Altkatholiken

1. Genese

Begriff

Im Selbstverständnis der Altkatholischen Kirche bezeichnet das Wort "alt" den Geist der Ursprünglichkeit – den Geist der ersten christlichen Gemeinschaften, zu denen sich die Altkatholische Kirche bekennt. Der Begriff "katholisch" leitet sich von dem griechischen Wort katholikós (als Ganzes, allgemein, universal) ab.

Namen und fremdsprachige Entsprechungen

In Deutschland: Alt-Katholische Kirche; in Österreich: Altkatholische Kirche; in der Schweiz: Christkatholische Kirche, Église catholique-chrétienne, Chiesa cattolica cristiana.

Engl. Old Catholic Church; franz. Église vieille-catholique; poln. Kościół Polskokatolicki (Polnischkatholische Kirche); niederl. Oud-Katholieke Kerk; tschech. Starokatolická církev; kroat. Starokatolička crkva; schwed. Gammalkatolska kyrkan.

2. Definition

Altkatholische Christen lehnen u. a. die auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) eingeführte Lehre, das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit und das Jurisdiktionsprimat des römischen Bischofs ab, weil diese ihrer Auffassung nach der Lehre des ursprünglichen Christentums widersprechen. Im theologischen Selbstverständnis beruft sich die Altkatholische Kirche auf das biblische und das patristische Erbe der ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends.

3. Entstehung und Entwicklung

Die altkatholische Bewegung beruht auf der Nichtanerkennung der Dogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1870). Geistliche und Professoren u. a. aus München, Breslau/Wrocław, Prag/Praha und Bonn sprachen ihren Protest gegen die Bulle Pastor aeternus öffentlich aus, woraufhin sie von der römisch-katholischen Kirche exkommuniziert wurden. Um die Seelsorge der exkommunizierten Gläubigen aufrechterhalten zu können, die sich ihnen angeschlossen hatten, organisierten sie sich in Vereinen und Gemeinden. Diese wiederum schlossen sich unter der Bezeichnung "Alt-Katholische Kirche" zusammen.

In Deutschland wurde 1873 auf der ersten Synode eine kirchliche Ordnung verabschiedet und Josef Hubert Reinkens (1821–1896) zum ersten Bischof gewählt, der anschließend vom Bischof Heykamp von Deventer geweiht wurde. Gegenwärtig hat die deutsche altkatholische Kirche ihren Bistumssitz in Bonn.

Bild

 Altkatholische Kirche Verwandlung
Christi/heute Kontaktkathedrale,
Warnsdorf/Varnsdorf
(Postkarte: um 1930)
[Archiv Herr/Böblingen, Warnsdorf].

In Österreich entstand nach 1870 in Wien eine erste Gemeinde auf Initiative des Pfarrers Alois Anton, eine weitere in Ried in Niederösterreich auf Initiative des Pfarrers Josef Brader. Anton Nittel gründete zeitgleich eine Gemeinde in Warnsdorf/Varnsdorf in Nordböhmen. Die altkatholische Bewegung in Nordböhmen war damals die stärkste der k. u. k. Monarchie (sie umfasste im Jahr 1896 fast 10.000 Altkatholiken) und wuchs nach dem Ersten Weltkrieg und der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik weiter an. 1897 wurde der Bistumssitz für die gesamte Monarchie von Wien nach Warnsdorf verlegt. Der altkatholischen Kirche in Österreich blieb eine staatliche Anerkennung lange versagt. Die altkatholischen Sakramente, insbesondere Taufen und Eheschließungen, sowie die Ehen altkatholischer Priester wurden von amtlicher römisch-katholischer Seite für ungültig erklärt. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde im Jahre 1920 für Österreich ein neues altkatholisches Bistum mit Sitz in Wien errichtet.

