Kalisch/Kalisz

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Kalisch

Amtliche Bezeichnung

poln. Kalisz

Anderssprachige Bezeichnungen

gr. Καλισία (Kalisia), lat. Calisia, auch Calis (1374) oder Kalis (1425)

Der Name „Kalisz“ leitet sich von dem altpolnischen Wort kalisko ab, welches einen schlammigen oder sumpfigen Ort bezeichnet (kal/kał bedeutet Schlamm). Kalisch ist eine der ältesten urkundlich nachgewiesenen polnischen Städte. Ausgrabungen nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigten eine Siedlungsgeschichte auf dem Gebiet der heutigen Stadt Kalisch, die bis zum 8. Jahrhundert v. Chr. reicht. Die Siedlungsreste aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. auf dem Gebiet von ca. 300 km2 um Kalisch werden mit dem antiken Kalisia identifiziert.

2. Geographie

Lage

Die Stadt Kalisch liegt auf 51° 46‘ nördlicher Breite, 18° 5‘ östlicher Länge, ca. 107 km südöstlich von Posen/Poznań, ca. 24 km südwestlich von Ostrowo/Ostrów Wielkopolski und ca. 104 km in südwestlicher Richtung von Breslau/Wrocław nahe der historischen Grenze zu Schlesien.

Topographie

Kalisch liegt im Tal des Flusses Prosna (poln. Prosna) in der Kalischer Hochebene (Wysoczyzna Kaliska), die Teil der Makroregion Südgroßpolnische Tiefebene (Nizina Południowowielkopolska) ist. Die Stadt liegt ca. 91–151 m über NHN und umfasst eine Fläche von rund 69 km2.

Region

Großpolen (Wielkopolska)

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Polen. Kalisch ist Hauptstadt des gleichnamigen Landkreises Kalisch (Powiat kaliski) in der Woiwodschaft Großpolen (Województwo wielkopolskie) und seit 1992 Verwaltungssitz des Bistums Kalisz (Diecezja kaliska).

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen von Kalisch zeigt eine rote Stadtmauer mit zwei Türmen auf silbernem Grund. Die Stadttürme sind mit blauen Dächern und goldenen Kugeln an der Spitze versehen. Das Stadttor ist geöffnet und zwischen den Türmen steht ein Hornist. Er ist mit einem schwarzen Horn mit goldenen Beschlägen und einem goldenen Schwert ausgestattet. Über dem Hornisten befindet sich ein sechsarmiger goldener Stern. Das Wappen lehnt sich an das älteste Siegel der Stadt Kalisch aus der Mitte des 13. Jahrhunderts an. Der älteste bekannte Abdruck des Siegels aus dem Jahr 1374 unterscheidet sich nur durch die Verwendung eines fünfarmigen Sterns und die Umschrift: „SIGILLUM CIVITATIS CALIS”.

Die Flagge von Kalisch zeigt auf der linken Seite das Stadtwappen, auf der rechten Seite die schachbrettartig angeordneten, polnischen Nationalfarben Rot und Weiß.

Beinamen

Kalisch wird als die „älteste Stadt Polens“ bezeichnet, das Stadtmotto lautet „Poloniae urbs vetustissima“ (Die älteste Stadt Polens). Grund dafür ist die Erwähnung des Ortes Kalisia, im Lateinischen Calisia, durch den Geographen und Astronomen Claudius Ptolemäus von Alexandrien (ca. 100 ­­­– ca. 168 n. Chr.).[1] Spätestens seit dem Chronisten Jan Długosz (1415–1480) werden beide Orte zumeist als identisch betrachtet. Hierfür sprechen auch archäologische Funde, die römische Einflüsse auf dem Gebiet des modernen Kalisch bezeugen. Einige Forscher bestritten dies und vermuteten den Standort des ptolemäischen Calisia stattdessen auf dem Gebiet Mährens oder der Slowakei[2] Mittlerweile wurde diese These jedoch wissenschaftlich wiederlegt.3] Fraglich ist ebenfalls das kontinuierliche Bestehen des Ortes zur Zeit der großen Migrationen zwischen dem 5. und 6. Jahrhundert.

Zur Zeit Kongresspolens wurde Kalisch, ein blühendes Handels-, Kultur- und Wirtschaftszentrum mit einer multikulturellen Bevölkerung, als der „Salon des Russischen Zarenreiches[4] bezeichnet.

Vor- und Frühgeschichte

Die ältesten archäologischen Funde auf dem Gebiet der heutigen Stadt Kalisch datieren aus der Zeit des Mesolithikums (rund 9600–4300 v. Chr.). Für die Bronzezeit (rund 2200–800 v. Chr.) und die Eisenzeit (ca. 750–500 v. Chr.) sind Spuren der oft als „protoslawisch“ bezeichneten Lausitzer Kultur nachweisbar.[5] Aus ihr entwickelte sich ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. die Pomoranische Kultur bzw. die Pommerellische Gesichtsurnenkultur (Kultura pomorska), die fast das ganze Gebiet des heutigen Polens umfasste. Ihr Charakteristikum waren Bestattungsurnen mit Gesichtsdarstellungen auf dem Gefäßkörper. In Kalisch hinterließ die Pomoranische Kultur zudem zahlreiche Eisengegenstände, tönerne Kannen, Schüsseln und Becher.

Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. ist für die Gegend um Kalisch die Przeworsk-Kultur (Kultura przeworska) belegt. Sie wurde vor allem vom ostgermanischen Stamm der Lugier getragen. In der Region um Kalisch entstanden zahlreiche Eisenhütten und man begann mit der Bearbeitung von Eisengegenständen. Funde von Artefakten und Münzen des keltischen Stammes der Boier zeugen davon, dass sich auf dem Gebiet zudem mehrere vor- und frühgeschichtliche Handelswege kreuzten.

Mit der Ausdehnung des Römischen Reiches im 1. Jahrhundert wurde Kalisch zu einem wichtigen Knotenpunkt auf der Bernsteinstraße. Zahlreiche Importe aus Italien, wie etwa Schwerter und Bronzegefäße, zeugen von einem regen und weitreichenden Handelsaustausch in dieser Zeit. Das wichtigste Gut stellten allerdings römische Münzen dar, die als Geldmittel genutzt wurden.

