Grenzdurchgangslager Friedland
1. Kurzbeschreibung
Das Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland bei Göttingen wurde am 20. September 1945 eröffnet und ist seither kontinuierlich in Betrieb. Seit dem 1. Januar 2011 ist es Teil und Standort der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) und erfüllt Aufgaben als bundesweit einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler, als Landesaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler, als Landesaufnahmestelle für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber sowie für UNHCR-Flüchtlinge im Rahmen von Resettlement- und Relocationprogrammen.
2. Historischer Überblick
Die Entstehung des Lagers Friedland ist eine Folge des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik. Die Mehrheit der das GDL durchlaufenden Menschen – Flüchtlinge, Vertriebene, Evakuierte, entlassene Kriegsgefangene, Displaced Persons, Aussiedler – kam als mehr oder weniger direkte Folge des Zweiten Weltkriegs hierher.
Errichtet wurde das Lager Friedland im September 1945 von der britischen Militärverwaltung nahe der Grenze zur amerikanischen und zur sowjetischen Besatzungszone ca. 15 km südlich von Göttingen. Den unmittelbaren Kontext bildeten die massenhaften Kriegsfolgemigrationen um das Jahr 1945. Hatten die ersten Flüchtlinge schon im Winter 1944/45 Niedersachsen erreicht, so gelangten ab Sommer 1945 Geflüchtete in großer Zahl in die britische Besatzungszone. Die Militärverwaltung versuchte, den Zuzug in ihre Zone zu kontrollieren sowie angesichts der schwierigen Versorgungslage zu begrenzen, und ordnete zu diesem Zweck die Einrichtung des Lagers Friedland sowie acht weiterer Durchgangslager in der Provinz Hannover an. Grundlegende Aufgaben waren die Registrierung, Versorgung und Weiterleitung der in die britische Zone Einreisenden, mithin die Kanalisierung der unüberschaubaren Zahl von Ortlosen und Umherwandernden der Nachkriegsgesellschaft. In der Versorgung und Betreuung der Ankommenden übernahmen Wohlfahrtsverbände und Kirchen früh eine tragende Rolle.
In der Frühzeit des Lagers Friedland trafen vornehmlich fünf Personenkreise im Lager ein: 1. Flüchtlinge, die alleine oder in kleinen Gruppen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße in die westlichen Besatzungszonen kamen, 2. Rückwanderer und Evakuierte, 3. Vertriebene und/oder im Rahmen von Transporten und „Operations“ systematisch Ausgesiedelte, 4. entlassene Kriegsgefangene und 5. Grenzgänger aus der sowjetischen Besatzungszone. Je nach ehemaligem Wohnort, letztem Aufenthaltsort, Verbleib von Angehörigen und Zuzugsmöglichkeiten durchliefen sie das Lager Friedland in Ost-West- oder West-Ost-Richtung. Von 1945 bis 1949 passierten ca. 1,7 Millionen Menschen das Lager. Die meisten blieben nur wenige Stunden oder Tage.
Neben seiner Hauptfunktion als Durchgangslager übernahm das Lager Friedland punktuell auch weitere Aufgaben: 1947-1951 und erneut 1960–1963 fungierte es als Auffanglager für alleinreisende Jugendliche und junge Männer aus der SBZ/DDR, 1949–1952 auch als Wohnlager für Displaced Persons und ausländische Flüchtlinge, für die sich andere niedersächsische Behörden nicht mehr zuständig zeigten. Seit 1948 diente Friedland zudem als Entlassungslager für deutsche Soldaten, die aus westalliierter oder sowjetischer Kriegsgefangenschaft in die britische Zone zurückkehrten. Nach Schließung des Entlassungslagers Münster/Westfalen war es ab April 1949 das einzige Entlassungslager für ehemalige Wehrmachtsangehörige in der Bundesrepublik.
Überregionale und internationale Bekanntheit erlangte das Lager Friedland durch die Ankunft der letzten Entlassenen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1953/54 und 1955/56. Die sogenannte „Heimkehr der Zehntausend“ war ein bedeutendes Medienereignis der frühen Bundesrepublik. Das Lager Friedland wurde emotionaler Bezugspunkt für die Hoffnungen und Wünsche Vieler und zugleich Bühne für vielschichtige politische Inszenierungen im Kalten Krieg.
Mit der „Operation Link“ begann im März 1950 die Aufnahme von Aussiedlern, zunächst nur aus Polen, die in den folgenden Jahrzehnten zur Hauptaufgabe des GDL wurde. Seit 1950 wurden über zwei Millionen (Spät-) Aussiedler in Friedland registriert, davon gut die Hälfte aus Polen, und verstärkt seit 1986 ca. eine Million aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten. Seit dem 1.Oktober 2000 ist das GDL die bundesweit einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler.
