Transdanubien/Schwäbische Türkei

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnungen

Transdanubien, Schwäbische Türkei

Amtliche Bezeichnung

ung. Dunántúl (selten auch: Sváb Törökország)

Lateinische Bezeichnung

Pannonia

Etymologie

„Transdanubien“ bedeutet „jenseits der Donau“ (lat. Danubius = Donau), gesehen von der ehemaligen Hauptstadt Ungarns, Pressburg/Bratislava/Pozsony, aus; im Gegensatz dazu hieß die heutige Westslowakei „Cisdanubien“. Der Name „Schwäbische Türkei“ entstand im 18. Jahrhundert, als deutsche Kolonisten („Schwaben“) in diesem  Teil Transdanubiens, das bis 1699 zum Osmanischen Reich gehört hatte, von den Habsburgern angesiedelt wurden.

2. Geographie

Lage und Topographie

Transdanubien (nach heutigem Verständnis) umfasst ein Gebiet von ca. 42.000 km2, begrenzt im Norden und Osten von der Donau (ung. Duna, slwk. Dunaj), im Süden von der Drau (ung. Dráva, slowen. u. kroat. Drava ) und im Westen von den Alpen. Die Landschaft Transdanubiens ist vielfältig: Im Westen liegen die Ausläufer der Ostalpen, den nordwestlichen Teil bildet die Pannonische Tiefebene mit dem Neusiedler See (ung. Fertő-tó), und die südlichen und nordöstlichen Teile sind von Hügellandschaften geprägt. In der Mitte Transdanubiens befindet sich der Plattensee (ung. Balaton), mit 594 km2 der größte See Mitteleuropas. Der höchste Punkt Transdanubiens ist mit 884 m ü. A. der Gipfel Geschriebenstein (ung. Írottkő) im Günser Gebirge (ung. Kőszegi hegység) an der Grenze zu Österreich.

Historische Geographie

Zwischen dem Ende des 9. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg gehörte die historische Region Transdanubien zum Königreich Ungarn. Im 16. und 17. Jahrhundert war sie durch die habsburgisch-osmanische Grenze politisch geteilt. Seit 1919/1920 gehören ca. 37.000 km2 zu Ungarn, während der westliche Rand das österreichische Bundesland Burgenland (3.961 km2) und der südwestliche Teil (947 km2) die slowenische Region Übermurgebiet (slowen. Prekmurje) bilden; die südöstliche Ecke (Süd-Branau, ung. Baranya, kroat. Baranja, ca. 114 km2) gehört zu Kroatien. Seit dem Ersten Weltkrieg wird die Bezeichnung „Transdanubien“ im Wesentlichen nur für den ungarischen Teil benutzt.

Die Schwäbische Türkei ist eine Kulturlandschaft ohne konkrete Grenzen. Sie liegt im südöstlichen Teil Transdanubiens in den Komitaten Tolnau (ung. Tolna) und Branau (ung. Baranya).

3. Geschichte und Kultur

Politische Geschichte

Zwischen 35 v. Chr. und 49 n. Chr. eroberten die Römer Transdanubien  und gründeten die Provinz Pannonien. Das Donauufer wurde als Limes befestigt und das Gebiet romanisiert. Nach der Teilung des Römischen Reichs (395) gehörte Pannonien zum Weströmischen Reich, das die Provinz allerdings am Anfang des 5. Jahrhunderts aufgeben musste. Während der Völkerwanderung erschienen Hunnen, mehrere germanische Stämme und Awaren in Pannonien, im 6. Jahrhundert ließen sich Slawen nieder. Karl der Große (gest. 814) schloss das Gebiet nach seinem Sieg über das Awarenreich Anfang des 9. Jahrhunderts dem Fränkischen Reich an.

Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts fiel die Region an die Magyaren und blieb bis zum 16. Jahrhundert Teil des Königreichs Ungarn. Der erste König Ungarns, Stefan der Heilige (997–1038), gründete Diözesen und Komitate, die bis heute die kirchliche und zivile Verwaltung Transdanubiens bestimmen.

