Sewastopol/Sevastopol'

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Sewastopol, Sevastopol' (wiss. Transliteration)

Amtliche Bezeichnung

Sevastopol'

Anderssprachige Bezeichnungen

türk. Aktyar; tatar. Achtiar; krimtatar. Aqyar; got. Awlita

Etymologie

Der Name der Stadt geht auf die griechischen Bezeichnungen sebastós für „respektabel“ oder „ehrwürdig“ und pólis für Stadt zurück. Diesen Namen übertrug ihr Gründer Grigorij A. Potëmkin (1739–1791) in das Russische und nannte die Stadt folglich „Sevastopol'“, angelehnt an den griechischen Namen „Sebastopolis“.

2. Geographie

Lage

44° 36′ 59″ nördlicher Breite, 33° 31′ 31″ östlicher Länge

Topographie

Die Stadt liegt am Schwarzen Meer; ihr rund 864 km² umfassendes Areal wird an der Küste von Buchten umschlossen. Die Buchten eingerechnet, ergibt sich ein Gesamtgebiet von rund 1080 km².

Region

Sewastopol befindet sich im Südwesten der Halbinsel Krim.

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Bis 2014 unterstand die Stadt, ebenso wie die ukrainische Hauptstadt Kiew/Kyïv/Kiev, unmittelbar der ukrainischen Regierung. Aus Perspektive der ukrainischen Regierung sowie der UN handelt es sich bei der Halbinsel Krim im Allgemeinen und der Stadt Sewastopol heute um vorübergehend besetzte Gebiete, die auch weiterhin zur Ukraine gehören. Die Russische Föderation betrachtet die Region infolge der Annexion der Krim im Jahr 2014 hingegen als Teil Russlands. In der Russischen Föderation wurde Sewastopol dem Föderationskreis Südrussland zugeordnet und hat den Status eines Föderationssubjekts. 

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen der Stadt wurde in der Sowjetzeit erstellt und zeigt in der unteren linken Hälfte das „Denkmal für versenkte Schiffe“ (Pamjatnyk zatoplenym korabljam) auf azurblauem Grund. Der goldene Stern der oberen Hälfte symbolisiert den Status der Stadt als Heldenstadt (ukr. misto-heroj; russ. gorod-geroj).

Beinamen

Heldenstadt (ukr. misto-heroj; russ. gorod-geroj), verliehen am 8. Mai 1965 als Ehrung für die letztlich erfolglose, aber energische Verteidigung der Stadt in der Schlacht von Sewastopol im Zweiten Weltkrieg.

Vor- und Frühgeschichte, Mittelalter

Archäologische Funde lassen darauf schließen, dass die Region um Sewastopol bereits etwa 700 vor Christus von Griechen besiedelt wurde. Die Siedlung trug den griechischen Namen Chersonesos. Ebenfalls belegen archäologische Funde und spätantike Aufzeichnungen, dass die Region seit dem 3. Jahrhundert von Goten besiedelt worden ist. Sie kamen ursprünglich aus dem Donauraum und gelangten durch byzantinische Heere zunächst in die Region des Bosporos (der Meerenge zwischen dem Asowschen und dem Schwarzen Meer), siedelten dann allerdings auch im Westen der Krim. Ab dem 8. Jahrhundert gehörte die Stadt zum Khanat der Chazaren, ehe sie im 10. Jahrhundert unter byzantinischen Einfluss gelangte. Im 14. Jahrhundert wurde sie zerstört.

Die antiken Ruinen von Chersonesos sind heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

Neuzeit

Das heutige Sewastopol wurde im Jahr 1783, nach der Annexion der Krim durch das russische Zarenreich, gegründet. Zu diesem Zeitpunkt lebten hier bereits Tataren in losen, nicht administrativ organisierten Verbänden. Sewastopol gehörte, ebenso wie etwa Cherson und Jekaterinoslaw/Dnipropetrowsk, zu den Städtegründungen Fürst Grigorij A. Potëmkins, der für die Besiedlung des sogenannten „Neurussland“ (Novorossija) zuständig war. Zunächst wurde die Stadt, aufgrund der in der Nähe lebenden Tataren, „Achtiar“ genannt, später aber in „Sewastopol“ umbenannt. Durch ihre günstige Lage erhielt sie schnell eine Funktion als Marine- und Militärstützpunkt auf der besetzten Krim. Verantwortlich für den Aufbau der Stadt waren unter anderem General Aleksandr V. Suvorov-Rymnikski (1730–1800) und Admiral Fëdor F. Ušakov (1745–1817).