Im Laufe des 5. Jahrhunderts schwand die Bedeutung von Kalisch. Ursächlich hierfür waren der voranschreitende Untergang des Weströmischen Reiches und die damit einhergehenden Kriege, die den Handel mit Byzanz blockierten.

Mittelalter

Die frühesten archäologischen Funde slawischer Siedlungen des sogenannten Kalischer Stamms (plemię Kaliskie) stammen aus dem 7. Jahrhundert. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurden auf dem Gebiet der heutigen Stadtteile Ogrody und Zawodzie sowie im nahegelegenen Dorf Józefów drei slawische Wallburgen erbaut. Das Gebiet zwischen diesen drei Wehranlagen mit seinen zahlreichen Niederlassungen war eines der wichtigsten Siedlungszentren im Reich der ersten Piasten. Über das nächste Jahrhundert erweitert, wurde die Zawodzie-Wallburg zum Stadtkeim des modernen Kalisch. Heute befindet sich dort ein archäologischer Park mit Rekonstruktionen dieser befestigten Siedlung. Das erste unbefestigte Wohnviertel samt Markt und Marien-Kirche, das sich auf dem Gebiet der heutigen Altstadt in Kalisch befand, stammt aus dem 11. Jahrhundert.

In der Zeit der Entstehung Polens im 10. und 11. Jahrhundert war Kalisch eines der bedeutendsten Machtzentren des polnischen Staates. Die Stadt lag an der Kreuzung wichtiger Handelswege und besaß auf Grund ihrer Stellung als Fürsten- und Kastellan-Burg politische Bedeutung. Dies ermöglichte ein rasches Wachstum, das bis in die Zeit des polnischen Partikularismus andauerte.

Im 12. und 13. Jahrhundert entwickelte sich auf dem Gebiet der heutigen Altstadt ein Handwerkerviertel, innerhalb dessen sich auch ein Markt befand. Kalisch begann sich in der Zeit in eine städtische Siedlung zu verwandeln. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahre 1233 und die Besetzung durch den schlesischen Herzog Heinrich den Bärtigen (1165–1238) führten zur Zerstörung der Befestigungsanlagen in Kalisch. In der Folge wurde das Stadtzentrum in das Gebiet der heutigen Stadtmitte verlegt. 1257 erfolgte unter Bolesław VI. dem Frommen (1224/27–1279) die Stadtgründung nach dem Neumarkter Recht (Prawo średzkie), das im Magdeburger Recht fußte und nach Neumarkt in Schlesien/Środa Śląska benannt ist. Die neue Gründung wurde ca. zwei Kilometer vom ursprünglichen Kalisch entfernt angelegt, das praktisch zum Rang eines Dorfes degradiert wurde und von nun an im Volksmund als „Alte Stadt“ bekannt war. Mehrere Privilegien beförderten die ökonomische Entwicklung der mittelalterlichen Stadt, darunter das sogenannte Statut von Kalisch (Statut kaliski) vom 16. August 1264. Mit ihm ermöglichte Bolesław VI. jüdischen Emigranten, die vor Verfolgung und Vertreibung im westlichen Europa flohen, die Niederlassung in Kalisch. Die jüdischen Einwanderer standen unter dem Schutz des Königs, das Statut regulierte organisatorische, wirtschaftliche und religiöse Fragen der jüdischen Gemeinde im damaligen Großpolen (Wielkopolska). Es war an vergleichbare Statuten aus Österreich, Tschechien und Ungarn angelehnt und wurde 1334 durch den polnischen König Kasimir den Großen (1310–1370) auf ganz Polen ausgedehnt.

Neuzeit

Kalisch blieb im 16. und 17. Jahrhundert eine der bedeutendsten Städte im Königreich Polen. 1583 ließ sich auf Einladung des Erzbischofs von Gnesen, Stanisław Karnkowski (1520–1603), der Jesuitenorden in der Stadt nieder. Zugleich kam es jedoch zu wiederholten Bränden und Kriegshandlungen, die die bauliche Substanz der Stadt schwer in Mitleidenschaft zogen. Dies gilt insbesondere für die dreimonatige Besetzung Kalischs durch schwedische Truppen im Jahr 1655 sowie für die Zeit des Großen Nordischen Krieges (1700–1721). Am 29. Oktober 1706 fand vor Kalisch eine der größten Schlachten dieses Konflikts mit insgesamt 50.000 Soldaten statt, im Zuge derer die Stadt nahezu vollständig zerstört wurde und die Bevölkerungszahl auf rund 1.000 schrumpfte. Und 1792 führte ein großer Brand zur weitgehenden Zerstörung des gotischen Rathauses.

1793 wurde Kalisch im Zuge der zweiten Teilung Polen-Litauens von preußischen Truppen besetzt. Die neue Verwaltung begann mit dem Wiederaufbau der Stadt, wobei die Strukturen der Kommunalverwaltung und das Gerichtswesen an preußische Muster angepasst wurden. 1795 wurde Kalisch zur Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks in der neugegründeten Provinz Südpreußen. 1805 folgte die Anlage eines Stadtparks, der heute als der älteste Polens gilt.

Mit der Einnahme durch französische Truppen im November 1806 endete die Zeit der preußischen Herrschaft. 1807–1815 gehörte Kalisch zum Herzogtum Warschau, dem von Napoleon geschaffenen Satellitenstaat. Ab 1815 fielen die Gebiete des Herzogtums Warschau, und somit auch Kalisch, den Beschlüssen des Wiener Kongresses gemäß an das Russische Reich. Als Teil des sogenannten Kongresspolens und als Woiwodschafts-Hauptstadt erlebte Kalisch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Lage an der preußisch-russischen Grenze förderte sowohl den legalen Handelsaustausch als auch den Schmuggel. Die neue Verwaltung initiierte zahlreiche Bauprojekte, zu denen ein neues klassizistisches Gerichtsgebäude und die Alexanderbrücke gehörten.

Die Blütezeit endete mit dem gescheiterten Novemberaufstand von 1830/31 und der Inkorporierung Kongresspolens in das Russische Reich, der zahlreiche politische und wirtschaftliche Repressionen folgten. 1837 zur Hauptstadt eines Gouvernements erhoben, wurde Kalisch bereits 1844 zu einer Kreisstadt degradiert. Mehrere Choleraepidemien suchten die Stadt heim, 1854 folgte eine Hungersnot.

