Mährisch-Ostrau/Ostrava

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Ostrau, Mährisch-Ostrau

Amtliche Bezeichnung

tschech. Ostrava

Anderssprachige Bezeichnungen

poln. Ostrawa, lat. Ostravia

Etymologie

Die Industriestadt Ostrau ging aus einem kleinen Fischerdorf hervor. Daher wird eine Herleitung von slaw. ostrov (dt. Insel) oder slaw. ostry (dt. scharf, reißend) für denkbar erachtet, da in beiden Fällen eine Beziehung zu Wasser hergestellt werden kann. Das gilt auch für etymologische Verbindungen zum Fluss Ostrawitza (tschech. Ostravice).

Im 15. und 16. Jahrhundert war auch die Bezeichnung Deutsch-Ostrau (Germanica Ostrava) gebräuchlich. Vom 17. Jahrhundert bis nach dem Zweiten Weltkrieg lautete der Name der Stadt entsprechend der Landeszugehörigkeit Mährisch-Ostrau (tschech. Moravská Ostrava). Wegen der Eingemeindung einer Reihe schlesischer Ortschaften, insbesondere Polnisch-Ostrau (tschech. Polská Ostrava), ab 1919 Schlesisch-Ostrau (tschech. Slezská Ostrava), nach einer Gebietsreform im Jahr 1941 war diese Bezeichnung jedoch überholt, da sich die Stadt nun über die mährische Grenze hinaus nach Schlesien erstreckte. Die offizielle Umbenennung von Mährisch-Ostrau in Ostrau bzw. Moravská Ostrava in Ostrava erfolgte 1946. Das historische Mährisch-Ostrau ist heute Teil des Stadtbezirks Mährisch-Ostrau und Priwoz (tschech. Moravská Ostrava a Přívoz).

2. Geographie

Lage

Die Stadt befindet sich auf 49° 50’ nördlicher Breite und 18° 17’ östlicher Länge, rund 335 m über NHN in einer Niederung im Bereich der Mündungen der Ostrawitza (tschech. Ostravice), Lutschina (tschech. Lučina) und Oppa (tschech. Opava) in die Oder (tschech. Odra).

Topographie

Im Süden wird das Ostrauer Gebiet durch die Karpaten bzw. die mährischen Beskiden begrenzt, im Nordwesten durch das mährische Gesenke. Der Nordosten weist durch das Odertal keine natürliche Begrenzung auf. Vor der Industrialisierung und Verstädterung ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die sumpf- und auenreiche Gegend ein landwirtschaftliches Gepräge mit zahlreichen kleinen Lehendörfern (Waldhufendörfer), deren Zentrum die Kleinstadt Ostrau war.

Region sowie staatliche und administrative Zugehörigkeit

Die Statutarstadt (tschech. statutární město) Ostrau ist heute Verwaltungssitz der Mährisch-Schlesischen Region (tschech. Moravskoslezský kraj) und befindet sich im äußersten Nordosten der Tschechischen Republik.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Das Wappen der Stadt Ostrau ist mit dem historischen Wappen von Mährisch-Ostrau identisch. Die älteste Darstellung dieses Wappens stammt aus dem Jahr 1664. Das offizielle Stadtwappen zeigt einen vom Betrachter nach links aufsteigenden gesattelten Schimmel ohne Zaum sowie im Hintergrund einen leuchtenden Stern im blauen Feld bzw. nach anderen Darstellungen eine goldene Rose mit grünen Kelchblättern und einem roten Fruchtknoten. Der Legende nach soll das Wappen vom Olmützer Bischof Theodorich von Neuhaus (1281−1302) für die Hilfe ihrer Bürger bei der Entsetzung der belagerten Burg Hochwald (tschech. Hrad Hukvaldy) verliehen worden sein.[1] Einer anderen Version nach habe ein ungezäumtes Pferd während einer Belagerung Ostraus Verwirrung im Lager der Feinde gestiftet und den Ostrauern damit zum Ausbruch und schließlich zum Sieg verholfen. Als sicher gilt allerdings, dass diese Darstellungen „jeder geschichtlichen Grundlage entbehren und später entstanden sind als das Wappen.“[2]

Als Logo setzt die Stadt seit 2007 auf den Markennamen OSTRAVA!!!, der im Stadtbild omnipräsent ist und unter dem Ostrau sich auch erfolgreich nach außen präsentiert.

Beinamen

Stählernes Herz (und schwarze Lunge) der Republik/ČSSR, Schwarze Stadt, Schmiede des Sozialismus, Stadt der 100 Schlote, Mährisches Klondike.

Vor- und Frühgeschichte

Erste Spuren menschlicher Besiedlung des heutigen Stadtgebiets gehen auf die Steinzeit zurück. Die ältesten Funde stammen von dem an der Oder gelegenen Berg Landeck (tschech. Landek). Der bekannteste stammt aus dem Jahr 1953. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Venus von Petershofen (tschech. Petřkovická venuše), einen ca. 23.000 Jahre alten und knapp fünf Zentimeter hohen weiblichen Torso aus Hämatit. Die Figur befindet sich im Archäologischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Brünn/Brno.

Mittelalter

Die Verleihung des deutschen Stadtrechts (Magdeburger Recht)[3] erfolgte zwischen 1267 und 1279, als Mährisch-Ostrau erstmals urkundlich als Stadt bezeichnet wurde (1267). Polnisch-Ostrau wurde bereits 1229 erstmals urkundlich erwähnt. Der Ausbau der Siedlung zu einer befestigten Grenzstadt geht insbesondere auf den Olmützer Bischof Bruno von Schauenburg (auch Bruno von Holstein-Schaumburg, vmtl. 1205−1281) zurück, den früheren Probst von St. Johann zu Lübeck. 1362 gestattete der böhmische König Karl IV. (1316−1378) einen ersten Jahrmarkt, der den Grundstein für die Entwicklung der Stadt zu einem Marktflecken mit regionaler Bedeutung legte.

Bereits Bruno von Schauenburg ermunterte vor allem Deutsche aus dem Elbland zur Ansiedlung, woraus der Name Deutsch-Ostrau resultiert (in Abgrenzung zum älteren slawisch besiedelten Polnisch-Ostrau auf der anderen Seite der Ostrawitza, das zu Polen gehörte).

