Temeswar/Timişoara

1. Toponymie

Deutsche Bezeichnung

Temeswar; seit etwa 1920 auch Temeschburg; in Österreich auch Temeschwar

Amtliche Bezeichnung

rum. Timişoara

Anderssprachige Bezeichnungen

ung. Temesvár; serb. Temišvar; lat. castrum Tymes, castrum Tymesiensis

Etymologie

"Temesch" ist der Name des Hauptflusses im Banat, "-war" die eingedeutschte Form des ungarischen vár (= Burg).

2. Geographie

Lage

Temeswar liegt auf 45° 45' nördlicher Breite, 21° 13' östlicher Länge im Südosten des Pannonischen Beckens bzw. des mittleren Donauraumes im Schnittbereich alter Handelsstraßen von der Ostsee zur Ägäis bzw. von der Adria und Mitteleuropa zum Schwarzen Meer.

Topographie

Temeswar befindet sich am Übergang von der "höheren Ebene" des Banats, einem lößüberdeckten, pleistozänen Schwemmfächer der Marosch, zu der einst amphibischen "niederen Ebene", der sehr breiten Aue des Temeschflusssystems. Dabei entwickelte sich die Stadt an einem der wenigen Übergänge über dieses Flusssystem, den sie als "Burg", also als befestigte Stadt, sicherte.

Region

Temeswar war die Hauptstadt der historischen Region Banat, heute ist es das Zentrum von deren rumänischem Teil.

Staatliche und administrative Zugehörigkeit

Temeswar ist die größte und wirtschaftlich bedeutendste Stadt im Westen Rumäniens. Seit 1968 ist es Hauptstadt des Kreises Temesch (Judeţ Timiş). Im Vorfeld des EU-Beitritts Rumäniens 2007 wurde es Sitz der neu geschaffenen "Entwicklungsregion V Vest", die der NUTS II-Stufe der territorialen EU-Verwaltungsgliederung angehört. Temeswar ist ferner Sitz eines rumänisch-orthodoxen Metropoliten, eines römisch-katholischen und eines serbisch-orthodoxen Bischofs.

3. Geschichte und Kultur

Gebräuchliche Symbolik

Die Flagge der Stadt zeigt ein weißes oder silbernes Kreuz auf rotem Grund.
Das Wappen existiert seit der Erhebung zur königlichen Freistadt, die bis heute durch die siebenzackige Mauerkrone auf dem Wappenschild versinnbildlicht wird. Der Schild ist in drei Teile geteilt. Die untere Hälfte zeigt die Festung auf grünem Grund mit vorbeifließender Bega; links über der Festung steht die Sonne, rechts der abnehmende Mond als Symbole für die Siege der Habsburger über das Osmanische Reich. Die obere Hälfte ist vertikal geteilt: Links befanden sich bis Ende des Ersten Weltkriegs vier waagerechte silberne Balken auf rotem Grund, welche die vier Hauptflüsse des Banats symbolisierten. Seit der Zwischenkriegszeit – ausgenommen in der sozialistischen Ära – wacht dort ein goldener Löwe über der silbernen Trajansbrücke auf rotem Grund. Rechts oben befindet sich ein mit zwei Stadtflaggen geschmückter Wasserturm auf blauem Grund. Nach 1989 wurde die rechte Flagge durch das Symbol der damals in Temeswar ausgebrochenen rumänischen Revolution, die rumänische Trikolore mit Loch (dem ausgeschnittenen sozialistischen Wappen), ersetzt.
Als Brustschild zierte der habsburgische Doppeladler mit den Insignien Josephs II. das Wappen; nach dem Ersten Weltkrieg wurde es durch das schwarz-weiß geviertelte Hohenzollern-Wappen des rumänischen Königshauses ersetzt.

Gebräuchliche oder historische Beinamen

Der bis heute gebräuchliche Beiname "Klein-Wien" weist auf die enge Bindung des ab 1718 wieder aufgebauten Banater Vorortes an die Hauptstadt des Habsburgerreiches sowie auf Parallelen in der Funktion, Architektur und Lebensweise der beiden Städte hin.