Die Neugründung des Kalischer Gouvernements im Jahr 1867 beendete diesen Regress. 1871 bekam die Stadt eine Gasbeleuchtung und zwischen 1880 und 1890 wurde ein neues Rathaus errichtet. In dieser Zeit erlebte Kalisch einen regelrechten Bauboom, sodass 1912 von 1.400 Häusern nur noch 100 hölzern waren. 1902 wurde die Stadt an die Eisenbahnlinie nach Warschau/Warszawa angeschlossen. Und trotz einer Politik, die auf eine imperiale Vereinheitlichung abzielte, gab es in Kalisch zahlreiche polnische Kulturvereine und patriotische Verbände.

Das Jahr 1914 ging als das tragischste in die Geschichte Kalischs ein. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Abzug der russischen Verbände brannten die preußischen Truppen von Major Preusker und insbesondere sächsische Truppen unter dem Oberbefehl von Oberst Hoffmann und Oberst Wirth die Stadt systematisch nieder. Insgesamt 75 Prozent der Gebäude der Stadt wurden zerstört, in der Altstadt wurden 95 Prozent der Gebäude vernichtet, und bis zum Ende des Jahres verblieben lediglich 5.000 von fast 70.000 Bewohnern in der Stadt. Kalisch ist bis heute ein Symbol für den völlig unnötigen Zerstörungswahn im Krieg und gilt als die polnische Stadt, die im Ersten Weltkrieg am meisten zerstört wurde.

Zeitgeschichte

Nach dem Kriegsende und der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit in Form der Zweiten Polnischen Republik wurde Kalisch 1919 Teil der Woiwodschaft Lodz. Der Wiederaufbau der Stadt dauerte bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre. Große Teile der Bevölkerung waren nach dem Krieg verarmt. Mit Hilfe von Krediten und Subventionen wurde der Wiederaufbau jedoch schrittweise erreicht.

Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 setzte dieser Entwicklung ein jähes Ende. Am 8. September 1939 wurde Kalisch von der Wehrmacht besetzt. In den nachfolgenden Jahren litt die Bevölkerung unter der rassistischen Germanisierungspolitik der Besatzer, die Menschen wurden Opfer von Deportationen und Enteignungen. Unter anderem wurde in Kalisch ein Gaukinderheim betrieben, welches ‚arisch‘ aussehende polnische Kinder zur ‚Eindeutschung‘ verschleppte. 1942 formierte sich in der Stadt der national-polnische Widerstand in einer Abteilung der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa). Am 22. März 1944 wurden zehn Deutsche unter dem Vorwurf der Kollaboration mit der Heimatarmee verhaftet. Heinrich Fulde, Otto Drescher, Alfred Fiebiger, Elwira Fibiger, Bronisław Lompe, Alfred Nowacki und Konrad Wünsche wurden zum Tode verurteilt, Irena Natalia Stark bekam zehn Jahre Gefängnis, Emil Fulde bekam fünf Jahre Haft und Bożena Sofia Deutschmann wurde aufgrund fehlender Beweise entlassen.[6] Zu den letzten Hinrichtungen von insgesamt 55 polnischen und deutschen Widerstandskämpfern kam es vier Tage vor der Befreiung Kalischs am 19. Januar 1945. Am 23. Januar 1945 nahm schließlich die Roten Armee die Stadt ein.

Zwischen 1945 und 1989 gehörte Kalisch zur kommunistischen Volksrepublik Polen. Von 1975 bis 1998 war die Stadt Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft (Województwo Kaliskie). Seit 1989 ist Kalisch Teil der Dritten Polnischen Republik.

Bevölkerung

Kalisch war bis zum Zweiten Weltkrieg eine multiethnische und mehrsprachige Stadt. Zahlreiche Minderheiten wie Juden, Deutsche, Makedonier, Griechen, Ukrainer/Ruthenen, Muslime und Russen ließen sich hier nieder. In der longue durée wuchs die Stadtbevölkerung beständig an, wobei die Zeit der Pest (1466/67, Rückgang der Bevölkerung um rund 25 Prozent), der Große Nordische Krieg (1700–1721) sowie der Erste und Zweite Weltkrieg drastische Zäsuren darstellten.

Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung in der Stadt Kalisch (1579–1945).[7]

Jahr Einwohner
1579[8] ca. 2.700
1775[9] ca. 3.500
1793[10] 3.831
1811[11] 7.256
1875[12] 14.935
1909[13] 46.796
1913[14] 65.400
1914 (Jahresanfang)[15] 70.000
1914 (Jahresende)[16] ca. 5.000
1921[17] 44.613
1940[18] 52.526
2005[19] 108.792
2016[20] 102.808
2018[21] 101.625

Hinsichtlich der Konfession ergibt sich für Kalisch folgendes Bild:

  1794 1860 1883 1905 1912
Juden 1.706 4.223 6.301 14.939 21.287
Protestanten 192 2.405 1.469 3.599 7.026
Katholiken 1.891 6.000 9.690 14.508 31.372
Orthodoxe 41 7 1.351 1.784 5.715
Insgesamt 3.832 12.635 18.840 34.858 65.400

Tabelle 2: Zusammensetzung der Bevölkerung nach Glaubensbekenntnis in Kalisch (1794–1912).[22] Für das Jahr 1883 wurden auch 29 Muslime und für das Jahr 1905 insgesamt 28 Muslime in den Statistiken aufgelistet.

Seit Begründung der Stadt Kalisch gab es zahlreiche deutschsprachige Einwohner. Unter den Mitgliedern des städtischen Patriziats, das hauptsächlich aus Kaufleuten und reichen Handwerkern bestand, machten sie die Mehrheit aus. Insgesamt stellten deutsche Migranten am Ende des 13. Jahrhunderts ca. 25 Prozent der Bevölkerung. Zugleich assimilierten sie sich im Laufe der Zeit, sodass Kalisch spätestens im 16. Jahrhundert als polnische Stadt galt. Mitte des 16. Jahrhunderts kamen aus Tschechien vertriebene Mitglieder der Böhmischen Brüder (Bracia czescy) in die Stadt.