Mit der Gründung Sewastopols ging die Etablierung einer russischen Verwaltung auf der ganzen Krim einher. Bereits 1784 erfolgte eine Einladung Katharinas II. an „alle mit dem Russischen Reich befreundeten Nationen“[1], sich in Cherson, Sewastopol oder Feodossija niederzulassen. Dies führte unter anderem dazu, dass sich deutsche Kolonisten hier ansiedelten, insbesondere süddeutsche und schweizerische; sie gründeten Kolonien im Umfeld der Stadt, deren Ortschaften deutsche Namen trugen, wie zum Beispiel Heilbronn, Friedensthal oder auch Zürichthal. Südrussland und die Krim waren beliebte Zuzugsorte für deutsche Kolonisten. Auf der Krim ergaben sich zunächst Probleme, da die dortige krimtatarische Bevölkerung die russische Herrschaft mehrheitlich ablehnte.

Zeitgeschichte

Die Stadt war 1917–1918 Teil der kurzlebigen Volksrepublik Krim, die von der Schwarzmeerflotte zerschlagen wurde. Ab 1921 gehörte Sewastopol zu der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Krim. Im Gegensatz zu den ostukrainischen Territorien war die Krim nicht vom Holodomor[2] betroffen.

Im Zweiten Weltkrieg sollte die Krim nach nationalsozialistischer Planung „eingedeutscht“ werden. Diese Absicht bekundete Hitler bereits im Juli 1941, als die Krim noch nicht in der Nähe der Frontlinie lag. Die Halbinsel sollte als militärischer und kultureller Außenposten des Deutschen Reiches dienen. Die Nationalsozialisten planten eine Umbenennung der Stadt Sewastopol in „Theoderichshafen“, angelehnt an die früher in dem Gebiet ansässigen Goten. Bis Mai 1942 wurde die Krim, bis auf die Stadt Sewastopol und die Regionen um Feodossija und Kertsch, von der Wehrmacht besetzt. Sie sollte im Rahmen des „Generalplans Ost“ zur Verwaltungseinheit „Gotengau“ umgestaltet werden. Hierfür sollten zu den Slawen und Tataren zusätzlich 561.200 Deutsche angesiedelt werden; eine Gesamtbevölkerung von 1,1 Millionen wurde für den „Gotengau“ anvisiert. Die verbliebene slawische und tatarische Bevölkerung, also schätzungsweise 500.000 Menschen, sollte gemäß der Planungen des "Generalplans Ost“ als ‚Zuarbeiter‘ deutscher Kolonisten ‚geduldet‘ werden. Allerdings gab es bereits in diesen Planungen einen ‚Überschuss‘ von rund einer halben Million Menschen (‚Nichtdeutschen‘), deren Schicksal offen blieb. Zudem fand auf der Krim de facto ein Genozid statt, der arbeitsteilig von der Wehrmacht und den Einsatzgruppen der SS verübt wurde und dem bis auf ganz wenige Überlebende fast die gesamte jüdische Bevölkerung sowie fast alle Sinti und Roma zum Opfer fielen. Auch im Zuge der Schlacht um Sewastopol kam es zu Repressionen gegenüber den dort lebenden Slawen und Tataren, und nach der Einnahme der Stadt zur Ermordung der verbliebenen jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner.[3] Da die Kämpfe um Sewastopol bis 1942 andauerten, es noch bis in das späte Jahr 1942 starken Widerstand vonseiten der sowjetischen Bevölkerung gab und die Halbinsel 1944 von der Roten Armee zurückerobert wurde, kam es letztendlich nie zur Formierung eines „Gotengaus“.

