Russische Föderation

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Russland, Russische Föderation, Russländische Föderation[1]

Amtliche Bezeichnung

Rossijskaja Federacija

Etymologie

Die erste schriftliche Erwähnung fand der Begriff „Rus’“ in byzantinischen Quellen in der Mitte des 10. Jahrhunderts. In kyrillischen Schriften wurde das Wort erstmals 1387 verwandt. Im 15. und 16. Jahrhundert kam die Bezeichnung „Rossija“ für die von einer russischsprachigen Bevölkerung bewohnten Gebiete in Gebrauch, die nicht zu Polen und Litauen gehörten und in dem Moskauer Fürstentum vereinigt wurden. Offiziellen Status erhielt die Bezeichnung 1547 nach der Thronbesteigung Ivans IV. (1530−1584).

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) am 25. Dezember 1991 in Russische Föderation umbenannt.

2. Geographie

Lage

Das westlichste Territorium der Russischen Föderation ist die Exklave Oblast Kaliningrad (Kaliningradskaja oblast’). Das zusammenhängende Territorium des Landes wird im Westen durch die Ukraine, Weißrussland und die baltischen Staaten und im Nordwesten durch Finnland und Norwegen begrenzt, im Osten reicht es bis zum Pazifik. Im Norden liegt das Nordpolarmeer, im Süden grenzt die Russische Föderation an (von West nach Ost) Georgien, Aserbeidschan, Kasachstan, Mongolei, Chinesische Volksrepublik, Nordkorea. Mit 17,075 Mio. Quadratkilometern ist Russland das flächengrößte Land der Erde.

Topographie

Auf Europa entfallen 25 % und auf Asien 75 % des Staatsgebietes der Russischen Föderation. Der europäische Teil besteht im Wesentlichen aus dem osteuropäischen Tafelland. Es erstrecken sich weite Niederungen, die von schwach gegliederten Höhenrücken unterbrochen werden.

Die Grenze zwischen Europa und Asien bildet der Ural (Uralgebirge).

Die Weiten Sibiriens weisen stärkere Unterschiede im Relief auf. Erwähnenswert sind die sich östlich an den Ural anschließenden westsibirischen und nordsibirischen Tiefländer, darauf folgen das mittelsibirische Bergland, das südsibirische Gebirge und das ostsibirische Bergland.

Historische Geographie

Bis zur Aufnahme der Krim (als Föderationssubjekte Republik Krim und Stadt föderalen Ranges Sewastopol/Sevastopol’) am 21. März 2014 hat sich das Staatsgebiet der Russischen Föderation seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht verändert. Der Anschluss der Krim wurde am 24. März 2014 in einer Abstimmung von 100 (von 193) Mitgliedern der UN-Vollversammlung als ungültig verurteilt.

Verweise auf im Lexikon behandelte Regionen

3. Geschichte und Kultur

Periodisierung: Die neueste Geschichte der Russischen Föderation als Präsidialrepublik wird im Wesentlichen nach den Amtszeiten der bestimmenden Politiker, der Präsidenten, eingeteilt.

Der Machtkampf zwischen Boris Jelzin und dem Volksdeputiertenkongress (1992/93)