Neuzeit

Von den Hussitenkriegen (1419–1434) wurde Ostrau kaum in Mitleidenschaft gezogen. Im Dreißigjährigen Krieg besetzten zunächst dänische, später schwedische Truppen die Stadt und plünderten sie. Ostrau gehörte in Mähren zu den am stärksten von den Kriegshandlungen betroffenen Orten. Auch Feuersbrünste (1556, 1675, 1763), Hochwasser (1649, 1655, 1670, 1695) und Seuchen warfen Ostrau immer wieder in seiner Entwicklung zurück: 1585, 1625 und 1715 gingen große Teile der Bevölkerung an der Pest zugrunde. Als das schlesische Hinterland der Stadt nach dem ersten Schlesischen Krieg 1742 an Preußen kam, wurden wichtige Handels- und Verkehrsverbindungen gekappt. Eine Kompensation erfolgte erst, als 1772 Galizien und 1774 die Bukowina an Österreich gingen, wodurch die Zollgrenzen zu diesen beiden Nachbarregionen fielen. Im Bayerischen Erbfolgekrieg (1778/79) drang das preußische Heer bis nach Polnisch-Ostrau vor, ehe dieser Konflikt am 13. Mai 1779 mit dem Frieden von Teschen beigelegt wurde. Aufgrund der hohen Konzentration an Arbeitern in den Gruben und Hütten wurde die Stadt im 19. Jahrhundert in den böhmischen Ländern zu einem Zentrum der Arbeiterbewegung.

Zeitgeschichte

Nach dem Umsturz (tschech. převrat) 1918 wurden das Ostrauer Industriegebiet und insbesondere das unmittelbar angrenzende Teschener Schlesien zum Zankapfel der (neu)konstituierten polnischen und tschechoslowakischen Staaten, die beide Ansprüche geltend machten. Die deutschen Parteien (bürgerliche, sozialdemokratische und nationale) forderten aus Rücksicht auf ethnische und wirtschaftliche Interessen die Ausrufung des ostmährisch-schlesischen Industriegebiets zu einer selbständigen Republik.

Bei den tschechoslowakischen Parlamentswahlen 1935 wurde die Sudetendeutsche Partei (SdP) im Wahlbezirk Ostrau mit 19,1 Prozent stärkste Kraft.[4] Damit war die Region eine Hochburg der Henlein-Bewegung in der Tschechoslowakei.

Nach der Besetzung weiter Landesteile der Tschechoslowakei durch Deutschland und Polen im Nachgang des Münchner Abkommens 1938 wurde Ostrau zu einer beinahe vollständig eingeschlossenen Grenzstadt, die nur über einen schmalen Streifen in südlicher Richtung erreicht werden konnte. Die Situation verschärfte sich durch die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge bzw. Vertriebener aus den besetzten Gebieten. Nach der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen am 14./15. März 1939 kam Ostrau zum Protektorat Böhmen und Mähren und gehörte gemäß dem ‚Führererlass‘ vom 16. März 1939 zum ‚Großdeutschen Reich’. Die Ostrauer Deutschen begrüßten die Wehrmacht als Befreier. Unmittelbar im Anschluss wurden im Zuge der „Aktion Gitter“ zahlreiche tatsächliche und potentielle Gegner der neuen Machthaber anhand im Vorfeld ausgearbeiteter Namenslisten verhaftet. Eingriffe in das Schulwesen zielten darauf ab, alle Spuren des tschechoslowakischen Staates zu tilgen.

Die Ostrauer Industrie wurde auf Rüstungszwecke umgestellt. Deutsche Unternehmen und Banken übernahmen bis 1941 den gesamten Bergbau- und Eisensektor und den größten Teil der Chemieindustrie und des Maschinenbaus. Wegen seiner Bedeutung für die deutsche Rüstungsindustrie war Ostrau mehrfach Ziel von Bombenangriffen der Alliierten. Beim ersten und folgenschwersten Angriff 1944 kamen 409 Menschen ums Leben, etwa 1.500 wurden verletzt und 1.256 obdachlos.[5]

Am 30. April 1945 wurde Ostrau nach schweren Kämpfen im Zuge der etwa 20 Tage andauernden „Operation Ostrau-Troppau“ durch die Rote Armee befreit. Bei den Kämpfen um die Stadt fielen 1.142 Angehörige der Roten Armee, auf deutscher Seite waren über 1.300 Opfer zu beklagen. Hinzu kamen 388 Opfer unter der Zivilbevölkerung.[6] An der Befreiung wirkte auch die 1. Tschechoslowakische selbständige Panzerbrigade als Teil der 4. Ukrainischen Front mit. Deren Besatzung in Höhe von knapp 1.500 Mann bildeten Wolhynientschechen, Russinen aus der Karpatenukraine (die 1920–1938 sowie 1944–1946 zur Tschechoslowakei gehörte) sowie Tschechen und Slowaken.[7]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Wiederaufbau der Stadt erfolgte im Rahmen des Planes Budujeme Ostravu (dt. „Wir bauen Ostrava auf“), mit dem vor allem die Wohnungsnot beseitigt werden sollte. Die unmittelbare Nachkriegsentwicklung der Stadt ist eng mit dem Namen Josef Kotas (1891−1966) verbunden, der als Mitglied der Kommunistischen Partei bereits 1938 zum Bürgermeister Ostraus gewählt worden war und dieses Amt nach seiner Rückkehr aus dem britischen Exil von 1945 bis 1960 innehatte. Während seiner Amtszeit wurden die Weichen für die Entwicklung Ostraus zu einer modernen sozialistischen Groß- und Industriestadt gestellt.

Bereits im September 1947 wurde ein Gericht einberufen, um die während der Besatzungszeit verübten Verbrechen juristisch zu ahnden. Bis 1947 liefen Verhandlungen gegen 1.636 Personen. 41 Mal wurde die Todesstrafe verhängt, die 38 Mal vollstreckt wurde.[8] Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 kam es im Anschluss an die „Aktion Beskiden“ (tschech. akce Beskyd) zu einer Reihe politischer Prozesse. Wegen antikommunistischer Tätigkeit wurden in Ostrau in den Jahren 1950–1951 fünf Personen zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Im Zuge der Invasion einiger Staaten des Warschauer Vertrags während des Prager Frühlings besetzte Ostrau im August 1968 eine sowjetische Mot-Schützen-Division. Die anschließende sogenannte „Normalisierung“ (tschech. normalizace) verlief in Ostrau radikaler als in anderen Landesteilen.