1945–1948 war Sewastopol Teil der Oblast‘ Krim und ab 1948 eine unabhängige Verwaltungseinheit. Im Gedenken an das 300-jährige Jubiläum des Vertrags von Perejaslaw (Perejaslav), als welcher der Treueid der Saporoger Kosaken auf den russischen Zaren Alexei I. bezeichnet wird, 'verschenkte' Nikita S. Chruschtschow (Chruščëv, 1894–1971) die Krim an die Ukrainische SSR. Bis 1991 war dies eine vorrangig symbolische Geste. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde Sewastopol, als einzige ukrainische Stadt neben Kiew, direkt der ukrainischen Regierung unterstellt. Bereits 1993 wurde die Stadt zum Zankapfel der beiden Länder, als das russische Parlament eine Resolution verabschiedete, die Sewastopol einseitig zu einer russischen Föderationsstadt erklären sollte. Die Nutzungsrechte des Hafens wurden im Rahmen des bilateralen Friedens- und Freundschaftsvertrages von 1997 festgelegt und der Konflikt bis zur sogenannten „Krimkrise“ beigelegt.

Infolge der ukrainischen Revolution 2013/2014 („Euromaidan“, auch „Revolution der Würde“ [ukr. Revoljucija hidnosti]) besetzten russische Militäreinheiten ohne Abzeichen ab dem 20. Februar 2014 völkerrechtswidrig die Krim.

Als Rechtfertigung instrumentalisierte die russische Regierung das Referendum zum Anschluss der Krim vom 16. März 2014. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach infolgedessen von der Notwendigkeit einer „Rückholung der Krim[4]. Militärische Präsenz war der Russischen Föderation nur in Sewastopol, in einem begrenzten Gebiet zur Nutzung der Schwarzmeerflotte, erlaubt. Im Rahmen der Annexion der Krim besetzte russisches Militär drei ukrainische Kriegsschiffe im Hafen Sewastopols.

Die Exekutive der Stadtregierung liegt seitdem in den Händen des Gouverneurs, eines neu geschaffenen Amtes. Dieses wurde, nach bereits zwei Vorgängern, am 28. Juli 2016 von Dmitrij Ovsjannikov übernommen.

Verwaltung

In der Sowjetunion war Sewastopol aufgrund der Militäranlagen eine „geschlossene Stadt". Das bedeutet, dass Besucher eine Sondergenehmigung beantragen mussten, um sich in der Stadt aufhalten zu dürfen. Dies änderte sich erst in den 1990er Jahren, sodass zunächst Bewohner der Krim (ab 1994), später auch Ukrainer, Russen und Ausländer im Allgemeinen (ab 1996) die Stadt besuchen durften.

Heute gliedert sich Sewastopol einbezüglich der umliegenden Ortschaften in vier Rajone.

Bevölkerung

Aufgrund der militärischen Bedeutung der Stadt wurde der nicht-slawische Bevölkerungsanteil schon im Zarenreich von den Behörden möglichst gering gehalten; Sewastopol galt als die „russischste Stadt der Krim"[5]. 1856 verließen knapp 100.000 Krimtataren mit dem osmanischen Heer die Krim. Im ausgehenden 19. Jahrhundert war die Anzahl der Krimtataren verglichen mit der Zeit vor der russischen Eroberung um zwei Drittel gesunken.[6] Teile der krimtatarischen Bevölkerung kollaborierten mit dem NS-Regime im Zweiten Weltkrieg. Stalin nahm dies zum Vorwand, die Krimtataren, insgesamt rund 202.000 Menschen, im Mai 1944 kollektiv in die zentralasiatischen Teile des Sowjetimperiums zu deportieren.[7] Zwischen 1944 und 1949 wurden Krimtataren mitsamt allen anderen nicht-slawischen Ethnien, Armenier ausgenommen, von der Krim vertrieben. Die Ansiedlung von Russen und Ukrainern wurde nachhaltig gefördert. Schwarzmeerdeutsche wurden bereits im August 1941, unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion, zwangsumgesiedelt. Chruschtschow rehabilitierte in den 1950er Jahren viele der von Stalin verfolgten Bevölkerungsgruppen, eine teilweise Rehabilitierung der deutschen Bevölkerung (Freispruch vom Vorwurf der Kollaboration, aber kein Rückkehrrecht in die früheren Siedlungsgebiete) in der Sowjetunion erfolgte 1964. Erst 1989 begann die Rückführung der Krimtataren. Infolgedessen lebten 2001 nach dem ukrainischen Zensus 437 Krimtataren[8], nach der russischen Zählung 2014 2.814 Krimtataren in Sewastopol[9]. 2001 wurden noch 254 Personen deutscher Nationalität erfasst, 2014 hingegen waren es 196.[10] Am 21. April 2014 verkündete Putin einen Erlass über die Rehabilitation der Krimtataren und anderer im Zweiten Weltkrieg deportierter Völker, darunter auch der Deutschen, mit dem Russland das historische Unrecht der Deportation anerkannte.[11]

