Pilsen/Plzeň

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Pilsen

Amtliche Bezeichnung

tschech. Plzeň

Anderssprachige Bezeichnungen

lat. Plzna, Pilzna nova

Etymologie

Neben volksetymologischen Erklärungen liefert v. a. der tschechische Onomastik-Experte Antonín Profous (1878–1953) in seinem Werk „Místní jména v čechách“ (Die Ortsnamen in Böhmen) eine drei Interpretationsmöglichkeiten umfassende Deutung, woher der Name Pilsen stammt. Demzufolge leitet sich Plzeň erstens von dem Adjektiv „plzký“ ab, was etwa glitschig/schlüpfrig bedeutet und auf den feuchten Boden hinweist. Eine andere, inzwischen verworfene Möglichkeit deutet auf „plz“, zu Deutsch Schnecke. Wahrscheinlich ist, dass der Name auf das aus dem Alttschechischen stammende Adjektiv „plzný“ = nützlich, fruchtbar zurückgeht.

2. Geographie

Lage

Pilsen liegt 49o 44‘ nördlicher Breite, 13o 23‘ östlicher Länge, etwa 80 km südwestlich von Prag/Praha.

Topographie

Die viertgrößte Stadt der Tschechischen Republik liegt im von Höhenzügen umrahmten Pilsener Becken am Zusammenfluss von Mies (tschech. Mše), Radbusa (Radbuza), Úhlava und Úslava 310 m n. m. (Innenstadt), wobei einige Anhöhen im Stadtgebiet bis zu 452 m. n. m. (bei der Burgruine Radyně) erreichen.

Region

(West-)Böhmen

Staatliche und administrative Zugehörigeit

Tschechien. Verwaltungssitz der Pilsener Region (Plzeňský kraj). Industrie-, Universitäts- und Bistumsstadt.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das heutige Stadtwappen mit viergeteiltem Schild sowie einem bekrönenden Engel ist das Resultat der wechselvollen Geschichte. Vor 1433 führten die Bürger in ihrem Wappen eine weiße Windhündin mit goldenem Band auf rotem Grund als Symbol für die Treue zum katholischen Glauben. Unklar bleibt, wer für das weitere Feld, ein goldenes, von den Hussiten erbeutetes Kamel auf grünem (ursprünglich blauem) Grund, verantwortlich zeichnete. Darüber hinaus ergänzten die Pilsener ihr Wappen um die Figur eines schildtragenden Engels. 1466 fügte Papst Paul II. für die dem katholischen Glauben treu verbundenen Pilsener zwei weitere Wappenfelder hinzu: Sie zeigen links zwei goldene, voneinander abgewandte Papstschlüssel  auf Silbergrund sowie rechts einen silbernen Waffenträger mit Schwert auf Goldgrund und einem halben Reichsadler daneben, der das Verhältnis Böhmens zum Heiligen Römischen Reich verdeutlicht. Ende des 15. Jahrhunderts ergänzten die Bürger ihr Wappen und legten auf die bestehenden vier Felder einen Herzschild, in den sie das mittelalterliche Stadtsiegel einfügten, eine silberne Burg auf rotem Grund. Im Torbogen steht der mit rotem Mantel gekleidete Stadtgründer König Wenzel II. (1271–1305) in Rüstung, auf den Mauerzinnen eine Jungfrau mit zwei Fahnen. Die eine bildet den weißen doppelschwänzigen böhmischen Löwen auf rotem Grund als heraldisches Zeichen der Přemysliden ab, die andere zeigt den schwarzen mährischen Adler auf silbernem Grund. Vervollständigt wurde das Wappen schließlich 1578 durch Papst Gregor XIII., der den Schild mit einem Engel als Schildträger sowie einem Dreihügel mit dem Motto Konstantins des Großen „In hoc signo vinces“ (In diesem Zeichen wirst du siegen) krönte. Auf dem Dreiberg ruht ein von zwei Olivenzweigen umrahmtes Kreuz, zudem wachsen beiderseits aus dem Kreuz eine Hellebarde und ein Streitkolben empor.

Mittelalter

In das seit dem späten Paläolithikum (10.000–8.000 v. Chr.) kontinuierlich besiedelte Gebiet der heutigen Stadt Pilsen wanderten ab dem 7./8. Jahrhundert n. Chr. aus Osten Slawen ein, die sich in festen, durch archäologische Funde bezeugten Siedlungen niederließen. An der Kreuzung wichtiger Handelswege (u. a. nach Prag, Regensburg, Sachsen sowie Nürnberg) entstand in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts auf dem von der úslava umflossenen Hügel Hůrka eine der Herrschaftsausübung und der Sicherung des westlichen Landesteils der frühen Přemyslidenherzöge dienende, von einer anfänglich hölzernen Befestigung umgebene Höhenburg und in deren Schatten ein Suburbium, in dem sich Handwerker und Händler niederließen. Hierfür finden sich reichhaltige archäologische Zeugnisse, jedoch nur spärliche Schriftquellen. Thietmar von Merseburg berichtet in seinem im zweiten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts verfassten Chronicon sive Gesta Saxonum, 976 habe der böhmische Herzog Boleslav II. (gest. 999) ein in Diensten Kaiser Ottos II. (955–983) stehendes bayerisches Heer „iuxta Pilisini urbem“ geschlagen. Neben dieser ältesten Erwähnung der Burg Pilsen spricht die (als Fälschung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts überlieferte) Gründungsurkunde des Benediktinerklosters Břevnov bei Prag für das Jahr 993 von der civitas Pilsen als etabliertem administrativem Zentrum der gleichnamigen přemyslidischen Provinz mit einem auf der Burg residierenden Verwalter (villicus). Bereits vor 1012 gab es unter Herzog Jaromir (gest. 1035) eine Münzstätte. 1224–1228 ist hier Wenzel I. (um 1205–1253), der Sohn König Přemysl Ottokars I. (gest. 1230), als dux plznensis et budesenses bezeugt.