Die größte Protestaktion während der „Samtenen Revolution“ (tschech. Sametová revoluce) 1989 waren der Generalstreik und die Demonstration auf dem damaligen Platz der Volkspolizei (ab dem 24. Dezember Masaryk-Platz) am 27. November 1989, welche auf das oppositionelle Bürgerforum (tschech. Občanské fórum) zurückgingen. An gleicher Stelle fand zwei Tage später eine Demonstration hauptsächlich von Anhängern der Kommunistischen Partei (KPČ) statt. Diese zeigte, über welchen Rückhalt die KPČ in der hauptsächlich von Bergleuten und Industriearbeitern geprägten Region verfügte. Die Nachwendezeit wurde in Ostrau symbolisch mit dem Besuch von Präsident Václav Havel (1936−2011) am 3. Februar 1990 eingeläutet.

Bevölkerung

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte Mährisch-Ostrau zu den kleinsten Städten in der Region. Eine erste, in den Jahren 1754/1755 durchgeführte Zählung ergab lediglich 192 Wohnhäuser mit einer Bevölkerung von rund 1.150 Personen. Um 1800 betrug die Einwohnerzahl dann rund 1.550.[9] Zu einem rasanten Anstieg der Einwohnerzahl kam es im Zuge der Industrialisierung. Der Zuzug von Arbeitskräften erfolgte vor allem aus Galizien.

Bevölkerungsentwicklung zwischen 1869 und 2016 in Zahlen:

Jahr

Einwohnerzahl[10]

1869

38.598

1880

56.128

1890

84.492

1900

144.550

1910

186.084

1921

198.438

1930

219.528

1950

215.791

1961

254.297

1970

297.171

1980

322.073

1991

327.371

2001

316.744

2016

292.681[11]

Aktuell ist die Bevölkerungszahl der Stadt leicht rückläufig. Seit über 25 Jahren verliert Ostrava jährlich mindestens 1.000 Personen. Dadurch sank die Zahl der Einwohner von der Rekordzahl 332.599 (1992) auf 288.882 (2018).[12]

Die Ergebnisse der letzten österreichischen Befragungen über die nationale Zugehörigkeit im Großraum Ostrau (gefragt wurde nach der Umgangssprache) lauteten wie folgt (Angaben in Prozent):[13]

Umgangssprache

1880

1890

1900

1910

Tschechisch

74,8

66,3

55,0

52,2

Deutsch

16,0

21,9

22,7

31,2

Polnisch

6,2

11,8

22,3

16,6

Beim tschechoslowakischen Zensus im Jahr 1921 ergab sich für Mährisch-Ostrau und Schlesisch-Ostrau hinsichtlich der Anteile der drei größten Nationalitäten offiziell folgendes Bild:[14]

 

Tschechen

Deutsche

Juden

Polen

Andere

Ausländer

Mährisch-Ostrau

24.293

9.879

1.666

keine Angabe

798

5.138

Schlesisch-Ostrau

18.803

820

403

79

9

2.776

Im Vergleich zu anderen böhmischen oder mährischen Orten spielten Rivalitäten zwischen den einzelnen Ethnien in Ostrava eine geringere Rolle. Für lokale Konflikte und Loyalitäten waren in der Industrieregion soziale Unterschiede wichtiger. Dies wurde auch dadurch begünstigt, dass in Ostrau fast alle Einwohner erst unlängst zugezogen und tradierte soziale Hierarchien kaum vorhanden waren. Bei Wahlen waren auf deutschen und tschechischen Listen mitunter dieselben Namen zu finden.

Die Konflikte zwischen den Nationalitäten nahmen erst Ende des 19. Jahrhunderts während der Amtszeit von Bürgermeister Adelbert Johanny (1846–1919) zwischen 1888 und 1901 zu. Sinnbild hierfür ist die Errichtung der drei nationalen Zentren „Tschechisches Haus“ (tschech. Národní dům) 1894, „Deutsches Haus“ 1895 und „Polnisches Haus“ (poln. Dom Polski) 1900.

Auch sprachlich wurde das mährische Tschechisch der Region stark vom Deutschen, Slowakischen und Polnischen beeinflusst. Ein markantes Merkmal ist analog zum Polnischen die Betonung auf der vorletzten Wortsilbe (im Tschechischen wird stets die erste Wortsilbe betont) sowie eine Kürzung der Vokallänge, die im Tschechischen in einer kurzen und einer langen Variante vorliegt. Hieraus rührt das bekannte Diktum, die Ostrauer hätten eine „kurze Zunge“ (tschech. krátký jazyk) bzw. einen „kurzen Schnabel“ (tschech. krátký zobák bzw. zobak).

Wirtschaft

Um 1770 soll der Schmied Keltička in Polnisch-Ostrau auf den „schwarzen Stein“ gestoßen sein. Dieser Kohlefund erwies sich als schicksalhaft für Ostrau und die gesamte Region. Diese wurden fortan vom Bergbau und der Stahlindustrie geprägt. Die erste Eisenhütte begründete der Erzbischof von Olmütz/Olomouc Rudolf von Österreich (1788−1831) im Jahr 1828. Die Witkowitzer Eisenwerke wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem aus Stuttgart stammenden Direktor Emil Holz (1840−1915) zu einem der wichtigsten Unternehmen der Monarchie.

Die Zentralen der großen Kohle- und Stahlunternehmen residierten zunächst meist in Wien. Nach 1918 verlangte das tschechoslowakische Nostrifikationsgesetz (tschech. Nostrifikační zákon) die Verlagerung der Firmensitze in die Tschechoslowakei, sodass Gewinne und Steuern nicht ins Ausland abflossen.

Nach den Verstaatlichungen des Jahres 1948 erfolgte der gezielte Ausbau des Ostrauer Kohle- und Stahlkomplexes zum wichtigsten Industriezentrum des Landes. Im Jahr 1994 stellte die letzte Grube in Ostrau ihren Betrieb ein und nach über 200 Jahren wurde die Bergbautradition in der Stadt beendet.

Ostrau wurde 1847 über die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn an das europäische Eisenbahnnetz angeschlossen.

