Jugoslawien
1. Toponymie
Deutsche Bezeichnung
Jugoslawien
Amtliche Bezeichnung
Das so genannte Jugoslawien hatte während seines Bestehens von 1918 bis 1992 beziehungsweise 2003 – wenn man den „Rumpfstaat“, zusammengesetzt aus Serbien und Montenegro, auch dazu zählt – unterschiedliche amtliche Bezeichnungen:
- 1918–1929: Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Kraljevstvo [ab 1921: Kraljevina] Srba, Hrvata i Slovenaca),
- 1929–1941: Königreich Jugoslawien (Kraljevina Jugoslavija),
- 1943–1945: Demokratisches Föderatives Jugoslawien (Demokratska Federativna Jugoslavija),
- 1945–1963: Föderative Volksrepublik Jugoslawien (Federativna Narodna Republika Jugoslavija),
- 1963–1992: Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija),
- 1992–2003: Bundesrepublik Jugoslawien (Savezna Republika Jugoslavija).
Etymologie
Jugoslawien (serbokroat. Jugoslavija) bedeutet wörtlich „Südslawien“ (jug = Süden).
2. Geographie
Lage
Jugoslawien war ein Bundesstaat in Südosteuropa, der an folgende Länder grenzte: Italien im Westen, Österreich und Ungarn im Norden, Rumänien und Bulgarien im Osten sowie Griechenland und Albanien im Süden.
Topographie
Jugoslawien umfasste ein Gebiet von 247.542 km² (1918–1941) respektive von 255.804 km2 (1945–1992) und 102.350 km2 (1992–2006). Es erstreckte sich über eine vielfältige Landschaft: Von Nordwesten bis Südwesten verlief die Adriaküste mit zahlreichen kleinen Inseln und einem eher mediterranen Klima. Im Nordosten dehnte sich die pannonische Tiefebene aus. Diese umfasste den Norden Serbiens und den Nordosten Kroatiens sowie Sloweniens. Das Dinarische Gebirge verlief von Slowenien im Norden bis nach Montenegro und an die Grenze zu Albanien im Süden. Die höchste Erhebung Jugoslawiens lag in Slowenien (Triglav, 2.864 MüM, zu den Julischen Alpen gehörig). Neben der Donau (Dunav) waren die Save (Sava), die Drau (Drava) und die Morava die wichtigsten Wasserwege Jugoslawiens. Im Grenzgebiet zu Albanien lagen die größten Seen des Landes: Skutarisee (Montenegro), Ohridsee und Prespasee (Mazedonien).
Historische Geographie
Das 1918 entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen umfasste die früheren Königreiche Serbien und Montenegro sowie die zuvor zur Habsburgermonarchie gehörenden Gebiete Kroatien-Slawonien, Dalmatien, Bosnien und Herzegowina, Krain und Untersteiermark. Am 4. Juni 1920 legte der Trianon-Vertrag fest, dass Ungarn Teile der Baranya (Branau) sowie der Batschka und des Banats – die Vojvodina – an Jugoslawien abtreten musste. Laut Zoran Janjetović lebten im Jahr 1931 rund 500.000 Deutsche in Jugoslawien, davon 340.000 in der Vojvodina.[1] Sie waren vermehrt auch in den Regionen Syrmien (Sr(j)em), Slawonien (Slavonija), Südkärnten (Koroška), Untersteiermark (Spodnja Stajerska), Übermurgebiet (Prekmurje) und Krain (Kranjska), inklusive Gottschee (Kočevje), ansässig. Nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht im April 1941 wurde das Gebiet Jugoslawiens unter den Achsenmächten aufgeteilt. Italien besetzte neben Montenegro auch Teile Sloweniens und Dalmatiens. Während Bulgarien den größten Teil Mazedoniens zugesprochen bekam, fielen das Kosovo und der Nordwesten Mazedoniens an Albanien, das seit Juli 1939 ein italienisches Protektorat war. Ungarn erhielt die Batschka und die Vojvodina zurück. Kroatien wurde ein „Unabhängiger Staat“ (Nezavisna država Hrvatska) unter der Führung des Ustaša-Führers Ante Pavelić (1889–1959) . Das engere Serbien wurde unter deutsche Militärverwaltung gestellt und dort eine abhängige serbische Administration errichtet.