Die Bevölkerung der Stadt Sewastopol insgesamt wuchs in der sowjetischen Periode von 68.003 Personen im Jahr 1926 auf 392.826 im Jahr 1989 an.[12] Amtssprache war bis 2014 das Ukrainische, daneben fungierte das Russische als primäre Kommunikationssprache. Während gemäß dem ukrainischen Zensus von 2001 rund 84.400 ethnische Ukrainer in Sewastopol gezählt wurden[13], gaben nur knapp 25.500 Menschen Ukrainisch als Muttersprache an.[14] Die ethnischen Russen bildeten bereits 2001 mit rund 270.000 Personen einen Großteil (71,6 Prozent) der Stadtbevölkerung, der bis 2014 auf 303.100 Personen (77,1 Prozent) anstieg.[15]

Wirtschaft

Die Krim und mit ihr die Stadt Sewastopol bot dem Zarenreich im 18. Jahrhundert neue Möglichkeiten: Die Böden waren fruchtbar und reich an unerschlossenen Ressourcen, die durch die Besiedlung nutzbar gemacht wurden. Die hier gegründeten Städte hatten eine äußerst gute Versorgungslage und sollten zu neuen Handelsknotenpunkten heranwachsen. Der Hafen wurde für die Stadt Sewastopol zum wichtigsten Faktor ihrer späteren ökonomischen Entwicklung. 1804 wurde er zum Haupthafen des Zarenreiches im Schwarzen Meer.

Die Schwarzmeerflotte ist nach wie vor bedeutend für die Wirtschaft der Stadt. Einerseits bietet sie viele Arbeitsplätze, andererseits sind die Werften heutzutage der bedeutendste Industriezweig der Stadt. Außerdem sind die seit der Sowjetzeit produzierten Uranis-Funkgeräte ein wichtiges Exportgut. Seit der Öffnung der Stadt wurde der Tourismussektor bis 2014 ausgebaut und auch seit der Annexion der Krim durch die Russische Föderation soll besonders der inländische Tourismus auf der Krim gefördert werden.

Infolge der Krim-Annexion wurde die Halbinsel zu einer Sonderwirtschaftszone der Russischen Föderation, um den wechselseitigen Waren- und Finanzaustausch zu intensivieren.

Militärgeschichte

Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurde Sewastopol, ebenso wie die gesamte Krim, militärisch gesichert, insbesondere gegen das Osmanische Reich. Der Stadt wurde außerdem die vorher in Cherson liegende Verwaltung der Schwarzmeerflotte zugewiesen.

Während der Belagerung durch Großbritannien, Frankreich und das Osmanische Reich im Rahmen des Krimkrieges 1854/55 wurden große Teile Sewastopols zerstört. Der historische Stadtkern konnte in der Folgezeit nicht vollständig wiederaufgebaut werden.

