Erlau/Eger/Jáger

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Erlau

Amtliche Bezeichnung

ungar. Eger

Lateinische Bezeichnung

Agria

Sonstige Bezeichnungen

slowak. Jáger

2. Geographie

Lage

47o 89' nördlicher Breite, 20o 37' östlicher Länge.

Topographie

Ortschaft im Nordosten Ungarns, gelegen im Donau-Theiß-Zwischenstromland der Großen Ungarischen Tiefebene an den südwestlichen Ausläufern des Bükk-Gebirges, 130 km nordöstlich von Budapest und 140 km nordwestlich von Debrezin/Debrecen/Debreţin.

Region

Nord-Ungarn (Észak-Magyarország)

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Republik Ungarn. Erlau ist Sitz des Komitats (ung. megye) Heves, des Kleingebiets Eger (Egri Kistérség) und des Erzbistums Eger.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das heutige Wappen entstand Ende des 17. Jahrhunderts. Im blauen Feld des kielbogenförmigen Schildes befindet sich auf grüner Basis eine Burgmauer aus weißen Steinen mit drei Basteien, zwei Schießscharten und drei offenen Toren. Auf dem mittleren Turm windet sich eine Schlange um ein Schwert mit goldenem Griff (Symbol der Falschheit, die durch den Glauben besiegt wird); darüber befinden sich ein silberner sechseckiger Stern und eine Sonnenscheibe. Im linken Feld des Schildes ist ein tänzelndes weißes Einhorn (Element aus dem Wappen des Bischofs von Erlau Georg Fenesy [1686–1689]), im rechten oberen Feld ein goldener Adler mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, der in den Krallen ein offenes Buch hält. Der Adler symbolisiert den Evangelisten Johannes, den Schutzpatron der Kathedrale und der Diözese von Erlau.

Gebräuchliche Beinamen

Wegen ihrer Funktion als Bildungszentrum und ihres dynamischen kulturellen Lebens wird die Stadt auch das "ungarische Athen" genannt.

Mittelalter

Die Gräber aus der Zeit der Landnahme Ende des 9. Jahrhunderts und die aus dem 10. Jahrhundert stammenden Kirchenruinen im Burgbereich belegen eine bedeutende Zentrumsfunktion der Siedlung seit der Niederlassung der Magyaren (896). König Stephan I. (997/1000–1038) gründete hier zwischen 1005 und 1010 ein Bistum. Damals wurde die dem hl. Evangelisten Johannes gewidmete Kathedrale erbaut, in der König Emmerich (1196–1204) begraben wurde. Während des Mongolensturms (1241/42) wurde der Ort fast gänzlich zerstört und die Bevölkerung dezimiert. Anschließend wurde die Stadt neu errichtet und mit Mauern umgeben; um die Kirche wurde eine Burg gebaut. Der mittelalterliche Straßenname "Italien" erinnert an italienische Siedler. Auch Deutsche kamen in die Stadt. Unter den Bischöfen ist der aus Schlesien stammende Johann Beckensloer (ca. 1435–1489) zu erwähnen, der 1473 Erzbischof von Gran/Esztergom/Ostrihom und 1487 Erzbischof von Salzburg wurde.

Neuzeit

Die Burg spielte eine wichtige Rolle während der Türkenkriege im 16. Jahrhundert. Mit einer kleinen Besatzung verteidigte Stefan Dobó 1552 die Burg vierzig Tage lang erfolgreich gegen die Osmanen. Anschließend wurde die Festung von italienischen Genieoffizieren modernisiert und blieb bis 1596, als sie von den Osmanen besetzt wurde, ein wichtiger Standort der ungarischen Grenzverteidigung. Nach fast halbjähriger Belagerung wurde sie 1687 befreit. Zur Zeit des Aufstands von Franz II. Rákóczi (1703–1711) war Erlau Zentrum des von den Habsburgern abgetrennten oberungarischen Landesteils. Der Wiederaufbau und der Aufschwung begannen im 18. Jahrhundert, vor allem dank der Tätigkeiten der Kirchenführer. Die Bischöfe und das Domkapitel des umgebenden Besitztums von Erlau (z. B. Egerszalók, Kerecsend, Maklár) kamen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem Rheingebiet, dem Elsass und Bayern. Unter den Bischöfen ist Karl Eszterházy (1761–1799) hervorzuheben, der als Mäzen und Bauherr wirkte. Aufgrund einer Vereinbarung mit Erzbischof Béla Bartakovits (1850–1873) wurde die Stadt 1854 eigenständig.

Verwaltung

Selbstverwaltung der Stadt Erlau mit Komitatsrecht.

Bevölkerung

1785 hatte Erlau 17.083 Einwohner, 1880 waren es 20.699 (darunter 318 Deutsche) und 1910 26.807 (darunter 263 Deutsche). 2011 lebten in der Stadt 56.530 Personen. Ethnische Zusammensetzung (2001): Ungarn 96 %; Sinti und Roma 0,9 %; Deutsche 0,2 %.

Wirtschaft

Unter den historischen Weinregionen des Landes kann Erlau auf eine der ältesten Traditionen zurückblicken. International bekannt ist der Rotwein "Erlauer Stierblut" (Egri Bikavér). Das 1893 gegründete Tabakwerk war einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt und des Umlandes. 1948 verstaatlicht, ging es 1991 in den Besitz des Philip-Morris-Konzerns über. 2004 wurde es geschlossen.

