des Begriffs im „Dritten Reich“ ging die Enzyklopädie nicht ein, stellte aber heraus: „Unter dem nat[ional]soz[ialistischen] Regime erhielten viele V[olksdeutsche] durch Umsiedlung die d[eu]t[sche] Staatsangehörigkeit.“[9] Erst in späteren Ausgaben wurde der Begriff als „nat[ional]soz[ialistische] Bez[eichnung]“ gekennzeichnet.[10]

Träger, Gebrauch

Die wichtigsten Träger des Begriffs waren während der Weimarer Republik Interessenverbände wie der „Verein für das Deutschtum im Ausland“. Seine Periodika führten Titel wie Deutsche Welt. Aus volksdeutschem Kultur- und Geistesleben oder Der Volksdeutsche.

Wie eine Auswertung der Reichstagsprotokolle zeigt, wurde das Wort „Volksdeutsche“ während der Weimarer Republik von den Nationalsozialisten und von anderen völkischen Gruppierungen zwar selten, aber doch deutlich häufiger als von den übrigen Parteien gebraucht. Ab 1933 – und verstärkt ab 1938/39 – wurde das Wort zu einem zentralen Begriff der nationalsozialistischen Volks-, Rassen- und Umsiedlungspolitik und fand entsprechend große Verbreitung.

Abgesehen von seinem (kritisch-distanzierten) Gebrauch als Quellenbegriff in Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verwendung durch Vertriebenenverbände wird das Wort „Volksdeutsche“ seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland kaum mehr genutzt. In Österreich dagegen war der Terminus nach 1945 als Bezeichnung für Flüchtlinge und Vertriebene mit deutscher Muttersprache zunächst weitverbreitet, wird aber heute nur noch selten gebraucht.  

Fremdsprachige Entsprechungen, Übersetzungen, Übernahmen

engl. ethnic Germans bzw. Germans of foreign nationality; franz. les Allemands ethniques bzw. les Allemands de souche; niederl.: Volksduitse; norw. Folketyskere; schwed. Folktyskar; poln. (Pl.) etniczni Niemcy bzw. folksdojcze; russ. фольксдойче (translit. fol’ksdojče)

Als Terminus technicus wird „Volksdeutsche“ in vielen Sprachen – insbesondere im wissenschaftlichen Kontext – auch unübersetzt gebraucht.

2. Definition

Als „Volksdeutsche“ wurden (überwiegend in der Zeit des Nationalsozialismus) Personen bezeichnet, die außerhalb Deutschlands, Österreichs und der Schweiz – insbesondere in Ostmittel-Ost- und Südosteuropa – lebten, eine fremde Staatsangehörigkeit besaßen und sich aufgrund von Abstammung, „Rasse“, Sprache und/oder Kultur bzw. Brauchtum als Angehörige des „deutschen Volkes“ betrachteten oder als solche betrachtet wurden. Der – ebenfalls „völkisch“-nationalsozialistisch konnotierte – Terminus „Auslandsdeutsche“ dagegen bezeichnete deutsche Staatsangehörige, die im Ausland lebten.

3. Historischer Abriss

Zwar wurde nach den Gebietsabtretungen infolge des Versailler Vertrags bereits in der Weimarer Republik die Lage der deutschen Minderheiten im östlichen Europa in der Öffentlichkeit häufig thematisiert und nicht selten unter Verweis auf die „verlorenen“ Deutschen Grenzrevisionen gefordert, doch fand der Begriff „Volksdeutsche“ dabei nur selten Verwendung. Dies änderte sich in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Angehörigen des „deutschen Volkstums“ außerhalb der Reichsgrenzen wurden nun in Publizistik und Propaganda verstärkt als „Volksdeutsche“ bezeichnet. Auch wenn letztlich unklar blieb, wer genau „Volksdeutscher“ war und wie etwa das Kriterium „Kultur“ definiert werden konnte, kam dieser Gruppe in der nationalsozialistischen Volks- und Rassenideologie ein besonderer Stellenwert zu. Einschränkungen etwa des „volksdeutschen“ Kultur- und Vereinslebens, der Presse und der Möglichkeit zur wirtschaftlichen und politischen Betätigung seitens der Regierungen der Staaten, in denen eine deutsche Minderheit lebte, wurden vom NS-Regime genutzt, um ethnische Konflikte zu schüren und sich als Schutzmacht und Protektor der „Volksdeutschen“ zu präsentieren. Unter Verweis auf Diskriminierungen und die angebliche Gefährdung der „Volksdeutschen“ wurden politische und territoriale Forderungen gegenüber anderen Staaten erhoben. Unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Politik und Propaganda radikalisierten sich viele „Volksdeutsche“ im Laufe der 1930er Jahre. Eine Folge hiervon waren eine zunehmende Identifikation mit dem „deutschen Volkstum“ und dem (nationalsozialistischen) Deutschen Reich sowie schwindende Loyalität zu dem Staat, in dem die „Volksdeutschen“ lebten.

