Bodenreformen
1. Begriff
Der Begriff „Bodenreform“ (auch Bodenbesitzreform, Agrarreform oder Landreform), der auf die Änderung von Besitzverhältnissen zielt, wird meist im Plural verwendet. Ursprünglich galt das Determinatum „Reform“ als Gegenbegriff zu „Revolution“, hier drückt es nach einer Bedeutungserweiterung im Laufe des 19. Jahrhunderts eine „Erneuerung“ oder „Veränderung“ aus. In der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sowie in der Nachkriegszeit im europäischen Raum, speziell in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, wurde der Begriff „Bodenreformen“ von den Regierungen als Bezeichnung für ihre Gesetze verwendet; in der Wissenschaft wird er seitdem in diesem Zusammenhang als Fachbegriff gebraucht.
Fremdsprachige Entsprechungen und Übersetzungen
engl. landreform; frz. réforme agraire; tschech. pozemková reforma; poln. reforma rolna; rum. reforma agrară; kroat. zemljišnu reformu; russ. земельная реформа (zemel‘naja reforma)
2. Definition
„Bodenreform“ benennt die erzwungene, durch den Staat beschlossene und vollzogene Änderung des Eigentums an Grund und Boden, die juristisch und wirtschaftlich betrachtet eine Einheit bilden, aus ethnischen, ideologischen, wirtschafts- oder sozialpolitischen Gründen. Als „Bodenreform“ wird demnach zum einen der Wandel des geltenden Bodenrechts, vor allem hinsichtlich des Besitz- und Eigentumsrechts, zum anderen die Umgestaltung der Organisationsstruktur der Bodenbewirtschaftung oder Anpflanzung bezeichnet. Staatlich initiierte Bodenreformen waren als historische Phänomene in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa vor allem in den politisch-sozialen Umbruchsituationen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu beobachten. Infolge von Bodenreformen sollten in der Regel landlose Bauern Grundbesitz zur Bewirtschaftung erhalten. Die größenmäßige Beschränkung oder die gänzliche Abschaffung von Großgrundbesitz im jeweiligen Land waren verbreitete Ziele dieser Reformbestrebungen. Zudem hätte eine Verstaatlichung des Bodens die Aufhebung von individuellen Eigentumsrechten bewirkt, in der Regel durch Zwangsverkauf. Diese Bestrebungen scheiterten jedoch – insbesondere in der Zwischenkriegszeit – meistens am Widerstand der Großgrundbesitzer. Die Bodenreformen wurden außerdem in Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen nationalen beziehungsweise ethnischen Gruppen als politisches Mittel zur Bekämpfung des Gegners eingesetzt.
3. Historischer Abriss
Bereits im 19. Jahrhundert und vor dem Ersten Weltkrieg wurde diese Art der Bodenreform im Russischen Reich (Stolypinsche Agrarreform, ab 1906), in Rumänien durch Ministerpräsident Mihail Kogălniceanu (1817–1891) im Jahr 1864 sowie in Bulgarien 1880 initiiert und teilweise umgesetzt, um die häufig als ungerecht empfundenen Besitzverhältnisse zu revidieren. Das Hauptziel der Reformen stellte demnach die Sicherung der Grundbedürfnisse der ländlichen Bevölkerung durch eine ausreichend große landwirtschaftliche Nutzfläche dar.
Vornehmlich zur Beseitigung extremer Unterschiede bezüglich des Bodenbesitzes sowie zur Abschaffung des Absentismus kam es infolge von Staatsgründungen in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1918 zur Durchführung von umfangreichen Bodenreformen, die sich voneinander vor allem hinsichtlich der Initiierung, der Ziele, der Umsetzung sowie der Strategie der jeweiligen Regierung und der zuständigen Institutionen unterschieden. Die Regierungen bezweckten vor allem eine Verteilung des Landes an Legionäre und Kriegsfreiwillige des Ersten Weltkriegs sowie Kleinlandwirte, um sich gegenüber den Angehörigen der neuen „Staatsvölker“ zu legitimieren. Im Sozialismus kam es zu entschädigungsloser Enteignung von Grundbesitz und dessen Überführung in Staatseigentum. Aufgrund der teilweise unklaren Rechtsverhältnisse, der Ablehnung von Entschädigungen sowie der häufig instabilen politischen Situation erfolgten die Bodenreformen oft unstrukturiert. Häufig war ihre Umsetzung auch von Willkür begleitet, worauf zum Beispiel diverse Beschwerden deutscher Grundbesitzer beim Völkerbund verweisen.