Zwischen 1541 und 1566 eroberte das Osmanische Reich in mehreren Wellen den südlichen und östlichen Teil Transdanubiens. 1594–1598 herrschten die Osmanen in Raab/Győr, 1600 eroberten sie Groß-Kanizsa/Nagykanizsa. Die osmanische Herrschaft hielt sich de facto bis 1686–1689 („Großer Türkenkrieg“ 1683–1699), völkerrechtlich musste das Osmanische Reich 1699 dieses Gebiet an die Habsburgermonarchie abtreten.

Im 18. Jahrhundert ließen sich deutsche, serbische und ungarische Kolonisten in der durch Kriege entvölkerten Region nieder. Im 19. Jahrhundert setzte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte, besonders im nordwestlichen Teil, ein.

Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurden die Ränder Transdanubiens Österreich und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugesprochen. Ungarischen Freitruppen gelang es aber, die Österreich zugeteilten Gebiete zu besetzen und damit eine von ungarischen Behörden durchgeführte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Ödenburgs/Soprons zu erzwingen, in der sich die Mehrheit zugunsten Ungarns entschied. Serbische Truppen besetzten bis 1921 die Branau und Fünfkirchen/Pécs.

Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Juden Transdanubiens in Konzentrationslagern ermordet. Zahlreiche Städte wurden bei schweren Kämpfen zwischen deutschen und sowjetischen Truppen 1944/1945 zerstört. Nach dem Krieg wurde die Hälfte der deutschen Minderheit von der ungarischen Regierung mit Unterstützung der Alliierten vertrieben.

Verwaltung

Transdanubien bildete nie eine administrative Einheit. Es ist heute in neun ungarische Komitate und dreizehn kreisfreie Städte unterteilt, die drei NUTS-2-Regionen (West-, Süd- und Zentraltransdanubien) bilden.

Bevölkerung

Transdanubien ist seit dem Mittelalter durch eine dörfliche und kleinstädtische Siedlungsstruktur geprägt. Die größte Stadt der Region, Fünfkirchen, hat heute knapp 150.000 Einwohner.

Seit ihrer Einwanderung am Ende des 9. Jahrhunderts ist Transdanubien mehrheitlich von Magyaren bewohnt.

Die Bevölkerung Transdanubiens (ohne Komitat Pest) nach Muttersprache, 19302011[1]

  1930 1970 1990 2011
Magyarisch 2.317.115 3.014.520 3.066.342 2.535.597
Deutsch 290.456 23.316 25.976 23.261
Kroatisch 28.561 16.794 14.511 11.304
Slowenisch 5.277 3.364 2.449 1.569
Slowakisch 8.570 2.242 1.970 2.597
Romani und Beasch 6.942 19.612 21.970 25.081
Andere, keine Antwort 2.542 8.227 6.746 448.275[2]

Deutsche Einwanderer wurden schon von den ersten Königen Ungarns eingeladen, sich in dieser Region niederzulassen. Im Hochmittelalter wurde das heutige Burgenland von Deutschen und Magyaren gemischt bewohnt. Nach dem Ende der osmanischen Herrschaft förderten sowohl die Wiener Regierung als auch Großgrundbesitzer die Einwanderung deutscher Kolonisten. Im späten 17. Jahrhundert ließen sich deutsche Kolonisten im Ofener Bergland nieder. Ein Jahrhundert später betrug ihre Anzahl schon mehr als 100.000 Personen. Die größte Ansiedlungsaktion wurde von König Karl III. (1711–1740, als römisch-deutscher Kaiser Karl VI.) initiiert: Während der 1720er Jahre lud er ca. 100.000 Kolonisten aus Franken, Württemberg, Bayern, Hessen und dem Elsass in die entvölkerten Komitate Branau und Tolnau ein, die nach dem Sammelnamen der sogenannten „Donauschwaben“ Schwäbische Türkei genannt wurden. Im 19. Jahrhundert wurde vor allem in den Städten ein bedeutender Teil der Deutschen magyarisiert, während in den dörflichen Gemeinden kaum Assimilation stattfand. Nach dem Friedensvertrag von Trianon (1920) bildeten die Deutschen Transdanubiens die größte ethnische Minderheit Ungarns.