Archäologische Bedeutung

Das Kerngebiet der Stadt liegt in einem Senkungsgebiet und war häufig Kriegsereignissen ausgesetzt, sodass archäologische Relikte verschüttet bzw. zerstört wurden. Lediglich im nördlichen Stadtgebiet finden sich limesartige Strukturen, die der kurzzeitigen römischen Herrschaft im Banat zugeschrieben werden.

Mittelalter

1154 wird der Ort erstmals in einer arabischen Quelle erwähnt. 1177 wird ein comitatus Tymesiensis genannt, was die Existenz eines Verwaltungssitzes in der später größten Siedlung der Region vermuten lässt. 1212 nennt eine Urkunde Andreas' II. ein castrum Tymes, dessen Lage aber unbekannt ist. 1266 wird die Stadt in einer Schenkungsurkunde Stephans II. erwähnt; sie existiert zu dieser Zeit offenbar schon länger als "Burg", also als zentraler, befestigter Ort.

1307–1315 ließ Karl I. Robert von Anjou Temeswar von italienischen Städtebaumeistern zu einer Festung ausbauen, die ihm von 1315 bis 1323 als Königssitz diente. Mehrere Klöster wurden gegründet; der Franziskaner Pelbart von Temeswar (ca. 1435–1504) ist als Bibelkommentator und Prediger berühmt geworden.

1394 standen osmanische Truppen erstmals vor der Stadt. Bis zu ihrer Eroberung 1552 diente sie häufig als Aufmarschplatz für Feldzüge gegen die Osmanen und war ein Eckpfeiler der Türkenabwehr. Große Bedeutung erlangte Temeswar unter dem 1441 zum Grafen von Temesch ernannten Johannes Hunyadi, der 1446–1456 ungarischer Reichsverweser war. Er baute die Stadt nach einem Erdbeben 1443 wieder auf und machte sie zu seinem Hauptsitz. Nach seinem Tod während der Schlacht von Belgrad (1456) sank die Bedeutung der Stadt.

Neuzeit

1514 wurde der Bauernaufstand unter Georg Doscha (György Dózsa, Gheorghe Doja) vor den Mauern Temeswars blutig niedergeschlagen. Auf dem Richtplatz des Anführers wurde später eine Marienkapelle errichtet. Während der ab 1520 unter Süleyman dem Prächtigen wieder einsetzenden Eroberungszüge gegen Wien bildete Temeswar lange ein stabiles Bollwerk der Türkenabwehr. Während Belgrad/Beograd 1521, Mohatsch/Mohács 1526 und Ofen/Buda 1541 fielen, konnte diese Sumpffestung erst 1552 nach mehrfacher Belagerung erobert werden. Temeswar gelangte anschließend für 164 Jahre unter osmanische Herrschaft. Gleichrangig mit Ofen und Belgrad war der Ort Hauptstadt eines Paschaliks, behielt seine zentralen Funktionen und galt den Osmanen als Sprungbrett für die Eroberung Europas: "…jene, die Buda erobern, haben eine Stadt erworben, aber die, die Temeswar erobern, haben ein Land gewonnen", besagte ein türkischer Spruch. In den Rückeroberungskriegen nach 1683 konnten die Habsburger die osmanische Festung Temeswar, anders als Festungen wie Belgrad (1688), Nisch/Niš (1691) oder Sarajewo/Sarajevo (1697), nicht besetzen. Daher blieb sie samt ihrem Umland, dem späteren Banat, auch im Frieden von Karlowitz/Karlovci (1699) beim Osmanischen Reich. Erst Prinz Eugen gelang es im dritten Türkenkrieg, die Festung nach fast zweimonatiger Belagerung am 12. Oktober 1716 einzunehmen. Mit dem Frieden von Passarowitz/Požarevac (1718) wurde Temeswar als Hauptstadt und zentrale Festung des neuen Kronlandes Banat direkt dem Kaiser unterstellt. Der Wiener Hof entschied, die zerstörte Stadt nach barocken Planvorstellungen neu aufzubauen und mit einer Vauban-Festung zu umgeben. Die Stadt erhielt ihre bis heute erhaltene Struktur: die Innenstadt ("Festung" genannt) mit ihrem Gitternetzgrundriss und im Abstand der Schussfeldtiefe vier Vorstädte, darunter die für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und des ganzen Banats wichtige Vorstadt "Fabrik". 1778 musste Kaiserin Maria Theresia dem Druck der ungarischen Magnaten nachgeben und das Banat ins "Gebiet der Stephanskrone" rückgliedern. Temeswar wurde zum Komitatsvorort herabgestuft und erlangte seine vormalige administrative Bedeutung nie wieder. Im Gegenzug wurde es 1781 von Kaiser Joseph II. zur königlichen Freistadt erhoben und erhielt damit Privilegien, was der wirtschaftlichen Entwicklung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs starken Auftrieb verlieh.