Die am linken Ufer des úslava gelegene Siedlung von Handwerkern und Kaufleuten mit Parzellen auf rechtwinkligem Grundriss bildete bis zum 13. Jahrhundert den Ausgangspunkt der späteren Stadt mit dem Namen „Alt-Pilsen“, offenkundig jedoch ohne Entwicklungsperspektiven, zumal 1266 König Přemysl Ottokar II. dem Prämonstratenserkloster in Chotieschau/Chotěšov die Patronatsrechte über die insgesamt acht in Plznensi civitate (aber auch extra civitatem) gelegenen Kirchen übertrug. Wohl um 1295, inmitten der Hochphase des Landesausbaus und der Städtegründungen im Königreich Böhmen, ließ der von König Wenzel II. beauftragte Lokator Heinrich etwa neun Kilometer von der alten Stadt am Zusammenfluss der Mies und der Radbusa die Siedlung Neu-Pilsen/Nova Plzna errichten. Diese entwickelte sich auf 20 ha rasch zu einer neuen Stadt auf regelmäßigem Grundriss, einem viereckigen Markt (139 x 193 m) und 15 geradlinigen Gassen auf dem Kataster des Dorfes Malice, umgeben von einer 1322 erstmals erwähnten sieben Meter hohen Steinmauer mit vier Stadttoren. Zudem boten die durch zwei Gräben verbundenen Flüsse Mies und Radbusa natürlichen Schutz. Die meisten Bewohner kamen aus Alt-Pilsen, das zu einer unfreien Kammerstadt herabsank, während Nova Plzna zu einer unverpfändlichen Königsstadt (urbs regis) aufstieg. Annähernd 300 Familien (insgesamt ca. 3.000 Personen) – hinzu kamen die Bewohner der sich ausbildenden vier Vorstädte – wohnten in etwa 290 meist aus Holz oder Ziegeln, seit etwa 1350 auch aus Stein erbauten eingeschossigen Häusern mit langgetreckten Parzellen. Der Untergrund Pilsens ermöglichte die Anlage von Kellern und unterirdischen Gängen.

Bereits 1320 konfirmierte König Johann von Luxemburg (1294–1336) alle von Wenzel II. übertragenen Rechte. In juristischen Fragen orientierte sich Pilsen am Recht der Prager Altstadt, auf Pilsen wiederum beriefen sich Städte wie Dobrzan/Dobřany, Tepl/Teplá und Plan/Planá. Karl IV. von Luxemburg (1316–1378), der 1350 die Stadt bei der Kreiseinteilung Böhmens zum Verwaltungszentrum des Pilsener Kreises (Circulus Pilsnensis) machte, befahl 1362 16 königlichen Städten in Böhmen, ein Waffen- und Getreidearsenal anzulegen, um für bewaffnete Konflikte gerüstet zu sein. 1363 erhielt die Stadt durch Karl IV. einen ersten Jahrmarkt verliehen, ab 1372 durften die Bürger ihr Eigentum frei vererben. Die Vermögensunterschiede waren beträchtlich – von wenigen reichen Patriziergeschlechtern als städtischer Elite (u. a. Geschlechter wie Dobrzan, Scharf, Hacker, Fogel oder Rudolt) über Zunfthandwerker (50–70 Prozent) bis hin zur städtischen Armut (u. a. Gesellen, Dienstpersonal, Saisonarbeiter), etwa ein Drittel der Bewohner. Nicht wenige Bürger erwarben Grundbesitz außerhalb Pilsens, ebenso die Stadt als solche, deren administrative Angelegenheiten nach süddeutschem Recht ein zwölfköpfiger Rat mit einem 1323 erstmals erwähnten Bürgermeister (Magister civium) regelte. Den königlichen Einfluss garantierte ein Richter, dessen Amt rasch erblich wurde. Alle eigenwirtschaftlich tätigen Stadtbewohner mussten eine vom Rat verwaltete, sich aus dem Besitz ergebende steura (auch Losung genannt) entrichten. Hinzu kamen Abgaben, etwa bei der Aufnahme als Neubürger oder der Testamentserrichtung. Pilsen musste als königliche Stadt dem Landesherrn jährlich die sog. berna regalis abführen, hinzu kam der auf Immobilienbesitz lastende census.

Im Verlaufe der hussitischen Revolution (1419–1436) vollzog das bereits weitgehend tschechisierte Pilsen eine politisch-konfessionelle Wende. Anfänglich unter dem radikalen Prediger Wenzel Koranda (um 1390–1453) eine der fünf „Sonnenstädte“ und ein Zentrum des messianisch-radikalen Hussitismus, wechselte die Stadt 1420 nach dem Abzug der Anhänger Jan Žižkas dauerhaft in das katholische Lager und etablierte sich als vier Belagerungen (zuletzt 1433–1434 neun Monate) trotzendes Zentrum des westböhmischen Landesfriedensbundes. Fortan galt die Stadt als „catholica et semper fidelissima urbs“ (katholische und stets besonders treue Stadt). Kaiser Sigismund von Luxemburg (1368–1437) belohnte Pilsen 1434 daher mit einer Steuerbefreiung und einer Befreiung von sämtlichen Zöllen und Mauten im Königreich Böhmen sowie im Reich.

Die Stadt, die 1449 der katholischen Liga von Strakonitz/Strakonice beitrat und in der bis 1453 das Prager Domkapitel Zuflucht fand, stellte sich 1466 gegen den von Papst Paul II. exkommunizierten „Hussitenkönig“ Georg von Podiebrad (1420–1471). 12 Jahre später erkannte sie den ungarischen König Matthias Corvinus (1443–1490) als katholischen Landesherrn an, der der Stadt für ihre Treue die Gerichtsbarkeit verlieh. Pilsen unterwarf sich 1479 dem neuen, aus der Dynastie der Jagiellonen stammenden König Wladislaw II. (1456–1516). Handelsbeziehungen und Humanismus (u. a. Buchdruck) erwiesen sich im ausgehenden 15. Jahrhundert als prägend, ebenso wie das Vorgehen gegen feindliche Adelige.