Der Bischofssitz in Warnsdorf blieb erhalten, das zugehörige Bistum befand sich nun auf tschechischem Gebiet und hatte seinen Schwerpunkt im mehrheitlich von Deutschen bewohnten Gebiet der Tschechoslowakei. Im Verlauf der 1930er Jahre rief die Neigung deutschsprachiger Altkatholiken zum Nationalsozialismus Konflikte innerhalb der Altkatholischen Kirche hervor und führte bei vielen Altkatholiken zum Verlust der Loyalität gegenüber der Tschechoslowakischen Republik. Infolge des Münchner Abkommens (1938) und der Besetzung des sog. Sudetenlands wurden die nordböhmischen Altkatholiken Mitglieder der deutschen altkatholischen Kirche mit den Bistümern Bonn, Wien und Warnsdorf. Nach der Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 wurden die in seinen Grenzen lebenden Altkatholiken der Jurisdiktion der Kirchgemeinde Brünn/Brno unterstellt, die bis 1945 zum Bistum Wien gehörte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlitt die altkatholische Kirche der Tschechoslowakei durch die Vertreibung der Deutschen zwischen 1945 und 1947 zahlenmäßig starke Verluste; im Land verblieben nur etwa zehn Prozent der früheren Gemeindemitglieder, etwa 2.500 Personen. Während der Zeit der kommunistischen Diktatur nach 1948 wurde die altkatholische Kirche in der Tschechoslowakei praktisch aufgelöst und erst 1990 durch eine aus der Illegalität zurückgekehrte Kirchenleitung wieder aufgebaut. Seitdem wachsen die altkatholischen Kirchengemeinden in Tschechien aufs Neue. Im Rahmen bilateraler Projekte wurden Kontakte zwischen den "historischen" Kirchengemeinden in Tschechien und den "neuen", von vertriebenen deutschsprachigen Altkatholiken gegründeten Kirchengemeinden in Deutschland geknüpft, bspw. zwischen Gablonz/Jablonec nad Nisou und Neugablonz. Das altkatholische Bistum der Tschechoslowakei bzw. der Tschechischen Republik hatte seinen Sitz bis 1995 in Warnsdorf, seit 1996 befindet er sich in Prag, wo es bereits seit etwa 1899 eine tschechischsprachige Kirchengemeinde gab, die sich zur hussitischen Tradition bzw. zur utraquistischen Kirche (Kalixtiner) bekannte. Die tschechischsprachigen Altkatholiken blieben allerdings auf dem Territorium der heutigen Tschechischen Republik bis Ende des Zweiten Weltkrieges eine Minderheit.

Zu den altkatholischen Zentren in der Zeit der Entstehung der Altkatholischen Kirche gehörte auch Breslau/Wrocław, in den 1870er Jahren ein kulturell und wirtschaftlich bedeutendes Zentrum Preußens. Die Polnisch-Katholische Kirche in Polen (bis 1951 Polish National Catholic Church of America) ist ursprünglich unter polnischen Emigranten in den USA entstanden und erlebte 1920 Gründungen von Kirchgemeinden in Polen. Die Polnisch-Katholische Kirche hat heute drei Diözesen: Warschau/Warszawa, Breslau und Krakau-Tschenstochau/Kraków-Częstochowa.

In den Ländern, in denen eine geringe Zahl altkatholischer Gläubiger die Bildung einer eigenen Diözese nicht möglich machte, richtet die Internationale Altkatholische Bischofskonferenz Delegatsgebiete ein, die der Jurisdiktion eines Bischofs der Utrechter Union unterstehen. Dazu gehören derzeit die vier Kirchgemeinden im ehemaligen Jugoslawien (heute Kroatien und Bosnien-Herzegowina), die Mission de France und eine Kirchgemeinde in Malmö.

Die altkatholischen Kirchen der Niederlande, Deutschlands und der Schweiz haben sich 1889 zur Utrechter Union zusammengeschlossen.[1] Die Utrechter Union betont die relative Unabhängigkeit der Lokalkirchen, die bischöfliche (apostolische) Sukzession und die Eucharistie als Schwerpunkt des kirchlichen Lebens. Die Utrechter Union ist aktiv in ökumenischen Beziehungen. Mit der Anglikanischen Kirche verbindet die Alt-katholische Kirche seit 1931 die volle kirchliche Gemeinschaft. Mit den orthodoxen Kirchen besteht ein Konsens in den Glaubensfragen. Auf der Ebene der Lokalkirchen existieren auch mit anderen Kirchen Abkommen über kirchliche Gemeinschaft oder gegenseitige Einladungen zur Eucharistie.

4. Theologisches Selbstverständnis

Die sog. Utrechter Erklärung aus dem Jahr 1889 definiert das Glaubensverständnis der Altkatholiken:

"Wir halten fest an dem altkirchlichen Grundsatze, welchen Vincentius von Lerinum in dem Satze ausgesprochen hat: Id teneamus, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; hoc est etenim vere proprieque catholicum (Wir halten an dem fest, was gewesen und durch alle Gläubigen immer und überall geglaubt wurde, denn das ist wahrhaft und wirklich katholisch)."