Bild


Ein typisches Wohngeschäftshaus im
Sezessionsstil an der Südseite des
Domplatzes (Foto: 2008) [© H. Rieser].

Im Zuge des ungarischen Aufstands gegen die Habsburger 1848/49 wurde Temeswar ein letztes Mal belagert (25.4.–9.8.1849), dann von habsburgischen Truppen unter General Haynau entsetzt. Nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes wurden die "Serbische Woiwodschaft und das Temescher Banat" mit der Hauptstadt Temeswar aus dem Stephansreich ausgegliedert und als Kronland direkt Wien unterstellt. Bereits elf Jahre später musste der Kaiser 1860 den alten Zustand wiederherstellen und Temeswar fiel in die Rolle eines ungarischen Komitatsvorortes zurück. Obwohl politisch und administrativ weniger bedeutend, nahm Temeswar in den Gründerjahren (1868–1918) eine herausragende, nicht selten eine Vorreiterrolle bei der wirtschaftlichen, technischen und urbanen Entwicklung Österreich-Ungarns und Südosteuropas ein. Die Magyarisierungspolitik dieser Zeit hinterließ in Temeswar geringere Spuren als in anderen ungarischen Großstädten.

Zeitgeschichte

Nach dem Ersten Weltkrieg war das Banat zwischen Serbien und Rumänien umstritten. Temeswar wurde am 19.11.1918 erst von serbischen, dann am 3.8.1919 von rumänischen Truppen besetzt. Im Vertrag von Trianon (1920) wurde die Stadt zusammen mit den nordöstlichen zwei Dritteln des Banats Rumänien zugesprochen. Durch den Wechsel der Zugehörigkeit zum weniger entwickelten Rumänien, die damit verbundene Zerschneidung wirtschaftlicher Verflechtungen mit dem Westen und die Depression der frühen 1930er Jahre wurde die Entwicklung der Stadt in der Zwischenkriegszeit stark gehemmt. Erst in der Vorkriegs- und Kriegskonjunktur blühte das Wirtschaftsleben kurzfristig wieder auf.

In beiden Weltkriegen kaum von Kriegshandlungen direkt betroffen, erlebte die Stadt jeweils danach längere Stagnations-, kurzzeitig sogar Rückschrittsphasen.

Im sozialistischen Rumänien war Temeswar Hauptstadt einer Region bzw. ab 1968 eines Kreises (Judeţ) und eine bedeutende Industriestadt, ihre Entwicklung aber war wegen der fehlenden sozialistischen Schlüsselindustrie, der vielen Minderheiten und der Lage an der "unsicheren" Westgrenze deutlich gehemmt.

Die periphere Lage der Stadt, ihre in den Augen der Zentralmacht geringe Bedeutung und die Multiethnizität ihrer Bevölkerung sind Gründe dafür, dass die "Revolution" in Rumänien am 15.12.1989 bei der ungarischen Minderheit Temeswars in Gang kam. Sie wurde von einer multiethnischen, multilingualen Studentenschaft, die aber völlig hoffnungslos war, über die kritischen ersten Tage getragen und schließlich von der Arbeiterschaft zum Erfolg geführt.

Nach einer Depressionsphase bis Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich die Stadt nach Bukarest/Bucureşti und Hermannstadt/Sibiu am besten in ganz Rumänien. Sprachenvielfalt und Lage ermöglichten einen intensiven Austausch mit dem "Westen", vor allem mit Italien, Ungarn und dem deutschsprachigen Raum.