Nach dem Sieg der kommunistischen Widerstandskämpfer unter der Führung von Josip „Tito“ Broz (1892–1980) wurde im November 1945 die Föderative Volksrepublik Jugoslawien ausgerufen. Zu dieser Föderation gehörten sechs Teilrepubliken: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien. Innerhalb Serbiens wurden zudem zwei autonome Provinzen geschaffen – die Vojvodina und das Kosovo.
Das sogenannte Zweite Jugoslawien existierte bis zum endgültigen Zerfall der Republik im Jahr 1992. Serbien und Montenegro schlossen sich daraufhin zur Bundesrepublik Jugoslawien zusammen, die auch als Drittes Jugoslawien bezeichnet wird und offiziell bis 2003 bestand.
Deutsche Bevölkerung in den einzelnen Gebieten Jugoslawiens[2]
Gebiet | 1931 | 1939 | 1944 |
Banat | 121.300 | 125.800 | 128.800 |
Batschka | 173.200 | 174.600 | 178.900 |
Baranya (Baranja) | 15.800 | 16.400 | 16.800 |
Syrmien | 70.300 | 71.900 | 73.600 |
Slawonien | 67.400 | 69.200 | 70.900 |
Bosnien-Herzegowina | 15.000 | 15.600 | 16.000 |
Kroatien | 13.800 | 14.300 | 14.600 |
Serbien | 14.300 | 14.800 | 15.200 |
Südkärnten | 400 | 400 | 400 |
Untersteiermark | 16.000 | 11.400 | 11.700 |
Übermurgebiet | 1.400 | 1.500 | 1.500 |
Krain | 20.200 | 20.900 | 21.400 |
Insgesamt | 529.100 | 536.800 | 549.800 |
3. Geschichte und Kultur
Das Erste Jugoslawien: Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen
Als die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zerfiel, vereinigte sich – ideologisch befördert durch den Illyrismus, den Panslawismus und die Nationalbewegungen der Serben und Kroaten – das Königreich Serbien am 1. Dezember 1918 mit dem Königreich Montenegro und den oben genannten ehemals habsburgischen Gebieten zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (sog. SHS-Staat).
Innerhalb des Königreichs bildeten die Serben die relative Bevölkerungsmehrheit und dominierten Politik, Verwaltung und Militär. Diese serbische Dominanz führte zu Misstrauen und Konflikten innerhalb des jugoslawischen Vielvölkerstaates: Kroaten, Slowenen, Mazedonier und bosnische Muslime, die dem serbischen Zentralismus kritisch gegenüberstanden, waren unzufrieden mit ihrer untergeordneten Rolle. Besonders die Kroatische Bäuerliche Volkspartei (Hrvatska Seljačka Stranka, HSS) und ihr Anführer Stjepan Radić (1871–1928) wehrten sich gegen die serbische Dominanz innerhalb des SHS-Staats und widersetzten sich einer weiteren Zentralisierung des Königreiches. Als Radić und zwei weitere Mitglieder der Bauernpartei im Juni 1928 von einem Abgeordneten der Radikalen Partei (Narodna Radikalna Stranka) ermordet wurden, setzten die oppositionellen Parteien die zentralistische Verfassung aus und boykottierten die Parlamentswahlen, worauf König Aleksandar I. Karađorđević (1888–1934) das Parlament auflöste und die so genannte Königsdiktatur ausrief. 1929 wurde der SHS-Staat offiziell in Königreich Jugoslawien umbenannt.
Nach der Ermordung König Aleksandars 1934 übernahm ein Regentschaftsrat unter Prinzregent Pavle Karađorđević (1893–1976) die Regierungsgeschäfte, da der eigentliche Thronfolger Petar Karađorđević (1923–1970) noch minderjährig war. „Serbisch-kroatische Ausgleichsverhandlungen“ scheiterten am Widerstand sowohl von serbischen nationalistischen Gruppierungen wie auch von kroatischen Separatisten.
Die politische Einflussnahme der deutschen Minderheit war im Ersten Jugoslawien eingeschränkt. Laut Böhm war die Lage der deutschen Bevölkerung gar kulturell und sozial gefährdet: „Seit der Gründung des SHS-Staates führten die Belgrader Regierungen einen systematischen Kampf gegen die kulturellen Grundlagen der deutschen Minderheit, insbesondere durch Konfiskation des deutschen Vereinsvermögen und der Einrichtungen deutscher Schulen […].“[3] Der 1920 in Neusatz/Novi Sad gegründete Schwäbisch-Deutsche Kulturbund, der die Pflege deutscher Sitten und Bräuche zum Zweck hatte, war beispielsweise von 1924 bis 1927 verboten.