Vielerorts bildeten sich dem Nationalsozialismus nahestehende Parteien und Vereinigungen wie die „Jungdeutsche Partei“ in Polen, die „Sudetendeutsche Partei“ in der Tschechoslowakei, der „Volksbund der Deutschen in Ungarn“, der „Deutsch-Schwäbische Kulturbund“ in Jugoslawien oder die „Volksdeutsche Bewegung“ in Luxemburg. Diese konnten sich meist gegen „volksdeutsche“ Organisationen anderer politisch-ideologischer Ausrichtung durchsetzen und gerierten sich als Sprachrohr der deutschen Volksgruppe. Während des Zweiten Weltkriegs halfen sie vielfach bei der Werbung und Rekrutierung von „Volksdeutschen“ für die Waffen-SS oder beteiligten sich anderweitig an der nationalsozialistischen Politik der Expansion und Okkupation. Milizen wie der „Volksdeutsche Selbstschutz“ in Polen oder auch der Ukraine unterstützten vielerorts in den besetzten Gebieten SS und Gestapo und waren darüber hinaus selbst an Terror- und Mordaktionen gegen Angehörige der Mehrheitsbevölkerung sowie gegen Juden beteiligt. Viele „Volksdeutsche“ stellten sich bereitwillig in den Dienst des nationalsozialistischen Staates – so verzeichneten die Waffen-SS und die Wachmannschaften der Konzentrationslager einen verhältnismäßig hohen Anteil an „Volksdeutschen“.

Infolge der nationalsozialistischen Expansionspolitik ab 1938/39 wurden viele „Volksdeutsche“ zu „Reichsdeutschen“, da zahlreiche Territorien mit einem hohen deutschstämmigen Bevölkerungsanteil vom Deutschen Reich okkupiert bzw. annektiert wurden. „Volksdeutsche“ wurden zudem ins Reichsgebiet bzw. in die besetzten oder „angeschlossenen“ Gebiete umgesiedelt. Dieser letztgenannte Bevölkerungstransfer, der etwa die „Balten-“ und die „Wolhyniendeutschen“ betraf, stand im Kontext der nationalsozialistischen „Volkstums-“ und „Germanisierungspolitik“, mithilfe derer fremde Territorien, insbesondere das annektierte Westpolen, dem deutschen Herrschaftsgebiet einverleibt werden sollten. Bewohner, die als nicht-deutsch galten, wurden terrorisiert und gewaltsam aus den „Ansiedlungsgebieten“ vertrieben. Für die entsprechende gewaltsame Bevölkerungsverschiebung war ab Oktober 1939 Heinrich Himmler (1900–1945).

Zwar wurde nach den Gebietsabtretungen infolge des Versailler Vertrags bereits in der Weimarer Republik die Lage der deutschen Minderheiten in Osteuropa in der Öffentlichkeit häufig thematisiert und nicht selten unter Verweis auf die „verlorenen“ Deutschen Grenzrevisionen gefordert, doch fand der Begriff „Volksdeutsche“ dabei nur selten Verwendung. Dies änderte sich in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Angehörigen des „deutschen Volkstums“ außerhalb der Reichsgrenzen wurden nun in Publizistik und Propaganda verstärkt als „Volksdeutsche“ bezeichnet. Auch wenn letztlich unklar blieb, wer genau „Volksdeutscher“ war und wie etwa das Kriterium „Kultur“ definiert werden konnte, kam dieser Gruppe in der nationalsozialistischen Volks- und Rassenideologie ein besonderer Stellenwert zu. Das NS-Regime gerierte sich als ihr Sachwalter und Protektor. Einschränkungen etwa des „volksdeutschen“ Kultur- und Vereinslebens, der Presse und der Möglichkeit zur wirtschaftlichen und politischen Betätigung seitens der Regierungen der Staaten, in denen eine deutsche Minderheit lebte, wurden vom NS-Regime genutzt, um ethnische Konflikte zu schüren und sich als Schutzmacht der „Volksdeutschen“ zu präsentieren. Unter Verweis auf Diskriminierungen und die angebliche Gefährdung der „Volksdeutschen“ wurden politische und territoriale Forderungen gegenüber anderen Staaten erhoben. Unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Politik und Propaganda radikalisierten sich viele „Volksdeutsche“ im Laufe der 1930er Jahre. Eine Folge hiervon waren eine zunehmende Identifikation mit dem „deutschen Volkstum“ und dem (nationalsozialistischen) Deutschen Reich sowie schwindende Loyalität zu dem Staat, in dem die „Volksdeutschen“ lebten.