Verwaltung

Das Munizipium Temeswar wird von einem gewählten Stadtrat regiert und von einem direkt gewählten Bürgermeister repräsentiert und verwaltet.

Bevölkerung

Nach der Eroberung durch die Osmanen (1552) und erneut nach der Rückeroberung durch die Habsburger (1716/18) wurde jeweils nahezu die gesamte Einwohnerschaft ausgetauscht. Nach 1716 wurde die Stadt durch die Abordnung von Militärs und Beamten sowie mittels der Anwerbung von Handwerkern und Kaufleuten wieder aufgesiedelt. Seither wuchs sie nahezu kontinuierlich. Besondere Schübe gab es durch die Zuwanderung von Arbeitskräften in der "Gründerzeit" zwischen 1880 und 1910 (Anstieg der Einwohnerzahl von 33.000 auf 72.000) und durch die sozialistische Industrialisierung zwischen 1948 und 1992 (von 112.000 auf 330.000 Einwohner). Kurze Stagnationsphasen erlebte diese Entwicklung in der 1873er-Krise, während der beiden Weltkriege und in den 1990er Jahren.

2011 wurden in Temeswar 301.761 Einwohner gezählt. Damit ist es nach Bukarest/Bucureşti und Klausenburg/Cluj-Napoca die drittgrößte Stadt Rumäniens.

Ethnische Gruppen

Nach der Rückeroberung 1716/18 wurde Temeswar aus militärischen und merkantilistischen Gründen schnell wiederbesiedelt. Zum einen nahmen Stadt und Umland den Flüchtlingsstrom meist orthodoxer Christen aus dem Osmanischen Reich auf, vorwiegend Serben, aber auch Rumänen und Bulgaren. Zum anderen war der Zuzug oder die Abordnung von Personen aus dem gesamten Habsburger Machtbereich wichtig, hauptsächlich Deutsche, aber auch Ungarn und in geringerer Zahl Tschechen, Slowaken und Franzosen. Benötigte Spezialisten wurden aus ganz Europa angeworben, z. B. Italiener (Seidenraupenzucht, Reisanbau) oder Holländer (Wasserbau). Temeswar ist seit dieser Zeit eine von vielen ethnischen Gruppen geprägte Stadt, von denen aber bis in die 1960er Jahre keine eine absolute Dominanz ausübte. Anfangs sollten innerhalb der Festung nur deutsche Katholiken angesiedelt werden, was aber nie eingehalten wurde. Die Namen der Vorstädte zeigen, welche Gruppe überwog: "deutsche Maierhöfe", später Josephstadt, und "rumänische Maierhöfe", später Elisabethstadt. Die Fabrikstadt mit ihren Manufakturen, später vielen Industriebetrieben, zog Arbeitskräfte aus allen Gruppen an und war daher stets am stärksten ethnisch durchmischt.

Neben mehr als fünfzehn kleineren prägen seit 1718 vier große Minderheiten die Bevölkerung der Stadt. Im 18. Jahrhundert spielten die Serben eine größere Rolle, im 19. Jahrhundert sank ihr Anteil aber von gut 10 % auf etwa 3 % ab. Seit der Zwischenkriegszeit stellen sie gut 2 % der Bevölkerung. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts stieg der Anteil der Ungarn bis zum Ersten Weltkrieg von 11 % auf 40 % an und nimmt seither kontinuierlich ab. Der Anteil der Rumänen, die bis in die 1850er Jahre die zweitstärkste Gruppe gebildet hatten, ging nach 1867 bis zum Ersten Weltkrieg von 18 % auf unter 10 % zurück; in der Zwischenkriegszeit stellten sie rund ein Viertel der Temeswarer Bevölkerung und nach dem Zweiten Weltkrieg gut die Hälfte.