Bei den ersten russischen Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 1991, also noch vor dem Zerfall der Sowjetunion, wurde Boris Jelzin (El’cin, 1931–2007) zum russischen Präsidenten gewählt. Er profilierte sich als demokratischer Reformer und Konkurrent des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow (Gorbačëv). Vom 19. bis 21. August 1991 putschten konservative Kommunisten aus dem Militär und den Geheimdiensten gegen die Reformpolitik Gorbatschows. Nach dem Scheitern des Putsches gelang es Jelzin, seine Stellung zu stärken und Gorbatschow zu entmachten. Er und Vertreter der anderen Sowjetrepubliken beschlossen die Auflösung der UdSSR zum 31. Dezember 1991. Seit Anfang 1992 übt so die Russische Föderation die Funktion des Rechtsnachfolgers der UdSSR aus. Demokratische und marktwirtschaftliche Reformen wurden aber von dem kommunistisch dominierten Volksdeputiertenkongress blockiert. Präsident Jelzin griff zu verfassungswidrigen Mitteln und löste den Volksdeputiertenkongress mit Gewalt auf. Das Parlamentsgebäude, das Moskauer Weiße Haus, in dem sich etwa 100 Parlamentarier verschanzt hatten, ließ er im Herbst 1993 von Panzern beschießen. Die jetzige Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 durch eine Volksabstimmung angenommen und trat am 25. Dezember 1993 in Kraft. Durch sie wurde die Russische Föderation zur Präsidialrepublik mit vergleichsweise schwachen Kompetenzen des Parlamentes (Duma), des Föderationsrates und des Obersten Gerichtes. Russland ist nach § 65 seiner Verfassung ein Bundesstaat, der 85 Föderationssubjekte umfasst: 22 Republiken, neun Regionen (Kraj), 46 Gebiete (Oblast’), drei Städte föderalen Ranges (Moskau/Moskva, Sankt Petersburg/Sankt-Peterburg und Sewastopol), ein Autonomes Gebiet und vier Autonome Kreise. Die Zugehörigkeit der Föderationssubjekte Krim und Sewastopol zur Russischen Föderation ist international nicht anerkannt.

Die Präsidentschaft Jelzins unter der neuen Verfassung (1994–1999)

Gestützt auf seine neuen Vollmachten ging Präsident Jelzin vor allem daran, mit westlicher Unterstützung marktwirtschaftliche Reformen durchzusetzen. Jedoch gerieten gewisse Entwicklungen rasch außer Kontrolle. Die Freigabe der Preise führte, angesichts des großen Kaufkraftüberhangs, der in der Sowjetzeit durch den Warenmangel geschaffen worden war, zu einer Hyperinflation, die die Vermögen vieler Menschen mit geringeren Einkommen vernichtete. Folge war eine in der UdSSR nicht gekannte Massenarmut. Gleichzeitig gelang es einigen wenigen jungen Geschäftsleuten zu einflussreichen Oligarchen aufzusteigen, die auch die persönliche Umgebung von Präsident Jelzin zu beherrschen begannen. Viele russische Bürgerinnen und Bürger erinnern heute die Jahre Jelzins mit ihrem „Höhlenkapitalismus“ (peščernyj kapitalizm) als Zeit des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung und des Chaos, das sich in einer rasch sinkenden Geburtenrate, einem starken Rückgang der Lebenserwartung, vor allem der Männer, in Alkoholismus und Kriminalität äußerte. Angesichts des Hereinbrechens westlicher Konsum- und Denkmuster geriet auch die russische Hochkultur stark in die Krise, was sich zum Beispiel an einem deutlichen Rückgang der Buchauflagen ablesen lässt.

Nach dem Ende der UdSSR war die russische Regierung bemüht, ihren Einfluss in der Welt, insbesondere bei den Nachbarstaaten, den ehemaligen Sowjetrepubliken, zu konsolidieren. Zu diesem Zweck schuf Präsident Jelzin die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Die ehemaligen Sowjetrepubliken (außer den baltischen Staaten, die sich rasch nachdrücklich gegen russische Hegemonialansprüche abgrenzten) sollten als „nahes Ausland“ einen Sonderstatus erhalten. Jedoch scheiterten die meisten Kooperationsvorhaben auf GUS-Ebene. In den Gebieten der Russischen Föderation selbst, in denen nationale Minderheiten dominierten, regten sich zentrifugale Kräfte, vor allem in der Republik Tatarstan, die der Kreml durch bilaterale Verträge zu besänftigen versuchte. In Tschetschenien waren die Separatisten so radikalisiert, dass Moskau zu militärischen Mitteln griff, was zu einem bewaffneten Konflikt führte. Er wurde auf beiden Seiten mit großer Grausamkeit und Härte geführt. Der erste Tschetschenienkrieg 1994–1996 endete mit einem Rückzug der staatlichen Truppen und einem fragilen Kompromiss. Insgesamt hatte der Krieg eine weitere Diskreditierung des Präsidenten in weiten Teilen der Bevölkerung zur Folge.