Die Niederlage der russischen Armee in Sewastopol bedeutete das Ende des Krimkrieges. Die „Katastrophe von Sevastopol'“[16] bewies außerdem die militärtechnische Unterlegenheit des Zarenreiches und wurde zum Symbol für seine Reformbedürftigkeit. Nach Ende des Krimkrieges wurde die deutsche Bevölkerung in den Kolonien der Krim geehrt, da sie Gelder für die Stadtbevölkerung Sewastopols gesammelt und gespendet hatte.

Sowohl das russische als auch das sowjetische Imperium forcierten aufgrund der Erfahrungen des Krimkriegs den Ausbau der Verteidigungsanlagen bis zum Zweiten Weltkrieg.

Im Zweiten Weltkrieg fand von 1941 bis 1942 die Schlacht um Sewastopol zwischen Wehrmachtstruppen und der Roten Armee statt, in deren Folge die Stadt fast komplett zerstört wurde. Am 9. Mai 1944 eroberten Truppen der Roten Armee unter der Führung von Andrej Jerjomenko (1892–1970) die Stadt zurück. Vom Frühjahr 1944 bis Juni 1948 existierte in der Nähe der Stadt ein Kriegsgefangenenlager (Uprawlenije 241) für deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Heute befindet sich dort ein Kriegsgräberfriedhof mit ca. 4.500 Gräbern.

Religions- und Kirchengeschichte

In der Vladimir-Kathedrale im Stadtzentrum, einer im 19. Jahrhundert errichteten russisch-orthodoxen Kirche, wurden bedeutende Admiräle der Schwarzmeerflotte beigesetzt. Das Bauwerk wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und in den 1960er Jahren wiedererrichtet.

Neben weiteren orthodoxen und einer griechisch-katholischen Kirche befindet sich auch die römisch-katholische Kirche des heiligen Kliment in der Stadt.

Seit der Rückkehr der Krimtartaren 1989 besteht offiziell eine islamische Gemeinde in Sewastopol. Die Moschee Ak‘jar Džami wurde zwischen 1909 und 1914 errichtet. Nachdem der Betrieb 1938 eingestellt wurde, werden seit 1992 wieder Gottesdienste abgehalten. In den 2000er Jahren erhielt die Gemeinde einen eigenen islamischen Friedhof sowie eine Medrese (Koranschule).

Die Zensusdaten bestätigen eine Vielzahl religiöser Minderheiten, die wiederum nicht alle eigene Gemeinden pflegen.

Die älteste jüdische Gruppe auf der Krim waren die Krimtschaken, die im 2. Jahrhundert vor Christus auf die Halbinsel gelangten. Im 8. Jahrhundert siedelten sich auf der Krim außerdem Karäer an. Schon während der Kämpfe um die Krim und Sewastopol ordnete General Erich von Manstein (1887–1973) 1941 die „Ausrottung“ des „jüdisch-bolschewistischen-Systems“ auf der Krim an.[17] Gegen Juden auf der Krim wurde während der Besatzungszeit rigoros vorgegangen. Der Befehl wurde in der Folgezeit breit ausgelegt und immer wieder neu interpretiert, sodass sich der Genozid auf sämtliche Ethnien der Halbinsel auswirkte. Besonders galt dies für die Krimtschaken, Karäer, Bergjuden und Roma, es kam zu mehreren Massenerschießungen dieser Bevölkerungsgruppen. Eine der größten Mordaktionen fand in Sewastopol statt. Im Juli 1942 lebte hier die zweitgrößte jüdische Gemeinde auf der Halbinsel (mit über 6.000 Gemeindemitgliedern). Nachdem ein Großteil der jüdischen Bevölkerung noch während der Belagerung von Sewastopol evakuiert werden konnte, fanden die Besatzer dennoch über 500 Juden in den Ruinen vor, die kurz danach außerhalb der Stadt ermordert wurden.[18]

Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus nahm das Leben jüdischer Gemeinden auf der Krim einen neuen Anfang. Heute befinden sich wieder Synagogen in Sewastopol: Die von 1896 bis 1908 errichtete Karaims'ka Kenasa sowie die Sinagoga Chabad, welche zur jüdischen Gemeinde Sewastopol gehört und 2014 eröffnet wurde.