Den bedeutendsten Zuwachs deutscher Bevölkerung gab es ab Ende des 18. Jahrhunderts. Nach der Zweiten Teilung Polen-Litauens 1793 kamen deutsche Siedler in die Stadt, denen finanzielle Anreize, Vergünstigungen, Konzessionen und weitere Privilegien in Aussicht gestellt worden waren. Gemäß einer Volkszählung aus dem Jahr 1804 machte die deutsche Bevölkerung ein Drittel aller Bewohner der Stadt aus (rund 2.220 von 7.085 Personen). Die Deutschen kamen in der Regel aus Preußen, dem Großherzogtum Posen, Tschechien, Schlesien, Pommern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Von der polnischen Bevölkerung wurden sie traditionell als „Olęder“ (die ersten ausländischen Siedler im unteren und mittleren Weichseltal waren Holländer) oder auch „Hockelringen“ (aufgrund der Hocken, der Zäune aus Korbweide, mit denen sie ihre Höfe umzäunten) bezeichnet.[23]

Die seit 1793 zugezogenen Deutschen unterhielten nur geringe Kontakte zu ihren Nachbarn, Kenntnisse der polnischen Sprache waren auch in der dritten Generation unüblich.[24] Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges emigrierten zahlreiche Deutsche aus Kalisch in die Weimarer Republik. 1931 deklarierten nur noch 214 Personen Deutsch als ihre Muttersprache. Laut Statistiken aus dem Jahre 1936 wohnten in Kalisch 340 Deutsche.[25]

Nach der Besetzung durch deutsche Truppen wurden im Dezember 1939 insgesamt 27.858 Juden und Polen aus der Stadt und aus dem Kreis Kalisch ausgesiedelt. Die Betroffenen durften jeweils nur ein Gepäckstück von maximal 30 Kilogramm mitnehmen. An die Stelle der Ausgesiedelten kamen Deutschbalten und Wolhyniendeutsche. Im Jahre 1940 zählte Kalisch insgesamt 56.670 Einwohner, davon 50.447 Polen, 4.601 Deutsche, 495 Juden und 1.127 Personen, die Angehörige sonstiger Nationen waren. Nach dem Krieg verließen die meisten Deutschen die Stadt. Ihr Vermögen und ihre Immobilien wurden von der Volksrepublik Polen konfisziert.

Die jüdische Gemeinde in Kalisch zählte zu den bedeutendsten im Königreich Polen. Die ersten Juden wanderten im 12. Jahrhundert ein, sodass sie im 13. Jahrhundert bereits über eine eigene Gemeindeselbstverwaltung, eine Schule und eine Synagoge verfügten. Formell unterstanden die Juden dem jeweiligen Herrscher, in der Praxis war der Woiwode für die Betreuung der jüdischen Gemeinde zuständig. Die Juden in Kalisch lebten von Handwerk, Handel und vom Geldverleih. Im 14. und 15. Jahrhundert verbanden viele ihre kaufmännische Tätigkeit mit der Vergabe von Krediten und Hypotheken für Immobilen. Kalisch stieg neben Posen zum stärksten jüdischen Bankierszentrum in Großpolen auf. Zugleich lehnte das christliche Bürgertum der Stadt die Juden aufgrund ökonomischer Konkurrenz und des traditionellen Antijudaismus ab. Im Jahre 1542 kam es zu antijüdischen Ausschreitungen, 1565 wurde die Synagoge in Kalisch verwüstet.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führten die zahlreichen kriegerischen Konflikte zum allgemeinen Verfall der jüdischen Gemeinden, darunter auch in Kalisch. Um der jüdischen Gemeinde in Kalisch zu helfen, verabschiedete das polnische Parlament (Sejm) im Jahre 1678 mehrere steuerliche Vergünstigungen. Von 1730 bis 1750 verbesserte sich die ökonomische Lage der jüdischen Gemeinde in Kalisch wieder, als der Handel mit Getreide, Vieh, Stoffen, Wolle, Alkohol und Obst erneut blühte. 1804 war gut ein Viertel der Bevölkerung Kalischs jüdischen Glaubens (2.113 von insgesamt 7.085 Einwohnern).

Im Königreich Polen kam es zwischen 1815 und 1914 einerseits zur wirtschaftlichen Blüte der jüdischen Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten. Andererseits musste die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung schwere physische Arbeit verrichten, lebte oft in Armut und war von der Hilfe der jüdischen Gemeinde abhängig (sog. „Luftmenschen“).

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges stellte die jüdische Bevölkerung rund 28 Prozent der Einwohner Kalischs (rund 23.000 von 81.052 Personen). Bereits bei der Besetzung durch die Wehrmacht kam es in Kalisch zur Einzel- und Massenerschießungen von Juden. Im Folgenden wurde der Großteil der jüdischen Einwohner (rund 20.000–21.000 Menschen) in das Generalgouvernement und die dortigen deutschen Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Die noch in der Stadt verbliebenen Juden wurden 1941 zwangsweise im Kalischer Ghetto untergebracht. Ihre Zahl wurde weiter reduziert, als am 12. Oktober 1941 125 Personen in der Nähe des Dorfes Biernatki bei Kalisch im Wald erschossen und zwischen dem 18. November und 1. Dezember 1941 290 Juden in Lastwagen, die mit abgedichteten Abgaskammern ausgestattet waren, ermordet wurden. Bei der Liquidierung des Ghettos vom 4. bis zum 6. Juli 1942 lebten dort nur noch 150 Personen. Es wird angenommen, dass insgesamt maximal 2.300 Kalischer Juden den Krieg überlebt haben, also etwa zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung der Stadt. Sie emigrierten nach dem Krieg größtenteils nach Israel oder in westeuropäische Länder.

Des Weiteren besaß Kalisch auch eine makedonische und griechische Minderheit. Die ersten Migranten aus Makedonien kamen im Jahre 1742 als Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich. Sie arbeiteten als Kaufleute und handelten mit ungarischem Wein, weshalb sie häufig als Węgrzyni (Plural) bzw. Węgrzyn (Singular) bezeichnet wurden, abgeleitet vom polnischen Sammelbegriff für ungarischen Wein. Sie brachten den orthodoxen Glauben und die griechische Sprache in der Liturgie nach Kalisch. Im Jahre 1793 gab es in Kalisch insgesamt 41 Mitglieder der makedonischen Diaspora, im Jahre 1811 schon 66.