Insgesamt verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt in der Regierungszeit Jelzins um mehr als 40 %. Als sich 1997/98 eine wirtschaftliche Erholung andeutete, brachen die für den Export zentralen Erdöl- und Erdgaspreise ein. 1998 musste Russland die Bedienung seiner Staatsschulden einstellen und die Dollarbindung des Rubels aufgeben. Es kam zu einer deutlichen Abwertung des Rubels, deren negative Folgen wiederum in erster Linie die Geringverdienenden zu tragen hatten.

Die ersten beiden Amtsperioden Vladimir Putins (2000 bis 2008)

Im Jahr 2000 gewann Vladimir Putin mit knapper Mehrheit die Präsidentenwahlen. Bereits als Ministerpräsident und designierter Präsident verantwortete er die Wiederaufnahme der Kämpfe in Tschetschenien im Frühherbst 1999, die eine Unterwerfung des Großteils des Landes unter die Macht der Zentrale mit sich brachten. Putin bemühte sich zunächst um gute Beziehungen zum Westen. Bald aber präsentierte er sich sowohl innen- als auch außenpolitisch als neuer starker Mann Russlands. In vielerlei Hinsicht wurden die liberaldemokratischen Errungenschaften der Präsidentschaft Jelzins zurückgeschraubt. So beschnitt Putin die Meinungsfreiheit der Medien auch ohne Zensur, durch wirtschaftlichen Druck. Ein Fanal an unbotmäßige Oligarchen war der Prozess gegen Michail Chodorkovskij , der signalisierte, dass nur unpolitische Milliardäre vor strafrechtlicher Verfolgung und Lagerhaft geschützt waren. Nach dem Terroranschlag in Beslan in Dagestan durch tschetschenische Terroristen im September 2004 schaffte Putin die Wählbarkeit der Gouverneure ab. Sie wurden fortan vom Präsidenten ernannt, womit die Machtträger vor Ort wieder stärker der Kontrolle Moskaus unterworfen wurden. So entstand ein System, das von Beratern Putins als „Machtvertikale“ oder „gelenkte Demokratie“ bezeichnet wurde. Zum Machterhalt gründete Putin im Dezember 2001 die Partei „Einiges Russland“ (Jedinaja Rossija), die sich als stabiler Faktor etablieren konnte. „Einiges Russland“ gelang es, mit Hilfe einer restriktiven Praxis bei der Parteienregistrierung, der Einführung einer Siebenprozenthürde und – wie viele westliche Beobachter behaupten[2] – durch Wahlbetrug, in der Duma eine überwältigende Mehrheit zu erringen. Die wenigen im Parlament verbliebenen anderen Parteien stellen keine tatsächliche Opposition dar. So nimmt die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) nationalchauvinistische Standpunkte ein, während die faschistoide Liberaldemokratische Partei Russlands (LDPR) von Vladimir Žirinovskij trotz der clownesken Auftritte ihres Vorsitzenden meist mit „Einiges Russland“ stimmte. Ermöglicht wurde dies durch einen (bis 2014) anhaltenden Wirtschaftsaufschwung. In erster Linie bedingt durch die hohen Preise für Erdöl und Erdgas wuchs die Wirtschaft derart, dass Russland als eines der perspektivreichsten Schwellenländer (BRIC) galt. Der Staat konnte aufgrund der Petrodollars und „Gaseuros“ auch das Klientelsystem seiner Unterstützer aufrechterhalten. Außenpolitisch wurde nun wieder der Anspruch vertreten, eine Großmacht zu sein, die mit allen anderen Mächten, auch den USA, auf Augenhöhe verhandeln könne. Von vielen Menschen in Russland wurde die erste Amtsperiode Putins als Zeit der Stabilität und wachsenden Wohlstands erlebt.

Das Interregnum Dmitrij Medvedevs (2008 bis 2012)

Im Jahr 2008 lief die zweite Amtszeit Putins ab, nun trat Dmitrij Medvedev an seinen Platz. Allgemein sprach man von dem Tandem Medvedev/Putin. Auch wenn Medvedev eine Modernisierung Russlands proklamierte, gelang es ihm nicht, ein markantes eigenes Profil zu gewinnen. Die in den Putin-Jahren geschaffenen Strukturen blieben im Wesentlichen unangetastet.