Eine deutschnationale Bewegung wurde erst in der Zwischenkriegszeit von Jakob Bleyer (1874–1933), Professor für Germanistik an der Universität Budapest, initiiert. Der sogenannte „Volksbund“, ursprünglich ein Verein für die Förderung deutscher Kultur und der deutschen Minderheit in Ungarn, wurde 1938 gegründet und bald danach zum wichtigsten Instrument des nationalsozialistischen Deutschlands bei der Gewinnung der Mehrheit der Ungarndeutschen für die NS-Ideologie sowie zur erfolgreichen Rekrutierung ungarndeutscher Männer für die Waffen-SS.

Nach dem Kriegsende wurden ca. 185.000 Deutsche zwangsausgesiedelt. Dadurch und durch Assimilation ist die Zahl der Ungarndeutschen deutlich zurückgegangen: 2011 gaben 23.261 Bewohner Transdanubiens Deutsch als ihre Muttersprache an.

Eine kleine kroatische Minderheit gibt es in der Branau, eine slowenische an der slowenischen Grenze im Komitat Zala und eine slowakische in einigen Dörfern in der Nähe von Budapest. Die Mehrheit der Roma wohnt in der Branau.

Wirtschaft

Die westlichen und nördlichen Teile Transdanubiens gehören zu den wirtschaftlich führenden Regionen Ungarns. Besonders wichtig sind Maschinenbau (Audi in Raab, Opel in St. Gotthard/Szentgotthárd, Suzuki in Gran/Esztergom) und Tourismus (Plattensee, Neusiedler See, Ödenburg, Heilbäder Heuwies/Hévíz und Wichs/Bük).

Weit verbreitet ist in Transdanubien der Weinbau; die Donauschwaben betrieben ihn besonders aktiv. Die wichtigsten Weinregionen sind Ödenburg, Balaton, das Ofener Bergland, Seksard/Szekszárd und Wieland/Villány.

BIP und Arbeitslosigkeit in Transdanubien

BIP je Einwohner (Tausend ungarische Forint, 2011)[3]Arbeitslosigkeit in % (1. Quartal 2014)[4]
Zentraltransdanubien2.4986,2
Westtransdanubien2.8715,1
Südtransdanubien1.8797,7
Transdanubien insgesamt2.4286,3

Religions- und Kirchengeschichte

Bereits zu römischer Zeit gab es christliches Leben in Transdanubien, das während der Völkerwanderung wieder verschwand: St. Martin von Tours (gest. 397) wurde um 316/317 in Steinamanger/Szombathely/lat. Savaria geboren. Frühchristliche Begräbnisstätten aus dem vierten Jahrhundert sind in Fünfkirchen erhalten geblieben; seit 2000 sind sie Teil des UNESCO-Welterbes. Im Jahr 996 initiierte der letzte heidnische Fürst der Magyaren, Géza (um 940–997), die Gründung des Benediktinerklosters Martinsberg/Pannonhalma, das bis heute zu den wichtigsten Zentren des Christentums in Ungarn und seit 1996 zum UNESCO-Kulturerbe zählt. Im 11. Jahrhundert etablierte sich das Christentum in Ungarn. Obwohl während des 16. Jahrhunderts die Mehrheit der Bevölkerung Transdanubiens sich zur Reformation bekannte, wurden die meisten Protestanten durch die von den Habsburgern geförderte Gegenreformation im 17. Jahrhundert wieder zum Katholizismus bekehrt.

Laut der Volkszählung von 2011 gehören von den ca. 3 Millionen Einwohnern Transdanubiens rund 1,45 Millionen der katholischen, 200.000 der reformierten und 80.000 der evangelischen Kirche A. B. an. 1,2 Millionen sind entweder konfessionslos oder machten keine Angaben. Die römisch-katholische Kirche in Transdanubien ist in sieben Diözesen (Gran, Raab, Fünfkirchen, Wesprim/Veszprém [gegründet von Stefan dem Heiligen], Stuhlweißenburg/Székesfehérvár, Steinamanger [gegründet beide 1777], und Kopisch -[auch Ruppertsberg]/Kaposvár [1993]) eingeteilt. Poppa/Pápa ist der Sitz eines reformierten Bistums und einer theologischen Akademie, und die evangelisch-lutherische Kirche hat eine Diözese in Raab.