Neuzeit

Im 16. Jahrhundert galt Pilsen als Hauptpfeiler des Katholizismus in Böhmen. Ab 1578 war es Nichtkatholiken verboten, das Bürgerrecht zu erwerben. Deutsche erhielten ab 1500 nur noch Zugang zum Richteramt, wenn sie die tschechische Sprache beherrschten. Vier Jahre später mussten die Juden Pilsen verlassen und erhielten für 300 Jahre lediglich als geduldete Gäste tagsüber Zutritt in die Stadt. Ein zwölfköpfiger Rat mit Bürgermeister sowie ein sechs bis zwölf Gemeindeälteste umfassendes Gremium bestimmten die kommunalen Angelegenheiten in Pilsen, wo ein Stadtbrand 1507 fast die Hälfte der Bausubstanz vernichtete. 1532 hielt Kaiser Ferdinand I. (1503–1564) von Habsburg, seit 1526 König von Böhmen, Einzug in der Stadt. Im Ständeaufstand 1547 stand Pilsen loyal zum Kaiser und erhielt als Dank die erste Stimme in der Ständekurie im Landtag. Aus Furcht vor einer Pestepidemie in Prag floh Kaiser Rudolf II. (1552–1612) 1599 nach Pilsen, wo er neun Monate residierte und Gesandtschaften aus aller Welt empfing. Im böhmischen Ständeaufstand 1618–1620 bekannte sich Pilsen zu den Habsburgern, auch wenn 1618 ein Ständeheer unter Graf Ernst von Mansfeld (1580–1626) die Stadt nach Belagerung für drei Jahre besetzte und die Bürger mit Kontributionen belegte. Ein Teil des städtischen Archivs ging in dieser Zeit verloren. 1621 nahm der kaiserliche Oberbefehlshaber Graf Tilly (1559–1632) Pilsen erneut für die Habsburger in Besitz. Wiederholte Einquartierungen in der Stadt, deren Befestigung verstärkt wurde, führten zu hoher Verschuldung. 1627 erließ Kaiser Ferdinand II. zwar einen Teil der Verbindlichkeiten und nannte Pilsen als eine der sechs Königsstädte, die direkt dem Kaiser unterstanden, doch konnte Pilsen nicht von Konfiszierungen infolge der Rekatholisierung im Lande profitieren. Auch nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges blieb Pilsen eine katholische Bastion.

Die verheerenden Folgen des Großen Krieges hemmten, verstärkt durch zwei Pestepidemien (1680, 1714) und eine Feuersbrunst 1729, die wirtschaftliche Konsolidierung, die erst nach 1760 wieder an Fahrt aufnahm, zumal die Stadt in den Schlesischen Kriegen wechselnde Besatzungen aufnehmen und Kontributionen entrichten musste. Andererseits profitierte die Tuchmacherei von den Aufträgen der jeweiligen Regimenter. Durch eine Neuvermessung des Grundbesitzes 1779–1783 verlor Pilsen einen Teil seines Grundbesitzes vor den Mauern und damit wichtige Einnahmen. Die Gemeindeverwaltung wurde im aufgeklärten Absolutismus reformiert, eine vom Kaiser eingesetzte Renovationskommission stellte 1734 dem aus den städtischen Eliten gebildeten Rat und den Gemeindeältesten ein aus sechs Personen bestehendes Wirtschaftsdirektorium zur Seite. Im Zuge der Josephinischen Reformen wurden u. a. die innerstädtischen Friedhöfe aufgelöst, 1782 zudem das Dominikanerkloster. Einen Einschnitt bedeutete das Ende der mittelalterlichen Gemeindeordnung 1788. Ein von den Regierungsbehörden ernannter und juristisch ausgebildeter Bürgermeister sowie sechs Räte und weitere von der Stadt besoldete Beamte leiteten fortan die Geschicke der Stadt. Der Rückgang der Einwohnerzahl konnte erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgeglichen werden, als unter dem Bürgermeister Martin Kopecký (1828–1850) die mittelalterlichen Stadtmauern endgültig abgetragen wurden, ein Prozess, dessen Anfänge in das Jahr 1795 zurückreichen. In den Napoleonischen Kriegen besetzten russische und französische Truppen nacheinander die Stadt, ab 1825 gewann Pilsen als Militärstandort Bedeutung.

In der Revolution 1848 gründeten liberale Bürger um den Buchdrucker und Politiker Ignác Schiebl (1823–1901) nach Prager Vorbild den Verein „Lípa slovanská“ (Slawische Linde), der sich für die Gleichstellung beider Nationalitäten in Böhmen, d. h. Tschechen und Deutschen, engagierte. 1874–1878 wurde in dem noch kaum bebauten Vorort Bory eine Männerhaftanstalt errichtet, die als eine der „modernsten“ in der k. k. Monarchie galt und knapp 1.000 Schwerverbrechern und politischen Häftlingen Platz bot. Zu den politischen Gefangenen zählten in den 1890er Jahren Mitglieder der Gruppe „Omladina“ (Jugend) um den Politiker Alois Rašín (1867–1923) und den Dichter Stanislav Kostka Neumann (1875–1947). Ab 1894 bezeugte das erste „Arbeitervereinshaus“ (Dělnická beseda) in Böhmen das quantitative Wachstum und zunehmende politische Engagement der Arbeiterschaft (allein in den Škoda-Werken 1899: 3.000), die ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts in Streiks politische Forderungen artikulierte.