Als zeitlich befristete Ausnahme übernahm das GDL seit den 1950er Jahren wiederholt die Erstaufnahme internationaler Flüchtlinge: Zwischen November 1956 und Januar 1957 wurden 3.555 Flüchtlinge aus Ungarn, die nach der Niederschlagung des demokratischen Aufstands in den Westen flüchteten und von denen knapp 11.000 in der Bundesrepublik Aufnahme fanden, in Friedland betreut. Nach dem Putsch gegen die demokratische Regierung Allende trafen im Januar 1974 70 Flüchtlinge aus Chile als „Kontingentflüchtlinge“ außerhalb des Asylverfahrens ein und wurden bis zu vier Monate im GDL Friedland untergebracht. Ende 1978 wurden im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion rund 1.000 Flüchtlinge aus Vietnam im GDL Friedland aufgenommen. Ein Teil der Flüchtlinge verblieb mehrere Monate im Lager; andere wurden bereits nach wenigen Tagen in sogenannte ‚zentrale Unterkünfte‘ weitergeleitet. Bis Mitte der 1980er Jahre folgten weitere Flüchtlinge aus Vietnam, insgesamt ca. 4.500.
Neben der Aufnahme dieser Kontingentflüchtlinge wird das GDL Friedland in den 1970er und 1980er Jahren kurzzeitig auch zur ‚Asylbewerberunterkunft wider Willen‘. Vor dem Hintergrund der Überbelegung des bundesweit einzigen „Sammellagers für Ausländer“ in Zirndorf (Bayern) wurden von 1974 bis 1976 knapp 150 Asylsuchende aus verschiedenen Ländern dem GDL Friedland zugewiesen. Zwischen 1984 und 1986 wurden aufgrund zu geringer Kapazitäten der zuständigen Aufnahmeeinrichtungen in Niedersachsen über 5.500 Asylsuchende, vornehmlich aus dem Libanon, der Türkei und Indien, aufgenommen.
Zwischen dem 1. Juli 1998 und dem 30. September 2000 und ab dem 1. März 2004 übernahm das GDL auch die Funktion der Landesaufnahmestelle Niedersachsen für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.
2009 wurden im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR erstmals irakische Flüchtlinge im GDL Friedland aufgenommen. Seit September 2012 treffen regelmäßig Flüchtlinge im Rahmen der Resettlement- und Relocationprogramme – mehrheitlich aus Eritrea, dem Sudan, Äthiopien, Irak und Syrien – im GDL Friedland ein. Überdies erfüllt das GDL Friedland seit dem 1. Januar 2011 gemeinsam mit dem Standort Braunschweig nun offiziell die Funktion der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber für Niedersachsen.
3. Bedeutung in der deutschen Erinnerungskultur
Spätestens seit den frühen 1950er Jahren, wesentlich befördert durch die „Heimkehr der Zehntausend“ 1955/56, knüpfte sich an das GDL Friedland ein erinnerungskultureller Diskurs an. Neben dem Topos „Tor zur Freiheit“, der seit den frühen 1950er Jahren vor allem aus dem Umfeld der im GDL tätigen Wohlfahrtsverbände verbreitet wurde,[1] fand dies seinen sichtbarsten Ausdruck in mehreren Denkmalen vor Ort. Zu nennen sind insbesondere die Friedlandglocke, die Heimkehrer-Statue „Griff in die Freiheit“ des Bildhauers Fritz Theilmann (1902–1991) und die „Friedland-Gedächtnisstätte“ der Künstler Martin Bauer und Hans Wachter (1931–2005) auf dem Hagenberg sowie die Glocken und verschiedene Kunstwerke im Inneren der katholischen Kirche St. Norbert. Sämtliche genannte Bauten datieren aus dem Zeitraum von 1949 (Weihe der Friedlandglocke) bis 1967 (Einweihung der Friedland-Gedächtnisstätte und Aufstellung der Steinskulptur „Griff in die Freiheit“), wobei sich eine Verdichtung erinnerungskultureller Aktivitäten um die Mitte der 1950er Jahre erkennen lässt. Die Denkmale sind damit ganz in die bundesdeutsche Mentalitätsgeschichte der 1950er und 1960er Jahre eingebettet. Inhaltliche Bezüge der Denkmale beschränken sich im Wesentlichen auf die beiden Friedländer Großgruppen der Flüchtlinge und Vertriebenen einerseits sowie, und zwar überwiegend, der entlassenen Kriegsgefangenen andererseits. Der Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands (VdH) trat (neben den Kirchen) auch als maßgeblicher Träger institutionalisierter Erinnerung in Friedland in Erscheinung. In der Ikonografie der Denkmale kommt ein stein-, bild- und textgewordener deutscher Viktimisierungsdiskurs der westdeutschen Nachkriegszeit zum Ausdruck, der sich gleichermaßen am Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen wie der deutschen Kriegsgefangenen festmacht.[2] Durch die wiederholte Verwendung von christlichen Motiven, Symbolen und narrativen Bezügen lässt sich des Weiteren (analog zu anderen Vertreibungs- oder auch Kriegerdenkmalen) eine religiöse Aufladung und Sakralisierung dieses Opferdiskurses erkennen. Hintergründe und Ursachen für Flucht und Vertreibung beziehungsweise Kriegsgefangenschaft und Rückkehr deutscher Soldaten – der „historische Tiefenraum von Mord und Vertreibung, die geschichtliche Abfolge von deutschen Erst- und anschließenden Folgeverbrechen“[3] – bleiben in den Denkmalen ausgeblendet. Über die Denkmale hinaus schlug sich die Friedland-Erinnerung in anderen Formen nieder, etwa in Liedern, Gedichten, dem Film „Die Glocke von Friedland“ oder dem „Friedland-Preis“ des VdH. „Allerdings verlor das Lager trotz seiner emotionalen, symbolischen und politischen Aufladung schon seit Ende der 1950er Jahre außerhalb des lokalen und regionalen Umfeldes an öffentlicher Aufmerksamkeit.“[4] In der persönlichen und Familienerinnerung von Menschen, die selbst im GDL Aufnahme fanden, insbesondere von Aussiedlern und Spätaussiedlern, nimmt Friedland demgegenüber vielfach einen ganz eigenen, dauerhaft erinnerten Platz ein.