Die deutschen Einwohner Temeswars bildeten von 1716 bis zum Ersten Weltkrieg die wirtschaftlich, gesellschaftlich und meist auch politisch einflussreichste Gruppe. Zahlenmäßig lag ihr Anteil im 18. Jahrhundert sowie zwischen 1880 und 1900 bei leicht über 50 % und sank in der Zwischenkriegszeit auf 30 % ab. Obwohl die Deutschen aus Rumänien nicht vertrieben wurden, verringerte sich ihre Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg durch Kriegsereignisse, Flucht und Deportation in die Sowjetunion auf fast die Hälfte. Insbesondere nach 1977 siedelten viele von ihnen in die Bundesrepublik aus. Nach der Grenzöffnung 1990 kam es zu einem Exodus, sodass 1992 nur noch 3,9 % der Temeswarer Bevölkerung Deutsche waren. Seither sinkt ihr Anteil kontinuierlich.

Tabelle 1

Anteil der vier großen ethnischen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Temeswars[1]

Jahr

Gesamt

Rumänen

Deutsche

Ungarn


"Jugoslawen"*



absolut

in %

absolut

in %

absolut

in %

absolut

in %

1854

20.560

3.807

18,52

8.775

42,68

2.346

11,41

1.770

8,61

1880

33.694

3.403

10,10

19.071

56,60

7.780

23,09

1.752

5,20

1890

39.884

3.613

9,06

22.301

55,91

10.657

26,72

1.545

3,87

1900

53.033

3.440

6,49

25.673

48,41

17.864

33,68

1.423

2,68

1910

72.555

7.566

10,43

31.644

43,90

28.552

39,35

3.482

4,80

1930

102.390

25.207

24,62

33.162

32,39

31.773

31,03

2.237

2,18

1956

142.257

75.855

53,32

24.326

17,10

29.968

21,07

3.065

2,15

1966

174.243

109.100

62,61

25.058

14,38

31.016

17,80

4.188

2,40

1977

269.353

191.742

71,19

28.429

10,55

36.724

13,63

7.069

2,62

1992

334.115

274.511

82,16

13.206

3,95

31.785

9,51

7.841

2,35

2002

317.660

271.677

85,52

7.157

2,25

24.287

7,65

6.311

1,98

* Serben, Kroaten, Slowenen (1992 werden die Slowenen unter "andere Nationalitäten" geführt)

Tabelle 2

Entwicklung der Nationalitäten in Temeswar[2]

Jahr

1930

1956

1966

1977

1992

Gesamtbevölkerung

102.390

142.257

174.243

269.353

334.115

Rumänen

25.207

75.855

109.100

191.742

274.511

Ungarn

31.773

29.968

31.016

36.724

31.785

Deutsche

33.162

24.326

25.058

28.429

13.206

Roma/Zigeuner

379

122

120

1.109

2.668

Ukrainer

63

56

71

299

756

"Jugoslawen" *

2.237

3.065

4.188

7.069

7.841

Russen

717

135

174

163

90

Juden

7.264

6.700

2.590

1.629

549

Tataren

2

6

3

5

4

Slowaken

652

575

490

404

675

Türken

67

15

28

27

27

Bulgaren

279

280

475

942

1.314

Tschechen


649

516

481

227

Griechen

8

34

43

35

48

Polen

105

181

149

123

84

Armenier

11

42

54

42

37

andere Ethnien

202

177

137

125

267

nicht deklariert

262

71

31

5

26

* Serben, Kroaten, Slowenen (1992 werden die Slowenen unter "andere Nationalitäten" geführt)

Wirtschaft

Die Wirtschaft der Stadt profitiert bis heute von einem landwirtschaftlich außerordentlich ertragreichen Umland und von der Nähe des Banater Berglands mit seinen Bodenschätzen, Rohstoffen und Halbfertigprodukten. Parallel zum Aufbau der Festung wurde östlich die "Fabrikstadt" mit modernsten Manufakturen errichtet. Aus ihnen und aus größeren Handwerksbetrieben entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts Industriebetriebe, die teilweise bis heute Bestand haben. Nahrungsmittel-, Textil- (darunter Seide) und Lederproduktion waren bis zum Zweiten Weltkrieg die wichtigsten Branchen. Es folgten Metallverarbeitung und der bis heute bedeutende chemische Sektor. Der Maschinenbau gewann in den letzten 150 Jahren an Gewicht, wobei sich die Stadt sehr früh auf die Elektroindustrie spezialisierte. Der Handel spielte von Beginn an eine tragende Rolle, insbesondere der Umschlag landwirtschaftlicher Güter aus dem Umland. Der Fernhandel stagnierte während der wiederholten Kriege, verstetigte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts und erhielt durch den Bau des Begakanals (1776) einen starken Auftrieb. Nach der Erschließung des Banats durch Eisenbahnen (1857) verlagerte sich der Handel mit Nahrungsmitteln auf die großen Dörfer des Umlandes. Heute ist Temeswar ein Handelszentrum mit internationalen Beziehungen. 1846 wurde in Temeswar die erste Sparkasse und 1850 die Industrie- und Handelskammer gegründet, die mit einer Unterbrechung (1949–1990) bis heute besteht.