Die im östlichen Europa lebenden Deutschen waren von diesen Umstrukturierungen unterschiedlich stark betroffen; nicht zuletzt deswegen ist im Folgenden eine staatlich-geographisch differenzierte Darstellung erforderlich.
Bodenreformen in Russland und der Sowjetunion
Unter dem Premierminister Pëtr Stolypin (1862–1911) wurde mit einem Erlass von 1906 bereits eine Agrarreform eingeleitet, um den Bauern einen unabhängigen Besitz von Land zu ermöglichen und Mittelbauerntum zu schaffen.
Im revolutionären Russland kam diese Agrarreform während des Krieges zunächst nicht über die Einrichtung von Landkomitees im April 1917 hinaus, da die konservativen Liberalen einer Enteignung nicht zustimmten. Die treibende Kraft der Reform, Landwirtschaftsminister Viktor Michajlovič Černov (1873–1952), gab daraufhin seine Pläne Ende August 1917 auf. Nach der Oktoberrevolution kam es, aufgrund des „Dekrets über den Boden vom 26. Oktober 1917“, im Herbst und Winter 1918 zu Umverteilungen im Umfang von 17–24 Millionen ha Land (je nach Kriterien). Diese konnten aber den „Landhunger“ der Bauern nicht stillen, da meist schwer zugängliches oder schlecht nutzbares Land verteilt wurde und somit die Versorgung der Land-, aber auch der Stadtbevölkerung nicht sichergestellt werden konnte. Die staatliche Beschlagnahme von Getreide und anderen Nahrungsmitteln, die sogenannte Versorgungsdiktatur, verschärfte eher die Situation in der Zwischenkriegszeit und provozierte diverse Bauernaufstände, ohne die eigentlichen Probleme zu lösen. Vor allem die alten Eliten, darunter auch deutsche Grundbesitzer, kamen in der Kriegs- und Zwischenkriegszeit ums Leben oder mussten emigrieren. Als grundlegendes agrarreformatorisches Werk der NEP-Periode (die „Neue Ökonomische Politik“ [Novaja ėkonomičeskaja politika, NĖP] bezeichnete das wirtschaftspolitische Konzept Lenins [1870–1924] und Trotzkis [1879–1940] von 1921) ist das Agrargesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) vom 30. Oktober 1922 zu nennen, das vor allem die Eigentumsverhältnisse und die Bodennutzung im Sinne des kommunistischen Staates regelte. Unter Josef Stalin (1878–1953), ab 1924, wurde neben der Industrialisierung auch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft vollzogen, die den Privatbesitz von Grund und Boden de facto abschaffte. Im Jahr 1932 betrug der Anteil kollektivierter Bauernhaushalte 61,6 Prozent; deutsche Grundbesitzer waren nur vereinzelt betroffen, da ihr Anteil sehr gering war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein „Rat für Angelegenheiten der Kollektivwirtschaften bei der Regierung der UdSSR“ eingesetzt, um die Zwangskollektivierung fortzusetzen und die Einhaltung der diversen Agrarordnungen zu überwachen.
Bodenreformen in den baltischen Staaten
In den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wurden nach der Proklamierung der Republiken und im Anschluss an den Unabhängigkeitskrieg (1918–1920) Bodenreformen initiiert und durchgeführt. Dabei wurde vorwiegend deutscher Grundbesitz, und somit auch die deutschbaltische Führungsschicht, enteignet und dieser zu einem großen Teil an Kleinbauern verteilt.