4. Errichtung des „Museums Friedland“
Mit fraktionenübergreifendem Beschluss vom 11. Oktober 2006 forderte der Niedersächsische Landtag die Landesregierung auf, die historische Bedeutung des GDL Friedland angemessen zu würdigen. Der Aufbau des Museums Friedland wurde durch das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport koordiniert. Begleitet wurde er von einem Kuratorium, einem wissenschaftlichen Beirat und einem lokalen Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen. Die wissenschaftliche Konzeption und Realisierung erfolgte durch das Ausstellungsbüro „Die Exponauten. Ausstellungen et cetera“ (Berlin).
Die Dauerausstellung des Museums Friedland soll sich in drei Teile gliedern: in einen chronologischen Überblick von der Gründung des Lagers bis heute im historischen Bahnhofsgebäude von Friedland (1890), in thematische Vertiefungen in einem zu errichtenden Neubau am Rande des GDL sowie in einen ebenfalls zu errichtenden „Museumspfad“ über das Gelände des östlichen Lagerteils mit Einbeziehung historischer Bauten und Denkmale. Die Eröffnung der Überblicksausstellung im Bahnhofsgebäude erfolgte 2016.[5]
5. Bibliographische Hinweise
Literatur
- Joachim Baur, Lorraine Bluche (Hg.): Fluchtpunkt Friedland. Über das Grenzdurchgangslager, 1945 bis heute. Begleitbuch zur Dauerausstellung im Museum Friedland. Göttingen 2017.
- Derek John Holmgren: „Gateway to freedom“ and instrument of order. The Friedland Transit Camp, 1945–1955. Chapel Hill 2010.
- Dagmar Kleineke: Das Grenzdurchgangslager Friedland: Heimkehrer, Flüchtlinge und Vertriebene, Um- und Aussiedler. In: Klaus J. Bade, Jochen Oltmer (Hg.): Zuwanderung und Integration in Niedersachsen seit dem Zweiten Weltkrieg. Osnabrück 2002, S. 131–165.
- Regina Löneke, Ira Spieker (Hg.): Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Göttingen 2014.
- Sascha Schießl: Das Lager Friedland als „Tor zur Freiheit“. Vom Erinnerungsort zum Symbol bundesdeutscher Humanität. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 84 (2002), S. 99–124.
- Sascha Schießl: »Das Tor zur Freiheit«. Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970), Göttingen 2016.
- Wilfried F. Schoeller: Mythos der Heimkehr. Das Grenzdurchgangslager Friedland. In: Ders.: Deutschland vor Ort. Geschichten, Mythen, Erinnerungen. München 2005, S. 296–311.
- Birgit Schwelling: Gedenken im Nachkrieg. Die „Friedland-Gedächtnisstätte“. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 5 (2008) H. 2, URL: zeithistorische-forschungen.de/16126041-Schwelling-2-2008.
Weblink
www.museum-friedland.de (Homepage des Museums Friedland)
Anmerkungen
[1] Schießl: Das Lager Friedland als „Tor zur Freiheit“.
[2] Schwelling: Gedenken im Nachkrieg.
[3] Schoeller: Mythos der Heimkehr, S. 303.
[4] Schießl: Das Lager Friedland als „Tor zur Freiheit“, S. 100.
[5] URL: www.museum-friedland.de (Abruf 02.08.2021).
Zitation
Joachim Baur: Grenzdurchgangslager Friedland. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p36233 (Stand 02.08.2021).
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