Zeitgeschichte

Mit der sich abzeichnenden Niederlage der k. k. Monarchie gingen Proteste gegen die katastrophale Versorgungslage einher, wobei am 14. Oktober 1918 etwa 25.000 Arbeiter in Pilsen streikten. Mit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik konstituierte sich hier ein tschechischer Nationalrat. Unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Luděk Pik (Amtszeit 1919–1938) entwickelte sich Pilsen auch dank Eingemeindungen 1924 mit gut 108.000 Einwohnern zu einer modernen Großstadt mit signifikanten Bauten wie etwa der Masaryk-Schule oder dem „Wolkenkratzer“ U Trojdohody (Zum Dreibund) des Architekten Hanuš Zápal (1885–1964).

Als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 zählte die Stadt über 15.000 Arbeitslose. Durch das Münchner Abkommen 1938 und die damit verbundenen Gebietsabtretungen wurde Pilsen zur Grenzstadt, mit der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ marschierte die Wehrmacht am 15. März 1939 auch in Pilsen ein, das Sitz eines Oberlandrats und mehrerer Behörden (SA, SS, Gestapo) wurde. Umgehend erfolgte die Einbindung der Škoda-Werke in die deutsche Rüstungsproduktion. Gegen Widerstand gingen die Besatzer rücksichtslos vor (u. a. 1943 Transport von mehr als 500 politischen Häftlingen in das KZ Buchenwald). Der Germanisierungspolitik dienten die 1942 verordnete neue Magistratsverfassung sowie der Wohnungsbau für deutsche Neuansiedler. Die mehr als 3.000 Pilsener Juden wurden ausgegrenzt, enteignet, diskriminiert und Anfang 1942 in drei großen Transporten zunächst in das Ghetto Theresienstadt/Terezin deportiert und von hier aus zur Ermordung in die Vernichtungslager im Osten. 1942–1945 wurden bei elf Luftangriffen fast 6.800 Gebäude und etwa 70 Prozent der Fabrikgebäude zerstört.

Am 5. Mai 1945 begann ähnlich wie in Prag der Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Ein revolutionärer Nationalausschuss (Revoluční Národní výbor) übernahm provisorisch die Macht. Am 6. Mai marschierten Einheiten der US-Armee unter General George S. Patton (1885–1945) in der Stadt ein. Der Verhaftung von Repräsentanten der deutschen Okkupationsmacht folgte rasch die wilde Vertreibung Pilsener Deutscher, der sich ab Anfang August die systematische Aussiedlung anschloss. In den Folgejahren galt es, den Bevölkerungsverlust durch Zuzug aus dem Binnenland zu kompensieren und den Wiederaufbau zu forcieren. Dem diente auch die Übersiedlung der Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität nach Pilsen. 1948 folgte die Pädagogische Fakultät, 1949 eine Hochschule für Maschinenbau und Elektrotechnik. Der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 schloss sich die Verfolgung und Inhaftierung politisch Missliebiger im Gefängnis in Bory an, wo 1949 General Heliodor Píka (1897–1949), einer der Führer des Auslandswiderstands während des Zweiten Weltkrieges, nach einem stalinistischen Schauprozess exekutiert wurde. Die Škoda-Werke wurden symbolträchtig in Lenin-Werke umbenannt.

1953 demonstrierten in Pilsen Tausende gegen die Währungsreform und das herrschende System. Aus Prag und den Grenzstationen mobilisierte Polizeikräfte schlugen den Aufstand, bei dem die Demonstranten auch die Stadtverwaltung besetzt und kommunistische Symbole zerstört hatten, nieder. In den folgenden Jahrzehnten in den Außenbezirken errichtete monotone – immerhin mit Schulen, Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten ausgestattete – Plattenbausiedlungen (Paneláky) sollten in einer Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ die Wohnungsnot mildern und von Protesten gegen das Regime abhalten. Der historische Stadtkern mit seiner wertvollen Bausubstanz verfiel. Bei den Protesten gegen die blutige Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 spielte der Pilsener Rundfunk eine wichtige Rolle, bevor er unter die Kontrolle der sowjetischen Okkupanten und ihrer reformfeindlichen Verbündeten aus der KSČ geriet. Aus Protest verbrannte sich der Bauarbeiter Josef Hlavatý (1943–1969) im Stadtzentrum. Das Gefängnis in Bory war seit den 1970er Jahren berüchtigt. Regimekritiker wie Václav Havel (1936–2011) oder der spätere Prager Erzbischof Dominik Duka waren hier inhaftiert.

Als Reaktion auf die Studentendemonstration in Prag vom 17. November 1989, die in die „Samtene Revolution“ mündete, riefen in Pilsen Schauspieler und Studenten zu Protesten auf, die am 27. November mit 50.000 Teilnehmern ihren Höhepunkt fanden. Der demokratische Neubeginn veränderte auch die Wirtschaft grundlegend. Staatliche Großbetriebe, darunter die Pilsener Brauerei und die Škoda-Werke, wurden privatisiert. 1991 erfolgte die Gründung der „Westböhmischen Universität“ (Západočeská univerzita), die den Hochschulstandort Pilsen stärkte. Emissionsreduzierung und ökologische Maßnahmen führten zu einem Rückgang der Umweltverschmutzung, die historische Bausubstanz wurde saniert und 2006 die Autobahnanbindung zwischen Prag und Bayern fertiggestellt. 2015 war Pilsen „Europäische Kulturhauptstadt“.