Trotz interner Kontroversen wurde in Estland am 10. Oktober 1919 ein Agrargesetz verabschiedet, das die Enteignung des gesamten Großgrundbesitzes inklusive Inventar festsetzte. Bis 1921 wurden 2,3 Millionen ha Grundbesitz enteignet und davon rund 1,2 Millionen ha verteilt, der Rest wurde Staatseigentum. Die Deutschbalten reichten beim Völkerbund Klage wegen Verletzung der Minderheitenrechte ein, wurden jedoch abgewiesen.
In Lettland wurde mit dem Agrargesetz vom 19. September 1920 die entschädigungslose Enteignung von Großgütern inklusive der Gebäude beschlossen, die insgesamt ein Territorium von 3,5 Millionen ha umfassten. Bei der Verteilung wurde eine Klassifikation vorgenommen, die vor allem Kriegsteilnehmer des Freiheitskrieges stark bevorzugte.
Die Agrarreform in Litauen, am 29. März 1922 beschlossen, war am wenigsten radikal und betraf hauptsächlich polnische und russische Grundbesitzer. Die Höchstgrenze des privaten Grundbesitzes wurde auf 80 ha, später sogar auf 150 ha festgelegt.
Polnische Bodenreformen
Nach dem Abschluss des Staatsbildungsprozesses in Polen im Jahr 1921 wurde die bereits 1919 initiierte und mit dem Agrarreformgesetz vom Juli 1920 beschlossene Bodenreform durchgeführt. Die Umsetzung drohte zunächst an der innenpolitischen Instabilität zu scheitern, doch wurde 1925 ein grundlegendes Gesetzeswerk verabschiedet, das vorerst eine freiwillige Parzellierung, das heißt die in ihrer Höhe nicht festgelegte Abgabe von großen Landgütern mit Besitz zwischen 180 und 700 ha festlegte. Der Zwangsverkauf zu Marktpreisen wurde jedoch vorbehalten, falls das Jahreskontingent der freiwilligen Parzellierung in Höhe von 200.000 ha nicht erreicht werden würde. Den Höhepunkt erreichte die Reform im Jahr 1927, als 245.000 ha parzelliert wurden. Insgesamt entstanden in der Zwischenkriegszeit auf diese Weise 154.000 neue Kleinwirtschaften; rund 500.000 Wirtschaften konnten sich vergrößern. In dieser Zeit sank der Anteil der Deutschen unter den Großgrundbesitzern lediglich von zehn Prozent im Jahr 1921 auf neun Prozent im Jahr 1931.[1] Dieser Umstand ist auf die Unterstützung durch die deutsche Regierung sowie die Verhandlungen am Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag zurückzuführen.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise geriet der Verkauf wegen sinkender Bodenpreise ins Stocken, und es kam zu einzelnen Zwangsenteignungen, besonders in den agrarisch weiter entwickelten Westgebieten.
Die verhältnismäßig langsam vollzogene Reform in Polen konnte die sozialen und ökonomischen Probleme, die vor allem aufgrund der Überbevölkerung im ländlichen Raum vorherrschten, nicht lösen, sodass der Arbeitskräfteüberschuss in der Landwirtschaft sowie das geringe Einkommen der Bauern für den Großteil der Bevölkerung weiterhin existenzgefährdend war.
In der Nachkriegszeit folgte in Polen eine weitere Bodenreform. In den schon vor 1939 polnischen Gebieten war die Anbaufläche auf 50 ha begrenzt worden, hingegen war in den neuen Westgebieten Polens eine großzügigere Regelung Usus. In den Gebieten, die schon vor 1939 Polen angehörten, wurden insgesamt rund zwei Millionen ha beschlagnahmt, wobei rund 780.000 ha aus deutschem Besitz stammten. Im Frühjahr 1945 enteignete Polen dann den gesamten Grundbesitz aller Deutschen in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches; insgesamt wurden rund vier Millionen ha Land- und Waldfläche zur Verteilung freigegeben. Die Rechtfertigung dieser Reform lag vor allem in der Wiedergewinnung von Land, welches „Verräter und Feinde“ besessen hätten.