Am 8. Juli 1869 ging in Temeswar eine Pferdestraßenbahn in Betrieb – die fünfte weltweit –, die 1899 elektrifiziert wurde. Der Strom dafür wurde ab 1903 in einem Wasserkraftwerk am Begakanal erzeugt. Am 12. November 1884 brannte hier die erste elektrische Straßenbeleuchtung Europas. In kommunistischer Zeit besaß Temeswar neben Bukarest den einzigen internationalen Flughafen Rumäniens. Dieser entwickelte sich nach 1990 schnell zu einem Drehkreuz im ostmitteleuropäischen Flugverkehr.

Religions- und Kirchengeschichte

Die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung spiegelt ihre ethnische Vielfalt. Die größten Gemeinden waren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: die römisch-katholische (1840: 51 %; 1880: 65 %; 1920: 67 % der Bevölkerung), die orthodoxe (1840: 40 %; 1880: 14,5 %; 1910: 15 %) und die mosaische (1840: 6 %; 1880: 12 %; 1910: 9 %).[3] 1655 – noch in osmanischer Zeit – wird der Sitz eines orthodoxen Metropoliten erwähnt. Die Kathedralkirche des heutigen rumänisch-orthodoxen Erzbistums befindet sich auf der Lloydzeile. In der Innenstadt steht seit dem frühen 18. Jahrhundert auch der Dom des serbisch-orthodoxen Bischofs.

1730 wurde das seit 1030 bestehende römisch-katholische Bistum Tschanad/Cenad mit Sitz in Temeswar neu gegründet. Im 18. Jahrhundert wurden der Dom und ein Bischofspalais errichtet. Die römisch-katholische Gemeinde der Stadt ist heute die ethnisch am stärksten differenzierte; ihr gehören u. a. Ungarn, Deutsche, Bulgaren, Slowaken und Italiener an. Reformierte Gläubige sind vorwiegend Ungarn, evangelische (A. B.) vorwiegend Deutsche. Eine jüdische Gemeinde war seit 1718 in der Stadt vertreten und errichtete zwei größere Synagogen. Nach 1989 traten in Temeswar einige evangelikale Kirchen und Bewegungen (Baptisten, Pfingstler etc.) mit effektiver Werbung auf.

Besondere kulturelle Institutionen

Erste Aufführungen im Theater der Stadt sind ab 1753 nachgewiesen. Ab 1767 gab es im "Raizischen Rathaus", dem heutigen Lenaulyzeum, einen festen Theatersaal. Nach einem Brand dieses Theaters wurde 1873–1875 der heutige Theaterbau am ehemaligen Peterwardeiner Tor errichtet – als einer der ersten des später berühmten Wiener Ateliers Fellner & Helmer. Nach einem Brand in den 1920er Jahren mit einer Neo-Brâncoveanu-Fassade versehen, wird es heute von der rumänischen Oper, dem rumänischen Nationaltheater, einem ungarischen und einem deutschen Staatstheater bespielt.

1871 wurde das Banater Museum gegründet; sein Hauptsitz ist das im 19. Jahrhundert für diesen Zweck umgebaute mittelalterliche Hunyadi-Kastell.