Juden lebten in größerer Zahl seit dem 18. Jahrhundert in der Region, als jüdische Familien meistens von den Alpenländern und den böhmischen Ländern einwanderten. Die wichtigsten Gemeinden entstanden in Raab, Fünfkirchen, Groß-Kanizsa und Poppa. 1930 lebten mehr als 60.000 Juden in Transdanubien. Der Holocaust zerstörte das jüdische Leben in Transdanubien fast ausnahmslos. Bei der Volkszählung von 2011 erklärten sich nur 920 Befragte als Juden.

Konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung Transdanubiens (ohne Komitat Pest), 1930–2011[5]

Katholiken
Reformierte
Lutheraner
Juden
Andere
ohne Konfession oder keine Antwort
1930
2.112.307292.161193.14760.4495.877332
1949
2.282.191318.336152.0547.4438.3061.332
2011
1.462.900200.51181.92292035.0851.221.877[6]

Besondere kulturelle Institutionen

Mehrere Theater, Museen und andere kulturelle Einrichtungen befinden sich in Transdanubien. Die wichtigsten sind: das Museum des Benediktinerklosters Martinsberg, das Zsolnay-Kulturviertel (Zsolnay Kulturális Negyed) mit dem Kodály-Zentrum und die ehemaligen Moscheen in Fünfkirchen sowie das Iseum Savariense Museum in Steinamanger. Die Deutsche Bühne Ungarn in Seksard ist das einzige deutschsprachige Theater in Ungarn. In Fünfkirchen wirkt auch ein kroatisches Theater (Pécsi Horvát Színház).

Bildung

1367 wurde in Fünfkirchen von König Ludwig dem Großen (1326–1382, regierte ab 1342) ein Studium generale gegründet, das aber Anfang des 15. Jahrhunderts geschlossen wurde. Erst 1921 wurde hier auf der Basis der aus Pressburg übernommenen ungarischen Elisabeth-Universität eine Hochschule gegründet. Heute ist die Universität Fünfkirchen (Pécsi Tudományegyetem) eine der größten Hochschulen Ungarns. Weitere Universitäten befinden sich in Raab mit einem Schwerpunkt in den technischen Wissenschaften, in Wesprim (Schwerpunkt technische Wissenschaften), in Kesthell/Keszthely (Schwerpunkt Agrarwissenschaften), in Ödenburg (Schwerpunkt Forstwirtschaft) und in Kopisch (Schwerpunkt Tierzucht).

4. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Tünde Radek, Anikó Szilágyi (Hg.): Hausgeschichten. Studien zur ungarndeutschen Kultur in Transdanubien. Veszprém 2006.
  • Günter Schödl (Hg.): Land an der Donau. Berlin 2002 (Deutsche Geschichte im Osten Europas).
  • Gerhard Seewann: Geschichte der Deutschen in Ungarn. Marburg 2012 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 24).
  • Ingomar Senz: Die Donauschwaben. München 1994 (Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche 5).
  • Ingomar Senz: Die nationale Bewegung der ungarländischen Deutschen vor dem ersten Weltkrieg. Eine Entwicklung im Spannungsfeld zwischen Alldeutschtum und ungarischer Innenpolitik. München 1977 (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 30).

Anmerkungen

[1] Nach Daten von: Die Bevölkerung nach Muttersprache, Nationalität und Geschlecht (Tabelle 1.1.6.1). Aggregierte Daten der transdanubischen Komitate: www.ksh.hu/nepszamlalas/tablak_teruleti_02 bis www.ksh.hu/nepszamlalas/tablak_teruleti_20 (Abruf 04.09.2014).

[2] 436.807 Personen haben diese Frage nicht beantwortet.

[3] Die geographische Verteilung des BIP (2001): www.ksh.hu/docs/hun/xftp/idoszaki/gdpter/gdpter11.pdf (Abruf 04.09.2014).

[4] Arbeitslosigkeit: www.ksh.hu/docs/hun/xstadat/xstadat_evkozi/e_qlf027.html (Abruf 04.09.2014).

[5] Nach den Daten von www.ksh.hu/nepszamlalas (Anm. 1), Tabellen 1.1.7.

[6] 787.981 Personen haben diese Frage nicht beantwortet.

Zitation

Bálint Varga: Transdanubien/Schwäbische Türkei. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32605 (Stand 07.02.2022).

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