Nach der Niederschlagung des Novemberaufstands 1830/31 siedelten sich die ersten Russen in Kalisch an. Es handelte sich um Verwaltungsangestellte, Lehrer und Mitglieder der russischen Armee. Zu Beginn der 1830er Jahre wurde für die russischen Soldaten und ihre Familienangehörigen ein orthodoxer Friedhof begründet. Nach der Niederschlagung des Januaraufstandes 1863/64 entwickelte sich Kalisch als Hauptstadt des Gouvernements zu einem wichtigen Verwaltungsort mit einer russischen Garnison. Weitere russische Beamte, Soldaten, Offiziere und Polizisten kamen samt ihren Familien in die Stadt. Im Jahre 1870 gab es in Kalisch schon 1.225 Personen, die laut Statistiken der russischen Nationalität angehörten. Entsprechend vergrößerte sich die Zahl an Orthodoxen im Laufe der Zeit: 1893 gehörten insgesamt 3,4 Prozent der Bewohner dem orthodoxen Glauben an, 1909 waren es bereits 10,9 Prozent.[26] Nach der Zerstörung Kalischs im Ersten Weltkrieg durch die deutschen Truppen verließen fast alle Russen zusammen mit den russischen Soldaten die Stadt, sodass im Jahre 1921 nur noch 84 Personen angaben, dass sie Russen und 43 Personen, dass sie Ukrainer oder Ruthenen, seien.[27] Die kleinen Gruppen der Ruthenen und Ukrainer waren Beamte des Zaren und Mitglieder antibolschewistischer russischer und ukrainischer Truppenformationen. Gleichzeitig deklarierten 193 orthodoxe Personen, dass sie Polen seien.[28]

1944/45 flüchteten viele antibolschewistische Russen und Ukrainer, da sie die Rote Armee fürchteten. Diese Befürchtungen waren nicht unbegründet: Als die Rotarmisten die Stadt erreichten, nahmen sie am orthodoxen Ostersonntag 1945 die meisten Personen fest und deportierten sie nach Sibirien. Infolgedessen zählte nach dem Zweiten Weltkrieg die orthodoxe Gemeinde nur noch einige Dutzend Personen.

Wirtschaft

Kalisch lag seit der Piastenzeit an der Kreuzung wichtiger Handelswege. Bereits im 13. Jahrhundert wurde das Handwerk in Zünften organisiert, für das 15. Jahrhundert belegen Quellen die Existenz von Metzger-, Bäcker-, Brau-, Weber-, Tuchmacher-, Schmiede- und Kürschner-Zünften. Hinzu kamen Privilegien für die Kaufleute wie etwa das Recht, zweimal im Jahr Märkte zu organisieren, und das Stapelrecht, das reisende Kaufleute dazu verpflichtete, ihre Waren für mehrere Tage in der Stadt zu lagern und anzubieten. Der ökonomische Aufschwung beförderte zugleich die kulturelle Entwicklung der Stadt, da die Kaufleute mit Steuern und Spenden öffentliche und sakrale Bauten unterstützten.

Mit der Gründung des von Russland abhängigen Königreichs Polen 1815 wurde Kalisch zur Grenzstadt. Vergünstigungen wie Kredite, Steuerbefreiungen, Baugrundstücke und Befreiung vom Dienst in der Armee lockten Arbeitslose aus verschiedenen Branchen, darunter Textilarbeiter, ebenso wie deutsche Investoren nach Kalisch. Erst als nach dem Novemberaufstand 1830/31 der Export nach Russland eingeschränkt wurde, kam es zur wirtschaftlichen Stagnation, vor allem im Bereich der qualitativ sehr guten Kalischer Textilbranche. Mit der Eingliederung in das russische Zollgebiet besserte sich die Situation dann ab den 1860er Jahren.

Deutsche Migranten hatten großen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung Kalischs. Sie legten die Fundamente für die Brau-, Färberei-, Textil-, Gerberei-, Seifen- und Möbelindustrie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Kalisch Betriebe wie Rephans Textil-Manufaktur, Buhls Baumwoll-Manufaktur, Fuldes Gerberei, Weigts Brauerei oder Fibigers Klavierfabrik. Insgesamt galt Kalisch vor dem Ersten Weltkrieg als eine der am stärksten industrialisierten Städte Polens.

1941 wurde unter deutscher Besatzung die Firma Zollern-Werke-Weser Flug gegründet, in der Teile für Automotoren gefertigt wurden. Nach dem Krieg in die Kommunikations-Ausrüstungswerke PZL-Kalisz (Wytwórnia Sprzętu Komunikacyjnego) umbenannt, produziert sie heutzutage Elemente für Auslandsunternehmen wie z. B. Airbus und beschäftigt 720 Mitarbeiter.

In der Zeit der Volksrepublik Polen entwickelte sich in der Stadt vor allem die Kleidungs-, Lebensmittel- und Textilindustrie. Heute ist Kalisch das Hauptzentrum des Industriedistrikts Kalisch-Ostrowo (Kalisko-Ostrowski Okręg Przemysłowy).

Militärgeschichte

Kalisch verfügte wahrscheinlich bereits seit dem 13. Jahrhundert über eine Stadtmauer. Historiker gehen davon aus,[29] dass in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur Regierungszeit Bolesławs VI. mit ihrem Bau begonnen und sie dann unter Przemysł II. (1257–1296) und Kasimir III. dem Großen ausgebaut und modernisiert wurde.

Die zahlreichen Kriege, Einquartierungen und Brände im 17. und frühen 18. Jahrhundert führten nicht nur zur Verarmung der Stadt, sondern auch zum Verfall ihrer Befestigungen. Ende des 18. Jahrhunderts beschloss man, die Wehranlagen niederzureißen. Das Breslauer Tor wurde 1780 abgetragen, der Rest der Befestigungen folgte bis 1806. Erhalten sind lediglich kurze Abschnitte (insgesamt ca. 350 Meter), die über die Jahre in andere Gebäude integriert wurden.