Religions- und Kirchengeschichte

Ostrau gehörte in Kirchenfragen von alters her zum Olmützer Bistum. Nachdem Bischof Bruno von Schauenburg dem Ort das Stadtrecht verliehen hatte, wurde die Erbauung eines Gotteshauses als Wahrzeichen einer deutschrechtlichen Stadt erforderlich. Die im Anschluss errichtete gotische St. Wenzelskirche (tschech. Kostel sv. Václava), die vermutlich zwischen 1270 und 1278 errichtet wurde, gehört heute zu den wichtigsten Baudenkmälern der Stadt. Im Zuge von Um- und Ausbauten gingen eine Reihe gotischer Elemente verloren, hinzu kamen Elemente aus anderen Stilrichtungen (Barock, Klassizismus, Neugotik). Die ursprüngliche Gestalt ist deshalb stark verändert. Ein weiteres dominantes katholisches Gotteshaus im Stadtzentrum ist die 1996 von Papst Johannes Paul II. (1920−2005) nach Begründung des Bistums Ostrau-Troppau zur Kathedrale erhobene Erlöserkirche im Neorenaissancestil, heute Kathedrale des göttlichen Erlösers (tschech. Katedrála Božského Spasitele), die 1889 nach etwa sechs Jahren Bauzeit nach Plänen von Gustav Meretta (1832−1888) fertiggestellt worden war. Die 2002 abgebrannte katholische Holzkirche St. Katharina (tschech. Kostel sv. Kateřiny) aus dem Jahr 1564 im Ortsteil Hrabová konnte bereits 2004 wiedereröffnet werden. Zwischen 1905 und 1908 entstand in Marienberg (tschech. Mariánské Hory) die römisch-katholische Kirche der Jungfrau Maria (tschech. Kostel Panny Marie Královny) mit zwei Türmen im Neobarockstil.

Bis über das 18. Jahrhundert hinaus war die Bevölkerung der Region nicht zuletzt wegen des Niederlassungsverbots für Angehörige anderer Glaubensrichtungen weitestgehend katholisch. Hieran änderte auch das Toleranzedikt von Kaiser Joseph II. (1741−1790) im Jahr 1781 zunächst wenig. Noch 1838 wird für Mährisch-Ostrau von nur einem nichtkatholischen Christen berichtet.[15] Für die protestantische Bevölkerung, die vor allem im Zuge der Industrialisierung in die Region strebte, bestanden einige Toleranzkirchen, etwa in Nieder Bludowitz/Dolní Bludovice. Die 1566 im heutigen Stadtteil Schlesisch-Ostrau errichtete evangelische Kirche ging im Zuge der Gegenreformation 1654 verloren. 1860 wurde an der Straße zwischen Mährisch-Ostrau und Witkowitz eine aus Spenden, insbesondere von Baron Rothschild sowie mit Hilfe der Gustav-Adolf-Gesellschaft, finanzierte evangelische Kirche errichtet. Eine protestantische Gemeinde besteht wieder seit 1875. Erst zwischen 1905 und 1907 wurde in Mährisch-Ostrau selbst die Evangelische Christuskirche (tschech. Evangelický Kristův kostel) im Stil der niederländischen Renaissance errichtet.

Jüdisches Ostrau

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebte in Ostrau nach Prag/Praha und Brünn die drittgrößte jüdische Gemeinde der Tschechoslowakei. Die jüdische Bevölkerung war ein wichtiger und aktiver Bestandteil der Gesellschaft der jungen Groß- und Industriestadt. Nach dem Ansiedlungsverbot von 1531 konnte sich erst Ende des 18. Jahrhunderts eine jüdische Familie offiziell in der Stadt niederlassen. Juden waren z. B. an der Herstellung und am Verkauf von Bier und Branntwein beteiligt (etwa die Dampfbrauerei Markus Strassmann). 1869 machten die Juden der Stadt etwa sechs Prozent der Bevölkerung aus. Ihr Bevölkerungsanteil stieg bis um 1900 auf etwa 15 Prozent.[16] Damit wurde Ostrau zu einem neuen Zentrum jüdischen Lebens in Mähren. Das Anwachsen der jüdischen Gemeinde war insbesondere auf den Zuzug sogenannter Ostjuden aus Galizien zurückzuführen, worin sich die Ostrauer Gemeinde von den übrigen jüdischen Gemeinden unterschied.[17] Eine eigenständige jüdische Religionsgemeinde bestand in Mährisch-Ostrau ab 1875.

Viele Juden leisteten einen Beitrag zur Entwicklung der Ostrauer Industrie und einer dynamischen Wirtschaft. Zu nennen wären hier insbesondere die Familien Rothschild und Guttmann mit ihrem Engagement in der Witkowitzer Eisen- und Kohleindustrie. Aber auch im Bankenwesen und im Handel spielten Juden eine wichtige Rolle. So gründete die Familie Wechsberg eine der ersten Privatbanken. Auch viele Ärzte, Anwälte oder Geschäftsleute waren Juden, einige der großen Warenhäuser der Stadt hatten jüdische Eigentümer (Bachner, Rix, Borger, Schön, Nesselhort).

Ostrau erlangte Bedeutung für die zionistische Bewegung in der Tschechoslowakei und wurde auch zu einem religiösen jüdischen Zentrum. Dies wird durch die sechs Synagogen in Groß-Ostrau verdeutlicht. Die Hauptsynagoge (Hochtempel) bot 700 Gläubigen Platz. Die Grundsteinlegung für die erste Synagoge der Stadt erfolgte am 20. Mai 1879, die Eröffnung bereits am 15. September des gleichen Jahres. Die jüdische Schule Ostrau wurde 1863 begründet und war in der Zwischenkriegszeit eine der wenigen jüdischen Bildungseinrichtungen des Landes, die ihren Betrieb fortsetzten. 1899 lernten dort 303 Kinder in sieben Klassen.[18]

Die Schule bestand auch nach Gründung der Tschechoslowakei fort, wobei den neuen politischen und sprachlichen Verhältnissen mit einem hohen Anteil von Unterrichtsstunden in tschechischer Sprache Rechnung getragen wurde. Ab der fünften Klasse fanden nur Religion und Handarbeit nicht auf Tschechisch statt.[19] Beim tschechoslowakischen Zensus von 1930 bekannten sich von den 6.865 Personen jüdischen Glaubens in Mährisch-Ostrau lediglich 2.267 auch zur jüdischen Ethnie.[20] Ostrau beherbergte zahlreiche jüdische Organisationen wie Hechaluz, Techeleth Lavan oder das Präsidium der Jüdischen Partei, die hier auch eigene Blätter herausgab (vgl. Pressegeschichte).