Die dritte Amtszeit Putins (seit 2012)

Seine dritte Amtszeit trat Putin als Bewahrer des Status quo und Garant für Stabilität an. Jedoch gab es in den Jahren 2013/14 gewisse Krisensymptome. Die Wirtschaft wuchs nicht mehr so rasch wie früher, und bei den Dumawahlen konnte „Einiges Russland“ nur eine knappe absolute Mehrheit wahren. Im März 2014 wurde die Krim der Russischen Föderation angeschlossen. In den folgenden Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine und der Zentralmacht in Kiew/Kyjiv/Kiev verhielt sich Moskau offiziell wohlwollend neutral gegenüber den Aufständischen. Nach Aussagen vieler westlicher Beobachter unterstützte es aber mit Waffen und auch durch die Entsendung von nicht als Kombattanten gekennzeichneten russischen Militärs die Abtrennung des Donbass von der Ukraine. Die 2. Minsker Vereinbarung vom 12. Februar 2015 führte schließlich zu einem (vorläufigen) Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen.

Im Herbst 2015 begann der Kreml erneut internationale Stärke zu demonstrieren, indem Putin die Bombardierung von Rebellenstellungen in Syrien befahl. Die neue aggressive Außenpolitik führte zu hohen Zustimmungswerten für Putin in der Bevölkerung, auch wenn die vom Westen nach dem Anschluss der Krim verhängten Wirtschaftssanktionen durchaus Wirkung zeigen. So wird für das Jahr 2015 und auch für das nächste Jahr ein negatives Wirtschaftswachstum vorausgesagt.

4. Deutsche in der Russischen Föderation

Statistik

Lebten nach den Volkszählungen von 1959 und 1989 genau 862.504 bzw. 842.295 Deutsche auf dem Gebiet der RSFSR, so waren es im Jahr 2010 in der Russischen Föderation 394.138, davon 223.984 oder 56,8 % in Städten und 170.154 oder 43,2 % auf dem Lande.(Gesamtbevölkerung: 73,7 % Städter und 26,3 % Landbewohner). Sie machten damit 0,3% der 142.856.536 russischen Bürgerinnen und Bürger aus. In der Statistik besonders angegeben werden die verbliebenen vier Mennoniten, drei lebten in der Stadt, einer auf dem Dorf. In der Region Altai mit 50.701 Menschen und im Gebiet Novosibirsk mit 30.924 Personen stellen die Deutschen nach wie vor die größte Minderheit.[3]

Aufbruch unter Gorbatschow und enttäuschte Hoffnungen unter Jelzin

Unter dem Schutz der Glasnost Gorbatschows begann sich auch eine Interessenvertretung der Russlanddeutschen zu formieren. Am 28. März 1989 wurde auf einer Konferenz im Moskauer Technischen Museum die Gesellschaft „Wiedergeburt“ (Vozroždenie) gebildet. Sie betonte ihre absolute Loyalität gegenüber der Sowjetmacht, forderte jedoch eine Wiederherstellung der autonomen Republik der Wolgadeutschen in den Grenzen von 1941. Das Programm zur Wiederherstellung der Wolgaautonomie war ein wesentlicher Aspekt der sowjetdeutschen Identität. Der juristische Durchbruch kam am 14. November 1989, als der Oberste Sowjet eine Deklaration billigte, die eine bedingungslose Wiederherstellung der Rechte aller sowjetischen Völker, die unter Repressionen gelitten hatten, vorsah. Dies sollte auch für die Deutschen gelten. Es kam aber zu massiven Protesten unter der ansässigen russischen Bevölkerung im Wolgagebiet. Boris Jelzin schickte im August 1990 an die Zweite Konferenz der „Wiedergeburt“ ein Grußtelegramm, in dem er den Beitrag der Sowjetdeutschen zum Sieg über den Faschismus durch ihre Arbeit würdigte, aber nur nebulöse Versprechungen machte.