Der Zweite Weltkrieg
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erklärte sich die jugoslawische Regierung zunächst für neutral, geriet jedoch, umringt von den Achsenmächten und deren Verbündeten, unter immer größeren außenpolitischen Druck, dem Prinz Pavle im März 1941 nachgab. Eine Gruppe von serbischen Offizieren putschte daraufhin gegen das Abkommen mit den Achsenmächten und stürzte die Regierung, worauf Adolf Hitler (1889–1945) am 6. April 1941 Truppen der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien einmarschieren ließ und mit der Bombardierung von Belgrad/Beograd begann. Das sogenannte Erste Jugoslawien kapitulierte am 17. April 1941, wurde in der Folge zerschlagen und unter den Achsenmächten Deutschland und Italien sowie deren Verbündeten Ungarn und Bulgarien aufgeteilt. Nachdem die königliche Regierung ins Exil nach London geflohen war, wurde Serbien unter deutsche Militärverwaltung gestellt und von einer abhängigen serbischen Administration unter dem ehemaligen jugoslawischen Kriegsminister Milan Nedić (1878–1946) regiert.
Mit Unterstützung der deutschen Nationalsozialisten wurde der „Unabhängige Staat Kroatien“ errichtet. In den Massenvernichtungslagern der Ustaša starben tausende Männer, Frauen und Kinder, größtenteils Serben, aber auch Juden, Roma und Kommunisten. Die Zahl der im Lager Jasenovac Ermordeten ist allerdings umstritten und wurde sowohl von serbischer wie auch von kroatischer Seite zu Propagandazwecken instrumentalisiert. Vermutlich liegen die Opferzahlen „zwischen 70.000 und mehreren hunderttausend Toten“.[4]
In allen Landesteilen formierte sich Widerstand gegen die Besatzungsmächte, dessen Kräfte sich allerdings nicht nur gegen die Besatzer, sondern auch gegen die jeweils andere Partisanengruppe richteten. So kämpften die königstreuen national-serbischen Četnici (von serb. Četa = Kompanie) für ein monarchistisches Großserbien, was wiederum dem Plan der kommunistischen Partisanen unter Josip „Tito“ Broz für eine multiethnische und föderative Umgestaltung Jugoslawiens widersprach.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verübten die siegreichen kommunistischen Partisanen Vergeltungsmaßnahmen an Kollaborateuren. Einheiten der Ustaša, der slowenischen Weißgardisten und der serbischen Četniks sowie andere Kollaborateure, die zuvor auf österreichisches Gebiet geflohen waren, aber von den Briten an die Partisanen ausgeliefert wurden, wurden in der Umgebung von Bleiburg (Kärnten) Opfer von Massenhinrichtungen oder auf Todesmärsche geschickt.
