Serbien

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Serbien

Amtliche Bezeichnung

Republika Srbija (Република Србија)

Anderssprachige Bezeichnungen

lat. Serbia; engl. Serbia; franz. Serbie, span. Serbia, russ. Сербия

Etymologie

Der Ländername stammt von der Bezeichnung der Einwohner, den Serben (serb. Srbi). Die Etymologie des Wortes "Serbe" ist allerdings unklar und umstritten. Es gibt verschiedene Theorien zur Wortherkunft: 1. von der Kaukasischen Wortwurzel "Ser" (= Mann/Mensch), 2. von der indogermanischen Wortwurzel "Ser" wie im lateinischen Wort "servare", 3. vom altslawischen Wort für "das Gleiche".

2. Geographie

Lage

Serbien ist ein Binnenstaat in Südosteuropa mit einer Fläche von 77.470 km2. Das Land verfügt über eine zentrale Lage auf der Balkanhalbinsel und grenzt an acht Nachbarländer, an Ungarn im Norden, an Rumänien und Bulgarien im Osten, an Mazedonien und das Kosovo im Süden, an Montenegro im Südwesten und an Bosnien-Herzegowina und Kroatien im Westen.

Topographie

In der autonomen Provinz Vojvodina im Norden ist das Relief, abgesehen von vereinzelten hügeligen Ausläufern (u. a. Fruška Gora, Vrsačke Gore), eben. Die Regionen der Vojvodina, Batschka (serb. Bačka), Syrmien (serb. Srem) und das südwestliche Banat (serb. Banat), liegen in der Pannonischen Tiefebene. Save und Donau trennen das Tiefland von der waldreichen und gebirgigen Landschaft Zentralserbiens. Die Südliche und die Westliche Morava, nach ihrer Vereinigung Große Morava genannt, durchfließen das Gebirgsland. Das Flusssystem der Morava bildet die wichtigste Verkehrsachse Serbiens. Die höchsten Gebirgserhebungen des Landes sind das Kopaonik-Gebirge (max. 2.017 m. ü. M.) südlich der Westlichen Morava, das Serbische Erzgebirge, das Dinarische Gebirge und der Westbalkan (max. 2.169 m. ü. M.) an der Grenze zu Bulgarien.

Historische Geographie

Unter der Herrscherfamilie der Nemanjiden erreichte das mittelalterliche Serbien seine größte Ausdehnung. Es erstreckte sich von der heutigen Hauptstadt Belgrad/Beograd im Norden bis nach Mittelgriechenland im Süden. Seine westliche Grenze verlief entlang der dalmatinischen Küste (ausgenommen Ragusa/Dubrovnik) über das heutige Montenegro und Albanien bis nach Griechenland. Im Osten umfasste es das Gebiet der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien und reichte im Südosten bis nach Nordgriechenland. Das Reich zerfiel nach dem Tod Zar Stefan Dušans aufgrund dynastischer Konflikte. Durch die erste (1389) und die zweite Niederlage (1448) auf dem Amselfeld (serb. Kosovo Polje) geriet Serbien unter osmanische Herrschaft.

Erst auf dem Berliner Kongress 1878 wurde Serbien zum unabhängigen Staat erklärt. Es konnte sein Territorium damals maßgeblich vergrößern: Die Gebiete von Vranje (dt. Wragl), Pirot, Leskovac und Niš (dt. Nisch) wurden dem Fürstentum Serbien zugesprochen. Nach dem Zweiten Balkankrieg (1913) erhielt das Königreich (ab 1882) Serbien im Friedensvertrag von Bukarest das Kosovo, das nördliche Mazedonien und Teile des Sandžaks von Novi Pazar. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Serbien Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929: Königreich Jugoslawien). Serbien wurde um die zuvor zu Ungarn gehörende Vojvodina sowie um kleinere Gebiete an der Grenze zu Bulgarien erweitert.

Von 1945 bis 1992 war Serbien eine Teilrepublik des sozialistischen Jugoslawiens. Die Vojvodina und das Kosovo erlangten im Zuge der Verfassungsänderungen von 1974 den Status autonomer Provinzen innerhalb Serbiens. Als das Zweite Jugoslawien zu Beginn der 1990er Jahre zerbrach, verblieben nur die ehemaligen Teilrepubliken Serbien und Montenegro in der Bundesrepublik Jugoslawien. Von 2003 bis zur Unabhängigkeit Montenegros 2006 bestand der lockere Staatenbund Serbien und Montenegro (Srbija i Crna Gora). Seit 2006 lautet die offizielle Bezeichnung Republik Serbien. Im Februar 2008 erklärte sich das Kosovo für unabhängig. Bis heute erkennt die Republik Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.