Bildung und Wissenschaft

Im Mittelalter bestanden Klosterschulen wie jene der Franziskaner, die 1717 neu aufgebaut wurde; 1725 richteten die Jesuiten eine Lateinschule ein, ab 1770 folgten auch staatliche Schulen. 1775 hatte jeder Temeswarer Stadtteil Schulen, an denen in deutscher Sprache unterrichtet wurde. Ab 1756 gab es auch Schulen mit serbischer, später solche mit rumänischer Unterrichtssprache. 1776 wurde die "Temeswarer Normalschule" als Lehrerbildungsanstalt gegründet. Im 19. Jahrhundert wurden weitere höhere Schulen eröffnet, 1870 das Lenau-Realgymnasium und 1897 ein erstes Vollgymnasium. Schulunterricht aller Stufen wurde durchgehend bis heute in den Sprachen der großen ethnischen Gruppen der Stadt angeboten. Im deutschen Lenaulyzeum sind gegenwärtig nur noch rund 5 % der Schüler deutscher Herkunft, 95 % sind Rumänen, Ungarn oder andere.

Bild


Ostfront der Loydzeile mit der rumänisch-orthodoxen
Kathedrale am südlichen Ende. Im Vordergrund das
Loyd-Palais, ehemals Börse, heute Sitz der Politechnica
(Foto: 2009) [© H. Rieser].

1920 wurde eine Technische Hochschule (Polytechnikum) gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden aus Vorläuferinstitutionen eine medizinische und eine landwirtschaftliche Universität. Aus einem pädagogischen Institut entwickelte sich 1962 die stark geisteswissenschaftlich ausgerichtete West-Universität (Universitatea de Vest). Alle vier Hochschulen bestehen bis heute, zudem haben sich nach 1990 einige private Universitäten etabliert.

Alltagskultur

Bis heute ist der Alltag der Menschen in Temeswar durch die außerordentliche sprachliche, ethnische und religiöse Vielfalt mit vielfältigen kulturellen Interferenzen beeinflusst. Alteingesessene Temeswarer sprechen meist drei (Rumänisch, Deutsch, Ungarisch), oft vier (Serbisch) Sprachen und verwenden diese im Alltag. Das Temeswarer Deutsch zeigt deutliche Wiener Einflüsse.

Architektur

Bild


Serbisch-orthodoxe Christi-Himmelfahrts-Kathedrale
mit dazugehörigem Bischofspalais an der Westseite
des Domplatzes in Temeswar (Foto: 2008)
[© H. Rieser].

Die Innenstadt weist einen klassischen barocken Gitternetzgrundriss auf und ist wie die älteren Stadtteile von barocken, z. T. neobarocken Gebäuden geprägt. Der römisch-katholische und der serbisch-orthodoxe Dom am Domplatz sind herausragende kirchliche, der Gouverneurspalast, das Alte Rathaus und das Mercy-Haus bedeutende profane Gebäude dieser Stilepoche. In der Gründerzeit wurden mehrere Gebäude im Sezessionsstil errichtet, etwa an der Lloydzeile. Zwei Wassertürme und das im Jugendstil gebaute Wasserkraftwerk sind als typische Funktionsbauten dieser Zeit hervorzuheben. Im Bauhausstil entstanden in der Zwischenkriegszeit einzelne Gebäude auf dem nach und nach bebauten Glacis. Zudem stammen die beiden Endpunkte der heutigen Zentralstraße der Stadt, der Piaţa Victoriei (dt. Lloydzeile oder Korso), aus dieser Zeit: die Theaterfassade (1920er Jahre) und die rumänisch-orthodoxe Kathedrale (1936–1948) im sog. Brâncoveanu-Stil.

Theater und Musik

Wie in allen wichtigen Städten des Habsburgerreichs wurde das Theater- und Musikleben Temeswars stark vom Wiener Kunstbetrieb beeinflusst und von den von dort abgeordneten Beamten und Militärs sowie der deutschsprachigen Bürgerschaft getragen. 1858 wurde der Temeswarer Musikverein gegründet, 1871 die Banater Philharmonie. Schnell folgten Chorgründungen bei allen ethnischen Gruppen und in den Stadtteilen.