Gemäß dieser Grundaussage bekennen sich die Altkatholiken zum Glauben der sog. Alten Kirche, wie er in den ökumenischen Glaubensbekenntnissen und allgemein akzeptierten Dogmen und Entscheidungen der ökumenischen Konzilien seinen Ausdruck finde. Sieben Konzilien werden von den Altkatholiken anerkannt: Erstes Konzil von Nicäa (325), Erstes Konzil von Konstantinopel (381), Konzil von Ephesos (431), Konzil von Chalcedon (451), Zweites und Drittes Konzil von Konstantinopel (553 und 680) und Zweites Konzil von Nicäa (787). Spätere theologische Lehren erkennt die altkatholische Kirche nur an, wenn diese der Lehre der alten Kirche entsprechen.

Die altkatholischen Landeskirchen sind in ihrer Kirchenstruktur bischöflich-synodal organisiert, auch Laien dürfen wählen und über die Gestaltung der Kirche mitentscheiden. Die Einzelbeichte gilt als fakultativ. Stark betont wird die Gewissensfreiheit aller Gläubigen. Die Gottesdienste der altkatholischen Landeskirchen werden grundsätzlich in der Landessprache gefeiert. Das Priesterzölibat gilt als fakultativ. Die altkatholischen Kirchen in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und in der Schweiz praktizieren die Frauenordination. In Tschechien können Frauen die Diakonatsweihe empfangen.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Urs von Arx, Maja Weyermann (Hg.): Statut der internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz (IBK). Offizielle Ausgabe in fünf Sprachen. Statut der in der Utrechter Union vereinigten altkatholischen Bischöfe. Bern 2001 (Internationale kirchliche Zeitschrift 91/2001, Beiheft).
  • Victor Conzemius: Katholizismus ohne Rom. Die altkatholische Kirchengemeinschaft. Zürich, Einsiedeln, Köln 1969.
  • Leo Donald Davis: The First Seven Ecumenical Councils (325–787). Their History and Theology. Collegeville 1990.
  • Hans Josef Demmel: Geschichte des Alt-Katholizismus in Österreich. Kempten-Allgäu 1914.
  • Christian Flügel: Die Utrechter Union und die Geschichte ihrer Kirchen. Norderstedt 2006.
  • Karel Koláček: Vznik a vývoj starokatolického hnutí na území severních Čech do roku 1946 [Der Auf- und Ausbau der altkatholischen Bewegung im nördlichen Böhmen bis zum Jahr 1946]. Brno 2006 (Deus et Gentes 3).
  • Urs Küry: Die Altkatholische Kirche. Ihre Geschichte, ihre Lehre, ihr Anliegen. Erg. u. mit e. Nachtr. vers. 2. Aufl. Stuttgart 1978 (Die Kirchen der Welt, Reihe A, 3).
  • Stanko Marković: Die Altkatholische Kirche in Jugoslawien. Eine geschichtliche Darstellung aufgrund der altkatholischen Literatur in serbokroatischer und deutscher Sprache. Bern 2001 (Abschlussarbeit Universität Bern).
  • Johann Friedrich von Schulte: Der Altkatholizismus. Geschichte seiner Entwicklung, inneren Gestaltung und rechtlichen Stellung in Deutschland. Aus den Akten und aus authentischen Quellen dargestellt. Aalen 2002 (2. Neudr. der Ausg. Giessen 1887).
  • Jan Visser: The Old Catholic Churches of the Union of Utrecht. In: International Journal for the Study of the Christian Church 1 (2003), S. 6885.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Als die älteste gilt die niederländische Kirche von Utrecht, die schon seit 1723 unabhängig von der päpstlichen Jurisdiktion handelt. Durch die Kirche von Utrecht wurden die ersten altkatholischen Bischöfe in der sog. apostolischen Sukzession geweiht. Heutzutage befinden sich in den Niederlanden zwei Bistümer – Utrecht und Haarlem. Der Erzbischof von Utrecht ist gleichzeitig der Vorsitzende der Internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz. Heute hat die Utrechter Union ihr Zentrum in Utrecht und in Europa etwa 150.000 Mitglieder (Stand 2012).

Lucie Kodišová: Altkatholiken. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32853 (Stand 22.06.2021).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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