Nach der deutschen Besetzung der Stadt im März 1939 gehörte zu den ersten antijüdischen Maßnahmen die ‚Arisierung‘ jüdischen Besitzes, allen voran der großen Ostrauer Kaufhäuser. Im Juni 1939 wurden die sechs Ostrauer Synagogen und weitere jüdische Gebetshäuser in Brand gesetzt und zerstört. Einige Kultgegenstände konnten jedoch gerettet werden. Die Vernichtung der jüdischen Gemeinde der Stadt begann im Rahmen des sogenannten Nisko-Plans, der vorgeblich geplanten Ansiedlung der Juden im Gebiet rund um Nisko und Lublin, im Oktober 1939.[21] Einem „vergleichsweise hohen Anteil der jüd. Bevölkerung“ war jedoch zuvor die Flucht gelungen.[22] Die ca. 4.000 jüdischen Bewohner, die 1941 noch in der Stadt lebten, darunter rund 400 Nisko-Rückkehrer, wurden in vier Transporten mit jeweils 860 Personen nach Theresienstadt deportiert und kamen von dort weiter nach Auschwitz. Vermutlich haben lediglich 250 Ostrauer Juden den Holocaust überlebt,[23] andere Quellen sprechen von 500 Personen, die nach dem Krieg nach Ostrau zurückgekehrt und zum großen Teil 1948/49 bzw. 1968/69 emigriert seien.[24]

Die jüdische Gemeinde der Stadt (Kehila) zählt gegenwärtig nur noch etwa 100 Mitglieder. Das Gemeindezentrum befindet sich seit Anfang der 1990er Jahre im Stadtteil Marienberg. Es verfügt über einen Gebetsraum, eine Bibliothek und eine angeschlossene Sozialstation. Außerdem werden Hebräischkurse angeboten.

Besondere kulturelle Institutionen

Die Stadt verfügt mit sieben Häusern über eine äußerst lebendige Theaterszene. Die renommierteste Spielstätte ist das 1907 nach knapp zweijähriger Bauzeit eröffnete Antonín-Dvořák-Theater (tschech. Divadlo Antonína Dvořáka). Heute ist das Haus die Hauptbühne des Mährisch-Schlesischen Staatstheaters (tschech. Národní divadlo moravskoslezské). Der Neobarockbau des Wiener Architekten Alexander Graf (1856−1931) mit seinen knapp über 800 Plätzen enthält ein für die damalige Zeit modernes Stahlbetonskelett und ruht auf einer Betonplatte, da sich knapp 200 Meter unter dem Gebäude der 1879 stillgelegte Schacht Antonín befindet. Hiervon kündet der nach wie vor funktionierende Grubenentlüftungsschornstein vor dem Theater.

Mit dem Jiří-Myron-Theater (tschech. Divadlo Jiřího Myrona), benannt nach dem tschechischen Schauspieler und Regisseur (1884−1954), der von 1923 bis zu seinem Tod in Ostrau wirkte, verfügt das Mährisch-Schlesische Staatstheater seit 1986 über eine weitere Bühne, die sich im Tschechischen Haus befindet. Weitere Theater der Stadt sind das Peter-Bezruč-Theater (Divadlo Petra Bezruče), die Kammerbühne Arena (Komorní scéna Aréna), das Puppentheater Ostrava (Divadlo loutek Ostrava) und die semiprofessionelle Alte Arena (Stará aréna). Im Sommer 2016 mietete der Schauspieler Albert Čuba (geb. 1983) das ehemalige Kino Bio Rekord (später Kino Mír) und eröffnete 2017 an dieser historischen Kultur-Stätte das Theater Frieden (Divadlo Mír).

Wichtigster Klangkörper der Stadt ist die Janáček-Philharmonie Ostrau, die zu den renommiertesten Orchestern des Landes zählt. Mit dem 1926 errichteten Haus der Künste (tschech. Dům umění) verfügt Ostrau über ein Ausstellungszentrum von überregionaler Bedeutung. Moderne Kunst zeigt seit 2017 das Ausstellungs- und Informationszentrum Plato.

Die Museumslandschaft der Stadt spiegelt insbesondere die Kohle- und Stahltradition Ostraus wider. Zu nennen wären z. B. das Nationale Kulturdenkmal Unteres Witkowitz (tschech. Dolní Vítkovice), das Museum im Bergwerksgelände Důl Michal oder das Bergbaumuseum im Landek-Park (tschech. Landek Park – Hornické Muzeum). Das stadtgeschichtliche Museum (tschech. Ostravské Muzeum) befindet sich im alten Rathaus aus dem 16. Jahrhundert, unmittelbar im historischen Stadtzentrum. In den letzten Jahren hat sich das Centrum Pant zu einem wichtigen Ort des kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Austauschs entwickelt.

Bildung und Wissenschaft

Größte Hochschule ist die Technische Universität Ostrau (tschech. Vysoká škola báňská – Technická univerzita Ostrava). Sie geht auf eine 1849 gegründete höhere Lehranstalt für Bergbau in Pribram/Freiberg in Böhmen (tschech. Příbram) zurück.

Die Universität Ostrau (tschech. Ostravská univerzita) wurde 1991 gegründet und ging aus der Pädagogischen Hochschule Ostrau (tschech. Pedagogické fakulty v Ostravě) hervor (2016: 8.543 Studenten).[25]

Die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt (tschech. Vědecká knihovna) ist seit 1951 provisorisch in einem Teil des Neuen Rathauses untergebracht. 2006 wurde ein moderner Neubau in Form eines schwarzen Würfels (tschech. Černá Kostka) geplant, der nach langjährigen Diskussionen und Finanzierungsschwierigkeiten ab 2020 errichtet werden soll.

Stadtentwicklung, Architektur- und Kulturgeschichte

Die um Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende rege Bautätigkeit kann als wenig systematisch und geplant beschrieben werden. Sie war voll und ganz den Bedürfnissen der expandierenden Hütten und Gruben untergeordnet. Anders als in anderen Industriestädten bildete sich kein (Verwaltungs-)Zentrum heraus. Wohnkolonien für die Beschäftigten und ihre Angehörigen entstanden oft in unmittelbarer Nachbarschaft der Industrieanlagen, wie auch das Schloss der Rothschilds aus dem Jahr 1848 (tschech. Rothschildův zámeček). Der Grundsatz einer Trennung von Wohn- und Gewerbevierteln kam in Ostrau nicht zum Tragen. Mietshäuser kamen erst in den 1880er und 1890er Jahren auf. Aus dieser Zeit stammt auch das erste Konzept für eine geordnete Stadtentwicklung, das auf den Wiener Architekten und Urbanisten Camillo Sitte (1843–1903) zurückgeht.