Tschechoslowakische Bodenreformen
Mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch den Nationalausschuss am 28. Oktober 1918 und der Bildung einer neuen Regierung unter der Führung von Tomáš G. Masaryk (1850–1937) war der Akt der Staatsgründung in der Tschechoslowakei abgeschlossen. Während die tschechoslowakische Bodenreform, die mit dem vom Nationalausschuss erlassenen „Gesetz zur Beschränkung des Großgrundbesitzes“ vom 9. November 1918 einsetzte, von Beginn an von einigen Parlamentariern primär als politisches Instrument gegen jenen Adel, der keine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaß, darunter auch deutsche Großgrundbesitzer, benutzt wurde, sah indes die Regierung unter Masaryk in der Bodenreform einen stabilisierenden Faktor für die junge Republik. Im Zuge der Bodenreform wurden knapp 4.000.000 ha für die Umverteilung gesperrt – betroffen waren Güter, die mehr als 150 ha landwirtschaftlichen Boden oder 250 ha allgemeine Flächen umfassten. Bis zum 31. Dezember 1921 wurden beispielsweise in den böhmischen Ländern insgesamt 733.489,81 ha beschlagnahmt. Innerhalb weniger Jahre wurden „die Grundsatzbeschlüsse zur Bodenreform in konkrete Gesetze über Beschlagnahme, Parzellierung, Entschädigungszahlungen überführt“[2], sodass eine staatsstabilisierende Wirkung der Neuverteilung von Grundbesitz in der Tschechoslowakei bald spürbar wurde: Da keine Verzögerung des Prozesses im Parlament, wie beispielsweise in Polen, auftrat, konnte die Bodenreform bis zum Ende der 1920er Jahre abgeschlossen werden und vor allem die Ansprüche vieler tschechischer und slowakischer Kleinbauern befriedigen.
Die zweite Bodenreform in der Tschechoslowakei, bei der mehr als ein Viertel der gesamten Fläche an Ackerland und Waldungen umverteilt wurde, begann im Februar 1945 und zog sich bis zum Jahr 1951 hin. Als so genannter „Abschluss“ der Reform nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie offiziell mit dem Dekret „über die Enteignung, Aufteilung und Besiedlung des Bodens von Feinden und Verrätern“ vom 21. Juni 1945 eingeleitet. Am Ende dieser Reform wurde die Obergrenze des Privatbesitzes auf 50 ha festgelegt, die Schicht der Mittelbauern war nun aufgrund der neuen Besitzstrukturen am stärksten. In der letzten Etappe der zweiten Reform, die vor allem nach der kommunistischen Machtübernahme im März 1948 umgesetzt wurde, gab die Regierung nochmals 700.000 ha zur Verteilung frei und schaffte damit auch das Eigentum an mittelgroßen Grundstücken ab.