Besondere kulturelle Institutionen

Neben dem Lunačarskij Teatr finden sich insbesondere Institutionen, die auf die in Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte zurückzuführen sind, z. B. das Theater der Schwarzmeerflotte und die Bibliothek der Schwarzmeerflotte, benannt nach M. P. Lazarev (Morskaja biblioteka imeni M. P. Lazareva).

Bildung und Wissenschaft

Die Stadt beherbergt folgende Bildungseinrichtungen:
Ukrainische Akademie der Wissenschaften, Staatliche Polytechnische Universität Sewastopol, Atomenergieinstitut Sewastopol, Meeresinstitut Sewastopol, Kowalewski-Institut für Biologie der südlichen Meere sowie eine Zweigstelle der Moskauer Staatlichen Universität (MGU).

Alltagskultur

Die Fußballvereine der Krim, darunter der PFK Sewastopol, wurden am 1. Juli 2014 aus der ukrainischen Fußballliga ausgeschlossen. Die UEFA verbot infolge des Protests des ukrainischen Fußballverbandes die Aufnahme der Fußballvereine der Krim in die russische Liga. 2015 wurde eine eigene Fußball-Liga der Krim initiiert, in der der FC Sewastopol in der Saison 2015/16 den zweiten Platz belegte. Die Liga ist allerdings nicht eigenständig, sondern wird von Russland finanziert.

Musik

Der russische Komponist Boris A. Tschaikowski (1925–1996) thematisierte die Stadt in seiner 3. Sinfonie.

Literatur

Aufgrund der Kriegsereignisse fand die Stadt Beachtung in der russischen Literatur. Unter anderem schrieb Lev Tolstoj (1828–1910) seine Erinnerungen an den Krimkrieg in den „Sewastopoler Erzählungen“ (Sevastopol’skie rasskazy) nieder.

Abba Kovner (1918–1987), litauisch-israelischer Schriftsteller und Partisanenführer im Zweiten Weltkrieg, wurde 1918 in Sewastopol geboren.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Die Stadt entwickelte sich schon kurz nach ihrer Gründung zu einem für das Zarenreich geschichtsträchtigen Ort, da sie zum Sinnbild für eine erfolgreiche Besiedlung der Krim und der Südukraine werden sollte.

Serhii Plokhy konstatiert zwei bedeutende Mythen um die Stadt: Einen sowjetischen, basierend auf den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges, und einen russisch-nationalen, der sich auf den postulierten Heroismus der zarischen Armee im Krimkrieg gründet.[19] Die Glorifizierung ukrainischer und belarussischer Kriegshelden in der späten Sowjetzeit stellte den hauptsächlich russischen Charakter der Stadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert infrage, konnte die erstgenannten Narrative jedoch nie überschreiben.[20] Insgesamt finden sich in der Stadt knapp 2.000 Denkmäler, die sich mit dem Krimkrieg und der Schlacht um Sewastopol im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen. Das 1905 nach dem Entwurf des estnischen Bilderhauers Amandus Adamson errichtete Denkmal für versenkte Schiffe (Pamjatnyk zatoplenym korabljam) erinnert an die im Krimkrieg zerstörte Schwarzmeerflotte, die den Zugang zur Stadt zu versperren suchte.

Diese Erinnerungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg abgelöst, als Sewastopol zum „Symbol nationalen Leidens“[21] avancierte. In der lokalen Erinnerungslandschaft ist das Sewastopoler Panorama ein einschlägiges Beispiel. Während des Zweiten Weltkriegs völlig zerstört, wurde es in den 1950er Jahren aufwändig restauriert. Es bindet zwei Kriegserlebnisse der Stadt – den Krimkrieg und den Zweiten Weltkrieg – in das Alltagsleben ein und steht damit für die „kollektive Trivialisierung des Kriegserlebnisses“[22].

