Birthälm/Biertan

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Birthälm

Amtliche Bezeichnung

rum. Biertan

Anderssprachige Bezeichnungen

ung. Berethalom; lat. Berthelm, Buratholm, Britholm

2. Geographie

Lage

Birthälm liegt auf 46° 8′ nördlicher Breite, 24° 31′ östlicher Länge, auf 380 m über NHN, 25 km östlich von Mediasch/Mediaș, 30 km südwestlich von Schäßburg/Sighişoara und 80 km nordöstlich von der Kreishauptstadt Hermannstadt/Sibiu.

Topographie

Birthälm liegt in einem südlichen Seitental der Großen Kokel (rum. Târnava Mare).

Region

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Republik Rumänien. Birthälm gehört zum Kreis Hermannstadt.

3. Geschichte und Kultur

Mittelalter

Birthälm wurde 1283 erstmals urkundlich erwähnt, als der örtliche Pfarrer Johannes und andere Geistliche des Mediascher Kapitels einen Vertrag mit dem Bischof von Siebenbürgen über die Zahlung der bischöflichen Zehntquarte schlossen.

1317 gehörte der Vertreter von Birthälm zusammen mit jenen von Mediasch und Marktschelken/Şeica Mare, den Vororten der siebenbürgisch-sächsischen Selbstverwaltungsverbände Mediasch und Schelk (der sog. Zwei Stühle), zur Delegation der Siebenbürger Sachsen, die von König Karl I. Robert von Anjou (1288–1342) die Bestätigung des Freibriefs der Siebenbürger Sachsen (1224) erwirkte. An der Spitze standen zunächst Erbgräfen (lat. comites), welche die Ortschaft auch in ihren Außenbeziehungen vertraten. 1397 wurde Birthälm zum Marktflecken (oppidum) erhoben; 1418 erhielt es von König Sigismund von Luxemburg (1368−1437) das Wochenmarktrecht und die Hochgerichtsbarkeit. 1440 verzichtete Nikolaus Apa von Malmkrog/Mălâncrav auf das Erbgräfenamt, der Ort konnte sich nunmehr selbst verwalten. 1468 befreite König Matthias Corvinus (1443−1490) ein Drittel der wehrfähigen Bürger vom Heeresdienst, damit sie die Kirchenburg verteidigen konnten.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann ein längerer Streit um die Vorortschaft im Mediascher Stuhl. Birthälm, das 1510 ein größeres Steueraufkommen als Mediasch hatte und auch bevölkerungsstärker war, versuchte unter anderem durch Eingaben beim König (z. B. 1494) und beim siebenbürgischen Woiwoden, sich gegen Mediasch in den Zwei Stühlen durchzusetzen und Sitz des Königs- und Stuhlrichters zu werden. Auch aus Gründen der repräsentativen Außendarstellung wurde im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts eine große Hallenkirche errichtet. Der Streit wurde erst 1552 entschieden, als König Ferdinand I. (1503−1564) Mediasch zum bleibenden Sitz des Königsrichteramtes und zum Vorort der Zwei Stühle erhob, die nun zum Mediascher Stuhl zusammengefasst wurden. Kirchlich gehörte Birthälm zum Mediascher Kapitel. Neben Landwirtschaft und Weinbau wurde Gewerbe betrieben (1508: Statuten der Weberzunft, 1539–1540 Statuten der Schuster-, Schneider- und Schmiedezunft).