Die Entwicklung zur Großstadt begann im Jahr 1924 durch die Vereinigung von Mährisch-Ostrau mit einer Reihe umliegender Ortschaften wie z. B. Witkowitz, Priwoz, Marienberg (bis 1901 Ellgoth [tschech. Lhotka], ursprünglich Teufelsdorf [tschech. Čertova Lhota]), Klein-Grabau/Hrabŭvka und Neudorf/Nová Ves sowie Heinrichsdorf/Zábřeh zu Groß-Ostrau. Im Zuge einer Verwaltungsreform unter dem deutschen Besatzungsregime kam es 1941 zur Eingemeindung von schlesischen Nachbargemeinden wie etwa von Schlesisch-Ostrau. Nach 1945 kamen weitere Gemeinden hinzu, so auch Hannersdorf (tschech. Poruba, 1957), das als Neu-Ostrava konzipiert wurde und zu Beginn der 1980er Jahre mit über 90.000 Einwohnern die größte Wohnsiedlung der Tschechoslowakei war. Die ersten Bauabschnitte wurden im Stil des Sozialistischen Realismus errichtet und stehen seit 2003 unter Denkmalschutz. Markantestes Bauwerk ist der doppelte in ein Wohnhaus gefasste Eingangstorbogen, der dem Gebäude des Generalstabs auf dem Petersburger Palastplatz aus dem Jahr 1819 nachempfunden wurde.

Das architektonische Wahrzeichen des modernen Ostrau ist das zwischen 1925 und 1930 errichtete Neue Rathaus mit seinem markanten 85,6 Meter hohen Turm aus Stahlglas. Die Frontfassade zieren vier jeweils über drei Meter hohe Bronzestatuen, die mit Bergbau, Stahlindustrie, Wissenschaft und Handel die vier Säulen der Stadt symbolisieren sollen.

Bei den Darstellungen der Stadt dominieren immer wieder Industrieanlagen, die damit bestimmend für die Außenwahrnehmung Ostraus wurden. Frühe Abbildungen der Eisenwerke in Witkowitz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen etwa von Ernst Wilhelm Knippel (1811−1900). Zu nennen wären weiter die späteren Arbeiten von Jan Zrzavý (1890−1977), Vladimír Kristin (1894−1970) und Jan Václav Sládek (1909−1992). Bekannt sind vor allem die drei 1937 entstandenen Ölgemälde von Oskar Kokoschka (1886−1980), etwa Mährisch-Ostrau II, das seit 2010 Teil der Dauerausstellung im Ostrauer Haus der Künste ist.

Pressegeschichte

Der im Jahr 1921 in Ostrau über die sozialen Spannungen in der Kohlestadt gedrehte Film „Schacht der begrabenen Ideen“ (Šachta pohřbených idejí) von Rudolf Myzet (1888−1964) und Antonín Ludvík Havel (1894−1968) gilt als erster sozialkritischer Spielfilm der Tschechoslowakei. Nach seiner Fertigstellung wurde der Film kurzeitig von der Zensur verboten und erlebte Anfang 1922 seine Premiere. Da der Film zahlreiche Realien Ostraus zeigt, die heute nicht mehr existieren, stellt er auch ein wichtiges Dokument der Stadtgeschichte dar.

Literatur

Zu den bekanntesten tschechischen Autoren, die sich mit der Stadt und der Region literarisch auseinandergesetzt haben, zählt František Sokol-Tůma (1855–1925). In seinen Werken wie „Geschichten aus der Hölle“[26] (Povídky z pekla) und vor allem der Trilogie „Das schwarze Königreich“ (Černé království) mit den Teilen „Im Glanze der Millionen“ (V záři milionů, 1900/1901, ursprünglicher Titel: Ein Geschäftsmann), „Unter Tage“ (Na šachtě, 1904) und „Der Herr Fabrikdirektor“ (Pan závodní, 1909) thematisiert er neben dem schlesischen Landleben immer wieder das Milieu der Bergarbeiter und ihrer Familien. Seine Werke, die teilweise der sogenannten „Grenzlandliteratur“ zugeordnet werden können, wie etwa „Im Grenzland“ (Na Kresách, 1922), sind teilweise von antideutschen, antipolnischen und antijüdischen Ressentiments durchzogen. Gleich zwei Ostrava-Trilogien legte mit „Schwarze Erde“ (Černá země, 1926−1932) und „Die steinerne Ordnung“ (Kamenný řád, 1942−1954) Vojtěch Martínek (1887−1960) vor.

Einen wichtigen Platz nimmt seine Geburtsstadt (Schlesisch-)Ostrau im Schaffen von Ota Filip (1930−2018) ein, der 1974 nach Westdeutschland emigrierte und später auch auf Deutsch schrieb. In seinem ersten Roman „Das Café an der Straße zum Friedhof“ (Cesta ke hřbitovu, 1968) schildert er Schlesien in den Jahren 1938 bis 1945. Sein autobiographischer Roman Sedmý životopis aus dem Jahr 2000 lag bereits im Jahr darauf unter dem Titel Der siebente Lebenslauf in deutscher Sprache vor. Filips Roman Die Himmelfahrt des Lojzek Lapáček aus Schlesisch Ostrau (tschech. Nanebevstoupení Lojzka Lapáčka ze Slezské Ostravy) erschien 1973.

Eine der bekanntesten literarischen Beschreibungen der Stadt stammt von Ludvík Jahn, der Hauptfigur in Milan Kunderas (geb. 1929) Roman „Der Scherz“ (Žert), erschienen 1967. Jahn wird aus politischen Gründen von der Universität relegiert und muss sich mehrere Jahre in den Ostrauer Kohlegruben bewähren. Authentische Schilderungen der Arbeitsverhältnisse im Ostrauer Kohlerevier in der Zeit des Kommunismus finden sich auch in Ivan Landsmanns (1949−2017) im niederländischen Exil verfassten Roman „Bunte Schichten“ (Pestré vrstvy). Das 1986 fertiggestellte Buch konnte erst 1999 erscheinen und ist teilweise im Ostrauer Dialekt verfasst, was zur Authentizität der Darstellungen beiträgt.

Die Ostrauer Verhältnisse spiegeln sich auch in den Werken der Prosaisten Jan Balabán (1961−2010) und Jiří Hnát Daněk (1959−2017) sowie des Lyrikers Petr Hruška (geb. 1964) wider. Ein weiterer wichtiger Gegenwartsschriftsteller der Stadt ist Richard Sklář (geb. 1968), der auch unter dem Pseudonym Bruno Ligocki veröffentlicht. Das Ostrava der Zwischenkriegszeit und Kriegszeit schildert Marek Piętoň (geb. 1968) in seinem Roman „Das Buch Ester“ (Kniha Ester) aus dem Jahr 2016. Ivan Motýl (geb. 1967) gab 2013 den Band „Brikett: Ostrauer Poesie und Poesie über Ostrau 1894–2013“ (Briketa: Ostravská poezie a poezie o Ostravě 1894–2013) heraus. Er versammelt 163 Gedichte von 120 Autorinnen und Autoren, darunter etwa Čeněk Ostravický (1869–1912), Jaroslav Seifert (1901−1986), Milan Kundera und Jan Skačel (1922−1989).