Das Kalischer Schloss wurde zwischen 1300 und 1370, wahrscheinlich schon unter der Herrschaft Kasimirs III., in der Nähe des Thorner Tors erbaut. Archäologische Ausgrabungen lassen darauf schließen, dass es sich um einen vierflügeligen Bau handelte, der weniger als Residenz, sondern eher als Wehranlage dienen sollte. Nach dem Brand von 1537 dauerte sein Wiederaufbau bis in die 1620er Jahre. 1792 wurde das Gebäude bei einem weiteren Brand vollständig zerstört.

Religions- und Kirchengeschichte

Mit der Christianisierung Polens entstand in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die erste christliche Gemeinde in Kalisch. Im Jahre 1155 wurde die Stiftskirche St. Paul im romanischen Stil gebaut. Infolge religiöser Verfolgungen in Westeuropa kamen im 16. Jahrhundert Vertreter verschiedener protestantischer Glaubensgemeinden nach Kalisch. Besonders der Calvinismus fand viele Anhänger unter den Eliten und dem Adel in der Umgebung der Stadt. Im Zuge der Gegenreformation kamen dann 1583 Jesuiten nach Kalisch.

Die Mitglieder der protestantischen Gemeinde in der Stadt Kalisch stammten aus dem schlesisch-großpolnischen Grenzland. Die erste protestantische Pfarrei in Kalisch entstand im Jahre 1795, 1797 erhielt sie von Papst Pius VI. (1717–1799) eine von den Jesuiten verlassene Kirche. Für deutsche Katholiken fanden seit Ende des 18. Jahrhunderts ab und zu Predigten auf Deutsch statt.

Die ersten Juden kamen zur Herrschaftszeit Herzogs Mieszko III. des Alten (1126–1202) nach Kalisch. Das 1264 erlassene Statut von Kalisch ermöglichte eine dynamische Entwicklung der Kalischer Gemeinde, die 1579 170 Mitglieder zählte.[30] Der erste historisch belegte jüdische Friedhof wurde 1285 hinter den Stadtmauern von Kalisch angelegt. Im Jahre 1358 bewilligte der polnische König Kasimir der Große (1310–1370) den Bau der ersten, wahrscheinlich hölzernen Synagoge in Kalisch. Sie wurde über die Jahrhunderte mehrmals umgebaut, 1914 beim Artilleriebeschuss der Stadt zerstört, in der Zwischenkriegszeit wiederaufgebaut und im Zweiten Weltkrieg während der deutschen Besatzung gesprengt.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Kalisch viele, oft reiche und gebildete jüdische Anhänger der Haskala. Als Aufklärungsbewegung propagierten sie Loyalität gegenüber den Behörden, Emanzipation, säkulare und moderne Bildung, Akkulturation (Abwendung von der jiddischen Sprache und der orthodoxen Kultur), Neuorientierung auf Berufe außerhalb des kaufmännischen und handwerklichen Bereichs und eine allgemeine Modernisierung der eigenen Kultur.

Im Jahre 1818 bekamen die Makedonier ihre eigene Kirche, die sog. Athanasius-Kirche. 1832 wurde den russischen Soldaten auf dem Gebiet der Garnison in Kalisch ein orthodoxes Gotteshaus im Drillsaal eingerichtet, und im Jahre 1877 wurde die orthodoxe Kirche für die russische Bevölkerung geweiht.

1992 wurde das Bistum Kalisch errichtet. Heute zählt Kalisch 17 katholische sowie eine evangelische und eine polnisch-orthodoxe Gemeinde. Bis heute erhalten sind der evangelische Friedhof (17. Jahrhundert), der russisch-orthodoxe Friedhof (18. Jahrhundert) und der kleine jüdische Friedhof (19. Jahrhundert).

Besondere kulturelle Institutionen

1900 wurde im neuerbauten Rathaus eine Archäologie- und Kunstausstellung eingerichtet. 1906 wurde das Archäologische Museum eröffnet, welches 1914, gemeinsam mit den Beständen anderer Institutionen, in das Museum des Kalischer Landes (poln. Muzeum Ziemi Kaliskiej) konsolidiert wurde. Die Sammlungen überdauerten die Zerstörung der Stadt im Ersten Weltkrieg, gingen jedoch in Folge des Zweiten Weltkriegs fast vollständig verloren. 1948 nahm das Museum seine Tätigkeit wieder auf und 1975 erhielt es den Rang eines Regionalmuseums (poln. Muzeum Okręgowego Ziemi Kaliskiej). Heute besitzt es drei Außenstellen in Kalisch und seiner Umgebung, darunter das archäologische Freiluftmuseum im Stadtteil Zawodzie.

Kalisch ist nach Posen das zweitgrößte Kulturzentrum der Woiwodschaft Großpolen. Das 1801 gegründete Wojciech-Bogusławki-Theater (poln. Teatr im. Wojciecha Bogusławskiego) ist die drittälteste Bühne Polens und seit 1974 gibt es in der Stadt ein philharmonisches Orchester.

Bildung und Wissenschaft

1582 wurde in Kalisch ein Jesuitenkolleg gegründet, welches das Bildungsleben in der Stadt und ihrer Umgebung fast 200 Jahre lang prägte. In dem zwischen 1586 und 1591 errichteten Schulgebäude wurden zahlreiche Staatsmänner ausgebildet, darunter sieben polnische Primates. 1773 wurde die Schule durch Papst Clemens XIV. (1705–1774) geschlossen, das Kolleg ging in Staatsbesitz über.

Unter preußischer Verwaltung wurde das Gebäude der alten Jesuitenschule um- und ausgebaut. 1797 wurde in ihm eine Kadettenschule eröffnet, die bis 1832 und somit bis in die Zeit der russischen Herrschaft existierte.

Heute gibt es in Kalisch zwei Hochschulen, die Staatliche Präsident-Stanisław-Wojciechowski-Fachhochschule und die Zentrale Gefängnisdienstschuleinrichtung. Hinzu kommen Außenstellen anderer polnischer Hochschulen, darunter der Adam-Mickiewicz-Universität und der Technischen Universität Posen.