Verweise auf im Lexikon behandelte Regionen

3. Geschichte und Kultur

Das mittelalterliche Reich der Serben

Das Gebiet um Raszien (serb. Raška) wurde zum Kerngebiet des mittelalterlichen Serbien.[1] Nach 1180 beendete Fürst (Großžupan) Stefan Nemanja (1168–1196) die bulgarische Herrschaft über Raszien und vereinigte es mit Zeta (heute: Montenegro). Dessen Sohn Stefan Prvovenćani (1196–1227) erhielt 1217 von Papst Honorius III. die Königswürde. 1219 wurde die serbische Kirche selbstständig und zu einem von Konstantinopel unabhängigen Erzbistum erklärt. Stefan Prvovenćanis Bruder Sava wurde der erste serbische Erzbischof. Unter Zar Stefan IV. Dušan erreichte das Nemanjiden-Reich seine größte Ausdehnung und Glanzzeit. Sogar für Byzanz stellte Dušans Reich damals eine ernsthafte Bedrohung dar.[2] Nach dem Tod des Zaren Stefan IV. Dušan zerfiel das Reich der Nemanjiden in kleinere Fürstentümer, denn seinem Sohn und Nachfolger Stefan Uroš V. misslang es, das Reich zusammenzuhalten. Durch ihre Streitigkeiten geschwächt, konnten die serbischen Fürsten das Vordringen der Osmanen nicht aufhalten. 1371 wurde ein Heer mehrerer Balkan-Fürsten an der Maritsa in Thrakien von den Osmanen besiegt. Nach der Unterwerfung des Südbalkans griffen die Osmanen im Sommer 1389 erneut an, um auch die zentralen Balkangebiete zu erobern. Am 28. Juni 1389 standen sich das christliche Allianzheer des serbischen Fürsten Lazar Hrebeljanović und die Truppen Murads I. auf dem legendären Amselfeld gegenüber. Durch die Niederlage gerieten Teile Serbiens zunächst in eine lose osmanische Abhängigkeit. Erst durch die zweite Schlacht auf dem Amselfeld 1448 wurde die unmittelbare Herrschaft der Osmanen auf dem Balkan durchgesetzt. Für vier Jahrhunderte wurde Serbien Teil des Osmanischen Reiches.

Unter osmanischer Herrschaft

Als Folge der Eroberung durch die Osmanen verschwand der serbische Adel: Entweder waren die Fürsten im Krieg umgekommen, hingerichtet worden, geflüchtet oder zum Islam konvertiert. Bis heute wird die osmanische Herrschaft im kollektiven Gedächtnis der Serben als das "türkische Joch" wahrgenommen. Die Herrschaft der Osmanen zeichnete sich dadurch aus, dass sie den unterworfenen Völkern eine relative lokale Verwaltungsautonomie zustanden und das jeweilige Gewohnheitsrecht bis zu einem gewissen Grad bestehen ließen. Der Islam wurde den Menschen in den eroberten Gebieten nicht gewaltsam aufgezwungen. Diejenigen, die konvertierten, genossen allerdings nicht nur Privilegien, wie z. B. Steuernachlässe; ihnen stand auch der Zugang zu höheren Ämtern offen. Die christlich-serbische Bevölkerung (Raja) wurde in ihrer Mehrheit jedoch der Unterschicht zugeordnet und war zu Steuerabgaben an die islamische Oberschicht verpflichtet. Zudem sollten Verbote (wie z. B. des Tragens eines Säbels, des Reitens von Pferden etc.) ihre soziale Deklassierung in der Öffentlichkeit unterstreichen.

Für das Zusammengehörigkeitsgefühl und das kollektive Bewusstsein der serbischen Untertanen, die innerhalb dörflicher Gemeinschaften in patriarchalen Großfamilien (Zadruga) lebten, spielte einerseits die serbisch-orthodoxe Kirche, andererseits das Brauchtum und die mündlich tradierten Volks- und Heldenlieder eine wichtige Rolle. Außerdem wurden die Hajduken – Wegelagerer, Plünderer und später auch Aufständische gegen die Osmanen – als Helden und "Volksbefreier" verehrt.