Neuzeit

1540 wurde der siebenbürgische Landtag nach Birthälm einberufen; er wählte hier Stephan Majláth (ca. 1489–1550), den Kandidaten der die Oberherrschaft ausübenden Osmanen, zum Fürsten. Nachdem Birthälm 1572 Bischofssitz geworden war, entwickelte sich der Ort wirtschaftlich und demographisch. Während der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Siebenbürgen an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert kam es zu Plünderungen; zudem verursachte die Verpflegung von im Orte weilenden Würdenträgern, etwa der Fürsten Gabriel Bethlen (1580–1629) und Georg II. Rákoczi (1621–1660), und ihrer Gefolge große Ausgaben. Im Laufe des 17. Jahrhunderts führten Pestepidemien in Verbindung mit osmanischen Einfällen zu einem starken Bevölkerungsrückgang, sodass sich der Ort hoch verschulden musste, um seine Steuern zahlen zu können. 1704 plünderten und verwüsteten Kuruzen die Kirchenburg, und bis 1741 wurde ein Großteil der Bebauung zerstört. 1715–1721 erließ die Sächsische Nationsuniversität dem Ort die Zahlung öffentlicher Lasten; den Bewohnern wurde verboten, die Gemeinde zu verlassen, um sich der Steuerlast zu entziehen. Zuwanderungen von Durlachern (1750–1760) und Hanauern (1771–1772) stabilisierten die demographische Lage, 1793 war der Ort wieder schuldenfrei. Die abgelegene Lage behinderte allerdings eine Weiterentwicklung; nach der Verlegung des Bischofssitzes nach Hermannstadt (1867) beschleunigte sich der Niedergang des Ortes. Im Zuge der Verwaltungsreform von 1876 wurde Birthälm Vorort eines gleichnamigen Bezirks, der aber 1883 wieder aufgelöst wurde. 1900–1910 wanderten zahlreiche Birthälmer in die USA aus.

Zeitgeschichte

Nach dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien (1918/1920) und der Durchführung der Agrarreform von 1923 mit Enteignung des Kirchengrundes erfasste eine zweite Auswanderungswelle Richtung Amerika in den 1920er-Jahren den Ort. Von 552 Auswanderern kehrten 197 zurück.[1] Während des Zweiten Weltkriegs wurde 1940–1941 eine deutsche Panzereinheit nach Birthälm verlegt. Aufgrund des deutsch-rumänischen Abkommens von 1943 wurden zahlreiche Birthälmer in die Waffen-SS eingegliedert. Im Januar 1945 wurden die arbeitsfähigen Deutschen der Gemeinde zur „Wiederaufbauarbeit“ in die Sowjetunion deportiert; die Agrarreform von 1945 und die Verstaatlichung der Betriebe (1948) trafen den Ort und ganz besonders seine deutschen Bewohner ebenso wie die Vergenossenschaftung der Landwirtschaft. Viele wanderten zunächst als Industriearbeiter in die südsiebenbürgischen Städte, später siedelten sie in die Bundesrepublik Deutschland aus, verstärkt im politischen Wendejahr 1989/1990 und kurz danach.

Bevölkerung

1532 war Birthälm mit 343 Wirten der größte Ort der Zwei Stühle, 1698 lebten hier 164 Sachsen und 14 Rumänen, 1723 159 sächsische und 20 rumänische Familien.[2] 1880 hatte Birthälm 2.535 Einwohner (1.582 Deutsche, 724 Rumänen, 199 Roma, 30 Magyaren), ihre Zahl sank bis 1910 auf 2.497 (1.454 Deutsche, 867 Rumänen, 129 Roma, 47 Magyaren).[3] 1930 waren von insgesamt 2.331 Einwohnern 1.232 Deutsche, 1.039 Rumänen und 52 Magyaren.[4] 2011 wurden 3.041 Einwohner (1.863 Rumänen, 875 Roma, 215 Magyaren, 88 Deutsche) verzeichnet.[5]

Wirtschaft

Im Mittelalter und in der Neuzeit überwog die Landwirtschaft (Ackerbau, Vieh-, Bienen- und Fischzucht, Weinbau). Daneben wurde Gewerbe (insbesondere Weber-, Schneider-, Schuster-, Fassbinder-, Fleischer-, Tischler-, Töpfer-, Wagner-, Kürschner-, Seifensieder- und Eisenschmiedehandwerk) betrieben, das in Zünften organisiert war. Um 1880 brachte der Weinbau mehr ein als das Gewerbe. Um 1900 richteten Schädlinge große Schäden im Weinbau an, einem Haupterwerbszweig der Birthälmer Wirtschaft. Nach Anbau neuer Rebsorten und Einführung von Schädlingsbekämpfungsmitteln entwickelte sich der Weinbau wieder, wurde nach der Agrarreform von 1945 und den Enteignungen der Produktionsmittel ab 1948 staatlich betrieben und ausgebaut. Nach der Aussiedlung der meisten Deutschen lagen die Weinberge von Birthälm weitgehend brach. Die 1952 gegründete Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft war wenig erfolgreich und wurde 1990 aufgelöst. Nach der Wende von 1989/90 und insbesondere nach der Anerkennung der Kirchenburg als UNESCO-Weltkulturerbe (1993) entstanden mehrere Pensionen und gastronomische Einrichtungen.