Bevölkerung

In den Gründungsjahren von Neu-Pilsen durch Verlegung der Vorgängerstadt kurz vor 1300 dominierten ethnisch wohl deutsche Siedler, doch bereits bis 1400 führte der Tschechisierungsprozess zu einem Gleichstand. Im städtischen Rat dominierten bis 1350 Deutsche, ab 1407 finden sich im zwölfköpfigen Rat in der Regel acht bis zehn tschechische und entsprechend zwei bis vier deutsche Namen. 1419 dürften 80 Prozent der Einwohner Tschechen gewesen sein. Im Spätmittelalter gehörte Pilsen nach Prag und Kuttenberg/Kutná Hora zu den größten Königsstädten Böhmens und zählte Anfang des 14. Jahrhunderts annähernd 3.000 Einwohner, zu denen 1.000 Personen extra muros hinzukamen. Hussitenkriege, Dreißigjähriger Krieg und die Pestausbrüche 1680 sowie 1714 führten zu einem Auf und Ab der demographischen Entwicklung, sodass Pilsen Anfang des 18. Jahrhunderts noch immer 3.000 Einwohner zählte. Erst durch die Industrialisierung kam es v. a. durch Zuwanderung von Arbeitskräften zum Bevölkerungswachstum (1843: 8.892, 1910: 80.000 Einwohner), das sich im 20. Jahrhundert fortsetzte, nach 1949 auch durch Eingemeindungen (1930: 115.000, 1972: 150.000, 1991: 173.008, 2019: 172.441 Einwohner).

Eine jüdische Ansiedlung in Pilsen ist bereits 1338 bezeugt, im 15. Jahrhundert entstand ein Ghetto mit zwei Synagogen, einer Schule und einem Friedhof. 1504 ließen sich die ausgewiesenen Juden in Blowitz/Blovice und Kassejowitz/Kasejovice nieder. Erst 1790 durfte sich wieder eine jüdische Kaufmannsfamilie in Pilsen niederlassen. 1850 eröffnete ein neues Bethaus, Pilsen wurde Sitz des Kreis-Rabbinats. Der Aufschwung der Lebensmittelindustrie zog im 19. Jahrhundert jüdische Unternehmen an. 1870 lebten 1.207 Juden in der Stadt, deren Zahl bis 1916 auf 3.517 stieg. Zwischen 1888 und 1893 entstand die Große Synagoge, nach jener in Budapest die zweitgrößte in Europa. 1938 lebten 3.200 jüdische Bürger in Pilsen, die in drei Transporten im Januar 1942 im Rahmen der sog. „Endlösung“ in das Ghetto Teresienstadt/Terezin und von dort in Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Nur 116 kehrten 1945 zurück. 2018 zählte die jüdische Gemeinde etwa 100 Mitglieder.

Wirtschaft

Die wirtschaftliche Stärke Pilsens im Mittelalter fußte auf Handel und Gewerbe. Nachrichten über Pilsener Kaufleute liegen aus Nürnberg, Regensburg, München, Frankfurt/M., Salzburg und Venedig vor. Herausragend für die in Fernhandelswege eingebundene Stadt war der Rinderhandel: Pilsener Kaufleute erwarben in Böhmen, Mähren und Oberungarn Vieh, das vornehmlich nach Bayern weiterverkauft wurde. In den beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts gab es 46 Gewerbe (Lebensmittel, Bekleidung, Holz- und Metallverarbeitung) mit 540 Meistern, Anfang des 15. Jahrhunderts regelten Zunftordnungen die Zahl der Werkstätten, die Quantität der Produkte, die Zahl der Gesellen u. ä. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Bewohner widmete sich der Landwirtschaft.

Im 16. Jahrhundert erlebte Pilsen eine wirtschaftliche Blütezeit (u. a. Erwerb weiterer Güter und Anlage von ertragreichen Fischteichen sowie Gewährung eines dritten Jahrmarktes 1580). Eine wichtige Rolle beim Aufschwung spielte die bis in das Mittelalter zurückreichende Bierbrauerei (1307 erstmals erwähnt). Ab 1842 wurde Bier im neuen Bürgerlichen Brauhaus gebraut, das den seit 1898 endgültig geschützten Namen „Pilsener Urquell“ (Plzeňský Prazdroj) weltweit berühmt machte. 1892 entstand zum 50-jährigen Betriebsjubiläum ein im Neorenaissancestil erbautes Prunk-Tor. Daneben gab es sieben weitere Brauereien. Aus der Fusionierung mehrerer Brauereien ging 1933 die „Plzeňské akciové pivovary (Pilsner Aktienbrauereien)“ hervor.

Bis 1850 gab es lediglich vier größere Fabriken, die Industrialisierung kam erst zehn Jahre später in Schwung. Treibender Faktor waren die seit 1800 durch neue Techniken erhöhte Steinkohleförderung in der Umgebung von Dobřany und Plasy (hinzu kam der Abbau von Braunkohle) sowie der Bau mehrerer Eisenbahnlinien 1861–1876, betrieben durch private Gesellschaften. Nach Prag entwickelte sich Pilsen zum zweitwichtigsten Eisenbahnknotenpunkt in Böhmen.

1858 wurde eine Telegrafenverbindung nach Marienbad/Mariánské Lázně eingerichtet, zudem sollte eine Gasbeleuchtung auf dem Markt und in den Hauptstraßen die Sicherheit erhöhen.

1860 entstand in Pilsen eine Niederlassung der Eisenwerke Sedlec (bei Starý Plzenec) des Grafen Ernst von Waldstein-Wartenburg (1821–1904), die neun Jahre später der u. a. in Prag und Karlsruhe ausgebildete Ingenieur (später in den Ritterstand erhoben und Mitglied des Wiener Herrenhauses sowie des böhmischen Landestages) Emil Škoda (1839–1900 ) erwarb – die Geburtsstunde der späteren Škoda-Werke, die ab 1866 zum größten Waffenproduzenten der k. k. Monarchie aufstiegen (u. a. Panzerkuppeln und Schiffskanonen), ab 1876 eine Niederlassung in Kiew für das Russische Reich unterhielten und ab 1899 als Aktiengesellschaft firmierten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges zählte Pilsen etwa 100 Fabriken. 1899 nahm das städtische Elektrizitätswerk seine Arbeit auf, zudem fuhr eine elektrische Straßenbahn. 1910 wurde im Stadtteil Bory ein Flughafen – der erste seiner Art in Böhmen – eröffnet.