Ungarische Bodenreformen
In Ungarn hatte Ministerpräsident Mihály Károlyi (1875–1955) am 16. November 1918 die demokratische Republik Ungarn ausgerufen, im Januar 1919 kündigte er als Maßnahme gegen die sozialen Missstände eine Bodenreform an, die mit den Bodenreformgesetzen vom Februar 1919 auch eine gesetzliche Basis hatte. Innere und äußere Belastungen führten jedoch zum Rücktritt von Károlyi, am 21. März 1919 übernahmen die Kommunisten unter der Führung Béla Kuns (1886–1938) die Macht und gründeten eine kommunistische Räterepublik. Die Umverteilung des radikal enteigneten Großgrundbesitzes blieb aus, sodass auch der Widerstand der ländlichen Bevölkerung zum Zusammenbruch der Räterepublik beitrug. Obwohl die Regierung unter Miklós Horthy (1868–1957) als Reichsverweser die Gebietsabtretungen infolge des Vertrags von Trianon (1920) akzeptieren musste, konnten die grundbesitzenden Eliten, gestützt auf das Zugeständnis einer maßvollen Bodenreform, dennoch eine politische Konsolidierung erreichen. Die Kleinlandwirtepartei unter dem Landwirtschaftsminister István Nagyatádi Szabó (1863–1924) war die treibende Kraft der Bodenreform, sodass im November 1920 in der Nationalversammlung ein Bodenreformgesetz, auch als „Nagyatádi-Bodenreformgesetz“ bekannt, beschlossen wurde. Das Gesetz veränderte die Grundbesitzstruktur nicht spürbar, da auf seiner Grundlage von den zur Verfügung stehenden 8,5 Millionen ha nur 450.00 ha umverteilt wurden, welche die Großgrundbesitzer freiwillig abgetreten hatten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch Imre Nagy (1896–1958) als Landwirtschaftsminister der Kommunistischen Partei MDP (Magyar Dolgozók Pártja [Partei der Ungarischen Werktätigen]) im März 1945 mit der Bodenreformordnung eine Bodenreform kommunistisch-sozialistischer Zielsetzung eingeleitet. Dabei wurden aufgrund einer Verordnung vom Juli 1945 alle Mitglieder des Deutschen Volksbundes und damit de facto die gesamte deutsche Minderheit entschädigungslos enteignet. Die ungarische Regierung bestimmte am 29. Dezember 1945 im Sinne des Potsdamer Abkommens, dass alle ungarischen Staatsbürger nach Deutschland auszuweisen seien, die sich bei der Volkszählung von 1941 zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt hatten. Insgesamt wurden zwischen 1946 und 1948 rund 185.000 Angehörige der deutschen Minderheit zwangsenteignet, in Lagern interniert und vertrieben.[3]
Rumänische Bodenreformen
Bereits 1864 hatte Fürst Alexandru Ion Cuza (1820–1873) zusammen mit dem Ministerpräsidenten und Innenminister Mihail Kogălniceanu (1817–1891) den Versuch einer Agrarreform unternommen, die einige Bauern zu Eigentümern von Grundbesitz machte, aber aufgrund des Widerstandes der Bojaren scheiterte.
Nach den in den Friedensverträgen von Versailles 1919 und Trianon 1920 festgesetzten territorialen Zugewinnen konnte König Ferdinand I. (1865–1927) seine bereits 1917 zugesagte Agrarreform angehen. Nach der anfänglichen Verabschiedung verschiedener Einzelgesetze setzte die Regierung unter Alexandru Averescu (1859–1938) 1920/1921 eine Bodenreform um, die vor allem eine vollständige Enteignung der Ländereien der ungarischen Krone und der zu Ausländern gewordenen ehemaligen ungarischen Staatsbürger zur Folge hatte. Als Ergebnis der Reform bleibt festzustellen, dass nur ein kleiner Teil der Bauern ausreichend Grundbesitz erhielt. Die Hauptprobleme, wie geringe Rentabilität, blieben bestehen, sodass bis zum Zweiten Weltkrieg immer noch rund 75 Prozent der Bauern unter 5 ha Land besaßen.