Nach jeweils gescheiterten Aufständen gegen die Osmanen 1690 und 1737 zog ein Teil der serbischen Bevölkerung – die Schätzungen liegen zwischen 80.000 und 300.000 Personen beim der ersten und um die 3.000 Personen bei der zweiten Serbenwanderung[3] – unter der Führung der Patriarchen von Peć in das habsburgische Südungarn. Vor allem die Wanderung von 1690 ist als legendäre "Große Wanderung" (serb. Velika Seoba) in das kollektive Gedächtnis der Serben eingegangen. Ein Großteil der serbischen Auswanderer wurde von Leopold I. in der pannonischen Tiefebene als Wehrbauern angesiedelt; als Gegenleistung garantierte ihnen der Kaiser Religionsfreiheit. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden deutsche Kolonisten auf Betreiben der Habsburger in Ungarn angesiedelt, um das in den "Türkenkriegen" zerstörte Land nach westlichen Methoden zu bewirtschaften.[4] Aus diesem Grund – die von den Serben betriebene Viehwirtschaft brachte weniger Steuereinnahmen ein – drängten ungarische Adlige die serbischen Wehrbauern auf das Gebiet der heutigen Vojvodina und nach Slawonien zurück.[5]

Unabhängigkeitskampf und nationale Wiedergeburt

Im Jahr 1804 erhoben sich serbische Rebellen unter Karadjordje Petrović, "dem Schwarzen Georg", zum Ersten Serbischen Aufstand (1804–1813) gegen die Janitscharen und die osmanische Herrschaft im Allgemeinen. Obwohl Serbien im Vertrag von Bukarest zwischen dem Osmanischen Reich und Russland (Mai 1812) Autonomie garantiert wurde, verschlechterte sich die Situation der Serben im Osmanischen Reich weiter. Infolgedessen rief Miloš Obrenović, ein Konkurent Karadjordjes, den Zweiten Aufstand (1815–1817) aus, der erfolgreicher war, da er die Errichtung eines autonomen, tributpflichtigen Fürstentums Serbien zur Folge hatte. Dieser politische Erfolg der serbischen Eliten wurde von dem ein Jahrhundert andauernden Machtkampf zwischen den Dynastien der Kardjordjevići und Obrenovići überschattet. Die beiden Aufstände trugen den Charakter bäuerlicher Rebellionen und waren (noch) nicht von nationalen Aspirationen geprägt. Die spätere sogenannte 'nationale Wiedergeburt' wurde nicht von den bäuerlichen Aufständischen propagiert, sondern von dem in Wien, Budapest und später Neusatz/Novi Sad lebenden serbischen Bürgertum getragen. In diesen Städten wurden serbische Zeitungen herausgegeben und serbische Druckereien gegründet. Bei der Entwicklung des nationalen Bewusstseins spielte das Werk des Sprachreformers und Philologen Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) eine herausragende Rolle. Er reformierte die serbische Schriftsprache, indem er das serbisch-kyrillische Alphabet standardisierte und die serbische Volkssprache kodifizierte. Neben einer serbischen Grammatik und einem serbisch-deutschen Wörterbuch brachte er eine Sammlung serbischer Volks- und Heldenlieder heraus. Die serbische Volksdichtung wurde durch mitteleuropäische Dichter und Gelehrte positiv rezipiert, zum Beispiel durch J. W. Goethe, J. G. Herder und J. Grimm.[6] Doch nicht nur Vuk Stefanović Karadžić besann sich auf die Vergangenheit, auch der serbische Innenminister Ilija Garašanin berief sich in seinem Geheimentwurf (Načertanije) zur Zukunft Serbiens auf die serbische Geschichte. Sein Ziel war die Wiederherstellung des mittelalterlichen Reiches Stefans IV. Dušan. Er war überzeugt, dass das Osmanische Reich bald zerfallen werde und entweder dessen Territorium zwischen Russland und der Habsburgermonarchie aufgeteilt werden würde oder die Balkangebiete unabhängig würden. Für letzteren Fall reklamierte er für die Serben eine Führungsrolle, denn "die Serben haben unter allen Slawen der Türkei als erste mit eigenen Mitteln und aus eigener Kraft für ihre Freiheit gekämpft."[7] Serbien sollte demnach eine Vorreiterrolle bei der Befreiung aller Südslawen spielen. Garašanins Pläne für Großserbien müssen vor dem Hintergrund des Nationsbildungsprozesses im 19. Jahrhundert gelesen werden. Dennoch war sein Entwurf "für die Politik Belgrads bis zur Schaffung Jugoslawiens richtungsweisend, und er erlangte unter anderen Vorzeichen erneute Aktualität durch den Zerfall Jugoslawiens".[8]