Relevant ist die Stadt darüber hinaus für den Heldenkult des „Großen Vaterländischen Krieges“ (1941–1945) durch ihre Belagerung. Sie trägt unter anderem den Titel „Heldenstadt“ (ukr. misto-heroj; russ. gorod-geroj). Das Diorama „Sturm auf den Sapun-Berg am 7. Mai 1944“, erbaut im Jahr 1959, erinnert an die Rückeroberung der von der Wehrmacht besetzten Festung im Süden der Bucht von Sewastopol. Außerdem gibt es in der Stadt und ihrem Umland einige deutsche Soldatenfriedhöfe.

4. Diskurse/Kontroversen

Die Annexion der Krim im März 2014 wird weder von der UN, der Europäischen Union noch der Ukraine anerkannt.[23] Die russische Regierung verweist hingegen darauf, dass der schon zuvor russisch dominierte Stadtrat im März 2014 einseitig den Willen bekundet hat, in die Russische Föderation aufgenommen zu werden. Zudem argumentiert sie damit, dass sich bei dem Referendum über den Status der Krim am 16. März 2014 knapp 97 Prozent der Abstimmenden für eine Vereinigung der Krim mit Russland ausgesprochen hätten. Tatsächlich war dem Referendum jedoch die gewaltsame Entmachtung des Regionalparlaments vorausgegangen. Die Abstimmung selbst stand im Widerspruch zur ukrainischen Verfassung, es gab keine unabhängige Wahlbeobachtung, dafür aber Berichte über massive Wahlfälschungen. Zudem gab es auf dem Wahlzettel keine Möglichkeit, für den Status Quo, den Verbleib der Krim bei der Ukraine, zu stimmen.

 

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Hans Auerbach: Besiedlung der Südukraine in den Jahren 1774–1787. Wiesbaden 1965 (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München 25).
  • Burkhard Böttger: Griechen und Römer. In: Thomas Werner (Hg.): Unbekannte Krim. Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden. Heidelberg 1999, S. 34–54.
  • Detlef Brandes: Von den Zaren adoptiert. Die deutschen Kolonisten und die Balkansiedler in Neurussland und Bessarabien 1751–1914. München 1993 (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte 2).
  • Orlando Figes: The Crimean War. A History. New York 2010.
  • Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft. Stuttgart 1986.
  • Robert Forczyk: Sevastopol 1942. Von Manstein's Triumph. Oxford 2008 (Osprey Military Campaign Series 189).
  • David M. Griffiths: Catherine II Discovers the Crimea. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 56 (2008), H. 1, S. 339–348.
  • Manfred Hildermeier: Geschichte Russlands vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution. 2. Aufl. München 2013 (Historische Bibliothek der Gerda-Henkel-Stiftung).
  • Kerstin S. Jobst: Die Perle des Imperiums. Der russische Krim-Diskurs im Zarenreich. Konstanz 2007 (Historische Kulturwissenschaft 11).
  • Viktor Krieger: Kolonisten, Sowjetdeutsche, Aussiedler. Eine Geschichte der Russlanddeutschen. Bonn 2015 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 1631).
  • Norbert Kunz: Die Krim unter deutscher Herrschaft 1941–1944. Germanisierungsutopie und Besatzungsrealität. Darmstadt 2005 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg 5).
  • Dmytro Myeshkov: Die Schwarzmeerdeutschen und ihre Welten. 1781–1871. Düsseldorf 2008 (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 30).
  • G. V. Paramonova: Sevastopol. In: Wieczynski, Joseph L.: The modern Encyclopedia of Russian and Soviet History 53 (1990), S. 7–8.
  • Serhii Plokhy: The City of Glory. Sevastopol in Russian Historical Mythology. In: Journal of Contemporary History 35 (2000), No. 3, S. 369–383.
  • Peter J. Potichnyj: The Struggle of the Crimean Tatars. In: Canadian Slavonic Papers 17 (1975), No. 2/3, S. 302–319.
  • Karl D. Qualls: From Ruins to Reconstruction. Urban Identity in Soviet Sevastopol after World War II. Ithaca, NY 2009.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Brandes: Von den Zaren adoptiert, S. 29.