Kunstgeschichte

Aufgrund der Zerstörungen im Ersten Weltkrieg finden sich in der Altstadt von Kalisch nur noch wenige ältere Gebäude. Zu den erhaltenen Bauten gehören vor allem die städtischen Kirchen, darunter die gotische Kathedrale zum Heiligen Nikolaus, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts von Bolesław VI. dem Frommen gestiftet und in den folgenden Jahrhunderten mehrmals umgebaut wurde. Heute besitzt sie eine barocke Ausstattung. Weiterhin sind die erstmals 1257 erwähnte Franziskanerkirche samt Klosteranlage, die Bernhardinerkirche, die ehemalige Jesuitenkirche, die aus dem 14. Jahrhundert stammende Kirche zum Heiligen Joseph von Nazareth sowie die orthodoxe Peter-und-Paul-Kirche zu nennen. Zu den erhaltenen weltlichen Bauten zählt das städtische Rathaus. Es wurde 1920–1924 im neoklassizistischen Stil erbaut.

Musik

Seit 1978 wird in Kalisch das Landesweite Festival der Alten Musik Schola Cantorum (Ogólnopolski Festiwal Zespołów Muzyki Dawnej „Schola Cantorum“) veranstaltet. Zudem ist die Stadt seit 1982 Austragungsort des Internationalen Musikfestivals Chopin in den Farben des Herbstes (Międzynarodowy Festiwal „Chopin w barwach jesieni“).

Buch-, Druck- und Mediengeschichte

1603 gründete Johann Wohlraab der Jüngere, gefördert vom Jesuitenorden, die erste Buchdruckerei von Kalisch, welche vor allem religiöse Schriften verlegte. Später wurde sie von den Jesuiten übernommen, die sie bis 1773 betrieben.

Im Jahr 1800 eröffnete der aus Schlesien stammende Buchsetzer Karl Wilhelm Mehwald (gest. 1824) eine Druckerei, welche, obwohl später von seinem Neffen Karl Wilhelm Hindemith (1810–1894) übernommen, bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1914 den Namen ihres Gründers trug. Neben Amtsblättern wurden im Mehwaldischen Betrieb auch Lokalzeitungen, Kalender und Schulbücher herausgegeben.[31]

Literatur

Die polnische Schriftstellerin Maria Dąbrowska (1889–1965) erlebte die Zerstörung Kalischs aus dem nahe gelegenen Russów. In späteren Jahren verewigte sie die Ereignisse vom August 1914 in ihrem Romanepos Nächte und Tage (Noce i dnie), für das sie fünf Mal für den Nobelpreis für Literatur nominiert wurde.[32]

4. Diskurse/Kontroversen

Zu den wichtigsten Kontroversen um die Stadt Kalisch gehört ihre Zerstörung im Ersten Weltkrieg.[33] Die russische Untersuchung aus dem Jahre 1916 und die polnische Kommission aus dem Jahre 1919 wiesen die Vorwürfe der deutschen Kommission aus dem Jahre 1915, dass die Bewohner der Stadt auf die deutschen Soldaten geschossen hätten, zurück. Es habe sich am 3. August 1914 vielmehr um einen ungeordneten nächtlichen Beschuss durch deutsche Truppen gehandelt, die russische Zöllner und Reservisten fälschlicherweise für angreifende russische Truppen gehalten hätten. Gemäß der deutschen Untersuchung aus dem Jahre 1915 waren Terror und Erschießungen der Stadtbewohner hingegen eine Reaktion auf den Beschuss deutscher Soldaten durch die Bewohner von Kalisch. Bis heute lassen sich die Ereignisse Anfang August 1914 nicht zweifelsfrei verifizieren, die Diskrepanzen der jeweiligen Darstellungen sind zu groß. Unstrittig ist hingegen die Verantwortung preußischer Truppen für die folgende, großflächige Zerstörung der Stadt und die Vertreibung eines Großteils ihrer Bewohner.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Tadeusz Baranowski: Kalisz u schyłku starożytności i we wczesnym średniowieczu [Kalisch am Ausgang der Antike und im Frühmittelalter]. Kalisz 1987.
  • Tadeusz Chrzanowski: Kalisz [Kalisch]. Warszawa 1978.
  • Władysław Kościelniak/Krzysztof Walczak: Kronika miasta Kalisza [Chronik der Stadt Kalisch]. Kalisz 2002.
  • Sławomir Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch]. Kalisz 2012.
  • Malte Rolf: Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915). Berlin, München, Boston 2015 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 43).
  • Władysław Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Abriss der Geschichte]. Poznań 1983.
  • Piotr Sobolewski: Sekrety Kalisza [Die Geheimnisse von Kalisch]. Łódź 2017.
  • Jerzy Aleksander Splitt: Gdy dymy opadły... Kalisz w latach Wielkiej Wojny (1914–1918) [Als sich der Rauch legte... Kalisch in den Jahren des Großen Krieges (1914–1918)]. Kalisz 2014.
  • Kazimierz Stefański: Herb i pieczęcie miasta Kalisza [Das Wappen und die Siegel der Stadt Kalisch]. Kalisz 1927.
  • Janusz Tomala: Kalisz – miasto lokacyjne w XIII–XXVIII wieku [Kalisch – eine planmäßige Stadtgründung im 13.–18. Jahrhundert]. Kalisz 2004.
  • Krzysztof Walczak/Ewa Andrysiak: Kalisz – Miasto otwarte. Mniejszości narodowe i religijne w dziejach Kalisza i Ziemi kaliskiej [Kalisch – die offene Stadt. Die nationalen und religiösen Minderheiten in der Geschichte Kalischs und des Kalischer Landes]. Kalisz 2006.
  • Krzysztof Paweł Woźniak: Niemieckie osadnictwo wiejskie między Prosną a Pilicą i Wisłą od lat 70. XVIII wieku do 1866 roku: proces i jego interpretacje [Die deutsche Dorfsiedlung zwischen der Prosna, der Pilitza und der Weichsel seit den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts bis 1866: der Prozess und seine Interpretationen]. Łódź 2013.
  • Mieczysław Arkadiusz Woźniak: Kalisz 1914. Pogrom miasta [Kalisz 1914. Das Pogrom der Stadt]. 2. aktualisierte Auflage. Kalisz 2015.