Vom Berliner Kongress bis zum Ersten Weltkrieg

Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde die Souveränität des Fürstentums Serbien von den europäischen Mächten beschlossen; auch Montenegro und Rumänien wurden zu unabhängigen Staaten erklärt. Darüber hinaus wurde das innerhalb des Osmanischen Reiches autonome Fürstentum Bulgarien gegründet und Bosnien und die Herzegowina unter österreichische Herrschaft gestellt.

Das vielzitierte "Pulverfass Balkan" konnte durch die Entstehung unabhängiger Staaten zwar kurz entschärft, aber nicht dauerhaft befriedet werden. Es kam zu neuen Spannungen zwischen den kleinen "Balkanstaaten", die sich beispielsweise im serbisch-bulgarischen Krieg von 1885 entluden. Insbesondere die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn 1908 hatte weitreichende Folgen: "Serbische Todfeindschaft zur habsburgischen Donaumonarchie, das Wiederaufleben des […] russisch-österreichischen Antagonismus in Südosteuropa […], die Entstehung des Balkanbundes und die Balkankriege von 1912/13, das Attentat von Sarajewo/Sarajevo und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges."[9]

Österreich-Ungarn beschuldigte Serbien einer Mitschuld am Attentat von Sarajewo, das von dem serbischen Geheimbund "Einheit oder Tod" (Ujedinjenje ili Smrt), auch "Schwarze Hand" (Crna ruka) genannt, ausgeführt wurde. Als Folge erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. "Gegenseitige Bündnisverpflichtungen lösten Kriegserklärungen der übrigen europäischen Staaten in rascher Folge aus".[10] Für Serbien, das mit der Triple Entente verbündet war, hatte der Erste Weltkrieg fatale Folgen: Von allen Kriegsteilnehmern hatte das Land mit 1,1 Millionen Kriegstoten gemessen an der Bevölkerungszahl die höchsten Verluste zu verzeichnen.

Tabelle 1: Bevölkerung Serbiens nach Nationalitäten 1900[11]

Ethnien

Zahlen (in %)

Serben

2.298.551 (92,20 %)

Rumänen

122.429 (4,91 %)

"Zigeuner"

46.148 (1,85 %)

Juden

5.729 (0,23 %)

Bulgaren

646 (0,03 %)

Deutsche

7.494 (0,30 %)

Sonstige[12]

11.886 (0,48 %)

Fremde insgesamt

194.331 (7,80 %)

Total

2.492.882 (100 %)

Republik Serbien

Von 1918 bis 1992 war Serbien Teilstaat von Jugoslawien – zunächst des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 Königreich Jugoslawien genannt) und ab 1945 des sozialistischen Jugoslawiens. Als der jugoslawische Staatenbund 1992 zerbrach, schlossen sich zwei ehemalige Teilrepubliken zur Bundesrepublik Jugoslawien und von 2003 bis 2006 zum Staatenbund Serbien-Montenegro (Srbija i Crna Gora) zusammen. Seit 2006 ist Serbien eine unabhängige Republik. Für Serbiens jüngste Innen- wie Außenpolitik waren die Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008 und die damit einhergehenden Konflikte sowie die Verhandlungen mit der Europäischen Union über eine mögliche EU-Mitgliedschaft entscheidend. Zudem sorgten die Verhaftungen der lange gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karađić und Ratko Mladić in den Jahren 2008 und 2011 für mediale Aufmerksamkeit. Die Wahrnehmung Serbiens in der Weltöffentlichkeit wurde durch Kriegsverbrechen, die während der postjugoslawischen Kriege verübt wurden, bestimmt. Die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte geht bisher nur schleppend voran.