Von Vergeltungsaktionen waren auch die Volksdeutschen in der Vojvodina und Slawonien betroffen. Da viele von ihnen mit der deutschen Besatzungsmacht beziehungsweise dem Ustaša-Regime kollaboriert hatten, waren die Deutschen kollektiv, ungeachtet ihres Alters und Geschlechts, vom Verlust aller ihrer Rechte sowie von Massenhinrichtungen, Vertreibungen, Enteignungen und Plünderungen betroffen. 1945 folgte die Inhaftierung der Deutschen in Internierungslagern sowie die Deportation von 30.000 Jugoslawiendeutschen aus Slawonien, dem serbischen Banat, der Batschka und der südlichen Baranya in sowjetische Arbeitslager.[5] Die Forschung geht von etwa 400.000 vertriebenen beziehungsweise inhaftierten Donauschwaben aus, von denen etwa ein Drittel ermordet wurde.[6]
Die nach Deutschland und Österreich geflüchteten Volksdeutschen organisierten sich in der „neuen“ Heimat in sogenannten Landsmannschaften. Diese Landsmannschaften setzten sich „[n]eben kulturellen Aufgaben […] von vornherein auch für politische, soziale und wirtschaftliche Belange ihrer Mitglieder ein[…]“.[7] Die Jugoslawiendeutsche Landsmannschaft errichte 1964 in Sindelfingen ihr Zentrum. Dieses besteht auch heute noch als „Haus der Donauschwaben“.[8]
Das Zweite Jugoslawien: Sozialistisches Jugoslawien
Am 29. November 1945 wurde die „Föderative Volksrepublik Jugoslawien“ (ab 1963: „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“) von der Kommunistischen Partei ausgerufen. Auf der Konferenz der kommunistischen Parteien in Bukarest/Bucureşti am 27. Juni 1948 kam es zum Bruch zwischen Tito und Stalin (1878–1953), der zum Auschluss Jugoslawiens aus dem Kominform (Informationsbüro der Kommunistischen Arbeiterparteien) führte. Bis dahin wurde der stalinistische Aufbau des jugoslawischen Staates aber rasch vorangetrieben:
Die jugoslawischen Kommunisten sahen sich aus Gründen der ,Legitimierung‘ in der Folge gezwungen, ein selbstständiges Sozialismus-Modell zu entwickeln. Doch die Abkehr vom Stalinismus vollzog sich nur äußerst schleppend und gegen hartnäckigen Widerstand innerhalb der Partei. Der von zahllosen Experimenten, Stagnationen und Rückschlägen begleitete Auf- und Ausbau des SV-Modells [SV = Selbstverwaltung] zog sich bis zur vierten Nachkriegsverfassung von 1974 und dem ,Gesetz über die vereinte Arbeit‘ von 1976 hin.[9]
Außenpolitisch suchte Titos Regime fortan nach einem „dritten Weg“ zwischen den Blöcken. Zusammen mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser (1918–1970) und dem indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru (1889–1964) gründete Tito im Juni 1956 die „Bewegung der Blockfreien Staaten“.
Innenpolitisch stellte die so genannte „nationale Frage“ Titos Regime vor eine große Herausforderung. Dies zeigte sich besonders, als Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren in den verschiedenen Teilrepubliken nationalorientierte Kräfte für mehr Autonomie und Souveränität eintraten. Die Proteste begannen als Studentenunruhen in Belgrad und Agram/Zagreb, sie weiteten sich aber besonders in Kroatien bald zu einer Massenbewegung („Kroatischer Frühling [Hrvatsko proljeće]“) aus. Die Demonstranten protestierten gegen Benachteiligungen, die Kroatien als wirtschaftsstarke Teilrepublik zu erdulden hätte, und forderten für diese mehr Rechte und Souveränität. Durch Titos Intervention wurden die Proteste Ende 1971 schließlich beendet und es folgte eine tiefgreifende Säuberungswelle innerhalb der Kommunistischen Partei.
Bevölkerung Jugoslawiens nach Nationen (narod) und Nationalitäten (narodnost)[10] (1948 und 1971)[11]
1948 | 1971 | |||
Serben | 6.547.197 | 41,5 % | 8.143.246 | 39,7 % |
Kroaten | 3.784.353 | 24,0 % | 4.526.782 | 22,1 % |
Slowenen | 1.415.432 | 9,0 % | 1.678.032 | 8,2 % |
Muslime | 808.921 | 5,1 % | 1.729.932 | 8,4 % |
Mazedonier | 810.126 | 5,1 % | 1.194.784 | 5,8 % |
Montenegriner | 425.703 | 2,7 % | 508.843 | 2,5 % |
Albaner | 750.431 | 4,8 % | 1.309.523 | 6,4 % |
Ungarn | 496.492 | 3,1 % | 477.374 | 2,3 % |
Deutsche | 57.180 | 0,4 % | 12.785 | 0,1 % |
Andere | 676.343 | 4,3 % | 941.671 | 4,5 % |
Insgesamt | 15.772.098 | 100,0 % | 20.522.972 | 100,0 % |
Die Verfassungsänderung von 1974, die der Vojvodina und dem Kosovo innerhalb Serbiens weitgehende innere Selbstverwaltung zusprach und sie den sechs jugoslawischen Teilrepubliken fast gleichstellte, rief nationalistische serbische Stimmen hervor, die die Regierung wegen des Autonomiestatus der beiden Regionen offen kritisierten. Albanischen Nationalisten hingegen gingen die Änderungen nicht weit genug; sie forderten nach dem Tod Titos die Schaffung einer eigenständigen Teilrepublik Kosovo. Im Frühjahr 1981 kam es im Kosovo zu blutigen Zusammenstößen zwischen Kosovo-Albanern und der jugoslawischen Polizei und Armee.