Die Enteignung in Rumänien infolge des Bodenreformgesetzes vom 23. März 1945 war eine gegen die deutsche und zum Teil die ungarische Minderheit sowie gegen rumänische Kriegsverbrecher gerichtete Maßnahme zur Landgewinnung. Die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben verloren de facto ihren Grundbesitz, der meist aus landwirtschaftlichen Nutzflächen bestand. Die Abschaffung des Großgrundbesitzes durch die gleichzeitige Limitierung des Grundbesitzes auf 50 ha hatte zur Folge, dass rund 1,8 Millionen ha enteignet und größtenteils verteilt wurden. Zudem wurden rund 80.000 Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert.[4]
Jugoslawische Bodenreformen
Unter dem Credo „Nur ihr und Gottes Boden“ proklamierte Aleksandar (1888–1934), Regent des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, des späteren Jugoslawien, am 6. Januar 1919 die Durchführung einer Bodenreform sowohl zur Lösung der allgemeinen Agrarfrage als auch zur Auflösung der Kmetenverhältnisse[5] und des Großgrundbesitzes. Im Zuge der Anfang 1919 eingeleiteten Bodenreform wurden bis 1929 insgesamt 437.862 ha Land, das Großgrundbesitzern mit mehr als 500 ha Land abgenommen worden war, an 262.666 bedürftige Familien zu durchschnittlich drei Katasterjoch verteilt. Dennoch ergab die Landzuteilung, die mit dem „Gesetz über die Liquidierung der Agrarreform auf den Großgrundbesitzen in Jugoslawien“ vom 19. Juni 1931 vorläufig abgeschlossen wurde und bei der viele Bauern, beispielsweise die donauschwäbischen Bauern, nicht berücksichtigt wurden, keine Verbesserung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Land: Die nun vorherrschende Kleingrundbesitzerstruktur, die erneute Abhängigkeit der Bauern von den Verpächtern sowie die immer noch fehlende Marktfähigkeit erschwerten den angestrebten sozialen Aufstieg der Klein- und Kleinstgrundbesitzer.
Die kommunistischen Reformbestrebungen, die zwischen 1945 und 1948 ihren Höhepunkt erreichten, hatten die Beseitigung der teilweise noch bestehenden feudalen Verhältnisse der als gescheitert geltenden Bodenreform der Zwischenkriegszeit zum Ziel. Mit dem „Gesetz über Bodenreformen und Kolonisation“ vom 23. August 1945 wurde diese zweite Bodenreform in Jugoslawien eingeleitet, die eine Neuverteilung von annähernd 1,6 Millionen ha landwirtschaftlicher Nutz- und Waldfläche, darunter ein Großteil aus deutschem Besitz, zur Folge hatte. Der eingezogene Landbesitz wurde an neu gebildete, staatlich geführte Kooperationen verteilt. Ab 1951 wurde die landwirtschaftliche Kollektivierung gestoppt und der private Besitz von landwirtschaftlichen Flächen aufgrund der Nachfrage auf zehn ha begrenzt.
4. Kontroversen
Die Bewertung der Bodenreformen, die vor allem für die deutschen Grundbesitzer in der Zwischenkriegszeit eine entscheidende Zäsur darstellten, fällt zwiespältig aus, da die sozialen und ökonomischen Strukturen sowie die Besitzverhältnisse in den Ländern nur teilweise zugunsten der Kleinbauern und bedürftigen Gesellschaftsschichten verbessert wurden. In der Forschung stehen die Bodenreformen vor allem zusammen mit den Staatsgründungen im Fokus, weil die „diskursive Verankerung des Nationalstaates im Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit unter starken inneren Spannungen stand“.[6] Die neuen Nationalstaaten mussten die von den tiefgreifenden Bodenreformen verursachten sozialen Umbrüche in der Zwischenkriegszeit bewältigen, ohne dabei die innere Stabilität zu verlieren. Die nationalpolitischen Aspekte der tschechoslowakischen, polnischen und ungarischen Bodenreformen als deren zentrales Motiv wurden diskutiert und unterschiedlich bewertet.[7] Der nationalpolitische Impetus ist bei den Reformen nicht grundsätzlich festzustellen, spielte aber vor allem in der Öffentlichkeit und in der zeitgenössischen Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Auch im Hinblick auf die stabilisierende Wirkung in den neuen Nationalstaaten wurden die Bodenreformen untersucht und bewertet.[8] Der ökonomische Nutzen ist häufig der zentrale Aspekt bei der Betrachtung der einzelnen Reformen und war dementsprechend oft Gegenstand der Forschung.[9] Eine differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Reformen vor allem mit dem Blick auf die deutschen Grundbesitzer fehlt bisher.
5. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Jaromír Balcar: Instrument im Volkskampf? Die Anfänge der Bodenreform in der Tschechoslowakei 1919/20. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 391–428.