Religions- und Kirchengeschichte

Bis zur Reformation war die Bevölkerungsmehrheit römisch-katholisch und gehörte zum Dekanat Mediasch, das seinerseits dem Archidiakonat Weißenburg/Alba Iulia unterstellt war. 1547 führte der Prediger Franz Salicäus (Weidner) die Reformation ein. Nach der Wahl des Birthälmer Pfarrers Lukas Unglerus (1526−1600) zum Bischof der evangelischen Kirche 1572 wurde der Ort Bischofssitz (bis 1867) und damit geistlicher Mittelpunkt der Siebenbürger Sachsen, fern des politischen Zentrums Hermannstadt und damit dessen direkter Einmischung entzogen.

Die griechisch-orthodoxe Gemeinde der Rumänen baute sich 1799 eine Kirche. Die griechisch-katholische Gemeinde der Rumänen, 1825 erstmals erwähnt, errichtete 1856 ein Gotteshaus. Dieses wurde 1948 vom kommunistischen Staat aufgelöst, die meisten Gemeindemitglieder traten zum griechisch-orthodoxen Glauben über. Nach der Rücknahme dieses Dekrets (1989) entstand wieder eine griechisch-katholische Kirchengemeinde, die 1993 ihre Kirche zurückerhielt und bis heute nutzt.

2011 lebten in Birthälm 1.291 orthodoxe, 309 griechisch-katholische, 88 evangelisch-lutherische, 52 reformiert-calvinistische Gläubige und 353 Angehörige anderer Religionsgemeinschaften.[6]

Kunstgeschichte

Eine Kirche wurde in Birthälm erstmals 1402 erwähnt. Mit dem Bau der spätgotischen dreischiffigen Hallenkirche, die heute noch steht, wurde im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts begonnen. Halle, Chor (mit polygonalem 5/8-Abschluss) und die zweigeschossige Sakristei haben Stern- bzw. Netzgewölbe. Über dem Chor sind Reste eines Wehrgeschosses erhalten geblieben. Das Sakristei-Portal ist auf dem mit Einlegearbeiten verzierten Türflügel auf 1515 datiert. Die Nord- und Südportale haben Renaissance-Einfassungen und Türflügel aus dem 18. Jahrhundert mit Rokoko-Dekoration. Die steinerne Kanzel weist sowohl gotische als auch Renaissance-Motive auf. Zur Ausstattung der Kirche zählen der spätgotische Flügelaltar (seit 1515 heutige Form) und das ebenfalls aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts stammende, in der Werkstatt des Schäßburger Meisters Johannes Reichmuth entstandene intarsienverzierte Gestühl. Die Grabsteine mehrerer Bischöfe und Würdenträger wurden aus der Kirche ausgelagert und befinden sich im sogenannten Mausoleumsturm. 1938–1943 und 1978–2003 wurden Restaurierungsarbeiten an der Kirche und den Wehranlagen durchgeführt.

Die Kirchenburg liegt inmitten der Ortschaft auf einer strategisch vorteilhaften Anhöhe. Ein erster Bering umfasst die Terrasse mit der Kirche; er ist durch zwei Türme mit Wehrgang, zwei Tor-Türme und ein Wehrhaus verstärkt. Ein zweiter Bering verläuft parallel zum ersten im Westen und schützt die Auffahrt zur Kirche, die im Süden durch einen dritten Torturm geschützt wird. Weitere Wehrmauern im Westen, Süden und Südosten begrenzen einen Zwinger. In den Wehrtürmen und -häusern waren unter anderem das Rathaus, ein Gefängnis für zerstrittene Eheleute und eine Speckkammer untergebracht. Im Norden des Plateaus steht ein hölzerner Glockenturm.

1993 wurde die Kirchenburg in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen.