Am 8. Januar 1992 machte Präsident Jelzin in einer Rede vor Werktätigen im Gebiet Saratow (russ. Saratovskaja oblast’), die im Fernsehen übertragen wurde, klare Aussagen: Es gebe keine Autonomie für ein Gebiet, in dem die Wolgadeutschen keine Mehrheit bildeten, es keine kompakte Ansiedlung gäbe. Er stellte den Deutschen das unbesiedelte Raketentestgelände Kapustin Jar im Wolgograder Gebiet in Aussicht. Wenn dort die Deutschen 90 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, könne über einen autonomen Bezirk oder vielleicht einen nationalen Rayon der Wolgadeutschen gesprochen werden. Für die Wolgadeutschen werde in dem Territorium, in dem jetzt überwiegend Russen siedelten, kein einziges Haus abgetragen. Es folgte zwar der Ukas vom 21. Februar 1992 „Über die sofortige Rehabilitierung der Russlanddeutschen“, dies änderte aber nichts an der Haltung Jelzins gegenüber der russlanddeutschen Autonomie.

Massenhafte Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland

Bis zur ersten Jahreshälfte 1989 hielt sich die Auswanderung der Deutschen aus der Sowjetunion trotz der liberalen Ausreisepraxis in Grenzen. Im Jahr 1988 verließen ca. 50.000 Deutsche die UdSSR, in der ersten Jahreshälfte 1989 waren es 48.000. Erst danach nahm die Emigration nach Deutschland Massencharakter an, worauf die russischen Behörden ratlos reagierten.

Insgesamt reisten von 1950 bis 2012 genau 2.361.485 Deutsche aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten in die Bundesrepublik Deutschland aus, davon von 1990 bis 2000 allein 1,7 Millionen.

Insgesamt ergeben sich folgende Zahlen an deutschen (Spät-)Aussiedlern[4] aus der Sowjetunion bzw. der Russischen Föderation für die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion[5]:

1990

147.950
(UdSSR)

2002
44.493
1991

146.333
(UdSSR)

2003
39.404
1992
55.882
(RF)
2004
33.358
1993
67.3652005
21.113
1994
68.3972006
5.189
1995
71.6852007
3.735
1996
63.3112008
2.682
1997
47.0552009
1.935
1998
41.0542010
1.462
1999
45.9512011
1.257
2000
41.4782012
1.119
2001
43.885

Ab dem Jahr 2003 sank die Zahl der Einreisen, besonders ab 2006, in erster Linie infolge des bundesdeutschen Zuwanderungsgesetzes und der damit geänderten Einbeziehungsvoraussetzungen für Ehegatten und andere Angehörige.

Im deutschen Mikrozensus 2011 gaben ca. 3.213.000 Personen an, (Spät-)Aussiedler zu sein, davon kamen ca. 612.000 aus dem Gebiet der Russischen Föderation.[6] 26,3 % der deutschen Aussiedler aus der Russischen Föderation besitzen nach wie vor eine doppelte Staatsangehörigkeit.[7]

In jüngerer Zeit ist zudem eine Remigration in die Russische Föderation und nach Kasachstan zu beobachten. Auch wenn sie eine deutlich geringere Größenordnung aufweist, zeugt sie doch davon, dass die Migration nicht nur in eine Richtung verläuft und nicht ‚abgeschlossen‘ ist.

Deutsche in der Russischen Föderation seit 1992

Vom 20. bis 22. März 1992 und vom 26. bis 28. Januar 1993 fanden weitere Konferenzen der russlanddeutschen Vertreter statt. Sie waren enttäuscht von der staatlichen Politik und der wirtschaftlichen Situation und fürchteten interethnische Konflikte. Der noch auf der ersten Konferenz vom 18. bis 20. Oktober 1991 gewählte Rat der Deutschen in der UdSSR wurde in „Interstaatlicher Rat der Deutschen der ehemaligen UdSSR“ umbenannt und verstand sich als eine Art Volksparlament. Er wurde weder von der russischen noch von der deutschen Seite offiziell anerkannt. Der Rat äußerte sich besonders besorgt über das Schicksal der Deutschen in den ehemaligen Sowjetrepubliken Mittelasiens.

In der Region Altai und dem Gebiet Omsk wurden kleine deutsche nationale Rayons gebildet, die sich aber nicht zu Nuklei größerer deutscher Siedlungsgebiete entwickelten.