Gemäß den Daten der Volkszählung lebten 2011 7.186.862 Menschen in der Republik Serbien. Den größten Anteil stellten die Serben mit 5.988.150 Personen (83,32 %). Der Anteil der deutschen Minderheit betrug 0,06 % der Gesamtbevölkerung – insgesamt 4.064 Personen, von denen 3.272 in der Vojvodina lebten.[13]

Tabelle 2: Ethnische Verteilung der Bevölkerung gemäß der Volkszählung in der Republik Serbien im Jahr 2011[14]

Ethnien

Zahlen (in %)

Serben

5.988.150 (83,32 %)

Ungarn

253.899 (3,53 %)

Roma

147.604 (2,05 %)

Bosniaken

145.278 (2,02 %)

Kroaten

57.900 (0,81 %)

Slowaken

52.750 (0,73 %)

Montenegriner

38.527 (0,54 %)

Vlachen

35.330 (0,49 %)

Rumänen

29.332 (0,41 %)

Jugoslawen[15]

23.303 (0,32 %)

Mazedonier

22.755 (0,32 %)

Muslime

22.301 (0,31 %)

Bulgaren

18.543 (0,26 %)

Andere

17.558 (0.24 %)

Bunjewatzen

16.706 (0,23 %)

Ruthenen

14.246 (0,19 %)

Goranci

7.767 (0,11 %)

Albaner

5.809 (0,08 %)

Ukrainer

4.903 (0,07 %)

Deutsche

4.064 (0,06 %)

Slowenen

4.033 (0,06 %)

Russinen

3.247 (0,05 %)

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

In der serbischen Erinnerungskultur wird die historische Bedeutung der Schlacht auf dem Amselfeld gemeinhin überschätzt. Sie löste weder den Untergang des mittelalterlichen serbischen Großreiches noch die endgültige Unterwerfung unter die osmanische Herrschaft aus. Seine Entstehung und Verbreitung verdankt der Mythos sowohl der serbischen Kirche als auch der Volksdichtung. Auf diese Weise sind zwei verschiedene Dimensionen des Mythos entstanden: Zum einen die christliche Dimension, wonach sich Fürst Lazar aus freiem Willen auf dem Amselfeld für das christliche Europa geopfert und somit das himmlische Reich erlangt haben soll. Die irdische Niederlage wurde auf diese Weise zu einem moralischen Sieg verklärt. Fürst Lazars Martyrium wird in der Legende mit dem Leidensweg Christi verglichen. Wie Christus wird Lazar von einem seiner Verbündeten verraten. Sein Schwiegersohn Vuk Branković, der "serbische Judas", soll Lazar während der Schlacht im Stich gelassen haben und mit seinen Truppen geflüchtet sein. Im Zentrum der weltlich-heroischen Dimension steht dagegen der vermeintliche Sultanmörder Miloš Obilić, dessen Existenz im Gegensatz zu Lazar und Branković historisch nicht belegt ist. Unter dem Vorwand, zu den Osmanen überlaufen zu wollen, soll sich Obilić in deren Lager begeben haben. Als er in das Zelt des Sultans geführt wurde, um diesem ein Geheimnis zu verraten, soll er diesen niedergestochen haben.

Während der Opfermythos sich aus dem christlichen Strang des Mythos bildete, ging der Aspekt der Rache und des Verrats aus dem irdisch-heroischen Strang hervor. Diese Betrachtungsweise machte all jene, die während der osmanischen Herrschaft zum Islam konvertierten, zu Verrätern. Solch ein Verrat konnte vermeintlich nur durch Rache gesühnt werden. In seinem 1847 veröffentlichten Gedicht Der Bergkranz (serb. Gorski vijenac) widmet sich der montenegrinische Fürstbischof und Dichter Petar Petrović Njegoš ausgiebig dem Thema Rache. Der Erfolg dieses Gedichts war riesig.[16] Während des Regimes von Slobodan Milošević wurde der Amselfeldmythos politisch instrumentalisiert und gezielt als Propaganda eingesetzt.[17]

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Dušan T. Bataković: Histoire du peuple serbe. Lausanne 2005.
  • Florian Bieber: Nationalismus in Serbien vom Tode Titos bis zum Ende der Ära Milošević. Wien 2005 (Wiener Osteuropa-Studien 18).
  • Henrik Birnbaum: Überlegungen zum mittelalterlichen Serbien. In: Südost-Forschungen 53 (1994), S. 311-322. 
  • Katrin Boeckh: Serbien, Montenegro. Geschichte und Gegenwart. Regensburg 2009.
  • Marie-Janine Čalić: Sozialgeschichte Serbiens 1815–1941. Der aufhaltsame Fortschritt während der Industrialisierung. München 1994 (Südosteuropäische Arbeiten 92).
  • Sima M. Cirković: The Serbs. Oxford 2004.
  • Wolfgang Libal: Die Serben. Blüte, Wahn und Katastrophe. München, Wien 1996.
  • Stevan K. Pavlowitch: Serbia. The history behind the name. London 2002.
  • Sabrina B. Ramet, Vjeran Pavlaković (Hg.): Serbia since 1989. Politics and Society under Milošević and after. Seattle 2005 (Jackson School Publications in International Studies).
  • Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.–21. Jahrhundert. Wien u. a. 2007.