Nach Gründung der Tschechoslowakei investierte ein französisches Industriekonsortium in die Škoda-Werke, mit 13.000 Beschäftigten größter Arbeitgeber, der ab 1928 auch die erste E-Lokomotive produzierte. Darüber hinaus wurden Industrieanlagen gefertigt und 1923 die heute weltweit bekannte Schutzmarke – der geflügelte Pfeil in einem Kreis – im Handelsregister eingetragen. 1925 übernahmen die Škoda-Werke den Fahrzeughersteller Laurin & Klement in Jungbunzlau/Mladá Boleslav.

1946 wurden die Škoda-Werke verstaatlicht und verschiedene Teile verselbständigt. Das v. a. auf den Export in die Länder des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ausgerichtete Werk in Pilsen konzentrierte sich auf die Herstellung von Anlagen für den Schwermaschinenbau, den öffentlichen Nahverkehr und die Energetik. 1991 übernahm VW 70 Prozent an den Automobilwerken Škoda, den Rest im Jahre 2000. Die Škoda-Werke in Pilsen selbst wurden 1991 privatisiert.

Gesellschaft

Ab 1867 gab es im Stadtrat eine tschechische Mehrheit. Die nationalen Interessensgegensätze spiegelten sich auch in Pilsen: Ab 1869 existierte ein Deutsches Theater, und auch das Vereinsleben separierte sich (1863: tschech. „Sokol“, 1887: „Deutscher Turnverein“; 1905 gab es in Pilsen 290 Vereine, davon 240 tschechische). Die sozialen und  die nationalen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen erlebten um 1900 eine Verschärfung, wobei die absolute Zahl derjenigen Pilsener, die sich bei den Volkszählungen als Deutsche bekannten, zwischen 1880 und 1930 mit knapp 7.000 relativ konstant blieb. Allerdings ging aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Eingemeindungen der Anteil in jener Zeit von 17,8 auf 6,0 Prozent zurück. Häufig gerieten bei Konflikten die Pilsner Juden zwischen die Fronten, z. B. im August 1897, als im Zuge der Badeni-Krise ein Streit zwischen deutschen Burschenschaftlern und tschechischen Jugendlichen in antisemitischen Ausschreitungen mündete.

Religions- und Kirchengeschichte

Die beiden Mendikantenorden siedelten an den am häufigsten frequentierten Punkten der Stadt Neu-Pilsen: Ab 1300 wurde das „Predigerkloster“ der Dominikaner im Nordwesten erbaut, während sich im Südosten der Stadt 1297 die Minoriten (Franziskaner) niederließen. Beide Klostergründungen stehen im Zusammenhang mit dem seit dem 12. Jahrhundert in Westböhmen betriebenen Landesausbau. Zwischen beiden Ordenshäusern bestand eine imaginäre sakrale Achse, deren Mitte die 1307 erstmals bezeugte Bartholomäuskirche bildete, bei der 1322 König Johann von Luxemburg auf sein Patronatsrecht verzichtete und dieses dem Deutschen Orden übertrug, der mit einem Neubau des Gotteshauses begann.

1460 wurde das in den Hussitenkriegen in Mitleidenschaft gezogene Franziskanerkloster erneuert, die Mönche hielten wiederum Einzug und auch das Dominikanerkloster wurde bis 1500 renoviert und erweitert. Der Plan, 1585 ein Jesuitenkolleg in Pilsen zu gründen, gelangte nicht zur Ausführung.

1993 erfolgte die Gründung der katholischen Diözese Pilsen.

Bildung und Wissenschaft

Eine Lateinschule in unmittelbarer Nähe der Kirche St. Bartholomäus gab es wohl bereits um 1330, jeweils eine eigene Schule leiteten die beiden Mendikantenorden. Nach dem Scheitern der Pläne zur Errichtung eines Jesuitenkollegs wurde auf dem Ringplatz 1591–1592 das sog. „Stift“ erbaut, eine dreigeschossige Schule, die bis zur Schließung in den Josephinischen Reformen 1776 Pilsener Bürgersöhne auf das Universitätsstudium u. a. in Leipzig, Wien und Prag vorbereitete. Absolvent war auch der spätere Pilsener Bürgermeister Šimon Plachý von Třebnice d. Ä. (1560–1609), der eine der ersten, quellengestützten historischen Abhandlungen über Pilsen verfasste. 1804 erfolgte die Gründung eines Philosophischen Instituts am städtischen Gymnasium, wobei beide Einrichtungen unter Aufsicht der Prämonstratenser des Klosters Tepl/Teplá standen. Hier lehrten u. a. der aufgeklärte Mathematiker und Physiker Josef Vojtěch Sedláček (1785–1836) sowie der Philosoph Josef František Smetana (1801–1861), beide Vertreter der nationalen Wiedergeburt. Die erste tschechische Schule wurde 1819 gegründet. 1893–1902 entstand im Südosten der Altstadt nach Plänen von Josef Škorpil (1856-1931) das Westböhmische Museum, im Industriegebiet Borská in den 1990er Jahren ein Wissenschafts- und Technikpark.

Zu den in Pilsen geborenen Persönlichkeiten zählen u. a. der tschechische Historiker und Diplomat Kamil Krofta (1876–1945), der Soziologe Eugen Lemberg (1903–1976), der zum Prager Kreis gehörende Schriftsteller Oskar Baum (1883–1941) oder der avantgardistische Komponist Emil František Burian (1904–1959).