Am 4. Juli 1992 unterzeichnete Präsident Jelzin ein Gesetz, in dem die Unveränderlichkeit der territorialen Grenzen innerhalb der Russischen Föderation verfügt wurde. Im Dezember 1992 wiederum erließ der Präsident einen Ukas „Über die Gründung des Fonds ‚Die Russlanddeutschen‘“. Mit den Mitteln sollten Projekte der Russlanddeutschen gefördert werden, so der Bau von Containersiedlungen im Wolgagebiet für Deutsche aus Mittelasien.

Mit der massenhaften Ausreise von Russlanddeutschen verloren ihre Verbände wie „Wiedergeburt“ oder der Interstaatliche Rat an politischem Einfluss. Trotzdem entfaltete sich ein reges deutsches Kulturleben, auch mit Hilfe bundesdeutscher Einrichtungen, die auf dem Gebiet der Russischen Föderation deutsche Häuser und andere Niederlassungen eröffneten. Anfang der 1990er Jahre wurde beispielsweise die St. Petersburgische Zeitung auf Deutsch gegründet. In der Stadt Kemerowo/Kemerovo entstand ein bedeutendes germanistisches Zentrum.

Im Jahr 1996 nahm die Staatliche Duma das Gesetzesprojekt „Über die Föderale Nationalkulturelle Autonomie“ an, das den Nationalitäten in der Russischen Föderation galt, die über keine territoriale Basis verfügten. Auf dieser Grundlage und auf örtliche Initiativen hin wurde im Dezember 1997 die erste föderale Konferenz der nationalkulturellen Autonomie der Russlanddeutschen durchgeführt. An ihr nahmen 152 Delegierte teil, die 21 regionale Organisationen vertraten. Vorsitzender des Bundesverbandes wurde Vladimir A. Bauer (1946−2007), ehemaliger Dumaabgeordneter und damals Vertreter des Präsidenten der Russischen Föderation für Nationalitäten und föderale Beziehungen. Aus Unzufriedenheit über den Kurs von Bauer schied ein Teil der Delegierten bald wieder aus dem Verband aus.

Auf staatlicher Seite war die Abteilung für Angelegenheiten der Russlanddeutschen des Ministeriums für Nationalitätenfragen für die Probleme der Russlanddeutschen zuständig. Mit der Verteilung von Mitteln durch die Abteilung waren die Vertreter der Russlanddeutschen oft unzufrieden. Dies wurde auch deutlich bei der Verwirklichung des von Präsident Jelzin unterschriebenen Föderalen Zielprogramms der Entwicklung der sozioökonomischen und kulturellen Basis der „Wiedergeburt“ der Russlanddeutschen, die eine besondere Förderung kultureller Projekte bis zum Jahr 2006 vorsah.