Weblinks

  • www.zikic-stiftung.de/index.html (Michael-Zikic-Stiftung, Bonn, zur Förderung der wissenschaftlichen und kulturellen Kooperation zwischen Deutschland und Serbien).

Anmerkungen

[1] Sundhaussen beschreibt Raszien als die "Region zwischen den Flüssen Toplica und Ibar" – heute würde das damalige Raszien den Nordosten Montenegros, den Norden Kosovos und Teile Südserbiens umfassen.

[2] Vgl. Thomas A. Emmert: Serbian Golgotha: Kosovo, 1389. New York 1990 (East European Monographs 278), S. 13.

[3] Vgl. Boeckh: Serbien, Montenegro, S. 38f.; Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien u. a. 2004, S. 610.

[4] Vgl. Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum: Räume, Zeiten, Menschen. Führer durch das Donauschwäbische Zentralmuseum. Ulm 2000, S. 20.

[5] Hösch, Nehring, Sundhaussen (Hg.): Lexikon (wie Anm. 3), S. 202.

[6] Ulf Brunnbauer: Vorlesung: "Europa" und der "Balkan": Fremd- und Selbstzuschreibungen. Osteuropa-Institut, Freie Universität Berlin 2008. URL: www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e160c5a2-9020-a457-2f2c-78ee765bb069&groupId=252038 (Abruf 19.08.2021).

[7] Ilija Garašanin: Anfang von Garašanins "Načertanje". In: Wolfgang Petritsch, Robert Pichler: Kosovo – Kosova: Der lange Weg zum Frieden. 2., erw. und akt. Aufl. Klagenfurt u. a. 2005, S. 70.

[8] Libal: Die Serben, S. 62.

[9] Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. 5., akt. u. erw. Aufl. München 2008, S. 182.

[10] Hösch: Geschichte der Balkanländer (wie Anm. 9), S. 187.

[11] Holm Sundhaussen: Historische Statistik Serbiens 1834-1914. Mit europäischen Vergleichsdaten. München 1989 (Südosteuropäische Arbeiten 87), S. 109.

[12] Unter der Kategorie "Sonstige" werden folgende Nationalitäten zusammengefasst: "Arnauten (Albaner), Griechen, Magyaren, Russen, Polen, Slowaken, Tschechen, Slowenen, Kroaten, Italiener, Türken, Zinzaren (Aromunen), u. a." Vgl. Sundhaussen: Historische Statistik (wie Anm. 11), S. 111.

[13] Statistical Office of the Republic of Serbia: Chapter 4: Religion, Mother Tongue and Ethnicity. In: 2011 Census of Population, Households and Dwellings in the Republic of Serbia. Date by municipalities and cities. Belgrade 2013, S. 33, S. 100. URL: pod2.stat.gov.rs/ObjavljenePublikacije/Popis2011/Knjiga4_Veroispovest.pdf (Abruf 10.05.2013).

[14] Vgl. Statistical Office of the Republic of Serbia: Chapter 4 (wie Anm. 13), S. 21.

[15] In der Volkszählung 1961 wurden in der Kategorie "Jugoslawe/innen" all jene Personen zusammengefasst, die keine Angaben hinsichtlich ihrer ethnischen Zugehörigkeit gemacht hatten. Zehn Jahre später, bei der nächsten Volkszählung, wurde "Jugoslawe/innen" als eigenständige ethnische Gruppierung aufgeführt. Vgl. Statistical Office of the Republic of Serbia: Chapter 4 (wie Anm. 13), S. 21. In der Volkszählung von 2001 bezeichnete sich noch ein kleiner Prozentsatz (0,32 %) der Menschen als "Jugoslawe/in".

[16] Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.–21., S. 108.

[17] Mehr über die Instrumentalisierung des Amselfeldmythos in: Tanja Popović: Die Mythologisierung des Alltags. Kollektive Erinnerungen, Geschichtsbilder und Vergangenheitskultur in Serbien und Montenegro seit Mitte der 1980er Jahre. Zürich 2003.

Zitation

Kathrin Pavic: Serbien. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32634 (Stand 18.12.2013).

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