Wenden/Cēsis

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Wenden

Amtliche Bezeichnung

lett. Cēsis

Anderssprachige Bezeichnungen

lat. Wenden; estn. Võnnu, russ. Цесис (translit. Cesis)

Etymologie

Der Name Wenden ist finno-ugrischer Herkunft. Er wird auf den finno-ugrischen Volksstamm der Wenden zurückgeführt, der aus dem livischen Teil Kurlands am Fluss Windau (lett., lit Venta) stammte und in der Region seit dem 12. Jahrhundert siedelte. Der Begriff Wenden war im Mittelalter auch gebräuchlich für Slawen bzw. fremde Völker, die zum Christentum bekehrt wurden. Der Ortsname Wenden könnte eine Verbindung dieser Bedeutungen sein. Die livländischen Wenden haben keine Gemeinsamkeiten mit den westslawischen Wenden.

2. Geographie

Lage

Wenden liegt auf 57° 19' nördlicher Breite und 25° 17' östlicher Länge, ca. 77 km nördlich der lettischen Hauptstadt Riga/Rīga.

Topographie

Die Stadt befindet sich in Lettland an der Livländischen Aa (Gauja).

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Lettland. Wenden gehört heute zur Region Südlivland (Vidzeme) und ist soziales und administratives Zentrum des Landkreises Wenden (Cēsis).

3. Geschichte und Kultur

Bild

Wappen von Wenden/Cēsis
[Grafik: www.cesis.lv]

 

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen aus dem Jahr 1383 zeigt auf blauem Hintergrund eine rote Mauer mit fünf Türmen. Das geöffnete Tor symbolisiert das Stadtrecht. Darauf steht ein Krieger mit ausgebreiteten Armen, der in der rechten Hand ein Schwert, in der linken Hand einen Schild hält.

Mittelalter

Als Mönche des Schwertbrüderordens (Fratres milicie Christi de Livonia) Anfang des 13. Jahrhunderts die heutige Region Wenden erreichten, stießen sie auf die Volksstämme der Lettgallen, Liven und Wenden. Obwohl die Christianisierung in Livland meist mit blutigen Kämpfen verbunden war, "freuten sich [die Wenden] über die Ankunft des Priesters"[1] und ließen sich aus pragmatischen Gründen bekehren. Als Ausgleich leisteten die Ordensbrüder Hilfe bei der Bekämpfung der äußeren Feinde der ansässigen Bevölkerung, gegen Esten und Russen.

Vermutlich lebten die Ordensbrüder ab 1207 gemeinsam mit Wenden auf dem Nussberg (Riekstukalns). Um 1213/14 bauten sie auf dem benachbarten Hügel eine steinerne Burg, deren Überreste noch heute erhalten sind. Im Süden und Osten dieses neuen Sitzes der Schwertbrüder entstand ein Dorf. 1221 wurde es von Wenden und Schwertbrüdern in Brand gesetzt, nachdem es einem russischen Angriff nicht standhalten konnte. Um 1224/27 wird Wenden als Hakelwerk (eine nichtagrarische Siedlung neben einer Burg) erwähnt, in dem sich vor allem deutsche Kaufleute ansiedelten. Nachdem 1236 ein großer Teil der Schwertbrüder in der Schlacht bei Saule gegen die Litauer ums Leben gekommen und der Schwertbrüderorden als livländischer Zweig in den Deutschen Orden eingegliedert worden war, nahm die Bedeutung der Zitadelle Wenden weiter zu. Ab 1297 war die Burg häufiger Aufenthaltsort der livländischen Ordensmeister.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhielt Wenden das Rigaer Stadtrecht und schloss sich dem Kaufmanns- und Städtebund der Hanse an.

Ab den frühen 1480er Jahren (Aufstand der Rigaer Bürgerschaft) bis zum Ende der livländischen Selbstständigkeit 1560/61 wurde Wenden anstelle von Riga zur Hauptburg der Ordensmeister.[2] Der Bekannteste unter ihnen war Wolter von Plettenberg (1494–1535).