Der Regierungsantritt Gerhard Schröders in der Bundesrepublik im Jahre 1998 führte zu einer wesentlichen Kürzung der deutschen Mittel für Kultureinrichtungen auf dem Gebiet der Russischen Föderation. Auf russischer Seite wurde im Jahr 2000 die Abteilung für Probleme der Russlanddeutschen bei dem Ministerium für Nationalitätenfragen und Regionalpolitik gegründet. Die deutschen Vereine waren durch den Exodus der Russlanddeutschen hinsichtlich ihrer Mitgliederzahl stark dezimiert. Der Interstaatliche Rat der Russlanddeutschen ließ sich 1999 nicht wieder registrieren, während die Leitung der „Wiedergeburt“ sich 2000 mit der Föderalen Nationalkulturellen Autonomie faktisch vereinigte. Zwei andere Organisationen, der Internationale Verband für deutsche Kultur und der Staatlich-Gesellschaftliche Fond „Die Russlanddeutschen“ versuchten im gleichen Jahr die Kräfte der Russlanddeutschen erneut zu konsolidieren, indem sie im März die Gründungskonferenz der gesamtrussischen politischen Bewegung „Wiedergeburt – Einheit – Zustimmung“ durchführten. Angesichts reduzierter Unterstützung aus der Bundesrepublik wollte man sich auf die eigenen Kräfte besinnen. 2008 bestätigte die Regierung der Russischen Föderation das Programm für eine „Sozioökonomische und ethnokulturelle Entwicklung der Russlanddeutschen“. Es stellte beträchtliche Mittel zur Verfügung.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • György Dalos: Geschichte der Russlanddeutschen. Von Katharina der Großen bis zur Gegenwart. München 2014.
  • Andreas Kappeler: Russische Geschichte. 6., aktual. Aufl. München 2014 (Beck’sche Reihe 2076: C. H. Beck Wissen) (insb. Kapitel II: Epochen der politischen Geschichte, Abschnitt Russländische Föderation (ab 1991), und Kapitel III: Problemfelder).
  • Ignaz Lozo: Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion. Köln, Weimar, Wien 2014.
  • Leonid Luks: Geschichte Russlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin. Regensburg 2000 (insb. Kapitel X: Das postkommunistische Russland unter Boris Jelzin – Auf der Suche nach Identität).
  • Birgit Menzel, Christine Engel (Hg.): Rückkehr in die Fremde? Ethnische Remigration russlanddeutscher Spätaussiedler. Berlin 2014 (Ost-West-Express 21).
  • Margareta Mommsen, Angelika Nußbaumer: Das System Putin. Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland. München 2007 (Beck’sche Reihe 1763).
  • Heiko Pleines, Hans-Henning Schröder: Länderbericht Russland. Bonn 2010 (Schriftenreihe / Bundeszentrale für politische Bildung 1066).
  • Richard Sakwa: Putin redux. Power and contradiction in contemporary Russia. London, New York 2014.
  • Susanne Worbs, Eva Bund, Martin Kohls, Christian Babka von Gostomski: (Spät-)Aussiedler in Deutschland. Eine Analyse aktueller Daten und Forschungsergebnisse. Nürnberg 2013 (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Forschungsbericht 20).

Weblink

  • www.rusdeutsch.ru/?hist=1&hmenu0=10 (Глава 10. НЕМЦЫ В НОВОЙ РОССИИ / Glava 10. Nemcy v novoj Rossij [Kap. 10. Die Deutschen im neuen Russland]; russischsprachige Darstellung zur Geschichte der Deutschen in Russland)

Anmerkungen

[1] „Russländische Föderation“ ist die genauere Übersetzung der offiziellen russischen Bezeichnung. Sie spiegelt die russische Differenzierung zwischen russkij (auf das russische Volk bezogen) und rossijskij (die gesamte Staatlichkeit betreffend, die eine Vielzahl von Ethnien vereint) wider.

[2] Siehe zum Beispiel Peter Klimek, Yuri Yegorov, Rudolf Hanel, Stefan Thurner: Statistical detection of systematic election irregularities. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 109 (2012), H. 41, S. 16469−16473; Nikolaj Petrov: Legitimität, Repression, Kollaps. Entwicklungsstadien des Putin-Regimes. In: Osteuropa 64 (2014), H. 8, S. 85−98, hier S. 86; Mischa Gabowitsch: Putin kaputt? Russlands neue Protestkultur. Berlin 2013 (Edition Suhrkamp 2661), Kapitel II; Sakwa: Putin redux, S. 118.

[3] Zu den Ergebnissen der Volkszählung von 2010 siehe in ihrem die Nationalitäten betreffenden Teil unter der URL www.gks.ru/free_doc/new_site/perepis2010/croc/perepis_itogi1612.htm (Abruf 09.12.2015).

[4] Nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) werden Personen, die bis Ende 1992 auf Basis des BVFG zuwanderten, als Aussiedler bezeichnet. Durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 wurde diese Rechtsfigur für die Zeit nach dem 01.01.1993 durch die des Spätaussiedlers abgelöst.

[5] Nach Worbs u. a.: (Spät-)Aussiedler in Deutschland, S. 32f.

[6] Im Bundesvertriebenengesetz §1, Abs. 2, Nr. 3 werden als Aussiedlungsgebiete benannt: „die ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen und die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien und China“, zitiert nach Worbs u. a.: (Spät-)Aussiedler in Deutschland, S. 21, FN 5.

[7] Worbs u. a.: (Spät-)Aussiedler in Deutschland, S. 38, 41.

Zitation

Georg Wurzer: Russische Föderation. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p41372 (Stand 16.12.2015).

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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