Vielerorts bildeten sich dem Nationalsozialismus nahestehende Parteien und Vereinigungen wie die „Jungdeutsche Partei“ in Polen, die „Sudentendeutsche Partei“ in der Tschechoslowakei, der „Volksbund der Deutschen in Ungarn“, der „Deutsch-Schwäbische Kulturbund“ in Jugoslawien oder die „Volksdeutsche Bewegung“ in Luxemburg. Diese konnten sich meist gegen „volksdeutsche“ Organisationen anderer politisch-ideologischer Ausrichtung durchsetzen und gerierten sich als Sprachrohr der deutschen Volksgruppe. Während des Zweiten Weltkriegs halfen sie vielfach bei der Werbung und Rekrutierung von „Volksdeutschen“ für die Waffen-SS oder beteiligten sich anderweitig an der nationalsozialistischen Politik der Expansion und Okkupation. Milizen wie der „Volksdeutsche Selbstschutz“ in Polen oder auch der Ukraine unterstützten vielerorts in den besetzten Gebieten SS und Gestapo und waren darüber hinaus selbst an Terror- und Mordaktionen gegen Angehörige der Mehrheitsbevölkerung sowie gegen Juden beteiligt. Viele „Volksdeutsche“ stellten sich bereitwillig in den Dienst des nationalsozialistischen Staates – so verzeichneten die Waffen-SS und die Wachmannschaften der Konzentrationslager einen verhältnismäßig hohen Anteil an „Volksdeutschen“.

Infolge der nationalsozialistischen Expansionspolitik ab 1938/39 wurden viele „Volksdeutsche“ zu „Reichsdeutschen“, da zahlreiche Territorien mit einem hohen deutschstämmigen Bevölkerungsanteil vom Deutschen Reich okkupiert bzw. annektiert wurden. „Volksdeutsche“ wurden zudem ins Reichsgebiet bzw. die besetzten oder „angeschlossenen“ Gebiete umgesiedelt. Dieser letztgenannte Bevölkerungstransfer, der etwa die „Balten-“ und die „Wolhyniendeutschen“ betraf, stand im Kontext der nationalsozialistischen „Volkstums-“ und „Germanisierungspolitik“, mithilfe derer fremde Territorien, insbesondere das annektierte Westpolen, dem deutschen Herrschaftsgebiet einverleibt werden sollten. Bewohner, die als nicht-deutsch galten, wurden terrorisiert und gewaltsam aus den „Ansiedlungsgebieten“ vertrieben. Für die entsprechende gewaltsame Bevölkerungsverschiebung war ab Oktober 1939 Heinrich Himmler (1900–1945) verantwortlich, der hierbei als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ fungierte und ein eigenes SS-Hauptamt für diese Aufgabe errichtete. Mit der rassenbiologischen Einteilung der „Volksdeutschen“ in die „Deutsche Volksliste“ sowie der Organisation und Durchführung der Umsiedlungspolitik wurde die „Volksdeutsche Mittelstelle“ betraut. An die Stelle der vormals betriebenen Politik der Förderung der deutschen Minderheiten im Ausland war nun – nach einer Wende um 180 Grad – eine unter der Parole „Heim ins Reich!“ stehende Umsiedlungspolitik getreten.

Im Verlauf des Kriegs wurden mit dem „Generalplan Ost“ und dem „Generalsiedlungsplan“ Konzepte für die deutsche Besiedlung und Beherrschung der besetzten sowjetischen Gebiete erdacht und teilweise auch in die Tat umgesetzt. Vielfach mussten „Volksdeutsche“ längere Zeit in Lagern der „Volksdeutschen Mittelstelle“ ausharren oder in der Rüstungsindustrie im Deutschen Reich arbeiten, da die geplante und versprochene Ansiedlung nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden konnte oder weil die Betroffenen aus rassenideologischen Gründen nicht für eine Ansiedlung im Osten „infrage kamen“. Die Folgen waren nicht selten Unzufriedenheit und Enttäuschung. Und auch die von den Nationalsozialisten versprochene vollständige Integration in die „Volksgemeinschaft“ blieb vielfach aus – auch deshalb, weil „Volksdeutsche“ von „Reichsdeutschen“ vielfach abschätzig als „Russen“, „Polen“ oder „Rumänen“ bezeichnet und behandelt wurden.