Dorfanlage, Kirchenburg, archäologische Fundstätten aus dem 2.–4. Jahrhundert, Pfarrhaus (ehem. Bischofssitz), Apotheke (beide 15.–18. Jahrhundert) und ein Wohnhaus (19. Jahrhundert) stehen unter Denkmalschutz.[7]

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Kirchenburg und Dorf bilden eine komplementäre Einheit, die zusammen mit der hügeligen, ehemals von Weingärten geprägten Landschaft ein überaus harmonisches Gesamtbild bildet. Für die Siebenbürger Sachsen ist diese Kirchenburg, die lange Zeit auch Bischofssitz war, ein wichtiger Erinnerungsort. Seit 1991 finden in Birthälm sogenannte Sachsentreffen statt, die das Demokratische Forum der Deutschen in Siebenbürgen ausrichtet.

Für die rumänische Erinnerungskultur ist das 1775 auf der Gemarkung der Gemeinde aufgefundene und 1941 im Brukenthalmuseum Hermannstadt wiederentdeckte „Donarium“ von Birthälm von großer Bedeutung, belegt es doch die Anwesenheit einer romanisierten frühchristlichen Bevölkerung im 4. Jahrhundert n. Chr. und damit eine Kontinuität der Rumänen in Siebenbürgen auch nach dem Abzug der römischen Truppen (271 n. Chr.).

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Hermann Fabini: Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen. Hermannstadt, Heidelberg 1998−1999, Bd. 1, S. 62−70, Bd. 2, S. 23−26.
  • Kurt Horedt: Eine lateinische Inschrift des 4. Jahrhunderts aus Siebenbürgen. In: Anuarul institutului de studii clasice 4 (1941–1942), S. 10–16.
  • Thomas Nägler: Marktort und Bischofssitz Birthälm. München, Horb am Neckar 2004 (Schriften der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung 55).
  • Gisela Richter, Otmar Richter: Siebenbürgische Flügelaltäre. Im Auftrag des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde hg. von Christoph Machat. Thaur bei Innsbruck 1992 (Kulturdenkmäler Siebenbürgens 1), S. 58–90.
  • Johann Michael Salzer: Der königliche freie Markt Birthälm in Siebenbürgen. Wien 1881.

Weblinks

  • www.birthaelm.eu (Homepage der Heimatortsgemeinschaft Birthälm e. V., mit Daten zur Geschichte und Kultur des Ortes sowie zu den Aktivitäten der in Deutschland lebenden Birthälmer)
  • www.comunabiertan.ro (Homepage des Bürgermeisteramtes Birthälm, mit Informationen zur Vergangenheit und Gegenwart des Ortes)

Anmerkungen

[1] Thomas Nägler: Birthälm, S. 259.

[2] Thomas Nägler: Birthälm, S. 257f.

[3] Thomas Nägler: Birthälm, S. 269.

[4] Ernst Wagner: Historisch-Statistisches Ortsnamenbuch für Siebenbürgen. Mit einer Einführung in die historische Statistik des Landes. Köln, Wien 1977 (Studia Transylvanica 4), S. 374f.

[5] Siehe die Website der Gemeinde Birthälm, zu der auch die Ortschaften Groß-Kopisch/Copşa Mare und Reichersdorf/Richiş gehören: www.comunabiertan.ro/despre-comuna/populatie/ (Abruf 21.12.2015). Vgl. außerdem die Ergebnisse der Volkszählung von 2011, Band II, Kapitel 8: Ethnische und konfessionelle Struktur der sesshaften Bevölkerung, nach Kreisen und diesen zugehörigen Gemeinden gegliedert: www.recensamantromania.ro/noutati/volumul-ii-populatia-stabila-rezidenta-structura-etnica-si-confesionala (Abruf 02.12.2015).

[6] www.comunabiertan.ro/despre-comuna/populatie (Abruf 10.12.2015).

[7] URL: patrimoniu.gov.ro/images/LMI/LMI2010.pdf (Abruf 15.12.2015), Nr. 31–34, 466–474.

Zitation

Hermann Fabini, Konrad Gündisch: Birthälm/Biertan. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32346 (Stand 22.12.2015).

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie:

Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.

(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page