Auch deutschsprachige Autorinnen und Autoren haben die Literatur der mährisch-schlesischen Region mitgeprägt, vor allem Maria Stona (eigentlich Maria Scholz, 1861−1944). Die Herrin des unweit von Ostrau gelegenen Schlosses Strzebowitz (tschech. Třebovice) machte den Familiensitz zu einem Zentrum des literarischen Lebens in der Region. Stona hinterließ ein umfangreiches Werk (Romane, Erzählungen, Gedichte, Reisebeschreibungen). Bekannteste jüdische Schriftstellerin der Stadt ist Ilse Weber (1903−1944). In der Zwischenkriegszeit erschienen in Ostrau zunächst verschiedene Kinderbücher von ihr, seit den 1990er Jahren wurden ihre Briefe, Lieder und Gedichte aus Theresienstadt veröffentlicht.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

378 Kriegsgräber des Ersten Weltkriegs (148 Polen, 70 Tschechen und Slowaken, 45 Italiener und 37 Rumänen) auf dem Friedhof in Heinrichsdorf wurden 1931 exhumiert und auf den Friedhof in Witkowitz überführt, wo für die Gefallenen ein Mausoleum errichtet worden war.

Am 30. April 1947, dem zweiten Jahrestag der Befreiung der Stadt, wurde das zentrale sowjetisch-tschechische Ehrenmal im Komenský-Park eingeweiht. Seit 1980 steht der zum Denkmal umfunktionierte Panzer 501, der als erster der 1. Tschechoslowakischen selbständigen Panzerbrigade Mährisch-Ostrau erreichte, unterhalb des historischen Rathauses von Schlesisch Ostrau.

In den 1990er Jahren wurden einige nach 1948 wegen antikommunistischer Tätigkeit verurteilte und hingerichtete Ostrauer posthum geehrt.

Am 18. Oktober 2009 wurde am Ostrauer Hauptbahnhof ein Mahnmal für die Opfer des Transportes enthüllt, mit dem am 18. Oktober 1939 aus Mährisch-Ostrau rund 1.000 jüdische Männer nach Nisko am San deportiert worden waren (Nisko-Plan). 2010 wurden die ersten 27 Stolpersteine zur Erinnerung an ermordete jüdische Mitbürger gelegt, 2015 kamen weitere 26 hinzu. An der Stelle der am 12./13. Juni 1939 von den deutschen Besatzern abgebrannten Hauptsynagoge wurde am 23. März 2017 im Stadtzentrum im Rahmen des Tempelfestes ein neues Denkmal für die etwa 8.000 während der Schoah ermordeten Ostrauer Juden errichtet.

4. Diskurse und Kontroversen

Von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung wurde der nach 1918 entstandene tschechoslowakische Staat nicht akzeptiert und die Zeit bis zur Eingliederung ins Großdeutsche Reich 1939 als Fremdherrschaft empfunden. Auch wurde von deutscher Seite der Vorwurf erhoben, die Gebietsreform von 1924 diene nicht wirtschaftlichen oder administrativen, sondern allein politischen Zwecken.

Das vorübergehende Ende des tschechoslowakischen Staates im März 1939 wurde von den Ostrauer Deutschen dann entsprechend begrüßt.

In jüngster Vergangenheit gab es um die Errichtung einer Gedenktafel für die nach dem Zweiten Weltkrieg umgekommenen oder ausgesiedelten deutschen Ostrauer heftige Kontroversen, die nach wie vor andauern. Im Herbst 2017 kündigte der Ostrauer Oberbürgermeister Tomáš Macura an, dass 2018 am Ort des ehemaligen Internierungslagers Hanke im Stadtteil Priwoz eine Gedenktafel für dessen mindestens 231 Opfer angebracht werde. Damit solle ein Beitrag zur Aufarbeitung der dunklen Seiten der eigenen Geschichte geleistet werden, über die viele Menschen nur wenig wüssten. Diesem Beschluss waren in der Stadt langwierige kontroverse Diskussionen vorausgegangen. Die Gedenktafel wurde am 15. Juni 2018 feierlich enthüllt und trägt die Aufschrift: „An diesem Ort befand sich in der Nachkriegszeit das Internierungslager für die deutsche Bevölkerung ‚Hanke‘. Im Mai und Juni 1945 wurden an diesem Ort Menschen ohne rechtstaatliche Grundlage gefoltert und ermordet.“

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Daniel Baránek: Židé na Ostravsku [Jüdisches Leben im Raum Ostrau]. Ostrava 2017.
  • Mährisch Ostrau. Die Stadt der Kohle und des Eisens. Topographie- und Propagations-Almanach unserer Städte. Übersetzt aus dem Tschechischen von Gustav Steiger. Olmütz 1940.
  • Lubomír Nenička: Druhá republika na Ostravsku 1938–1939 [Die Zweite Republik im Raum Ostrau 1938–1939]. Opava 2010.
  • Marek Otisk (Hg.): Město v nás. Příběhy ostravských Židů [Die Stadt in uns. Geschichten der Ostrauer Juden]. Ostrava 2004.
  • Nina Pavelčíková: Ostravská oblast v letech nacistické okupace (19381945) [Das Ostrauer Gebiet in den Jahren der nazistischen Okkupation (19381945)]. Opava 1990 (Publikace Slezského Ústavu ČSAV 30).
  • Blažena Przybylová u. a.: Ostrava. Historie / Kultura / Lidé [Ostrau. Geschichte / Kultur / Menschen]. Praha 2013.
  • Anna Spunda: Mähr.-Ostrau. Hg. v. d. Arbeitsgemeinschaft f. Heimatkunde in Mähr.-Ostrau. Reichenberg 1922.
  • Martin Strakoš: Nová Ostrava a její satelity. Kapitoly z dějin architektury 30.50. let 20. století [Das Neue Ostrau und seine Satelliten. Auszüge aus der Architekturgeschichte der 1930er bis 1950er Jahre]. Ostrava 2010.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Franz Wattolik: Beiträge zur Geschichte der Stadt M.-Ostrau. Mährisch-Ostrau 1881, S. 155.