Die Anzahl derjenigen, die im Sinne der Nationalsozialisten als „Volksdeutsche“ galten, variierte und war von subjektiven Zuordnungskriterien abhängig. Zeitgenössische Publikationen nennen für die durch Annektierung bzw. Okkupation und die durch Umsiedlung „ins Reich zurückgekehrten“ „Volksdeutschen“ folgende Zahlen:

 

Landvolk im Werden (1941)[11]

 

Der Neue Brockhaus (1942)[12]

Der Volks-Brockhaus (1943)[13]

durch Annektierung bzw. Okkupation

Österreich

 

6,5 Mio.

6,4 Mio.

Sudetenland

 

3,3 Mio.

3,1 Mio.

Protektorat Böhmen und Mähren

 

200.000

200.000

Danzig

 

400.000

400.000

Memelgebiet

 

120.000

143.000

Weichsel- und Warthegebiet

 

über 1 Mio.

über 1 Mio.

Eupen und Malmedy

 

60.000

50.000

Luxemburg

 

280.000

280.000

Elsass und Lothringen

 

1,6 Mio.

1,6 Mio.

Slowenien („Südsteiermark“/„Oberkrain“)

 

ohne Angabe von Zahlen

ohne Angabe von Zahlen

durch Umsiedlung

Estland

13.000

21.400

21.400

Lettland

51.000

57.200

57.200

Litauen

45.000–50.000

47.500

47.500

Narewgebiet und Generalgouvernement

38.500

nicht erwähnt

nicht erwähnt

Wolhynien und Ostgalizien

120.200

128.000

128.000

Bessarabien

92.700

93.500

93.500

Buchenland

97.000

96.800

96.800

Dobrudscha

14.500

14.000

14.000

Bozen, Trient, Udine

Südtirol: über 200.000[14]

ohne Angabe von Zahlen

220.000

Gottscheer Land

nicht erwähnt

nicht erwähnt

14.000

Darüber hinaus wurde die Anzahl der in ihren Ländern verbliebenen „Volksdeutschen“ (darunter auch den außerhalb Europas lebenden Personen, die als zum „Deutschtum“ zugehörig betrachtet wurden) zeitgenössisch wie folgt beziffert:

 

Der Neue Brockhaus (1942)[15]

Der Volks-Brockhaus (1943)[16] 

Ungarn

über 1 Mio.

950.000

Slowakei

150.000

150.000

Rumänien (insb. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben)

550.000

550.000

Jugoslawien

700.000

700.000

Dänemark

40.000

40.000

Sowjetunion

1,5 Mio.

1,6 Mio.

USA

mind. 25 Mio.

25 Mio.

Kanada

550.000

550.000

Brasilien

750.000

800.000

Argentinien

250.000

230.000

Chile

35.000

35.000

Paraguay

10.000

über 10.000

Südafrikanische Union

40.000

40.000

Deutsch-Südwestafrika

14.000

nicht erwähnt

Australien

50.000

50.000

Mexiko

8.000

8.000

Guatemala

3.000

3.000

Palästina

2.000

2.000

In der Forschung wird die Zahl der „während des Zweiten Weltkriegs innerhalb des deutschen Herrschafts- und Einflussgebietes“ umgesiedelten „Volksdeutschen“ mit „mehr als eine Million Menschen“ angegeben.[17]