Erstarken nationalistischer Bewegungen
Nach dem Tod von Josip „Tito“ Broz am 4. Mai 1980 befand sich die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, die mit Tito die wichtigste Integrationsfigur verlor, in einer ernsthaften wirtschaftlichen (hohe Auslandsverschuldung) und politischen Legitimitätskrise. In den zehn Jahren zwischen Titos Tod und dem Zusammenbruch Jugoslawiens lässt sich ein ‚Wiedererwachen‘ des Nationalismus in allen Teilrepubliken und autonomen Gebieten beobachten: „Die Unsicherheit über die Zukunft Jugoslawiens bedeutete für die Bürger eine Neuorientierung hin zur eigenen Republik und als Konsequenz auch zur eigenen Nation.“[12] Im Zweiten Jugoslawien, zu dessen zentralen Gründungsmythen die Beschwörung der jugoslawischen Brüderlichkeit und Einheit (bratstvo i jedinstvo) zählte, war im öffentlichen Raum weder Platz für nationale Diskurse und Bewegungen seiner Teilrepubliken und -regionen noch für die Erinnerung an die früheren „Kämpfe und Greueltaten von und zwischen kommunistischen Partisanen, serbisch-nationalistischen Četniks und kroatisch-faschistischer Ustaša“ gewesen, die „sich deshalb unverarbeitet in das kulturelle Gedächtnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen“[13] einschrieben, was auch zum Ausbruch der postjugoslawischen Kriege rund 45 Jahre später beitrug.
Zusammenbruch Jugoslawiens und postjugoslawische Kriege
Die Erklärungsansätze und Theorien für das Scheitern des jugoslawischen Staates sind vielfältig: So wurde zum Beispiel auf eine historische Kontinuität des Balkans als traditionelles Konfliktgebiet („Pulverfass Europas“) verwiesen[14] oder der Ursprung der Konflikte auf die „unterschiedliche[n] zivilisatorische[n] und kulturelle[n] Prägungen“ und auf den „Gegensatz von westlich-katholischen und östlich-orthodoxen/islamischen Zivilisationen“[15] zurückgeführt. Der endgültige Zerfall des Zweiten Jugoslawiens wurde durch die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni 1991 und den darauffolgenden Aufmarsch der jugoslawischen Volksarmee an der slowenischen Grenze eingeläutet. Der Krieg der jugoslawischen Volksarmee gegen Slowenien war nach zehn Tagen beendet. Die Ablösung Mazedoniens im August 1991 erfolgte ohne militärische Auseinandersetzungen. In Kroatien – und nach der Unabhängigkeitserklärung Bosniens und der Herzegowina am 2. März 1992 – eskalierten die Gewalttaten hingegen und führten zu mehrjährigen Kriegen. In diesem Zusammenhang wird auch von den jugoslawischen Bürger-[16] oder den Balkankriegen[17] gesprochen. Mit dem Friedensabkommen von Dayton, das am 21. November 1995 auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt ausgehandelt und am 14. November von den Präsidenten Slobodan Milošević (1941–2006), Franjo Tuđman (1922–1999) und Alija Izetbegović (1925–2003) unterzeichnet wurde, wurde der Krieg in Bosnien-Herzegowina offiziell für beendet erklärt. Bosnien-Herzegowina wurde in zwei politische Entitäten geteilt – die bosnisch-kroatische Föderation Bosna i Hercegovina und die serbisch dominierte Republika Srpska. Im Abkommen von Dayton wurde allerdings versäumt, eine „Konfliktlösung für den gesamten Balkanraum“[18] zu finden. Die Situation in einigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens blieb weiterhin konfliktbeladen, was die späteren Konflikte im Kosovo (1998/1999) und in Mazedonien (2001) zeigten. In der Forschung wird von 400.000 Toten und ca. 4 Millionen Flüchtlingen ausgegangen,[19] die durch die ethnischen ‚Säuberungen‘ während der postjugoslawischen Kriege ihr Leben verloren respektive aus ihrer Heimat vertrieben wurden.[20] Für deren Eskalation wurden in erster Linie die politischen Führungen in Serbien sowie in der Republika Srpska verantwortlich gemacht. Seit 1993 untersucht der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) mit Sitz in Den Haag die während der postjugoslawischen Kriege verübten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.