[2] Spunda: Mähr.-Ostrau, S. 4.

[3] Vladimír Spáčil: Mährisch Ostrau. In: Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard, Miloslav Polívka (Hg.): Handbuch der historischen Stätten: Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998, S. 355–358, hier S. 355.

[4] Jaroslav Valenta, Otakar Káňa: Wywrotowa polityka mniejszości niemieckiej w Czechosłowacji w latach 1918−1939 [Irredentische Tätigkeit der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei in den Jahren 1918−1939]. In: Śląski Instytut Naukowy: Biuletyn 27. Katowice 1961, S.  31f.

[5] Bohuslav Žárský: Ostrava ve vzpomínkách [Ostrau in Erinnerungen]. Ostrava 2017, S. 76; Petr Přendík: 29 srpen 1944: Když Spojenci bombardovali Zábřeh nad Odrou [Als die Alliierten am 29. August 1944 Heinrichsdorf an der Oder bombardierten]. In: Krásná Ostrava 03/2017, S. 24–26.

[6] Martin Juřica: Ostrava v letech 1945–1989 [Ostrava in den Jahren 1945–1989]. In: Przybylová: Ostrava, S. 499–575, hier S. 502.

[7] Martin Otipka: Ostravsko-opavská operace 1945 v paměti českých veteránů [Die Operation Ostrau-Troppau in den Erinnerungen tschechischer Veteranen]. Ostrava 2010, S. 41.

[8] Martin Juřica: Ostrava v letech 1945–1989 [Ostrava in den Jahren 1945−1989]. In: Przybylová: Ostrava, S. 499−575, hier S. 502.

[9] Boleslav Navrátil: Ostrava [Ostrau]. Praha 2007, S. 20.

[10] Bis einschließlich 2001 nach: Jiřina Růžková, Josef Škrabal: Historický lexikon obcí ČR 1869–2005. 1. Díl [Historisches Lexikon der Gemeinden der Tschechischen Republik, 1869–2005. Teil 1] Praha 2006, S. 736f. URL: www.czso.cz/csu/czso/historicky-lexikon-obci-ceske-republiky-2001-877ljn6lu9 (Abruf 12.08.2017). Die historischen Angaben berücksichtigen auch jene Gemeinden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Mährisch-Ostrau eingemeindet wurden, wie etwa Přivoz (1924), Vίtkovice (1924), Svinov (1957), Poruba (1957) oder Zábřeh (1990).

[11] Český statistický úřad [Tschechisches Amt für Statistik]: Počet obyvatel v obcích České republiky k 1. 1. 2016 [Die Bevölkerung in den Kommunen der Tschechischen Republik zum 01.01.2016], S. 116, www.czso.cz/documents/10180/32853387/1300721603.pdf/cba78096-1cf5-4fde-b20a-3074b2f135f9 (Abruf 12.08.2017).

[12] Ivana Lesková: Ostravanů ubývá. Míří za město [Immer mehr Ostrauer zieht es ins Umland]. In: Mladá Fronta dnes, 24.04.2018, S. 13 (Regionalausgabe für die Region Mährisch-Schlesien).

[13] Radoslav Daněk, Josef Šerka, Hana Šustková: Dlouhé 19. století − Přerod průmyslové centrum Monarchie [Das lange 19. Jahrhundert: Die Geburt des industriellen Zentrums der Monarchie]. In: Przybylová: Ostrava, S. 171−334, hier S. 285.

[14] Rat der Stadt Mähr. Ostrau: Ostrau und das Ostrau-Karwiner Steinkohlenrevier. Berlin 1930, S. 9. (Die „Ausländer“ in Spalte 7 waren überwiegend polnischer Nationalität.)

[15] Alois Adamus: Dějiny Města Ostravy. V přehledu až do r. 1860 [Geschichte der Stadt Ostrau bis 1860]. Mor. Ostrava 1927, S. 82.

[16] Vladimír Spáčil: Mährisch Ostrau. In: Joachim Bahlke; Winfried Eberhard: Handbuch der historischen Stätten: Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998, S. 355–358, hier S. 356.

[17] Hugo Gold: Geschichte der Juden in Mährisch-Ostrau. In: Hugo Gold: Die Juden und die Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart. Berlin 1929, S. 372−378, hier S. 372.

[18] Gold: Geschichte der Juden in Mährisch-Ostrau, S. 277.

[19] Gold: Geschichte der Juden in Mährisch-Ostrau, S. 278.

[20] Šárka Glombíčková et al: Ostrava v rukou Nacistů [Ostrava in den Händen der Nazis]. In: Blažena Przybylová et al.: Ostrava. Historie / Kultura / Lidé [Ostrau. Geschichte / Kultur / Menschen]. Prag 2013, S. 457−497, hier S. 489.

[21] Vgl. hierzu Michal Frankl und David Lawson: Jewish Ostrava: Virtual Community and Digital Archive. The Ostrava Group in London and the Jewish Museum in Prague. In: Judaica Bohemiae XLVIII−1 (2013), S. 93−103.

[22] Vladimír Spáčil: Mährisch Ostrau. In: Joachim Bahlke; Winfried Eberhard: Handbuch der historischen Stätten: Böhmen und Mähren. Stuttgart 1998, S. 355–358, hier S. 356.

[23] Mährisch-Ostrau (Mähren). In: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum (online verfügbar:unter www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/m-o/1251-maehrisch-ostrau-maehren, letzter Zugriff 15.09.2020).

[24] Jaroslav Klenovský: Židovske památky Ostravy [Jüdische Spuren in Ostrava]. Ostrava 1997/98.

[25] Ostravská univerzita [Universität Ostrau]: Fakta a čísla 2016 [Fakten und Zahlen 2016], Ostrava 2016.

[26] Kaum einer der im Folgenden genannten Werke liegt in deutscher Übersetzung vor. Die deutschen Titel stammen vom Verfasser des vorliegenden Beitrags. Die deutsche Übersetzung gibt den Titel des tschechischen Originals möglichst wortgetreu wieder.

Zitation

Kai Witzlack-Makarevich: Mährisch-Ostrau/Ostrava. In:  Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2020. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32322 (Stand 30.07.2021).

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright © Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Projekts „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber vorliegt. Bitte kontaktieren Sie:

Wenn Sie fachliche Hinweise oder Ergänzungen zum Text haben, wenden Sie sich bitte unter Angabe von Literatur- und Quellenbelegen an die Redaktion.

(Stand: 19.01.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page