Neuzeit

Nach Auflösung des livländischen Zweiges des Deutschen Ordens im Jahr 1561 erlebte Wenden wechselnde Machthaber. Im Livländischen Krieg (1558–1583) um die Vorherrschaft im ehemaligen Gebiet des Deutschen Ordens Livland wurde die Stadt 1560 von Russen geplündert und 1562 von Polen besetzt. 1577 kam es wieder zur Belagerung und Plünderung durch die Truppen des russischen Zaren Ivans IV. des Schrecklichen (1530–1584), was zu einem im damaligen Europa viel beachteten Ereignis führte: Mehr als 300 Einwohner Wendens flüchteten sich aus Angst in die Burg, wo sie sich nach fünf Tagen Belagerung unter Heinrich Boismann in die Luft sprengten.[3]

1582 wurde Wenden nach Polen, 1601 nach Schweden eingegliedert, 1703 abermals von Russen erobert, zerstört und in das russische Zarenreich eingegliedert. 1710 erlitt Wenden schwere Verluste durch eine Pestepidemie. 1777 ging die Burg an die Adelsfamilie von Sievers über. Das Anwesen blieb bis zur Agrarreform der Lettischen Republik 1920 im Besitz der Familie.

Zeitgeschichte

Nach der Gründung der Lettischen Republik am 18. November 1918 wurde Wenden lettisch. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der lettische Freiheitskrieg den Charakter eines Bürgerkrieges an. Am 16. April 1919 putschten Deutschbalten in Libau/Liepāja und setzten Andrievs Niedra als neuen Ministerpräsidenten lettischer Abstammung ein. Im Juni 1919 kam es in Wenden zu militärischen Auseinandersetzungen beider Parteien: Die vereinigten estnischen und lettischen Truppen griffen die deutschen Truppen von Norden her an und schlugen sie am 22./23. Juni. Die Alliierten schalteten eine Militärmission ein und die lettische Regierung unter Kārlis Ulmanis nahm die Arbeit wieder auf. Am 3. Juli wurde der Waffenstillstand von Strasdenhof vereinbart und die deutschbaltischen Gruppen wurden in die lettische Nationalarmee eingegliedert.

Bevölkerung

1744 hatte Wenden 600, 1836 2.000 und 1853 1.632 Einwohner.[4] 1897 waren von 6.356 Einwohnern 4.164 Letten, 872 Deutsche, 712 Russen, 326 Juden, 160 Polen und 85 Esten. 1914 war die Einwohnerzahl auf 7.400 gestiegen. 1920 lebten hier noch 6.452 Personen, davon 277 Deutsche. Bis 1935 stieg die Einwohnerzahl auf 8.747, davon 8.020 Letten, 221 Deutsche, 194 Russen und 180 Juden. 1976 lebten hier 19.400 Personen.[5] 2013 zählte Wenden 16.093 Einwohner.[6]

Wirtschaft

Neben Riga und Reval/Tallinn war Wenden die dritte Stadt Livlands, die seit 1472 das Recht hatte, Münzen zu prägen. Die günstige Lage an der Handelsstraße Riga-Dorpat/Tartu-Pleskau/Pskov begünstigte schon früh den Handel mit Russland. Im 16. Jahrhundert wurde die Stadt ein bedeutsamer Warenumschlagplatz von Salz und Heringen aus dem Westen und Wachs und Pelzen aus dem Osten.

Nach kriegsbedingtem Bedeutungsverlust kam es Mitte des 19. Jahrhunderts wieder zum wirtschaftlichen Aufschwung. Kalkofen, Ziegelei, Steinbruch und Färbereien nahmen die Arbeit auf. Im Zuge der Industrialisierung wurde Wenden 1889 an die Eisenbahnlinie Riga-Walk/Valka angeschlossen.

Die Brauerei in Wenden ist die älteste in Lettland - schon ab 1590 wurde im Schloss Bier gebraut. 1878 erbaute Graf Emanuel von Sievers eine neue Brauerei außerhalb der Schlossmauern.

Religions- und Kirchengeschichte

In der Zeit der Reformation kam es in Livland unter dem Ordensmeister Wolter von Plettenberg (um 1450–1535) zu einer paradoxen Situation: In diesem Staat der katholischen Kirche wurde dem Luthertum Glaubensfreiheit gewährt. Schon 1524 verkündete in Wenden der Geistliche Bernhard Brugmann den lutherischen Glauben, was großen Anklang bei einheimischen Adligen und Bürgern der Stadt fand. Da die Religionszugehörigkeit der Bauern von der konfessionellen Entscheidung der Gutsherren abhing, reagierten die leibeigenen Bauern indifferent auf die evangelische Lehre.

Besondere kulturelle Institutionen

Das einzige Museum in Wenden ist das Geschichts- und Kunstmuseum (Cēsu vēstures un mākslas muzejs), das in der Burganlage untergebracht ist.