[2] Beim „Holodomor“ (ukr., „Tötung durch Hunger“) handelt es sich um eine durch die stalinsche Politik herbeigeführte Hungersnot, durch die 1932/1933 mehrere Millionen Menschen starben. Die Kontroverse um den Holodomor (bzw. dessen Einstufung als „Genozid“) gehört zu den bedeutendsten erinnerungskulturellen Debatten in der Ukraine seit 1991 und belastet seit der Regierung Wiktor Juschtschenkos die Beziehung zur Russischen Föderation. Zu einem Überblick vgl. www.bpb.de/internationales/europa/ukraine/174179/analyse-80-jahre-holodomor-die-grosse-hungersnot-in-der-ukraine?p=all.

[3] Kunz: Die Krim, S. 59, 179–205.

[4] Artikel „Putin: Russland konnte Krim 'nicht im Stich lassen'“, abgerufen unter: www.zeit.de/news/2015-03/09/russland-putin-russland-konnte-krim-nicht-im-stich-lassen-09235009 (Abruf 14.08.2018).

[5] Jobst: Die Perle des Imperiums, S. 352.

[6] Uwe Halbach: Die Krimtataren in der Ukraine-Krise. In: Ukraine-Analysen 141, 13.11.2014, S. 2-6: www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen141.pdf (Abruf 14.08.2018), S. 2.

[7] Naselenie Rossii v XX Veke [Die Bevölkerung Russlands im 20. Jahrhundert]. Istoričeskie očerki [Historischer Überblick]. Tom 1: 1900–1939 gg. Moskva 2000, S. 369. Zur Thematik der Krimtataren siehe Potichnyj: The Struggle of the Crimean Tatars, S. 306. Nach Halbach sind es 238.500 Deportierte: Vgl. Uwe Halbach: Die Krimtataren in der Ukraine-Krise. In: Ukraine-Analysen 141, 13.11.2014, S. 2-6: www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen141.pdf (Abruf 14.08.2018), S. 3.

[8] 2001.ukrcensus.gov.ua/rus/results/nationality_population/.

[9] Tablicy s itogami Federal'nogo statističeskogo nabljudenija "Perepis' naselenija v Krymskom federal'nom okruge". 4.1. Nacional'nyj sostav naselenija [Ergebnisse des russischen Zensus auf der Krim von 2014]: www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/perepis_krim/tab-krim/pub-04-01.xlsx (Abruf 14.08.2018).

[10] Siehe [8] und [9].

[11] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krim-putin-rehabilitiert-deutsche-und-tataren-12903836.html.

[12] Naselenie Rossii v XX Veke [Die Bevölkerung Russlands im 20. Jahrhundert]. Istoričeskie očerki [Historischer Überblick]. Tom 1: 1900–1939 gg. Moskva 2000, S. 369, und Vsesojuznaja perepis' naselenija 1989 g [Allsowjetischer Bevölkerungszensus 1989]. Čislennost' naselenija sojuznych respublik SSSR i ich territorial'nych edinic po polu: demoscope.ru/weekly/ssp/sng89_reg1.php (Abruf 14.08.2018).

[13] Siehe [9].

[14] 2001.ukrcensus.gov.ua/eng/results/general/nationality/ (Abruf 14.08.2018).

[15] siehe [9].

[16] Hildermeier: Geschichte Russlands, S. 884.

[17] Kunz: Die Krim, S. 179.

[18] Kunz: Die Krim, S. 202f.

[19] Plokhy: The City of Glory, S. 381, 383.

[20] Jobst: Die Perle des Imperiums , S. 351.

[21] Jobst: Die Perle des Imperiums, S. 373.

[22] Plokhy: The City of Glory, S. 381, 383.

[23] UN-Resolution 68/262, 01. April 2014, Territorial integrity of Ukraine: www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/68/262 (Abruf 14.08.2018) und "On Ensuring Civil Rights and Freedoms, and the Legal Regime on the Temporarily Occupied Territory of Ukraine": zakon.rada.gov.ua/laws/anot/en/1207-18  (Abruf 17.08.2021).

Zitation

Martin Rohde, Phillip Schroeder: Sewastopol/Sevastopol'. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2019. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32255 (Stand 14.07.2020).

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