Kunstgeschichte

Von den Sakralbauten auf der Alt-Pilsener Burg und im Suburbium sind lediglich die Grundmauern der Hl.-Kreuz-Kirche sowie die vorromanische ottonische Rotunde St. Peter (ausgehendes 10. Jahrhundert), die zu den ältesten Bauten in Böhmen gehört, noch vorhanden. Während der Gründung von Neu-Pilsen übernahm die 1295 als gotischer Bau auf dem Ring begonnene Kirche St. Bartholomäus nach 1322 die Funktion einer Pfarrkirche, die Ende des 15. Jahrhunderts vollendet und zuletzt 1879–1883 von Josef Mocker (1835–1899) sowie 1914–1923 von Kamil Hilbert (1869–1933) im Stil der Neogotik umgebaut wurde. Die dreischiffige Erzdiakonatskirche (heute bischöfliche Kathedrale) mit ihrem 102 Meter hohen, nach einem Brand 1835 erneuerten Turm beherrscht zusammen mit dem dreigeschossigen, 1907–1912 von Jan Koula (1855–1919) neu gestalteten Renaissancerathaus von 1558 den Ring, auf dem auch die 1681 von Christian Widmann geschaffene, 1714 um weitere Heiligenfiguren ergänzte Pestsäule steht. Ebenfalls am Markt und seinen angrenzenden Gassen finden sich zahlreiche restaurierte Renaissance-, Barock- und Empirehäuser, darunter das 1607–1609 für Kaiser Rudolf II. (1552–1612) von Giovanni Maria Filippi (1565–1630) umgebaute Kaiserhaus. Gegenüber dem spätgotischen Wasserturm liegen die 1392 erbauten Fleischbänke. Am südöstlichen Ende der Altstadt befinden sich das Franziskanerkloster (1295) mit der im 13.–16. Jahrhundert erbauten, vom Pilsener Baumeister Jakob d. J. Auguston (1735) barock umgestalteten dreischiffigen Kirche Mariä Himmelfahrt sowie die 1370–1380 errichtete Barbarakapelle. Auch das Erzdiakonatsgebäude am Markt, die zweitürmige Barockkirche St. Anna sowie das benachbarte Dominikanerinnenkloster (1710–1714), das nach seiner Auflösung 1782 zunächst als von den Prämonstratensern betriebenes Gymnasium fungierte und nach Umbauten 1805–1809 heute als wissenschaftliche Bibliothek dient, verdienen Beachtung. An der Stelle des 1895 abgerissenen Dominikanerklosters stehen der 1899–1902 errichtete Justizpalst sowie ein Gefängnis (heute Archiv).

Östlich des Stadtkerns befindet sich seit 1842 das Areal des Bürgerlichen Brauhauses „Prazdroj“ (Urquell), östlich davon wiederum die 1869 gegründete Gambrinus-Brauerei. 1908 wurde der Hauptbahnhof mit seiner 36 Meter hohen Kuppel im Neorenaissancestil durch die Pilsener Baufirma Rudolf Štech fertiggestellt. Unweit hiervon stehen die 1745 nach Plänen von Matthias Andreas Kondela erbaute Kirche zum Jesulein sowie die einschiffige gotische Friedhofskirche St. Nikolaus (1406–1410; 1739–1744 barockisiert), neben der u. a. der Begründer des tschechischen Dramas Josef Kajetán Tyl (1808–1856), der in seinem 1834 in Prag uraufgeführten Werk „Fidlovačka“ (Das Schusterfest) den Text der heutigen tschechischen Nationalhymne schrieb, und Emil Ritter von Škoda (1839–1900) ruhen.

Um 1390 entstand als kultureller Höhepunkt der luxemburgischen Ära in Böhmen die sog. „Pilsener Madonna“, eine von einem unbekannten Bildhauer geschaffene, 1,34 Meter hohe und in der Kirche St. Bartholomäus aufgestellte Tonschieferstatue als herausragendes Frühwerk der böhmischen „schönen Madonnen“, die rasch zum Objekt kultischer Verehrung wurde. Die frommen Bürger Pilsens stifteten u. a. der Bartholomäuskirche Kunstwerke und illuminierte Handschriften (Missale des Tuchmachers Vít, 1485, für den Marienaltar). Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kamen italienische Baumeister nach Pilsen, die der Stadt ein neues, von der Renaissance geprägtes Aussehen verliehen.

Als funktionalistischer Architekt wirkte in Pilsen in der Zwischenkriegszeit Bohumil Chvojka (1886–1962), der zugleich an der Baugewerbeschule unterrichtete. Von ihm stammt u. a. die Hus-Kirche der evangelischen Böhmischen Brüder (1924–1926). Als Höhepunkte moderner Innenarchitektur gelten mehrere Wohnungseinrichtungen nach Entwürfen des Wiener Architekten Adolf Loos (1870–1933), u. a. in der Klatovská třída 12 (1929) und 19 (1931–1932).

Theater- und Musikgeschichte

1818 fand in Pilsen die erste Theateraufführung in tschechischer Sprache statt, wobei das Stück „Die Befreiung Pilsens von den Taboriten“ (Osvobození Plzně od Taboritů) gespielt wurde, dessen deutsche Originalversion von dem Schriftsteller Anton Fischer stammte. 1832 wurde das erste feste, in klassizistischem Stil durch den Baumeister Lorenzo Sacchetti (1759–1836) errichtete Theater eröffnet. 1902 folgte das nach Plänen von Antonín Balšánek (1865–1921) erbaute Große Theater, dessen Bau seit 1899 Spenden der Bürgerschaft ermöglichten und das mehr als 1.000 Zuschauern Platz bot. 1912–1916 wirkte hier der Dirigent Václav Talich (1883–1961), dessen Opernaufführungen berühmt waren. Der Pilsener Puppenspieler Josef Skupa (1892–1957) erfand die legendären Figuren Spejbl (1919) und Hurvínek (1926).