Das Dritte Jugoslawien: Die Bundesrepublik Jugoslawien
Am 24. April 1992 wurde die Bundesrepublik Jugoslawien ausgerufen. Der aus Serbien und Montenegro bestehende „Rumpfstaat“ beanspruchte die Rechtsnachfolge der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Bereits im Frühjahr und Sommer 1992 verhängte die Europäische Gemeinschaft und der Sicherheitsrat der UNO weitgehende Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien und am 22. September 1992 wurde es von der UNO-Vollversammlung ausgeschlossen.
Anfang des Jahres 1998 begann sich der Konflikt zwischen der UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës [Befreiungsarmee des Kosovo]) und der Polizei und dem Militär der Bundesrepublik Jugoslawien zu verschärfen. Von März bis Juni 1999 führten die Streitkräfte der NATO Luftangriffe auf Ziele in Serbien durch, die maßgeblich dazu beitrugen, dass sich die serbischen Truppen aus dem Kosovo zurückziehen mussten. Das sich unter dem Protektorat der Vereinten Nationen befindende Gebiet erklärte sich 2008 zu einem unabhängigen Staat, der jedoch von Serbien und einigen anderen europäischen Staaten nicht anerkannt wird.
Am 4. Februar 2003 trat die Staatenunion Serbien und Montenegro die Nachfolge der Bundesrepublik Jugoslawien an. Jugoslawien verschwand somit endgültig von der politischen Landkarte. Serbien-Montenegro existierte bis zur Unabhängigkeitserklärung Montenegros am 3. Juni 2006.
Deutsche Minderheiten in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens
In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens leben heute knapp 10.000 Deutsche. In Kroatien, wo sie als offizielle Minderheit anerkannt sind, waren 2011 2.965 Deutsche beheimatet.[21] Auch in Serbien besteht seit 2007 ein Nationalrat der deutschen nationalen Minderheit, der ihnen die Anerkennung als Minderheit garantiert und politische Mitsprache ermöglicht. Laut der Volkszählung von 2011 leben in Serbien 4.064 Deutsche, zumeist Schwaben (Švabe) genannt.[22] In Slowenien hingegen ist die deutschsprachige Minderheit weder offiziell anerkannt, noch verfügt sie über eine politische Vertretung. In der Volkszählung des Jahres 2002 werden 499 Personen als Deutsche und 181 als Österreicher aufgeführt.[23]
Die Rezeption Jugoslawiens seit 1945
Die Wahrnehmung des kommunistischen Jugoslawiens im Westen war durch mehrere Faktoren geprägt: Im Laufe der 1960er Jahre wurde in Jugoslawien vor dem Hintergrund des Heranwachsens geburtenstarker Jahrgänge und der Freisetzung von Arbeitskräften durch Wirtschaftsreformen die Abwanderung von Arbeitskräften offiziell erlaubt; 1965 wurden Anwerbeverträge mit verschiedenen westeuropäischen Staaten abgeschlossen. Die wachsende Zahl von jugoslawischen Gastarbeitern in Westeuropa wirkte sich auf die dortige Wahrnehmung Jugoslawiens insofern aus, als laut Mira Beham die Kontakte mit den Gastarbeitern dazu beitrugen, dass „Jugoslawien in den Kontext des ‚armen Südens‘ [eingeordnet wurde]“.[24]
Dass sich Jugoslawien bereits im Laufe der 1950er Jahre als einziges kommunistisches Land für den kommerziellen Fremdenverkehr aus dem Westen zu öffnen begann, generierte wiederum ein anderes Bild des Staates, der für viele Touristen aus Westeuropa und Nordamerika als Urlaubsland ein Begriff wurde.
Hinzu kam, dass das jugoslawische Modell als eine liberale und humanere Version des Kommunismus galt. Diese Wahrnehmung beruhte in erster Linie auf dem Dritten Weg, den Jugoslawien seit dem Bruch mit Stalin eingeschlagen hatte. Aber auch die Person Titos wurde im Westen durchaus positiv beurteilt: „Der Herrscher über dieses Jugoslawien […] galt als ein großer Staatsmann, der es verstand, sein Land auf einem Sonderweg durch die Strudel der Geschichte zu führen.“[25]
Während der postjugoslawischen Kriege veränderte sich die Wahrnehmung Jugoslawiens grundlegend. Nun wurde der postjugoslawische Raum in der Weltöffentlichkeit in erster Linie als Region wahrgenommen, die geprägt war von Kriegen sowie ethnischem und religiösem Hass.