Nach Kriegsende wurden die „Volksdeutschen“, die in ihren Ländern verblieben waren bzw. sich außerhalb der deutschen Grenzen befanden, oftmals verhaftet, enteignet, vertrieben und/oder deportiert. Nicht selten wurden sie von den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft stellvertretend für die von Deutschen verübten Zerstörungen und Gräuel zur Rechenschaft gezogen. Diejenigen „Volksdeutschen“, die sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik befanden bzw. dorthin geflohen oder vertrieben worden waren, galten nach dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz von 1953 rechtlich und im Hinblick auf staatliche Unterstützungsleistungen als mit „Reichsdeutschen“ gleichgestellt. Der in der NS-Zeit kontaminierte Begriff „Volksdeutsche“ wurde nach 1945 in Deutschland nur noch selten verwendet und zumeist durch Umschreibungen wie "deutsche Volksgruppen“ oder „deutsche Minderheiten“ ersetzt. In Österreich hingegen diente er nach dem Zeiten Weltkrieg zur Bezeichnung deutschsprachiger Flüchtlinge, wird heutzutage aber selbst von Vertriebenenverbänden kaum mehr gebraucht. So änderte 2014 beispielsweise der „Verband volksdeutscher Landsmannschaften in Österreich“ seinen Namen in „Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich“.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Doris L. Bergen: The Nazi Concept of „Volksdeutsche“ and the Exacerbation of Anti-Semitism in Eastern Europe, 1939–45. In: Journal of Contemporary History 29 (1994), S. 569–582.
  • Meir Buchsweiler: Volksdeutsche in der Ukraine am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkriegs – ein Fall doppelter Loyalität? Gerlingen 1984.
  • Maria Fiebrandt: Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939–1945. Göttingen 2014.
  • Isabel Heinemann: „Volksdeutsche“ Umsiedler in Deutschland und in von Deutschland besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg. In: Klaus J. Bade: Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u. a. 22008, S. 1081–1087.
  • Jerzy Kochanowski, Maike Sach (Hg.): Die „Volksdeutschen“ in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Mythos und Realität. Osnabrück 2006.
  • Valdis O. Lumans: Himmler’s Auxiliaries. Die Volksdeutsche Mittelstelle and the German National Minorities of Europe, 1933–1945. Chapel Hill/London 1993.
  • Ralph Melville, Jiří Pešek, Claus Scharf (Hg.): Zwangsmigrationen im mittleren und östlichen Europa. Völkerrecht – Konzeptionen – Praxis (1938–1950). Mainz 2007.
  • K. Molly OʼDonnell, Renate Bridenthal, Nancy Reagin (Hg.): The Heimat Abroad: The Boundaries of Germanness. Ann Arbor 2005.
  • Volksdeutsch, Volksdeutscher. In: Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 22007, S. 650–652.

Weblink

Anmerkungen

[1] Volksdeutsch. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hg.): Deutsches Wörterbuch. Bd. 12/2: Vesche–Vulkanisch. Leipzig 1951, Sp. 477.

[2] Franz Joseph Stalder: Die Landessprachen der Schweiz oder Schweizerische Dialektologie, mit kritischen Sprachbemerkungen beleuchtet. Aarau 1819, S. VII.

[3] Volksdeutsche. In: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. Bd. 19: Tou–Wam. Leipzig 151934, S. 656.

[4] Volksdeutsche. In: Der Neue Brockhaus. Allbuch in vier Bänden und einem Atlas. Bd. 4: S–Z. Leipzig 1938, S. 607.

[5] Volksdeutsche. In: Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen. Leipzig 1940, S. 267.

[6] Zitiert nach: Wilhelm Stuckart/Rolf Schiedermair: Rassen- und Erbpflege in der Gesetzgebung des Reiches. Leipzig 31942, S. 18.

[7] Deutsches Volk. In: Der Volks-Brockhaus. Sachwörterbuch für jedermann. Leipzig 101943, S. 140f. (Zitat: S. 141); Volksdeutsche. In: Der Neue Brockhaus. Allbuch in vier Bänden und einem Atlas. Bd. 4: S–Z. Leipzig 21942, S. 607f.

[8] Vgl. Senya Müller: Sprachwörterbücher im Nationalsozialismus. Die ideologische Beeinflussung von Duden, Sprach-Brockhaus und anderen Nachschlagewerken während des „Dritten Reichs“. Stuttgart 1994, S. 144–146.

[9] Volksdeutsche. In: Der Große Brockhaus. Bd. 12: Unk–Zz. Wiesbaden 161957, S. 237.

[10] Volksdeutsche. In: Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden. Bd. 29: Verti–Wety. Leipzig/Mannheim 212006, S. 200.

[11] Vgl. Konrad Meyer: Landvolk im Werden. Berlin 1941, Tab. zwischen S. 96 und 97.

[12] Vgl. Volksdeutsche (Anm. 7), S. 607.

[13] Vgl. Deutsches Volk (Anm. 7), S. 141.

[14] Bei den für Südtirol genannten Zahlen handelt es sich um die Anzahl derjenigen, die für das Deutsche Reich „optiert“ hatten. Von diesen war bis zum Sturz Mussolinis allerdings lediglich ein Drittel umgesiedelt worden.

[15] Vgl. Volksdeutsche (Anm. 7), S. 607f.

[16] Vgl. Deutsches Volk (Anm. 7), S. 141f.

[17] Wolfgang Benz: Zweifache Opfer nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik. Die Zwangsmigration von Volksdeutschen. In: Melville/Pešek/Scharf (Hg.): Zwangsmigrationen, S. 247–258, hier: S. 249; ähnlich vgl. Isabel Heinemann: „Deutsches Blut“. Die Rasseexperten der SS und die Volksdeutschen. In: Kochanowski/Sach (Hg.): „Volksdeutschen“, S. 163–182, hier: S. 169.

Zitation

Jörn Retterath: Volksdeutsche. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2021. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32754.html (Stand: 14.02.2022).

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