Religions- und Kirchengeschichte

Während der Türkenkriege ließen sich Serben in Erlau nieder, die im 17. Jahrhundert die Kirche des Augustinerordens für ihre serbisch-orthodoxen Gottesdienste nutzten und ab 1785 an dieser Stelle die Rác-Kirche bauten. In osmanischer Zeit wurden einige Kirchen in Moscheen umgewandelt, so jene des Franziskanerklosters. Unter habsburgischer Herrschaft konnte sich in Erlau die Reformation kaum durchsetzen. 1804 wurde das römisch-katholische Bistum zum Erzbistum erhoben. 1880 waren 85,76 % der Einwohner römisch-katholischen, 11,26 % jüdischen, 1,33 % reformierten und 1,15 % evangelisch-lutherischen Glaubens. 2001 waren 62,4 % römisch-katholisch, 7,8 % reformiert, 0,9 % griechisch-katholisch, 0,7 % evangelisch; 18 % gehörten keiner Konfession oder Kirche an, 9,4 % machten keine Angaben.

Besondere kulturelle Institutionen

Géza-Gárdonyi-Theater zu Erlau (1955) (Egri Gárdonyi Géza Színház); István-Dobó-Museum, Zentrum der erzbischöflichen Sammlungen (Érseki Gyűjteményi Központ).

Bildung und Wissenschaft

1692 wurde ein Zisterzienser-Gymnasium gegründet (heute Gárdonyi Géza Ciszterci Gimnázium), 1741 ein erzbischöfliches Rechtslyzeum und 1754 ein erzbischöfliches theologisches Institut (heute Egri Érseki Papnevelő Szeminárium). Bischof Karl Eszterházy gründete 1762 ein Lyzeum und 1769 die erste medizinische Schule des Landes. Im Gebäude des Erlauer Lyzeums wurde 1828 die landesweit erste ungarischsprachige pädagogische Schule eröffnet. Heutige Bildungseinrichtungen sind das István-Dobó-Gymnasium, das Erzsébet-Szilágyi-Gymnasium mit Kollegium und die Pädagogische Hochschule Karl Eszterházy (Eszterházy Károly Tanárképző Főiskola). Wertvoll sind die Sammlungen der Diözesanbibliothek (Egri Főegyházmegyei Könyvtár).

Kunstgeschichte

Das bis heute erhalten gebliebene, 40 m hohe Minarett der 1624 von Arnaut-Pascha errichteten Kethuda-Moschee gilt als nördlichstes Beispiel osmanischer Architektur. In habsburgischer Zeit erhielt Erlau seine barocke Prägung. Werke des Würzburgers Heinrich Fassola (†1799), der seit 1758 in Erlau und Umgebung tätig war, schmücken zahlreiche Fassaden barocker Baukunst. Die nach Plänen von Josef Hild im klassizistischen Stil errichtete Basilika (1831–1837) wurde 1970 von Papst Paul VI. in den Rang einer basilica minor erhoben. Der barocke erzbischöfliche Palast wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Plänen von Giovanni Battista Carlone erbaut. Für die bevölkerungsreiche serbische Kolonie wurde 1785–1799 die orthodoxe Rác-Kirche im sog. Zopfstil errichtet.

Literatur

Géza Gárdonyi (1863–1922), der Schüler im Erlauer Lyzeum war und das letzte Jahrzehnt seines Lebens in Erlau verbrachte, widmete seinen bekannten historischen Roman Egri csillagok (Sterne von Eger, 1901) den heldenhaften Verteidigern der Stadt gegen die osmanischen Belagerer von 1552.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • István Bitskey: Püspökök, írók, könyvtárak. Egri főpapok irodalmi mecenatúrája a barokk korban [Bischöfe, Schriftsteller, Bibliotheken. Das Mäzenatentum hoher Kleriker aus Erlau in der Barockzeit]. Eger 1997.
  • Ernő Deák: Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780–1918). Bd. II/1: Ausgewählte Materialien zum Städtewesen. A: Königliche Freistädte-Munizipalstädte. Wien 1989 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für Wirtschafts-, Sozial- und Stadtgeschichte 4), S. 656-661.
  • Béla Kovács: Az egri egyházmegye története 1596-ig [Geschichte der Diözese Erlau bis 1596]. Eger 1987 (Az Egri Főegyházmegye Sematizmusa 3).
  • Antal Molnár: Le Saint-Siège, Raguse et les missions catholiques de la Hongrie Ottomane 1572–1647. Rome, Budapest 2007 (Studia Bibliotheca Academiae Hungariae – Roma 1).
  • József Nagy: Eger története [Geschichte von Erlau]. Budapest 1978.
  • István Sugár: The Basilica of Eger. Budapest 1981.
  • István Sugár: Az egri püspökök története [Geschichte der Bischöfe von Erlau]. Budapest 1984.

Periodika

  • Agria (1963ff.)
  • Archivum (1973ff.)

Weblinks

Zitation

Tamás Fedeles: Erlau/Eger. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2012. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/57055.html (Stand 29.10.2015).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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