Literatur- und Pressegeschichte

Als ältester böhmischer Wiegendruck gelten die 1476 in Pilsen anonym gedruckten, 1349 entstandenen Statuta provincilia des ersten Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitz (um 1300–1364). Die tschechische Übersetzung der im Spätmittelalter äußerst populären Historia destrucionis Troiae des Guido de Columna (1210–1287) wurde unter dem Titel Trojanská kronika hingegen nicht wie lange Zeit vermutet 1468, sondern erst 1484–1486 in Pilsen gedruckt und ist lediglich in drei Exemplaren (zwei in Prag, eins in Wien) erhalten. Darüber hinaus ist in der Stadt zwischen 1498 und 1511 die Offizin des aus Oberungarn (Slowakei) stammenden Mikuláš Štětina nachweisbar, der Werke in tschechischer Sprache druckte. Neben religiöser Literatur erschienen hier 1508 die Reisebeschreibungen von Amerigo Vespucci (1454–1512) – Spis o nowych zemiech. A o nowem swietie. O niemžto gsme prwe žadne znamosti neměli (Schrift über neue Länder. Und über die neue Welt. Von der wir anfangs keine Kenntnisse hatten). Eine weitere Offizin betrieb zwischen 1526 und 1530 der aus Schwabach stammende und in Nürnberg ausgebildete Johann (Jan) Pekk, der vor allem theologische Bücher druckte und mit dessen Tod der Buchdruck in Pilsen für fast zweieinhalb Jahrhunderte zum Erliegen kam.

Zu den bekanntesten böhmischen Humanisten zählt der aus Pilsen stammende Katholik Kašpar Kropač von Kozince (Cropacius) (1539–1580), der 1560 in Wien den Ehrentitel „Poeta laureatus“ erhielt und nachfolgend in Prag und Pilsen lebte. Weite Verbreitung fanden seine lateinischen Hymnen und Epigramme.

In der Zeit von Aufklärung und Josephinischen Reformen erlebte der Buchdruck 1787 einen Neubeginn durch den aus Tirol stammenden und in Prag zum Buchdrucker geschulten Joseph Johann Morgensäuler (1748–1816), der einen Verlag mit späteren Niederlassungen in Klattau/Klatovy und Leipzig gründete. 1790 eröffnete Morgensäuler zudem die erste Leihbibliothek in Pilsen. 1864–1869 erschien als erste tschechische Zeitung die „Plzeňské noviny“ (Pilsner Zeitung), in der Folge bildete sich eine tschechische Presselandschaft heraus (u. a. Český lev/Böhmischer Löwe, 1870–1872, Plzeňské listy/Pilsner Blätter, 1891–1911) sowie die sozialdemokratische Zeitung „Posel lidu“ (Volksbote, 1892–1894). An deutschen Zeitungen gab es die „Pilsner Bösen Zungen“ (1876), vor allem aber das „Pilsner Tagblatt“ (1900–1918). Die Zweisprachigkeit war, trotz wachsender ethnisch-nationaler Separierung, bei den Bewohnern Pilsens im 19. Jahrhundert stark ausgeprägt. Die deutschsprachige Zeitung „Pilsner Bote“ (1854–1869) und deren Nachfolgeblätter „Pilsner Reform“ (1870–1899) sowie „Echo aus Pilsen und Westböhmen“ (1899–1902) erschienen in der Druckerei des tschechischen Politikers Ignác Schiebl (1823–1901), der ab 1883 auch Präsident der Handels- und Gewerbekammer Pilsen war.

In Pilsen unterrichtete 1873–1908 der anfänglich auf Deutsch, später auf Tschechisch publizierende Schriftsteller und Chronist des Böhmerwaldes Karl/Karel Klostermann (1848–1923), dessen Grab sich auf dem Zentralfriedhof befindet, an der deutschen Staats-Realschule Deutsch und Französisch.

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Miloslav Bělohlávek: Kniha počtů města Plzně 1524–1525 [Zensusbuch der Stadt Pilsen 1524–1525]. Plzeň 1957.
  • Miloslav Bělohlávek: Dějiny Plzně [Die Geschichte Pilsens]. Bde. 1–3, Plzeň 1965–1982.
  • Josef Hejnic: Latinská škola v Plzni a její postavení v Čechách 13.–18. století [Die Lateinschule in Pilsen und ihre Stellung in Böhmen im 13 .-– 18. Jahrhundert]. Praha 1979.
  • Josef Hejnic, M. Polívka: Plzeň v husitské revoluci, Hilaria Litoměřického „Historie města Plzně“, její edice a historický rozbor [Pilsen in der hussitischen Revolution, Hilarius von Leitmeritz’ „Geschichte der Stadt Pilsen“, Edition und historische Analyse]. Praha 1987.
  • František Janáček: Největší zbrojovka monarchie. Škodovka v dějinách, dějiny v škodovce 1859–1918 [Die größte Waffenkammer der Monarchie. Škoda in der Geschichte, die Geschichte von Škoda 1859–1918]. Praha 1990.
  • Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard-Miloslav Polívka (Hrsg.): Handbuch der Historischen Stätten: Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998, S. 445–451.
  • Ivan Martinovský u. a., Dějiny Plzně v datech [Geschichte der Stadt Pilsen in Daten]. Praha 2004.
  • Marie Malivánková Wasková, Jaroslav Douša (Hrsg.): Dějiny města Plzně 1: do roku 1788 [Geschichte der Stadt Pilsen 1: bis zum Jahr 1788]. Plzeň 2014.
  • Karel Waska (Hg.): Dějiny města Plzně 2: 1788–1918 [Geschichte der Stadt Pilsen 2: 1788–1918]. Plzeň 2016.
  • Adam Skála (Hg.): Dějiny města Plzně 3: 1918–1990 [Geschichte der Stadt Pilsen 3: 1918–1990]. Plzeň 2018.
  • Historický atlas města Plzně [Historischer Atlas der Stadt Pilsen]. Praha 2009 (hier auch ausführliches Literaturverzeichnis).
  • Tobias Weger: Pilsen/Plzeň. Kleine Stadtgeschichte. Regensburg 2015.
  • Kamil Boldan: Počátek českého knihtisku [Der Beginn des tschechischen Buchdrucks]. Praha 2018.

Periodika

Weblinks

Zitation

Thomas Krzenck: Pilsen/Plzeň. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2021. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32506 (Stand 23.11.2021).

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