Periodika

  • „Polonia Maior Orientalis” [Östliches Großpolen].
  • „Studia Kaliskie. Studia Calisiensia" [Kalischer Studien].

Weblinks

Anmerkungen

[1] Claudius Ptolemäus: Geographike Hyphegesis [Handbuch der Geographie]. 8 Teilbände, hier Bd. 2, ca. 150 n. Chr.

[2] Vgl. Tomala: Kalisz – miasto lokacyjne w XIII–XXVIII wieku [Kalisch – eine planmäßige Stadtgründung im 13.–18. Jahrhundert], S. 15.

[3] Vgl. Tadeusz Baranowski: Kalisz u schyłku starożytności i we wczesnym średniowieczu [Kalisch am Ausgang der Antike und im Frühmittelalter]. Kalisz 1987, S. 19–20, Władysław Kościelniak/Krzysztof Walczak: Kronika miasta Kalisza [Chronik der Stadt Kalisch]. Kalisz 2002, S. 14.

[4] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 13.

[5] Vgl. Władysław Kościelniak/Krzysztof Walczak: Kronika miasta Kalisza [Chronik der Stadt Kalisch]. Kalisz 2002, S. 12.

[6] Vgl. Mieczysław Arkadiusz Woźniak: Niemiecka opozycja hitlerowska w Kaliszu [Deutscher Wiederstand gegen Nationalsozialisten in Kalisch], in: Walczak, Krzysztof; Andrysiak, Ewa: Kalisz – Miasto otwarte. Mniejszości narodowe i religijne w dziejach Kalisza i Ziemi kaliskiej [Kalisch – Eine offene Stadt. Nationale und religiöse Minderheiten in der Geschichte Kalischs und des Kalischer Landes], Kalisz 2006, S. 52–55, hier S. 53–54.

[7] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 22f., 45, 54; Kościelniak/Walczak: Kronika miasta Kalisza [Chronik der Stadt Kalisch], S. 48, 71, 83, 101, 129, 162, 170, 187, 195.

[8] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 22.

[9] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 23.

[10] Vgl. Stefański: Stan miasta Kalisza w roku 1793 [Zustand der Stadt im Jahr 1793], S. 10.

[11] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 107.

[12] Vgl. Jan Jeleński: Kalisz i jego okolica [Kalisch und seine Umgebung], Warszawa 1875, S. 6.

[13] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 72.

[14] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 54.

[15] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 81.

[16] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 81.

[17] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 77.

[18] Vgl. Rusiński: Kalisz. Zarys dziejów [Kalisch. Historischer Überblick], S. 113.

[19] Vgl. Główny Urząd Statystyczny [Hauptamt für Statistik]: Powierzchnia i ludność w przekroju terytorialnym w 2005 r. Informacje i opracowania statystyczne [Fläche und Bevölkerung im territorialen Überblick 2005. Statistische Informationen und Bearbeitungen]. Warszawa 2005, S. 147. URL: stat.gov.pl/cps/rde/xbcr/gus/powierzchnia_ludnosc_teryt_2005.zip (31.07.2020).

[20] Vgl. Główny Urząd Statystyczny [Hauptamt für Statistik]: Powierzchnia i ludność w przekroju terytorialnym w 2016 r. Informacje i opracowania statystyczne [Fläche und Bevölkerung im territorialen Überblick 2016. Statistische Informationen und Bearbeitungen]. Warszawa 2016, S. 27. URL: stat.gov.pl/files/gfx/portalinformacyjny/pl/defaultaktualnosci/5468/7/13/1/powierzchnia_i_ludnosc_w_przekroju_terytorialnym_w_2016_r.pdf (31.07.2020).

[21] Vgl. Główny Urząd Statystyczny [Hauptamt für Statistik]: Powierzchnia i ludność w przekroju terytorialnym w 2016 roku tablice [Fläche und Bevölkerung im territorialen Überblick 2016 Tabellen]. Warszawa 2018, Tabelle 22. URL: stat.gov.pl/download/gfx/portalinformacyjny/pl/defaultaktualnosci/5468/7/15/1/powierzchnia_i_ludnosc_w_przekroju_terytorialnym_w_2018_tablice.xlsx (31.07.2020).

[22] Vgl. Kościelniak/Walczak: Kronika miasta Kalisza [Chronik der Stadt Kalisch], S. 95, 134, 145, 157, 161.

[23] Vgl. Woźniak: Niemieckie osadnictwo wiejskie [Ländliches deutsches Siedlungswesen], S. 238.

[24] Vgl. Woźniak: Niemieckie osadnictwo wiejskie, S.245

[25] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 78.

[26] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 108.

[27] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 109.

[28] Vgl. Przygodzki: Kalisz wielokulturowy [Multikulturelles Kalisch], S. 109–110.

[29] Vgl. Tomala: Kalisz – miasto lokacyjne w XIII–XXVIII wieku [Kalisch – eine planmäßige Stadtgründung im 13.–18. Jahrhundert], S. 40.

[30] Vgl. sztetl.org.pl/pl/miejscowosci/k/831-kalisz/99-historia-spolecznosci/137430-historia-spolecznosci (31.07.2020).

[31] Vgl. Danuta Wańka: Drukarstwo Kaliskie do 1914 roku [Das Kalischer Druckwesen bis 1914]. In: Biblioteka, Nr. 8 (17) 2004, S. 81–95. URL:bazhum.muzhp.pl/media//files/Biblioteka/Biblioteka-r2004-t8_(17)/Biblioteka-r2004-t8_(17)-s81-95/Biblioteka-r2004-t8_(17)-s81-95.pdf (31.07.2020).

[32] Vgl. Nobel Prize Nomination Database. URL: www.nobelprize.org/nomination/redirector/?redir=archive/show_people.php&id=2097 (31.07.2020).

[33] Vgl. Woźniak: Kalisz 1914. Pogrom miasta [Kalisch 1914. Das Pogrom der Stadt], S. 38–44.

Zitation

Artur Robert Białachowski, Robert Kędzierski: Kalisch/Kalisz. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2020. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32220 (Stand 30.07.2021).

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