Kunstgeschichte

Die gotische Johanniskirche, der größte lettische Kirchenbau außerhalb Rigas, wurde vermutlich zwischen 1281 bis 1284 als dreischiffige turmlose Hallenkirche mit gestrecktem Chor und polygonaler Apsis erbaut. Als Hauptkirche des Deutschen Ordens beherbergt sie Grablegen von Ordensmeistern, u. a. von Wolter von Plettenberg. Im 15. Jahrhundert wurde sie modernisiert und vergrößert, im 17. Jahrhundert stürzte sie ein. Der neogotische Altar stammt aus dem Jahr 1858; das Altargemälde Golgatha (1860) schuf der estnische Maler J. P. Keller-Vyliandi (1826–1899)).

Bild

Ruine der Ordensburg in Wenden/Cēsis, 2013
[Foto: A. Godlinski].

Die Burganlage mit der Burg der Deutschordensmeister (13. Jahrhundert) bildet den historischen Stadtkern Wendens. Heute sind zwei Gebäudeflügel aus Kalkstein erhalten. Anfang des 15. Jahrhunderts zum Konventhaus umgebaut, erhielt die Burg im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts runde Artillerietürme und der Wohnraum der Ordensmeister im Hauptturm unter Wolter von Plettenberg ein reich dekoriertes spätgotisches Sternengewölbe. Fünfzig Jahre nach ihrer Sprengung 1577 wurde die Burg saniert und erneut bezogen. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts verfiel sie. Graf Carl Gustav von Sievers (1772–1856) verlegte den Herrensitz auf die sogenannte Neue Burg, ein zweistöckiges Schloss mit Mansarddach. Die Burgruine wurde mit malerischen Parkanlagen zu einer einzigartigen Kulturlandschaft ergänzt. Sein Sohn Emanuel von Sievers (1817–1909) hinterließ ein umfangreiches künstlerisches Œuvre mit Ansichten von Burg und Park.

Die Burg des Deutschordensmeisters, die Neue Burg, die Johanniskirche, die Parkanlage und der historische Stadtkern von Wenden sind archäologische und architektonische Denkmäler staatlicher Bedeutung Lettlands.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

2006 feierte Wenden sein 800-jähriges Jubiläum. 2009 bewarb es sich als Europäische Kulturhauptstadt 2014, musste aber Riga den Vorrang lassen. Wenden und Achim bei Bremen sind seit 1991 Partnerstädte.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Wenden. In: Hans Feldmann, Richard von Kymmel, Dagmar Lydike, Heinz von zur Mühlen, Clara Redlich, Sigrid Weikert-Girgensohn: Baltisches historisches Ortslexikon. T. 2: Lettland (Südlivland und Kurland). Köln 1990 (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte 8/II), S. 690693.
  • Kaspars Kļaviņš: Cēsis - ein Symbol der Geschichte Lettlands. Cēsis 2012.
  • C(onstantin) Mettig: Baltische Städte. Skizzen aus der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands. 2., verm. Aufl. Riga 1905. S. 115129.
  • Klaus Neitmann: Riga und Wenden als Residenzen des livländischen Landmeisters im 15. Jahrhundert. In: Udo Arnold (Hg.): Stadt und Orden. Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den Städten in Livland, Preußen und im Deutschen Reich. Marburg 1993 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 44), S. 5993.
  • Jegor von Sivers: Wenden, seine Vergangenheit und Gegenwart. Ein Beitrag zur Geschichte Livlands. Riga 1857 (Nachdruck Hannover-Döhren 1975).

Weblinks

Anmerkungen

[1] Heinrici: Chronicon Livoniae, X, 14, S. 67.

[2] Neitmann: Riga und Wenden.

[3] Mettig: Baltische Städte, S. 115–129.

[4] Sivers: Wenden, S. 7.

[5] Wenden. In: Baltisches historisches Ortslexikon, S. 690 ff.

[6] Daten der Volkszählung 2013. Vgl. http://data.csb.gov.lv/Table.aspx?layout=tableViewLayout1&px_tableid=Sociala%5cIkgad%c4%93jie+statistikas+dati%5cIedz%c4%abvot%c4%81ji%5cIedz%c4%abvot%c4%81ji+skaits+un+t%c4%81+izmai%c5%86as%5cIS0150.px&px_language=lv&px_type=PX&px_db=Sociala&rxid=992a0682-2c7d-4148-b242-7b48ff9fe0c2 (Abruf 28.11.2013).

Zitation

Anda Godlinski: Wenden/Cēsis. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32436 (Stand 30.07.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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