In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens lässt sich in der jüngeren Zeit hingegen ein interessantes Phänomen beobachten: die so genannte „Jugo-Nostalgie“. Diese zeigt sich beispielsweise in der Eröffnung von Bars, Restaurants, Museen etc., die Jugoslawien nicht nur zum Thema haben, sondern die Erinnerung daran wiederzubeleben versuchen. Laut Zala Volcic ermöglicht diese Art der Nostalgie eine spezielle Form der Aufarbeitung der jugoslawischen Vergangenheit und ihres tragischen Endes: „It is as if the Yugoslavs had to destroy their country in order to truly appreciate its possibilities by confronting the prospect of living without them.“[26] Die ‚dunklen‘ Seiten Jugoslawiens, wie zum Beispiel die Inhaftierung von politischen Gegnern und Andersdenkenden, werden bei dieser Art von Nostalgie allerdings vergessen.
4. Bibliographische Hinweise
Gesamtdarstellungen
- Leslie Benson: Yugoslavia: A concise history. Houndmills 2000.
- Marie-Janine Čalić: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. München 2010.
- Dejan Djokić, James Ker-Lindsay (Hg.): New perspectives on Yugoslavia: Key issues and controversies. London 2011.
- Sabrina Petra Ramet: Die drei Jugoslawien: Eine Geschichte der Staatsbildungen und ihrer Probleme. München 2011.
- Holm Sundhaussen: Geschichte Jugoslawiens. Stuttgart 1982.
Literatur über den Zerfall Jugoslawiens und seine Nachfolgestaaten
- Robert M. Hayden: From Yugoslavia to the western Balkans: Studies of a European disunion, 1991–2011. Leiden 2012.
- Robert Hudson (Hg.): After Yugoslavia: Identities and politics within the successor states. Houndmills 2012.
- Wolfgang Libal: Das Ende Jugoslawiens: Chronik einer Selbstzerstörung. Wien, Zürich 1991.
- Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011: Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. Wien 2012.
Literatur über Deutsche in Jugoslawien
- Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009.
- Johann Böhm: Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918–1941. Frankfurt a. M. 2009.
- Zoran Janjetović: Between Hitler and Tito – The Disappearance of the Vojvodina Germans. Belgrad 2005.
- Herbert Prokle, Donauschwäbische Kulturstiftung München (Hg.): Genocide of the ethnic Germans in Yugoslavia, 1944–1948. 2. Aufl. München 2006 (1. Aufl. 2003).
- Ingomar Senz: Die Donauschwaben. München 2005.
- Hans-Ulrich Wehler: Nationalitätenpolitik in Jugoslawien: Die deutsche Minderheit 1918–1978. Göttingen 1980.
Anmerkungen
[1] Zoran Janjetović: Die Donauschwaben in der Vojvodina und der Nationalsozialismus. In: Mariana Hausleitner, Harald Roth (Hg.): Der Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Minderheiten in Ostmittel- und Südeuropa. München 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München, Wissenschaftliche Reihe: Geschichte und Zeitgeschichte 107), S. 219–235, hier S. 220.
[2] Böhm: Die Deutsche Volksgruppe, S. 67. Nach: Alfred Bohmann: Bevölkerung und Nationalitäten in Südosteuropa. Köln 1969, S. 236.
[3] Böhm: Die deutsche Volksgruppe, S. 161.
[4] Herwig Roggemann: Vom jugoslawischen Verfassungskonflikt zum neuen Balkankrieg. In: Holm Sundhaussen (Hg.): Südosteuropa zu Beginn der neunziger Jahre. Reformen, Krisen und Konflikte in den vormals sozialistischen Ländern. Berlin 1993, S. 109–147.
[5] Vgl. Janjetović: Die Donauschwaben (Anm. 1), S. 234.
[6] Vgl. Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien 2004, S. 204.
[7] Immo Eberl: Vertriebenenverbände: Entstehung, Funktion, Wandel. In: Mathias Beer (Hg.): Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945. Bestandsaufnahme und Perspektive der Forschung. Sigmaringen 1994, S. 211–234, hier S. 223.