- Mark Cornwall: „National Reparation“? The Czech Land Reform and the Sudeten Germans, 1918–1938. In: Slavonic und East European Review 75 (1997), S. 259–280.
- Michael Garleff: Die baltischen Länder: Estland, Lettland, Litauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 2001 (Ost- und Südosteuropa), S. 111–113.
- Heinz-Dietrich Löwe: Stolypinsche Agrarreform. In: Hans-Joachim Torke (Hg.): Lexikon der Geschichte Russlands. Von den Anfängen bis zur Oktober-Revolution. München 1985, S. 367–368.
- Jovica Lukovic: „Das Land soll dem gehören, der es selber bestellt.“ Die jugoslawische Agrarreform in der Zwischenkriegszeit – von der Landzuteilung zur Lösung der Bauernfrage? In: Sozialwissenschaftliches Journal 1 (2006), H. 2, S. 36–54.
- Josef Matl: Die Agrarreform in Jugoslawien. Berlin 1927 (Quellen und Studien/Osteuropa-Institut Breslau 8).
- Norbert Penkaitis: Agrarentwicklung in Litauen 1918–1992. Berlin 1994.
- Joachim von Puttkamer: Die Tschechoslowakische Bodenreform von 1919. Soziale Umgestaltung als Fundament der Republik. In: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder 46 (2005), S. 315–342.
- Wojciech Roszkowski: Land Reforms in East Central Europe after World War One. Warsaw 1995.
- Holm Sundhaussen: Bodenreformen. In: Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien u.a. 2004, S. 118–120.
- Holm Sundhaussen: Die verpasste Agrarrevolution. Aspekte der Entwicklungsblockade in den Balkanländern vor 1945. In: Roland Schönfeld (Hg.): Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel in Südosteuropa. München 1989 (Südosteuropa-Studien 42), S. 45–60.
- Alice Teichova: Kleinstaaten im Spannungsfeld der Großmächte. Wirtschaft und Politik in Mittel- und Südosteuropa in der Zwischenkriegszeit. Wien 1988, hier S. 39–56.
Anmerkungen
[1] Wojciech Roszkowski: Landowners in Poland 1918-1939. New York 1991 (East European Monographs 299), S. 27-32; sowie Uwe Müller: Landreformen und Wirtschaftsnationalismus in Ostmitteleuropa. In: Dagmara Jajeśniak-Quast, Torsten Lorenz, Uwe Müller, Katarzyna Stokłosa (Hg.): Soziale Konflikte und nationale Grenzen in Ostmitteleuropa. Festschrift für Helga Schultz zum 65. Geburtstag. Berlin 2006, S. 171-187, hier S. 185.
[2] Joachim von Puttkamer: Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 38), S. 76.
[3] Janos Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 2004 (Südost- und Osteuropa: Geschichte der Länder und Völker), S. 258.
[4] Von Puttkamer: Ostmitteleuropa (Anm. 2), S. 109.
[5] Kmeten waren unabhängige Bauern, die jedoch Zwangsabgaben – meist ein Drittel ihrer Ernte – an den Staat leisten mussten.
[6] von Puttkamer: Ostmitteleuropa (Anm. 2), S. 222.
[7] Siehe bei Balcar: Instrument im Volkstumskampf?; Cornwall: „National Reparation“?; Teichova: Kleinstaaten im Spannungsfeld.
[8] Vgl. von Puttkamer: Ostmitteleuropa (Anm. 2), S. 163f.
[9] Siehe bei Srećko M. Džaja: Die politische Realität des Jugoslawismus (1918–1991). Mit besonderer Berücksichtigung Bosnien-Herzegowinas. München 2002 (Untersuchungen zur Gegenwartskunde Südosteuropas 37); Hauszmann: Ungarn (Anm. 4); von Puttkamer: Ostmitteleuropa (Anm. 2).
Zitation
Raffael Parzefall: Bodenreformen. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32847 (Stand: 13.07.2021).
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