Druckwesen

Die erste Druckerei in Temeswar wurde 1771 von Matthias Heimerl gegründet, der im gleichen Jahr auch die erste Zeitung des Banats herausgab, die Temeswarer Nachrichten. Danach gab es eine rege, sich schnell ändernde Presselandschaft in den vier Hauptsprachen, aber auch in den Sprachen der kleineren Minderheiten (z. B. der Bulgaren). Zum Teil gab es zwei- und dreisprachige Organe und sogar in der sozialistischen Zeit wurden Zeitungen und Zeitschriften zumindest in den vier Sprachen gedruckt.

Gedächtnis- und Erinnerungskultur

Temeswar bewirbt sich für das Jahr 2020 um den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt.

4. Diskurse/Kontroversen

Gelegentlich scheint der rumänisch-ungarische Konflikt auf, aber die Stadt eignet sich wegen des stets kleinen ungarischen und des historisch ebenfalls kleinen rumänischen Bevölkerungsanteils nicht für dessen Austragung - im Gegensatz zu den oft "bipolaren" Städten Siebenbürgens.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Gruppe der Banater Schwaben einen Zwist um den deutschen Namen. Die stärker national bis teilweise nationalsozialistisch geprägten Eliten, die während des Krieges und in der Nachkriegszeit im "Reich"[4] eine Rolle gespielt hatten, wollten den "deutschen" Namen Temeschburg durchsetzen, der in der Bundesrepublik Deutschland lange als offizieller Name beispielsweise bei der Geburtsortnennung in Ausweisen verwendet wurde. Wer den Namen Temeswar benutzte, wurde von dieser Gruppe nicht selten als "Madjarone", also als Ungarnfreund, geschmäht, während andere Kreise einem Nationalismus vorwarfen, weil man nicht das offizielle rumänische "Timişoara" verwandte. Heute hat sich der von den in Rumänien lebenden Banatern gebrauchte Name Temeswar durchgesetzt, der auch auf habsburgischen Karten oder in Schillers Wallenstein-Trilogie verwendet wird.

5. Bibliographische Hinweise

Literatur

  • Ernő Deák: Königliche Freistädte - Munizipalstädte. Das Städtewesen der Länder der ungarischen Krone (1780–1918). Teil 2/1: Ausgewählte Materialien zum Städtewesen A. Wien 1989 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für Wirtschafts-, Sozial- und Städtegeschichte 4), S. 311-317.
  • Ioan Munteanu, Rodica Munteanu: Timişoara [Temeswar]. Timişoara 2002.
  • Mihai Opriş: Timişoara. Mică monografie urbanistică [Temeswar. Kleine urbanistische Monographie]. Bucureşti 1987.
  • Hans-Heinrich Rieser: Temeswar. Geographische Beschreibung der Banater Hauptstadt. Sigmaringen 1992 (Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 1).
  • Hans-Heinrich Rieser: Temeswar – die multiethnische Hauptstadt des Banates. In: Frauke Kraas, Jörg Stadelbauer (Hg.): Nationalitäten und Minderheiten in Mittel- und Osteuropa. Wien 2002 (Ethnos 60), S. 100-117.
  • Consiliul Popular al Municipiului Timişoara (Hg.), Ştefan Pascu (Red.): Timişoara 700. Pagini din trecut şi de azi [700 Jahre Temeswar. Seiten aus der Vergangenheit und Gegenwart]. Timişoara 1969.
  • Martin Eichler, Dan Leopold Ciobotaru, Martin Rill: Temeswar/Timişoara. Eine Perle des Banats. München 2010.

Weblinks

Anmerkungen

[1] Quelle: bis 1910 aus Rieser: Temeswar. Geographische Beschreibung, S. 86; ab 1930 nach Daten der Volkszählung 1992 errechnet; 2002: Mitteilung der Stadtverwaltung Temeswar.

[2] Quelle: Nach Daten der Volkszählung 1992 errechnet.

[3] Deák: Königliche Freistädte, S. 314.

[4] Im Banat und in Siebenbürgen sprach man auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg noch vom "Reich", wenn man das deutsche Binnenland, vorzugsweise die Bundesrepublik Deutschland meinte.

Zitation

Hans-Heinrich Rieser: Temeswar/Timişoara. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013. URL: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/54429.html (Stand 04.03.2013).

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