[8] Webauftritt des „Hauses der Donauschwaben Sindelfingen“: www.haus-donauschwaben.de/wordpress/ (18.12.2014).
[9] Hösch, Nehring, Sundhaussen (Hg.): Lexikon (Anm. 6), S. 323.
[10] Serben, Kroaten, Slowenen, Montenegriner, Mazedonier und seit den 1960er Jahren auch die Muslime (Bosniaken) galten in Jugoslawien als Nationen (narod). Albaner, Ungarn, Deutsche etc. hatten hingegen lediglich den Status einer Nationalität (narodnost), da sie außerhalb Jugoslawiens einen eigenen Nationalstaat besaßen.
[11] Aus: Sundhaussen: Geschichte Jugoslawiens, S. 218.
[12] Florian Bieber: Nationalismus in Serbien vom Tode Titos bis zum Ende der Ära Milošević. Wien 2005 (Wiener Osteuropa-Studien 18), S. 17.
[13] Pascal Goeke: Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in Europa seit 1991. In: Klaus J. Bade, Pieter C. Emmer, Leo Lucassen, Jochen Oltmer (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zürich 2007, S. 578–585, hier S. 578.
[14] Vgl. hierzu: Robert Kaplan: Balkan Ghosts. A Journey through History. New York 2005 [Erstausgabe 1993].
[15] Peter Imbusch: Der Staatszerfall Jugoslawiens. In: Ders., Ralf Zoll (Hg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 221–248, hier S. 222.
[16] Laut Imbusch wird durch Bezeichnungen wie Bürger- und Bruderkrieg vergessen, dass durch „die sukzessive Anerkennung der Teilrepubliken als souveräne Staaten durch die Völkergemeinschaft ein internationaler Konflikt“ geworden ist (Imbusch: Staatszerfall [Anm. 15], S. 221).
[17] Maria Todorova wiederum kritisierte, dass die postjugoslawischen Kriege als „balkanische“ Konflikte wahrgenommen und gar von Balkankriegen gesprochen wurde, beschränkten sich die kämpferischen Handlungen doch auf das Gebiet der Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Vgl. Maria Todorova: Imagining the Balkans. 2. Aufl. Oxford 2009 [1997], S. 136.
[18] Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 2008, S. 283.
[19] Imbusch: Staatszerfall (Anm. 15), S. 232.
[20] Das Büro des „United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR)“ spricht von schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen, die aus Bosnien-Herzegowina geflohen sind. Bei ungefähr 1,3 Millionen handelte es sich um Binnenvertriebene. Etwa 500.000 Personen fanden in Nachbarländern Zuflucht und 700.000 Flüchtlinge gingen nach Westeuropa. Vgl. UNHCR: Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt – UNHCR-Report 2000/2001. Bonn 2000, S. 249.
[21] Croatian Bureau of Statistics: Population by ethnicity, by Towns/Municipalities. In: Census of Population 2011, Households and Dwellings. Zagreb 2006–2014. URL: www.dzs.hr/default_e.htm (Abruf 28.10.2014).
[22] Statistical Office of the Republic of Serbia: Chapter 4: Religion, Mother Tongue and Ethnicity. In: 2011 Census of Population, Households and Dwellings in the Republic of Serbia. Date by municipalities and cities. Belgrade 2013, S. 33, S. 100. URL: pod2.stat.gov.rs/ObjavljenePublikacije/Popis2011/Knjiga4_Veroispovest.pdf (Abruf 28.10.2014).
[23] Statistical Office of the Republic of Slovenia: 7. Population by Ethnic Affiliation, Slovenia Census 1953, 1961, 1971, 1981, 1991 and 2002. In: Census of Population, Households and Housing 2002. Ljubljana 2003, S. 4. URL: www.stat.si/popis2002/gradivo/si-92.pdf (Abruf 28.10.2014).
[24] Mira Beham: Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik. München 1996, S. 157.
[25] Vgl. Beham: Kriegstrommeln (Anm. 24), S. 157–158.
[26] Zala Volcic: Serbian Spaces of Identity. Narratives of Belonging by the Last ,Yugo‘ Generation. New York 2011, S. 131.
Zitation
Kathrin Pavic: Jugoslawien. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32625 (Stand 25.01.2022).
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